Rehabilitation (Stuttg) 2004; 43(3): 179-183
DOI: 10.1055/s-2003-814984
Bericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Teilhabe am Arbeitsleben durch Prävention und medizinische Rehabilitation - Ergebnisse einer Tagung des Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften Sachsen-Anhalt/Mecklenburg-Vorpommern am 25./26.3.2004

Participation in Working Life Through Prevention and Medical Rehabilitation - Report of a Conference of the Rehabilitation Sciences Research Network Sachsen-Anhalt/Mecklenburg-Vorpommern Held March 25/26, 2004C.  Patzelt1 , A.  Weber1
  • 1Sektion Medizinische Soziologie, Medizinische Fakultät, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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Publication Date:
17 June 2004 (online)

Der Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften Sachsen-Anhalt/Mecklenburg-Vorpommern, einer von acht regionalen rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbünden in Deutschland, veranstaltete in der Stiftung Leucorea in Wittenberg am 25. und 26. März 2004 eine Fachtagung zum Thema „Teilhabe am Arbeitsleben durch Prävention und medizinische Rehabilitation”. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der verbundübergreifenden AG Schnittstellen/Nachsorge im Förderschwerpunkt Rehabilitationswissenschaften der Deutschen Rentenversicherung und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie in Kooperation mit der Sektion Gesundheitswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg statt.

Vor dem Hintergrund einerseits der schwierigen Beschäftigungssituation in Mitteldeutschland und andererseits des beabsichtigten Zusammenschlusses der drei Landesversicherungsanstalten (LVA) Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen zu einer LVA Mitteldeutschland diskutierten 140 Expertinnen und Experten aus den verschiedensten Bereichen - trägerübergreifend und überregional - innovative Ideen für die Rehabilitation und Reintegration chronisch kranker und behinderter Menschen in der Region.

In der Eröffnung der Tagung durch den Sprecher des Forschungsverbundes Prof. Dr. Wolfgang Slesina und Dr. Stefan Kothe, Mitglied des Verbundvorstandes sowie Leiter des Ärztlichen Dienstes der LVA Sachsen-Anhalt, wurde u. a. die Bedeutung der Überwindung von Schnittstellen im Rehabilitationsprozess als Forschungsschwerpunkt des Verbundes thematisiert. An die in den vergangenen Jahren gewachsenen Kooperationen und Strukturen der Rehabilitationsforschung in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern und die damit entstandene sehr gute wissenschaftliche und umsetzungsnahe Zusammenarbeit zwischen den regionalen Rehabilitationskliniken, beruflichen Rehabilitationseinrichtungen und den Universitäten Halle-Wittenberg, Magdeburg und Greifswald sowie den Leistungsträgern soll auch zukünftig angeknüpft werden. Die Möglichkeiten dieser Zusammenarbeit und die Kooperationen zwischen den verschiedenen Leistungsträgern wurden deshalb in den Mittelpunkt der Tagung gestellt, um den in der Region eingeschlagenen Weg kontinuierlich fortzusetzen.

Das zweitägige Programm der Tagung umfasste zunächst eine von der Geschäftsstelle des Verbundes organisierte Podiumsdiskussion zum Thema „Rehabilitation als Prävention - Frühverrentungen vermeiden”. Zur Diskussion eingeladen waren Hans-Joachim Maaßen vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS), Dr. Hans-Günter Haaf vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), Dr. Walther Heipertz von der Bundesagentur für Arbeit (BA), Iris Kloppich vom Deutschen Gewerkschaftsbund Sachsen (DGB) und Dr. Volker Hansen von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). In dieser von Prof. Dr. Wilfried Mau, dem Direktor des Instituts für Rehabilitationsmedizin, und Dr. Andreas Weber von der Sektion Medizinische Soziologie der Universität Halle-Wittenberg moderierten Diskussion stellte Iris Kloppich (DGB) zunächst die Interessen der Arbeitnehmer dar. Sie plädierte dafür, dass das Problembewusstsein bei allen am Rehabilitationsprozess beteiligten Akteuren bezüglich der Teilhabe am Arbeitsleben gezielt geschärft werden sollte. Sie stellte die Frage in den Mittelpunkt, ob die Rehabilitanden für die Berufsfelder ausgebildet und qualifiziert werden, in denen sie eine reelle Chance zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben haben. Die Bedeutung der Prävention unterstreichend, sprach sie sich für eine realistische und umsetzungsnahe Prävention insbesondere in Klein- und Mittelbetrieben aus, da diese in der Region Mitteldeutschland die meisten Arbeitnehmer beschäftigen.

Dr. Volker Hansen (BDA) vertrat die Arbeitgeberseite und verdeutlichte, dass die Rehabilitation auch unter einer ökonomischen Perspektive für den Betrieb gesehen werden sollte - eine Investition in die Rehabilitation wäre auch deshalb sinnvoll, weil sich einerseits in den nächsten Jahren die Zahl der Erwerbspersonen deutlich verringern und andererseits das Renteneintrittsalter erhöhen wird. Die Arbeitgeber wären zur Kooperation mit den Rehabilitationsträgern bereit und investieren in die Rehabilitation. Auch er sprach sich dafür aus, vermehrt Konzepte für kleine und mittlere Unternehmen zur Wiedereingliederung von Rehabilitanden zu entwickeln, da es in Zukunft auch bundesweit immer weniger Großbetriebe geben werde. Hinsichtlich zukunftsfähiger Konzepte für Rehabilitandinnen und Rehabilitanden sei auch die Diskrepanz zwischen der breiten Angebotsstruktur und der geringen Inanspruchnahme der Servicestellen zu überprüfen.

Hans-Joachim Maaßen (BMGS) betonte, bezogen auf das Thema der Podiumsdiskussion, die Bedeutung der Prävention. Er sprach von den „Geschwistern Prävention und Rehabilitation”, die beide zusammengehören und sich ergänzen. Ausgehend vom § 3 SGB IX unterstrich er den Vorrang der Prävention und die Bedeutung der Rehabilitation auch für die von Behinderung bedrohten Menschen. Insbesondere für geistig behinderte Menschen stellt die berufliche Rehabilitation eine Chance zum Beitrag zur Sicherung des Lebensunterhaltes dar. Die berufliche Rehabilitation in Form der Berufsbildungswerke „räumt oft das auf”, was das Bildungssystem hinterlässt. Auch sollte niemandem die Chance auf Rehabilitation verwehrt werden, weil dieser z. B. einen „schwierigen medizinischen Fall” darstellt.

Dr. Hans-Günter Haaf (VDR) stellte verschiedene Ergebnisse von wissenschaftlichen Studien in Bezug auf die Wirksamkeit der Rehabilitation vor, die auch die Effizienz der Rehabilitation belegen. In dem gegliederten System der Rehabilitation hat sich die Zuordnung der Leistungen zu den verschiedenen Kostenträgern bewährt. Betrachtet man die demografische Entwicklung und die geburtenstarken Jahrgänge der heute ca. 40-Jährigen, so wird die Rehabilitation in den nächsten Jahren noch weiter an Bedeutung gewinnen. Gerade deshalb sei es notwendig, Themen wie die Weiterentwicklung der Nachsorge, die Entwicklung der beruflichen Orientierung innerhalb der medizinischen Rehabilitation und die Zunahme der Flexibilisierung der Rehabilitation richtungsweisend zu konzipieren.

Dr. Walther Heipertz (BA) vertrat den Standpunkt, Rehabilitation sollte „effizient, jedoch nicht kalt” sein. Besonders wichtig erscheint nach Abschluss von erfolgreichen Modellprojekten, die Rahmenbedingungen der Kooperation den Ergebnissen entsprechend zu gestalten. Als Zielorientierung um Frühverrentungen zu vermeiden und den betroffenen Menschen zu helfen, ist es notwendig, eine Basis zu schaffen, um ein verstärktes gegenseitiges Vertrauen der Leistungsträger zu ermöglichen, um so gemeinsame Lösungen in die Verwaltungspraxis zu übernehmen.

Der anschließende von Peter Ladehoff (Vorstand der LVA Mecklenburg-Vorpommern) und Dr. Andreas Weber moderierte Themenblock der Tagung umfasste die Vorstellung von erfolgreichen innovativen Modellprojekten und Kooperationen der letzten Jahre zur Teilhabe am Arbeitsleben, die Anregungen für trägerübergreifende Kooperationen in der Region bieten können.

Zunächst referierte Ulrich Böckel von der Adam Opel AG, Eisenach, zu „Chancen und Grenzen der Prävention im Betrieb”. In dem vorgestellten Kooperationsprojekt zwischen dem Automobilunternehmen Opel, einer benachbarten Rehabilitationsklinik in Bad Liebenstein/Thüringen und der Betriebskrankenkasse (BKK) Opel gelingen eine Vielzahl von betrieblichen und außerbetrieblichen Aktivitäten zur Verbesserung und Förderung der gesundheitlichen Situation der Mitarbeiter. Zu den betrieblichen Aktivitäten zählen u. a. die ständige Sensibilisierung der Mitarbeiter durch Schulungen zu gesundheitlichen Themen, die Durchführung von freiwilligen Vorsorgeuntersuchungen oder auch Bewegungsübungen unter Anleitung von Fachpersonal der Reha-Klinik. Des Weiteren wurden Gesundheitszirkel, ein Ergonomiekomitee und ein Ergonomieausschuss für Arbeitsplatzanalysen und -begehungen eingerichtet. In Kooperation mit dem eigens geschaffenen Integrationsteam wird ein ständiger und direkter Kontakt zwischen Betrieb, Fachärzten und Physiotherapie der Klinik und der BKK gewährleistet. Zu den ständigen außerbetrieblichen Aktivitäten zählen u. a. auch Kontakte zu dem Arbeitsamt, der LVA, dem Integrationsamt und der Berufsgenossenschaft bezüglich Beratungen zur Arbeitsplatzgestaltung.

Elisabeth Röckelein von der Rehabilitationswissenschaftlichen Abteilung des VDR stellte Möglichkeiten der Berufsorientierung in der medizinischen Rehabilitation vor. Ausgangssituation der Betrachtung bildet die bisher weitgehend konzeptionelle Trennung von medizinischer und beruflicher Rehabilitation, die im Zuge gesundheits- und arbeitsmarktpolitische Neuorientierungen zunehmend von einem integrativen, den gesamten Rehabilitations- und Reintegrationsprozess begleitenden Ansatz abgelöst wird. Der ganzheitliche Ansatz dieses Zukunftsmodells beinhaltet die Berufsorientierung im gesamten Rehabilitationsprozess, d. h. eine frühe, umfassende und prozessorientierte Ausrichtung der Rehabilitation am Wiedereingliederungsziel. Modellprojekte und Kooperationen im Bereich der Rentenversicherung sind auf eine enge Verzahnung medizinischer und beruflicher Rehabilitation sowie auf eine verstärkte Orientierung der medizinischen Rehabilitation auf berufsbezogene Probleme ausgerichtet. Ansätze der berufsorientierten medizinischen Rehabilitation konzentrieren sich schwerpunktmäßig auf die Ermittlung eines berufsbezogenen Reha-Bedarfs und die damit verbundene Bedarfsfeststellung z. B. durch individuelle Anforderungsprofile, die konzeptionelle Ausrichtung der medizinischen Rehabilitation auf berufsbezogene Probleme, den Ausbau spezieller berufsorientierter Therapieangebote bis hin zur Einrichtung von Modellarbeitsplätzen in medizinischen Reha-Einrichtungen, den Ausbau spezieller Kooperationen von Einrichtungen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation sowie die stufenweise Wiedereingliederung. Gerade solche Ansätze könnten auch den behinderten und chronisch kranken Menschen in der Region Mitteldeutschland Chancen zur Reintegration in der Arbeit bieten. Dabei sollte man sich jedoch eng am regionalen, trägerspezifischen Bedarf und dem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand orientieren.

Dr. Gisela Riedl, Leiterin des Bereichs Reha-/Case-Management-Support der Fachklinik Enzensberg, referierte über ein beispielhaftes Modellprojekt zur „Verzahnung von medizinischer Rehabilitation und beruflicher Reintegration” [1]. Kooperationspartner in diesem schnittstellenüberwindenden Projekt sind neben der Rehabilitationsklinik in Enzensberg das Automobilunternehmen Audi AG in Ingolstadt, die BKK Audi und die LVA Oberbayern. Gekennzeichnet ist diese Kooperation durch enge Zusammenarbeit und wechselseitigen Informationsaustausch zwischen der Reha-Klinik, dem betriebsärztlichen Dienst des Unternehmens und den zuständigen Leistungsträgern. Ziel ist es, eine möglichst nahtlose, zeitnahe Wiedereingliederung in den Betrieb nach einer Krankheit bzw. einem Unfall zu erreichen, die Arbeitsunfähigkeits(AU)-Zeiten nach der Rehabilitation zu verkürzen und die Erwerbsfähigkeit langfristig zu sichern. Interventionsbausteine sind u. a. ein Screening bez. arbeitsplatzbezogener Gesundheitsprobleme und Kontaktaufnahme mit dem Betriebsarzt, rehamedizinisch-betriebsärztliche Konsile mit Festlegung der verbliebenen Leistungsfähigkeit und gemeinsamer Klärung notwendiger Arbeitsplatzmaßnahmen, ein aussagefähiger Entlassungsbericht und dessen Weiterleitung an den Betriebsarzt sowie die Vorbereitung und zeitnahe Umsetzung der Maßnahmen im Betrieb. Insbesondere für Patienten mit komplexen, chronifizierten Krankheitsverläufen können durch ein sog. Reha-/Case-Management Lösungskonzepte zur Optimierung der Verfahrensabläufe je nach individuellem Bedarf entwickelt werden. Dies ist durch die Einbindung der Reha-Klinik in ein gut funktionierendes Netzwerk möglich, welches das komplette Leistungsspektrum erfahrener Experten aus dem Reha-Bereich in der Region sicherstellt. Es konnte gezeigt werden, dass dieses Projekt auf hohe Akzeptanz bei den Rehabilitanden traf, dass weniger Arbeitsplatzwechsel erforderlich waren, eine Verkürzung der AU-Dauer bis zur ersten Wiederaufnahme der Arbeit und eine Kostenersparnis erreicht wurden.

Dr. Stefan Best, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Theresienklinik in Bad Krozingen, stellte das sog. „Bad Krozinger Modell” vor, ein BfA-Modellprojekt zur Verzahnung medizinischer und beruflicher Rehabilitation [2]. Die Kooperation zwischen Rehabilitationsklinik und einem benachbarten Bildungszentrum ermöglicht in diesem Projekt eine flexible und individuelle Integration berufsorientierter Maßnahmen innerhalb der medizinischen Rehabilitation. Ziel ist es, durch frühzeitige Abklärung der Motivation, der beruflichen Belastbarkeit sowie der Eignung und Neigung der Rehabilitanden den Beginn der beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen und die berufliche Wiedereingliederung zu beschleunigen und somit eine Zeitersparnis im Reha-Prozess zu erreichen. Das Zusammenspiel zwischen dem Reha-Arzt, der ein medizinisches Leistungsbild erstellt, dem Reha-Berater in der Klinik, der die berufliche Situation des Rehabilitanden abklärt, und dem Bildungszentrum, welches einen individuellen Förderplan erstellt, war in der bisherigen Projektlaufzeit sehr erfolgreich und zeigte eine hohe Zufriedenheit bei den Rehabilitanden. Durch eine sorgfältige Rehabilitandenauswahl bez. Motivation, gesundheitlicher Situation und Zustimmung des Leistungsträgers nahmen bisher 30 Rehabilitanden an dem Modellprojekt teil. Weitere Ergebnisse für die Versorgungspraxis werden anhand von Daten einer größeren Stichprobe demnächst erwartet.

Dr. Hans-Martin Schian, Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation (IQPR), Köln, veranschaulichte anhand eines Kooperationsprojektes seines Instituts mit dem Automobilunternehmen Ford präventive und rehabilitative Strategien zur Verhinderung von Erwerbsminderung und zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit. Erwerbsminderung verhindern heißt die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter zu fördern und die Gesundheit zu stärken, die Leistungsfähigkeit und die Erwerbsfähigkeit trotz der Behinderung zu erhalten, die langfristige Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben sowie die Vermeidung von Arbeitslosigkeit. Durch die Konzeption und den Aufbau eines betrieblichen Gesundheitsmanagements kann der „schleichende Entstehungsprozess” einer Erwerbsminderung bereits frühzeitig erkannt werden. Als zukunftsweisende Handlungsfelder in diesem Bereich nannte Dr. Schian u. a. die Implementierung eines Disability Managements als einer Form des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie die Durchführung von Assessments zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit. Insbesondere wurde das IMBA-Verfahren (Integration von Menschen mit Behinderungen in die Arbeitswelt) als zentrales Assessment- und Dokumentationsinstrument zum Vergleich von Arbeitsanforderungen und menschlichen Fähigkeiten innerhalb eines betrieblichen Gesundheitsmanagements vorgestellt. Weitere Bausteine eines betrieblichen Gesundheitsmanagements sind in diesem Projekt die Gesundheitsvorsorge und Ergonomie am Arbeitsplatz, strukturierte Reha- und Integrationsprozesse, die kontinuierliche Kommunikation mit niedergelassenen Ärzten, die Kooperation mit den Leistungsträgern, soziale Beratung und Unterstützung, kontinuierliche Weiterbildung und Unterstützung, die Schaffung von Perspektiven zur Lebensarbeitszeit und die Implementierung eines Frühwarnsystems. Aus diesen Erfahrungen heraus können Perspektiven zur Übertragung dieser Ergebnisse auf Klein- und Mittelbetriebe entwickelt werden.

Ermutigt durch die vorgestellten erfolgreichen Modellprojekte und Kooperationen erscheint es möglich, auch in der Region Mitteldeutschland diese Erfahrungen konkret zu nutzen und bestehende regionale Kontakte zwischen Einrichtungen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation weiter zu stärken. Auch wurde die Hoffnung geäußert, Konzepte für die speziell in dieser Region ansässigen Klein- und Mittelunternehmen trägerübergreifend entwickeln und umsetzen zu können.

Der zweite Veranstaltungstag stand ebenfalls im Zeichen einer sehr praxisnahen Herangehensweise an das Thema „Teilhabe am Arbeitsleben durch Prävention und medizinische Rehabilitation”. Am Beispiel der Indikation „chronischer Rückenschmerz” wurde in einem Expertengespräch mit Prof. Dr. Wilfried Mau, Dipl.-Psych. Birgit Schreiber vom Zentrum für Psychosomatik und Psychotherapie der Universität Halle-Wittenberg und Dr. Ina Ueberschär, Ärztlicher Dienst der LVA Sachsen, die Rehabilitationspraxis und Wiedereingliederungsbemühungen beleuchtet. Moderiert wurde das Gespräch von Dr. Hans-Günter Haaf von der Rehabilitationswissenschaftlichen Abteilung des VDR, der sich in eigenen wissenschaftlichen Publikationen mit dem Thema unter psychologischen und gesundheitsökonomischen Aspekten auseinander gesetzt hat und zusätzlich die Erfahrung der Rehabilitationsträger in die Diskussion mit einbringen konnte.

In diesem Expertengespräch wurden ausgehend von der Problematik der langjährigen Chronifizierung von Rückenschmerzen verschiedene Möglichkeiten zur Optimierung der Rehabilitationspraxis und zur Vermeidung von Frühverrentungen aufgezeigt, die bei Klinikern und Leistungsträgern auf großes Interesse stießen. Als wichtigste Ergebnisse wurden u. a. festgehalten: Die Rehabilitation sollte - unter Beachtung des präventiven Aspektes - so früh wie möglich im Krankheitsverlauf erfolgen. Insbesondere der Reha-Zugang der Reha-Bedürftigen muss verbessert werden. Viele der Rückenschmerzpatienten in medizinischer Rehabilitation weisen einen hohen Chronifizierungsgrad auf. Fast die Hälfte der Patienten durchliefen in den letzten fünf Jahren vor der Erwerbsunfähigkeits(EU)-Berentung keine Rehabilitation; ein Drittel der Patienten erhielten eine EU-Rente trotz Rehabilitation im Vorjahr [3]. Die Rehabilitation von Rückenschmerzpatienten sollte ganzheitlich ausgerichtet sein und neben somatischen u. a. auch psychosomatische und psychotherapeutische Elemente beinhalten, die nach individuellem Ausgangsbefund zu differenzieren sind. Favorisiert wurde dabei ein integratives Konzept, welches z. B. modellhaft in einer Kooperationsklinik eines Projektes des Forschungsverbundes bereits erprobt wurde [4]. Zum Erhalt des erreichten Rehabilitationserfolges sollten Nachsorgeangebote verstärkt werden, da sie gerade von Problemgruppen der Rehabilitation nicht ausreichend wahrgenommen werden [5]. In der anschließenden Diskussion wurde insbesondere auf die subjektive Erwerbsprognose zu Beginn der Rehabilitation als entscheidenden Prädiktor für die gelungene Reintegration hingewiesen.

Ein weiteres Expertengespräch widmete sich der Teilhabe am Arbeitsleben von psychisch kranken Menschen, insbesondere in der Region Mitteldeutschland. Gesprächspartner von Horst Gering (LVA Sachsen-Anhalt) sowie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung waren Dr. Bettina Wittmund (Universitätsklinik für Psychiatrie, Leipzig), PD Dr. Peter Brieger (Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Halle) und Dr. Christian Landmann (Landesarbeitsamt Sachsen-Anhalt/Thüringen). Ca. 85 % der psychisch kranken Menschen haben keine Arbeit, insbesondere bei der Diagnose des Krankheitsbildes „manisch-depressiv” erfolgt fast immer eine Frühberentung, oft setzt der Renteneintritt bei psychisch kranken Menschen bereits vor dem 30. Lebensjahr ein [6]. Es sollte auch ins Bewusstsein gerufen werden, dass das Ziel „Teilhabe am Arbeitsleben” in der Gruppe der psychisch kranken Menschen meist junge Patienten mit rezidiven Störungen im Alter von Mitte 30 und ohne Ausbildung betrifft. Durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Indikationsuntergruppen kommt es gerade bei psychischen Erkrankungen auf eine individuelle Rehabilitations- und Behandlungsplanung an. Ein Problem der Versorgung stellen die unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten der Versorgungspraxis dar, die eine flächendeckende gute Versorgung in Deutschland noch nicht überall gewährleisten. Erschwerend bei den Rehabilitationsbemühungen ist der oft diskontinuierliche Verlauf der Versorgung, d. h. durch wechselnde personelle wie auch trägerbezogene finanzielle Zuständigkeiten ist im oft langjährigen Krankheitsverlauf keine Einheit für den Patienten gegeben. Darum ist es bei den Rehabilitationsbemühungen besonders wichtig, personen- bzw. individuenbezogen statt - wie häufig noch der Fall - institutionsbezogen zu denken. Für die berufliche Rehabilitation psychisch kranker Menschen gelte es in der Zukunft mehr denn je, krankheits- und individuenbezogene Erfolgskriterien festzulegen, um die Wirksamkeit der Rehabilitation zu messen, so die einhellige Meinung der Expertenrunde.

Die Ergebnisse der Tagung, die im Dialog zwischen Rehabilitationsforschung, Umsetzungspraxis und von chronischen Krankheiten betroffenen Menschen im Verlauf der Tagung entstanden sind, mündeten in eine abschließende Podiumsdiskussion, in der Perspektiven der Rehabilitation für die Region Mitteldeutschland eröffnet wurden. Unter Moderation von Prof. Dr. Wilfried Mau und Prof. Dr. Wolfgang Slesina kam es zu einem Ideenaustausch zwischen Manfred Kees, Direktor der LVA Sachsen, sowie den in der Region tätigen Rehabilitationswissenschaftlern Prof. Dr. Claus-Werner Wallesch, Direktor der Klinik für Neurologie der Universität Magdeburg, Prof. Dr. Ulrich Smolenski, Direktor des Instituts für Physiotherapie der Universität Jena, und Dr. Bettina Wittmund von der Universitätsklinik für Psychiatrie der Universität Leipzig. Dr. Wittmund betonte besonders die mangelnde wohnortnahe Versorgung in Mitteldeutschland, insbesondere für psychisch kranke Menschen. Prof. Wallesch berichtete über die derzeitige Situation der Rehabilitationskliniken nach Einführung der DRGs und deren Folgen für die Rehabilitation behinderter Menschen. Die Patienten kommen immer früher in die Rehabilitation, da diese oft schon mit der Aufnahme in die Akutklinik eingeleitet wird. Die Funktion der Reha-Klinik hat sich in der letzten Zeit gewandelt, was Personal und Klinikleitung vor neue Herausforderungen stellt. Prof. Smolenski wies darauf hin, dass die Leistungsträger ihre Erwartungen an die Wissenschaft konkret mitteilen sollten, bei welchen Anliegen die rehabilitationswissenschaftliche Unterstützung hilfreich sein könnte. Trotz der manchmal längerfristigen Perspektive der Forschung - die nötig ist, um exakte Ergebnisse abzusichern - können diese umsetzungsnahen Forschungsergebnisse genutzt werden, um Optimierungs- und Reformprozesse für die von chronischen Krankheiten betroffenen Menschen in Mitteldeutschland einzuleiten.

Manfred Kees unterstrich die Bedeutung von Rehabilitationsforschung, -lehre und -praxis für die Rentenversicherung und ging auch auf die zukunftsweisende Perspektive der Prävention innerhalb der Rehabilitationsbemühungen ein. Wie Dr. Haaf verwies auch er auf die Notwendigkeit wissenschaftlich gestützter Ergebnisse, die es ermöglichen müssten, die rehabilitative Versorgung weiterzuentwickeln und zu optimieren. In der Rehabilitationsforschung sollte zukünftig das Thema der Effizienz, gerade auch in Bezug zum Tagungsthema, verstärkt ins Blickfeld des Interesses genommen werden, so Manfred Kees, doch bei allen Bemühungen der Rehabilitation und Reintegration sollte der Mensch im Mittelpunkt aller Bestrebungen stehen. In der anschließenden Diskussionsrunde mit dem Auditorium ging er auf die Versorgungssituation nach Abschluss der Fusion der Landesversicherungsanstalten ein. So sei es zwar wichtig, einen „Mantel” zu schaffen, jedoch sollten dabei die regionalen gut gewachsenen Strukturen nicht verändert, sondern vielmehr gestärkt und erhalten werden. Die Wohnortnähe müsse berücksichtigt werden. Als eine mögliche Zukunftsvision für ein regionales Engagement zeichnete Direktor Kees das Bild einer offenen, flexiblen Reha-Klinik, welche nach der medizinisch-therapeutischen Behandlung der Patienten die eventuell freien Kapazitäten, z. B. am Abend sinnvoll als Gesundheitszentrum für die jeweilige Region nutzbar macht. Prof. Wallesch betonte in diesem Sinne noch einmal die Flexibilität der Reha-Organisationsformen auch in Bezug auf die personellen Anforderungsprofile. Dr. Landmann (Landesarbeitsamt Sachsen-Anhalt/Thüringen) äußerte die weiterhin bestehende Bereitschaft der regionalen Arbeitsagenturen sich aktiv am Rehabilitationsgeschehen zum Wohle der behinderten Menschen zu beteiligen.

Prof. Slesina bedankte sich als Sprecher des Forschungsverbundes bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung und fasste die wichtigsten Ergebnisse zusammen. Neben den vielen inhaltlichen Anregungen und den verschiedenen persönlichen, trägerübergreifenden Kontakten, die zwischen Verantwortlichen und Betroffenen entstanden, waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Tagung einig, dass solche Zusammenkünfte zwischen allen am Rehabilitationsprozess beteiligten Akteuren weitergeführt werden sollten. Die Geschäftsstelle des Forschungsverbundes sollte die Möglichkeit haben, diese auch inhaltlich koordinierende Funktion dauerhaft für und in Mitteldeutschland fortzuführen, um zukünftige Rehabilitationsaktivitäten in der Region für die chronisch kranken und behinderten Menschen in einem von Konsens und Fachwissen bestimmten Dialog umsetzen zu können.

Die Herausforderungen der beruflichen Rehabilitation [7] mit den Investitionen in Prävention und medizinische Rehabilitation in Zukunft zusammenzubringen, um so Schnittstellen zu überwinden, wird deshalb inhaltlich weiterhin erste Priorität in der Rehabilitationsforschung und der Rehabilitationspraxis in Mitteldeutschland haben.

Literatur

  • 1 Haase I, Riedl G, Birkholz L B, Schaefer A, Zellner M. Verzahnung von medizinischer Rehabilitation und beruflicher Reintegration.  Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed. 2002;  37 331-335
  • 2 Kinne G, Elsässer D, Best S, Jost S, Zschache R. Regionale Vernetzung medizinischer und beruflicher Rehabilitation: Das Bad Krozinger Modell.  Die Rehabilitation. 2002;  41 336-342
  • 3 Verband Deutscher Rentenversicherungsträger .VDR-Statistik Rentenzugang 2002. Frankfurt; VDR 2003
  • 4 Fikentscher E, Schreiber B. et al .Risikofaktorenspezifische Interventionsprogramme bei Rehabilitanden mit chronischen Rückenschmerzen. Abschlussbericht. Halle/Saale; 2004 (in Vorbereitung)
  • 5 Beck L, Merkesdal S, Busche T, Mau W. Inanspruchnahme von Nachsorge-Maßnahmen nach ambulanter orthopädischer Rehabilitation.  DRV-Schriften. 2004;  52 169-170
  • 6 Brieger P, Blöink R, Röttig S, Marneros A. Die vorzeitige Berentung von unipolar depressiv und bipolar affektiv Erkrankten.  Psychiat Prax. 2004;  31 203-206
  • 7 Weber A, Wicher K. Innenansichten - Berufliche Rehabilitation - Außenansichten. Dokumentation der Veranstaltungsreihe „Zur Zukunft der beruflichen Rehabilitation und des Berufsförderungswerks Hamburg”. Hamburg; Feldhaus Verlag 2004

Dipl.-Gesundheitswirtin Christiane Patzelt

Sektion Medizinische Soziologie · Medizinische Fakultät · Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Harz 42 a

06108 Halle/Saale

Email: christiane.patzelt@medizin.uni-halle.de