Z Sex Forsch 2013; 26(3): 266-273
DOI: 10.1055/s-0033-1350541
Bericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Entwicklungsverläufe von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie

Bericht über das bundesweite Arbeitsgruppentreffen zu „Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsidentitätsstörungen“ am 12.11.2012 in Hamburg
Inga Becker
a   Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
Birgit Möller
a   Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
Katinka Schweizer
b   Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
16 September 2013 (online)

Störungen der Geschlechtsidentität im Kindes- und Jugendalter, die sich mit unterschiedlicher Ausprägung bereits ab dem frühen Kindesalter manifestieren können, bleiben ein wenig beachtetes und klinisch unterversorgtes Phänomen (Möller 2009). Störungen der Geschlechtsidentität im Kindesalter[1] zeichnen sich laut ICD-10 (F64.2; WHO 1992) vor allem durch eine anhaltende und starke Ablehnung des angeborenen Körpergeschlechts sowie die feste Überzeugung aus, dem anderen Geschlecht anzugehören. Für die Diagnose müssen diese Anzeichen bereits vor der Pubertät aufgetreten sein, während die Diagnose Transsexualismus (F64.0) erst im Erwachsenenalter vergeben wird. In der 2013 erschienen ersten Version des DSM-5 wurde der Begriff der Geschlechtsidentitätsstörung durch Geschlechtsdysphorie (Gender Dysphoria; APA 2013) ersetzt.

Im Rahmen der im Jahre 2006 initiierten bundesweiten Arbeitsgruppe „Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsidentitätsstörungen“ fand im November 2012 am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ein Treffen zu diesem Thema statt. Neben Mitgliedern der Arbeitsgruppe nahmen u. a. zahlreiche Kinderärzte, Kinderendokrinologen, Psychologen, Psychotherapeuten, Genderspezialisten, Psychiater sowie Mitglieder von Selbsthilfegruppen und Verbänden aus Deutschland und der Schweiz teil. Im Fokus des Treffens standen Fragen nach den Verläufen von GIS im Kindes- und Jugendalter und nach den damit verbundenen Konsequenzen für die Behandlung. Jugendliche, deren Geschlechtsdysphorie und der Wunsch nach geschlechtskorrigierenden medizinischen Maßnahmen seit der Kindheit anhalten, werden in diesem Zusammenhang als Persisters bezeichnet. Desisters hingegen sind jene Jugendliche, bei denen in der Kindheit geschlechtsatypische Verhaltensweisen auftreten, die im weiteren Verlauf aber nicht anhalten (Wallien und Cohen-Kettenis 2008).

Die Tagung wurde von den Hamburger Gastgeberinnen eröffnet: Birgit Möller begann mit einer Einführung in das Thema und der Vorstellung der interdisziplinären Sprechstunde für Geschlechtsidentitätsstörungen im Kindes- und Jugendalter am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Moderiert wurden die Vorträge von Hertha Richter-Appelt.

Unter dem Titel „Persisters and Desisters“ stellte Thomas Steensma aus der Amsterdamer Forschungsgruppe um Peggy Cohen-Kettenis neue Ergebnisse zur psychosexuellen Entwicklung von Kindern mit Geschlechtsdysphorie vor (Steensma et al. 2012, 2013a). Dabei ging es um die Frage, unter welchen Umständen Kinder mit dem Verdacht oder der Diagnose einer GIS auch eine anhaltende Geschlechtsdysphorie (Persisting Gender Dysphoria) im Jugendalter entwickeln. In der Amsterdamer Gruppe wird in diesem Zusammenhang von Variation der Geschlechtsidentitätsentwicklung (Gender Variance) gesprochen, was der Vielfalt möglicher Entwicklungsverläufe Rechnung trägt und eine Verortung von geschlechtsdysphorischem Verhalten auf einem Kontinuum erlaubt: Während in der Vergangenheit meist von einem Entweder-Oder-Entwicklungsverlauf in Richtung Transsexualität (mit homo- oder heterosexueller Orientierung) oder Homosexualität (mit Aufgabe der Geschlechtsdysphorie) ausgegangen wurde,[2] versteht Steensma diese Entwicklungen nicht als Alternativen, sondern als Bestandteile des multidimensionalen Spektrums der Gender Variance (Steensma et al. 2013c).

Die von Steensma zunächst vorgestellten Ergebnisse einer Amsterdamer Follow-up-Studie zeigten, dass im Gegensatz zu bisherigen Forschungsergebnissen die in der Kindheit diagnostizierten Geschlechtsdysphorien sehr viel häufiger als angenommen bis ins Jugendalter anhielten (nämlich bei 37 % der untersuchten Jugendlichen, vgl. Steensma et al. 2013a). In einer Nachuntersuchung zur sexuellen Orientierung im Erwachsenenalter an einer holländischen Normstichprobe zeigten sich keine Zusammenhänge zwischen Variationen der Geschlechtsidentität während der Kindheit und späterer Geschlechtsdysphorie (bzw. Gender Discomfort) im Erwachsenenalter (Steensma et al. 2012). Ein deutlicher Zusammenhang ergab sich jedoch zwischen geschlechtsatypischen Verhaltensweisen während der Kindheit und einer späteren homosexuellen Orientierung (ebd.; vgl. auch Wallien und Cohen-Kettenis 2008). Die Prävalenz homosexueller Orientierungen bei Erwachsenen mit vorausgegangener Gender Variance war in der Stichprobe acht bis 15 Mal höher als bei jenen ohne vorausgegangene Gender Variance.

In einer qualitativen Nachuntersuchung mit vierzehn Persisters und elf Desisters widmeten sich Steensma und Kollegen zudem den individuellen Entwicklungsverläufen von geschlechtsdysphorischen Kindern (2011). Die entscheidende Phase für Veränderungen im Verlauf der Geschlechtsidentifikation lag hier im Alter zwischen 10 und 13 Jahren. Während Persisters eher eine andauernde gegengeschlechtliche (oder cross-gender) Identifikation aufwiesen, unterschieden sich die Desisters von ihnen nun durch eine Entwicklung einer eher „typisch mädchenhaften“ (girlish) bzw. „typisch jungenhaften“ (boyish) Identifikation mit dem eigenen Körpergeschlecht. Bei beiden Gruppen schienen in diesem Prozess drei Lebensaspekte eine wesentliche Rolle zu spielen: (1) Veränderungen in der sozialen Umwelt (z. B. in der Peer Group), (2) eigene körperliche Veränderungen und (3) das erste Erleben von sexueller Anziehung und Verliebtheit. Die Persisters zeichneten sich dadurch aus, dass sich ihre vom Körper abweichende Geschlechtsidentifikation in Bezug auf die soziale Umwelt verstärkte. Gleichzeitig nahm die Angst vor pubertätsbedingten körperlichen Veränderungen zu. Nach vollzogenen körpermedizinischen Maßnahmen (z. B. durch pubertätshemmende GnRH-Analoga oder gegengeschlechtliche Hormone) gab es bei den Persisters jedoch einen Zusammenhang zwischen ersten befriedigenden sexuellen Erfahrungen und Partnerschaften und einer wachsenden Identifikation mit dem gefühlten Geschlecht. Die Desisters hingegen veränderten sich durch soziale Einflüsse zwar nicht grundsätzlich in ihrer Geschlechtsrollenpräferenz, zeigten jedoch eine größere Offenheit gegenüber geburtsgeschlechtskonformen Präferenzen. Mit dem Beginn der Pubertät zeigten sie weniger Unbehagen gegenüber ihrem eigenen Körper und begannen, die gegengeschlechtliche Identifikation in Frage zu stellen, sobald sie erste befriedigende Erfahrungen mit Sexualität und Partnerschaft machten (Steensma et al. 2011).

Die Frage danach, welche Faktoren letztendlich entscheidend für den anhaltenden Verlauf der Persisters sind, griffen Steensma und Kollegen in ihrer quantitativen Nachfolgeuntersuchung von Kindern mit Geschlechtsdysphorie wieder auf (2013a). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass psychosoziale Aspekte (wie das psychische Funktionsniveau oder die Qualität von Peer-Beziehungen) keinen Einfluss auf die Dauerhaftigkeit einer Geschlechtsdysphorie, und damit auf die Entwicklung einer anhaltenden GIS, haben. Stattdessen ergab sich ein Zusammenhang zwischen dem Anhalten der Geschlechtsdysphorie bis ins Jugendalter mit bisher nicht-signifikanten Faktoren wie: (1) das Alter bei Erstvorstellung in der Klinik (vor allem bei Jungen), (2) das biologische Geburtsgeschlecht (mehr Persisters unter den Mädchen), (3) ein früher Rollenwechsel in der Kindheit sowie (4) die Intensität der Geschlechtsdysphorie während der frühen Kindheit (Steensma et al. 2013a).

In der Diskussion um die klinischen Implikationen dieser Ergebnisse wies Steensma darauf hin, dass im Verlauf der Beratung von Kindern und Jugendlichen mit GIS drei Aspekte entscheidend seien: (1) Zunächst sollten alle möglichen Entwicklungsverläufe seitens aller und gegenüber allen Beteiligten so offen wie möglich gehalten werden. Dies gelte vor allem deshalb, weil über den Verlauf der psychosexuellen Entwicklung noch keine eindeutigen prognostischen Aussagen gemacht werden können (vgl. Steensma et al. 2012). (2) Eine möglichst offene Einstellung gegenüber der weiteren Entwicklung des Kindes beinhalte auch die Möglichkeit, die Meinung zu ändern und den Prozess rückgängig machen zu können. Ein solcher Schritt könne jedoch mühsam und qualvoll für die Jugendlichen sein. Deshalb sollten Unsicherheiten ausgehalten und Warteperioden unterstützt werden, anstatt zu früh eine Entscheidung für einen bestimmten Weg zu fällen. Hierzu gehöre auch die Möglichkeit, sich z. B. im Rahmen eines Rollenwechsels zu Hause auszuprobieren, bevor dieser Schritt im weiteren sozialen Umfeld vollzogen wird. (3) Des Weiteren warnte Steensma davor, zu früh oder überhaupt zu „labeln“. Die Frage nach einer eindeutigen binären Geschlechtszuweisung spiele vor allem in der frühen Kindheit eine Rolle, wenn die kognitiven Fähigkeiten noch nicht voll ausdifferenziert sind. Während der Pubertät würden auch komplexere Identitäts- und Rollenmodelle denkbar und lebbar. Umso wichtiger sei es, sich der Frage nach einer individuellen Lebensform offen zu stellen, diese zunächst einmal in einem geschützten Rahmen zu erproben und sich von binären Kategorien (typisch weiblich/ typisch männlich) zu lösen.

Forschungsaufgaben ergeben sich laut Steensma in Zukunft vor allem in Hinblick auf den Zeitpunkt des Eintritts der Kinder mit GIS in die Pubertät (Steensma et al. 2013b). Vor dem Hintergrund der einschlägigen körperlichen und damit verschränkten psychischen Veränderungen im Rahmen der Pubertätsentwicklung und Adoleszenz werde deutlich, dass gerade die Frage, ob oder inwieweit sich das Geschlechtsidentitätserleben noch verändern kann, von zentraler Bedeutung für die Diagnostik und Behandlung von GIS ist. Dies berührt auch die wichtige Überlegung, ob ein Geschlechtsrollenwechsel bereits vor Eintritt in die Pubertät stattfinden solle oder nicht, da sich Gefühle während der Pubertät oft veränderten. Vor diesem Hintergrund beginne man in Amsterdam mit der Behandlung mit die Pubertät hemmenden GnRH–Analoga selten vor Beginn der Pubertät (Tanner Stadium 2 oder Alter von etwa 12 Jahren).[3]

In der anschließenden Diskussion bestand unter den Teilnehmenden des Symposiums Unstimmigkeit, ob einzig der Eintritt in die Adoleszenz nach medizinischen Kriterien (z. B. Tanner Stadien) in Hinblick auf eine Indikationsstellung betrachtet werden müsse, oder nicht vielmehr die psychosexuelle und körperliche Entwicklung gleichermaßen. In Anbetracht früherer Befunde, dass GIS im Kindes- und Jugendalter nur wenig zeitstabil ist und die Mehrzahl der Jugendlichen im weiteren Verlauf eine homosexuelle Orientierung ohne anhaltende Geschlechtsdysphorie entwickelt,[4] empfahlen bislang einige Spezialisten den Einsatz von Hormonen erst nach Beendigung der somato-sexuellen Pubertätsentwicklung und der damit verbundenen psychosexuellen Differenzierung (vgl. Royal College of Psychiatrists 1998). Auch einige am Symposium teilnehmende Fachleute vertraten die Ansicht, dass Kinder und Jugendliche damit die Möglichkeit hätten, sich mit ihrer eigenen körperlichen Pubertätsentwicklung im diagnostischen Prozess auseinanderzusetzen und für die eigene Identitätsentwicklung wichtige psychosexuelle Erfahrungen zu machen (vgl. dazu Korte et al. 2008). Eine Unterdrückung der körperlichen Pubertätsentwicklung durch GnRH- Analoga habe zwar keine gravierenden, irreversiblen körperlichen Folgen, führe jedoch zu einem Verlust an Entwicklungsmöglichkeiten, die nicht oder nur teilweise nachgeholt werden könnten (ebd.). Eine schnelle Lösung durch eine körperliche Behandlung berge das Risiko, eine homo-, bi- oder heterosexuelle Entwicklung zu verhindern und Jugendliche indirekt in eine bestimmte Richtung zu drängen.

Im Gegensatz zu einer derartigen Position spricht aber für eine frühzeitige hormonelle Behandlung (z. B. durch GnRH-Analoga und anschließend gegengeschlechtliche Hormone), dass hiermit irreversible körperliche Veränderungen (z. B. Stimmbruch, Bartwuchs) verhindert werden und spätere umfassendere medizinische Eingriffe weniger notwendig. Nicht zuletzt Studien der Amsterdamer Forschungsgruppe (Cohen-Kettenis et al. 1992, 1997, 2008; Smith et al. 2001, 2005; de Vries et al. 2011) konnten zeigen, dass Hormontherapie und operative körpermedizinische Maßnahmen im Jugendalter effektiv und hilfreich sein können. Im Vergleich zu erst später behandelten jugendlichen Betroffenen mit Geschlechtsdysphorie fand sich bei im jüngeren Alter behandelten Betroffenen eine deutlich geringere Häufung von psychopathologischen Symptomen. In den Amsterdamer Follow-Up-Untersuchungen wiesen die somatomedizinisch mit Hormontherapie behandelten betroffenen Jugendlichen ein ähnliches psychosoziales Funktionsniveau auf wie die Normpopulation der Gleichaltrigen, d. h. es gab keine im Vergleich zur Normpopulation erhöhte Prävalenz psychopathologischer Auffälligkeiten (Smith et al. 2001, 2005). Diese Haltung findet sich ebenfalls in den Leitlinien der WPATH (2012) und wurde auch von den an der Tagung teilnehmenden Endokrinologen (vgl. auch Hembree et al. 2009) geteilt.

Die anschließenden Vorträge der Hamburger Referenten reflektierten die zuvor vorgetragenen Forschungsergebnisse auf eindrückliche Weise aus einer praktischen Perspektive. So berichtete Willhelm Preuss aus seiner langjährigen Erfahrung mit der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung von transsexuellen Jugendlichen und Erwachsenen am Hamburger Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie. Er sprach über Die Angst des Therapeuten vor einer Fehlentscheidung, aber auch von Unsicherheiten seitens der Eltern und jugendlichen PatientInnen. In der gegenwärtigen internationalen Praxis von spezialisierten Zentren, Kinder und Jugendliche in Einzelfällen mit pubertätsunterdrückenden bzw. gegengeschlechtlichen Hormonen zu behandeln, drücke sich die gewachsene Offenheit für frühe hormonelle Interventionen bereits im Verlauf der somato-sexuellen Pubertätsentwicklung aus. Preuss verdeutlichte jedoch auch, welche Konflikte die BehandlerInnen vor dem Hintergrund fehlender Übereinstimmung unter Experten aushalten müssen. An der Angemessenheit einer Behandlung von Jugendlichen durch GnRH-Analoga oder gegengeschlechtlicher Hormone nach Einschätzung durch ein multiprofessionelles Team sei nicht mehr zu zweifeln, jedoch dürften vor dem Hintergrund des Wunsches vieler Betroffener nach immer früheren körpermedizinischen Maßnahmen diese nicht zu früh verordnet werden. Zweierlei solle bei Behandlungsentscheidungen im Vordergrund stehen: (1) Alle Beteiligten müssten die Unsicherheiten bei Entscheidungen im Laufe des Therapieprozesses aushalten; (2) die Aufgabe des Therapeuten bestehe darin, mit den PatientInnen und ihren Familien individuelle Lösungen zu entwickeln.

Auch die Vorstellung von Fallvignetten aus der Spezialsprechstunde der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zum Thema „Persisters und Desisters“ von Saskia Fahrenkrug erlaubte einen interessanten Einblick in die Behandlungspraxis. In der Spezialsprechstunde, so die Psychotherapeutin, habe sie es weit häufiger mit Persisters zu tun als mit Desisters (ca. 80 von insgesamt 82 PatientInnen). Im Rahmen eines Systematisierungsversuchs von unterschiedlich „(un)eindeutigen“ Entwicklungsverläufen bei Kindern mit GIS unterschied Fahrenkrug drei PatientInnengruppen: Es gebe (1) Jugendliche, die bereits seit dem Kleinkindalter durchgehend geschlechtsatypisches Verhalten zeigen. Diese meist jungen Jugendlichen erhielten bereits mit Einsetzen der Pubertät eine Behandlung durch GnRH–Analoga und häufig im Anschluss auch gegengeschlechtliche Hormone; (2) Jugendliche, bei denen die gegengeschlechtliche Identifizierung erst im späteren Verlauf der Pubertät erkennbar werde, bei gleichzeitig oft hoher Belastung durch begleitende Psychopathologie. Diese weitere Symptomatik mildere sich mit dem Beginn einer Hormontherapie vielfach deutlich; (3) schließlich Jugendliche mit sog. „abwehrbedingter transsexueller Überzeugung“ mit Hinweisen auf Entwicklungskrisen und Identitätskonflikte bei begleitender Psychopathologie. In dieser Gruppe fänden sich auch die wenigen PatientInnen, die die transsexuelle Überzeugung aufgeben oder andere Lebensmöglichkeiten entwickeln, die keine medizinischen Maßnahmen notwendig machen. Allen drei Gruppen gemeinsam sei Fahrenkrug zufolge jedoch einerseits die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtsrolle und andererseits die Ablehnung des eigenen Körpers.

Zum Abschluss präsentierte Bernd Meyenburg aus dem Universitätsklinikum Frankfurt/Main den Stand der gegenwärtig laufenden Überarbeitung der deutschen AWMF-Leitlinien zur GIS im Kindes- und Jugendalter (DGKJP 2007). In seiner Funktion als Leiter der entsprechenden Arbeitsgruppe schilderte er, dass für die Diagnostik weiterhin zwei Leitsymptome wegweisend seien: (1) der Wunsch, dem anderen Geschlecht anzugehören, sowie (2) das Unbehagen über das eigene Körpergeschlecht (Geschlechtsdysphorie). Die auf den Forschungsergebnissen der Amsterdamer Gruppe basierende Vorgehensweise bei der Behandlung setze eine sorgfältige und an strengen Kriterien orientierte Einschätzung durch ein multiprofessionelles Team von Genderspezialisten, Kinder- und Jugendpsychiatern sowie Endokrinologen voraus (vgl. Cohen-Kettenis et al. 1997). Die Vorstellung des überarbeiteten AWMF-Leitlinienentwurfs verdeutlichte, dass es gegenwärtig in Deutschland vor allem an der Evidenzbasierung mangelt. So standen in der anschließenden Diskussion auch hier die Fragen nach der psychosexuellen Entwicklung und nach dem günstigsten Zeitpunkt für die Indikationsstellung einer Hormontherapie bei Jugendlichen mit GIS im Zentrum. Die Frage, welche Kriterien herangezogen werden können, um psychosexuelle Entwicklungsstadien im Verlauf der Pubertät zu definieren, blieb unbeantwortet. Hinsichtlich der Psychotherapie betonte auch Meyenburg, dass diese bei Verdacht auf GIS vor allem der Klärung diene, ob eine transsexuelle Entwicklung vorliegt; das Ziel der Behandlung sei immer die ausgangsoffene, unterstützende Begleitung der Kinder und Jugendlichen in der Entwicklung.

Eine gemeinsame Klammer aller Vorträge war zweifellos die Forderung nach einer grundsätzlich offenen Haltung sowohl der Therapeuten als auch der Eltern Betroffener: die Kinder und Jugendlichen sollten das Gefühl vermittelt bekommen, dass jeder „Ausgang“ möglich sei. Andere behandelte Themen werden hingegen noch lange umstritten bleiben und intensiver wissenschaftlicher und klinischer Auseinandersetzung bedürfen. Die Beiträge zeigten, wohin die Wege in Zukunft führen können: zu mehr Offenheit gegenüber einem relevanten Thema sowie einer interdisziplinären Verzahnung von somatischer, psychologischer und psychotherapeutischer Versorgung und Forschung – und nicht zuletzt zu einer intensiven Partizipation von Interessengruppen in diesem Bereich.