Z Sex Forsch 2010; 23(1): 86-91
DOI: 10.1055/s-0030-1247339
Buchbesprechungen

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

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Publication Date:
16 March 2010 (online)

Adrian Colesberry: How to Make Love to Adrian Colesberry. New York: Gotham 2009. 224 Seiten, USD 20,00[1]

Adrian Colesberry hat der Flut der Sex-Ratgeber nicht einfach ein weiteres Buch hinzugefügt, sondern die Gattung revolutioniert. Er liefert keine allgemeine Anleitung, wie man ein besserer Liebhaber, eine bessere Liebhaberin wird, sondern erklärt präzise bis ins kleinste Detail, wie man mit ihm – Adrian Colesberry – guten Sex haben kann. Dass gerade er in dieser Angelegenheit über große Expertise verfügt, wird niemand bestreiten wollen. Die geneigte Leserin, der geneigte Leser mögen sich jedoch fragen, welche Relevanz Detail-Informationen über Colesberrys sexuelle Gewohnheiten und Vorlieben für sie haben. Wer will beispielsweise ernsthaft wissen, dass Adrian Colesberry empfindliche Hoden hat, die keinesfalls gedrückt, wohl aber geküsst werden können? Dass er es albern findet, beim Sex seinen eigenen Orgasmus verbal voranzukündigen, es jedoch zu schätzen weiß, wenn ihn die Sexpartnerin ausdrücklich auf ihren Höhepunkt hinweist. Dass er die Missionarsstellung der Reiterstellung vorzieht, es sei denn, die Frau bewegt sich sehr intensiv. Dass er mittlerweile mit Vergnügen Gleitgel verwendet, beim Ficken gern mal auf den Hintern haut und so weiter und so fort.

Sie habe nach der Lektüre Lust gehabt, mit Adrian ins Bett zu gehen, berichtet die – sicher nicht leicht zu beeindruckende – Sexaufklärerin Susie Bright in ihrem Weblog.Vgl. www.susiebright.blogs.com Colesberry, studierter Biomedizintechniker, hängte nach zehn Jahren in der Pharmabranche seinen sicheren Job an den Nagel und arbeitet heute als Filmstatist, Stand-Up-Comedian und ehrenamtlicher Sexualpädagoge in San Francisco.Vgl. www.adriancolesberry.com Als weißer, akademisch gebildeter Mittelschicht-Amerikaner im mittleren Lebensalter blickt er auf eine gescheiterte frühe Ehe und sexuelle Erfahrungen mit insgesamt elf Frauen (S. 12) und einem Mann zurück (S. 184 ff.). Seine sexuelle Biografie ist unspektakulär. Seine sexuellen Vorlieben sind banal. Wie das halt bei den meisten Menschen so ist. Exzeptionell ist indessen die Art und Weise, wie er seine Sexualität reflektiert und wie er sie kommuniziert.

Der Ratgeber geht kapitelweise diverse Aspekte des Sexuallebens durch (Partnerwahl, Verführung, Oralsex, Geschlechtsverkehr, Penis, Liebe, Dirty Talk etc.). Die Form des Ratgebers bzw. der Gebrauchsanweisung bietet dabei die elegante Möglichkeit, deutlich zu werden, ohne dass es bekenntnishaft wirkt und das Thema sachlich anzugehen, ohne bierernst zu wirken. Indem er sich dem eigenen Paarungsverhalten neugierig und unbefangen wie dem einer Tierart nähert, und mit dem Handwerkszeug des Ingenieurs die Wirkmechanismen akribisch tabellarisch oder grafisch aufarbeitet (etwa den Zusammenhang zwischen Kennenlernort, Zeit bis zum ersten Sex und Beziehungsdauer, S. 18 f.), hat er seine Methoden der wohlwollenden und humorvollen Selbstdistanzierung gefunden. Colesberry beeindruckt nicht durch spektakuläre Einblicke in die ebenso verherrlichte wie geschmähte „männliche Sexualität“, sondern durch seine erfrischend klare und direkte Art, als Individuum seine Sexualität zu artikulieren. Was dabei herauskommt, ist eine bunte Mischung sexueller Details, deren Beschreibung zum Vergleichen und Bewerten einlädt: brav, exzessiv, spießig, provokativ, unmännlich, naiv, machohaft, rührend, klischeehaft, raffiniert, angeberisch, langweilig usw. Colesberry liefert sein Begehren gelassen derartigen Bewertungen aus. Obwohl das Buch keinen wissenschaftlichen Anspruch hat, trägt es durch die Reflexion zahlreicher – mutmaßlich authentischer – biografischer Erlebnisse teilweise Züge einer Autoethnografie.

Bemerkenswert ist nicht nur die gelassene, positive Haltung des Autors seiner eigenen Sexualität gegenüber (inklusive des Umgangs mit seiner „schüchternen Erektion“ und seines „zurückhaltenden Orgasmus“, S. 82 ff.), sondern auch seine Fähigkeit, sexuelle Wünsche an den Mann, vor allem aber an die Frau zu bringen. Er geht nicht von stillschweigender Übereinkunft aus, sondern von der Notwendigkeit ausdrück­licher Aushandlung. Colesberry äußert sämtliche Wünsche direkt, ohne dass der Eindruck einer langen Anforderungsliste entsteht. Verhandlungsgrundlage ist immer Gegenseitigkeit. Der Autor spart nicht daran, Möglichkeiten seines Entgegenkommens und auch Verzichts zu verdeutlichen. Der Umgang mit nicht verhandelbaren Grenzen wird beschrieben, aber auch für erfüllbare Wünsche engagiert geworben. Mögliche Einwände und Befürchtungen gegenüber einzelnen Vorlieben bringt Colesberry dabei selbst auf den Tisch und bietet zuweilen verblüffende alternative Deutungsmöglichkeiten und Kompromisslösungen an.

Über Hürden und Hemmnisse in der sexuellen Kommunikation, alte Scham und neue Leistungsnormen, Überforderung und Verunsicherung, fehlende wie falsche Vorbilder, wird allenthalben zur Genüge geklagt. Das Buch liefert ein inspirierendes, authentisch wirkendes und unterhaltsames Beispiel dafür, dass und wie es anders gehen kann.

Nicola Döring (Ilmenau)

  • 1 Colesberry Adrian. How to Make Love to Adrian Colesberry. New York: Gotham 2009. 224 Seiten, USD 20,00
  • 2 De Masi Franco. Die sadomasochistische Perversion. Hrsg. von Helmut Hinz. Aus dem Ital. übers. von Stefan Monhardt. Vorw. von Helmut Hinz und Francesco Barale. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2010 (Jahrbuch der Psychoanalyse, Beiheft 23). 208 Seiten, EUR 58,00
  • 3 Kahr Brett. Who’s Been Sleeping in Your Head? The Secret World of Sexual Fantasies. New York: Basic Books 2008. 493 Seiten, USD 28,00 [englischsprachige Originalfassung: E] Sex im Kopf. Alles über unsere geheimsten Fantasien. Aus dem Engl. übers. von Sebastian Vogel. Berlin: Ullstein 2008. 462 Seiten, EUR 8,95 [deutschsprachige Übersetzung: D]
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