Z Sex Forsch 2024; 37(01): 49-50
DOI: 10.1055/a-2246-4413
Nachruf

Götz Kockott (26. Januar 1935 – 19. März 2023)

Sexualmediziner, Psychiater und Psychotherapeut
Dorette Poland
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin, München
,
Hans Förstl
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, TU München
› Author Affiliations

Götz Kockott studierte Humanmedizin an der Ostberliner Charité. Die Behandlung der Syphilis hatte dort eine lange Tradition. Aber eine Doktorarbeit zu ihren Folgekrankheiten stellte 1959 für die DDR durchaus eine Provokation dar und war vonseiten des Doktoranden Kockott ein Signal des Aufbegehrens. Kockott wandte sich neugierig sexualwissenschaftlichen Themen zu wie Impotenz, Appetenz und Transgeschlechtlichkeit, lange ehe Forschung und Öffentlichkeit Interesse daran fanden oder sich dieses eingestanden.

Der Zufall spielte eine Rolle. Kockott konnte noch kurz vor dem Mauerbau nach Westdeutschland übersiedeln. Mitte der Sechzigerjahre war er dann an der McGill University in Montreal als Einziger des Deutschen mächtig, als sich ein nur gebrochen Englisch sprechender Landsmann wegen seiner Not mit der Geschlechterrolle anvertrauen wollte. Der auf diese Weise deutlich werdende Mangel an verfügbarem Fachwissen war für Kockott die Herausforderung, nach der er gesucht hatte.

Zurück zum klinischen Alltag in der Bundesrepublik: Kockott war von 1967 bis 1980 am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München tätig und qualifizierte sich als Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Psychotherapie und Sexualmedizin. Ausgehend von einer soliden klinischen und verhaltenstherapeutischen Basis nutzte er die Chancen zur Kooperation mit einzelnen Bereichen der aktuellen psychiatrischen Grundlagenforschung: Epidemiologie, Endokrinologie, Psycho- und Neurophysiologie, Pharmakologie und anderen innovativen Therapieverfahren. Kockott kümmerte sich um die ganze Bandbreite sexueller Störungen und verbreitete seine Erkenntnisse nicht allein in psychiatrisch-psychotherapeutischen Journalen, sondern auch in den internistischen und chirurgischen Organen anderer Fachrichtungen.

Nach seinem Wechsel an das Klinikum der Technischen Universität (TU) rief er interdisziplinäre Kooperationen zwischen den Münchner Universitäten sowie zu anderen Forschungseinrichtungen ins Leben und etablierte den Schwerpunkt Sexualmedizin an der Psychiatrischen Klinik rechts der Isar der TU München. Mitunter gegen den Widerstand konservativer Kräfte fanden die spezialisierte Diagnostik, Psychotherapie, psychopharmakologische und andere Therapieansätze wie auch die Indikation zum chirurgischen Vorgehen ihren festen Platz. Innovative, verhaltenstherapeutisch fundierte Therapiekonzepte wie Kommunikationstraining in der Gruppe für transsexuelle Menschen und zielorientierte Programme zur psychosozialen Integration wurden entwickelt. Als hocheffizient erwiesen sich der Liaisondienst mit der Klinik für Urologie und die Kooperation mit der Klinik für Plastische Chirurgie am Klinikum rechts der Isar.

Chronisch desinteressiert an Position und Weihrauch fungierte [Kockott 1987] dennoch als Vorsitzender des wissenschaftlichen Komitees des 8. Weltkongresses für Sexologie in Heidelberg und war Präsident der International Academy of Sex Research. Er war Mitglied der Akademie für Sexualmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS).

Dabei vermittelte Kockott das gesamte Fach der Psychiatrie und Psychotherapie mit klar verhaltenstherapeutischer Prägung hervorragend in der Lehre und regte viele Mitarbeiter*innen zur wissenschaftlichen Arbeit auf unterschiedlichsten Gebieten an. Selbst war er wiederholt aktiv beteiligt an Veröffentlichungen jenseits der Sexualwissenschaften und trat als Autor zu Themen wie Suizidologie, Psychotherapie im höheren Lebensalter oder Diagnose- und Behandlungsstandards in Erscheinung.

Eine große Bedeutung im Feld hatte Kockott mit seinen differenzierten, in den 1990er-Jahren publizierten empirischen Untersuchungen zu sexuellen Störungen bei psychiatrischen Patienten*innen – auch als Nebenwirkung von Psychopharmaka (ein damals noch recht wenig untersuchtes Thema). Mit seinem gemeinsam mit Fahrner publizierten, sehr praktisch angelegten Lehrbuch Sexualtherapie ([Fahrner und Kockott 2003]) wurde er breit in der Aus- und Weiterbildung rezipiert, mit dem Beckschen Reihe publizierten Bändchen „Die Sexualität des Menschen“ ([Kockott 1995]) schaffte er auch Laien einen fundierten Zugang zum Thema sexuelle Probleme.

Götz Kockott organisierte die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München seit 1988 als leitender Oberarzt in allen klinischen, personellen und wirtschaftlichen Belangen elegant und effizient. Er hatte den Verstand, die Erfahrung, den Überblick und eine resiliente Grundeinstellung, die Stress und Ärger im Keim erstickten. Nach der Emeritierung von Hans Lauter wirkte er von 1996 bis 1997 erfolgreich als kommissarischer Direktor. Er schuf eine Atmosphäre von Sympathie und gegenseitigem Respekt; ernsthaft in der Sache, dabei stets charmant und voller echter Freundlichkeit im Umgang mit Patient*innen, Studierenden und Kolleg*innen. Schlechte Laune und Götz Kockott vertrugen sich nicht.

Nach seinem Ausscheiden aus der Klinik war er noch viele Jahre in einer interdisziplinär angelegten und spezialisiert ausgerichteten Gemeinschaftspraxis tätig. Er beriet und supervidierte ambulante und stationäre Einrichtungen im In- und Ausland.

Dorette Poland möchte noch hinzufügen: Prof. Dr. Kockott lernte ich 1985 als meinen Chef in der psychiatrischen Ambulanz des Klinikums rechts der Isar kennen. Die folgenden sechs Jahre unter seiner Leitung waren die schönste und erfüllteste Zeit meiner klinischen Tätigkeit. Er war ein Chef, der mich achtete und anerkannte; ich konnte mich durch ihn frei und unabhängig bewegen. Bis heute bin ich dankbar für sein großzügiges Verhalten.



Publication History

Article published online:
12 March 2024

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