Z Sex Forsch 2024; 37(01): 57-58
DOI: 10.1055/a-2231-4030
Buchbesprechungen

The Power of BDSM. Play, Communities, and Consent in the 21st Century

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Brandy L. Simula, Robin Bauer und Liam Wignall, Hrsg. The Power of BDSM. Play, Communities, and Consent in the 21st Century. Oxford, UK: Oxford University Press 2023. 320 Seiten, GBP 54,00

„The Power of BDSM“ ist der erste interdisziplinäre wissenschaftliche Sammelband zu BDSM (Akronym für engl. bondage/discipline, dominance/submission, sadism/masochism), der in den letzten zehn Jahren erschienen ist. Brandy L. Simula (queerfeministische Soziologin in den USA), Robin Bauer (Professor für Soziale Arbeit in Deutschland) und Liam Wignall (Hochschuldozent für Psychologie in Großbritannien) haben ihn herausgegeben. Alle drei haben zuvor bereits umfassend zu BDSM-Themen geforscht und publiziert. Gemeinsam haben sie 15 Kapitel von Autor*innen aus den Sozial- und Kulturwissenschaften sowie aus der BDSM-Szene zusammengetragen, was während der COVID-19-Pandemie gar nicht so leicht war. Dabei arbeiten die Herausgebenden mit einem breiten Konzept von BDSM. Dieses beinhaltet nicht nur bestimmte sexuelle Vorlieben und einvernehmliche Verhaltensweisen, sondern auch die entsprechenden Rollen und Identitäten, Communitys und Spezialkulturen sowie Bedeutungen und Freizeitaktivitäten.

Gemäß den aktuellen Krankheitskatalogen DSM-5 und ICD-11 wird einvernehmlich ausgelebten BDSM-Interessen inzwischen kein Krankheitswert mehr zugeschrieben. Charles Moser und Peggy Kleinplatz betonen und befürworten in ihrem Vorwort zum Buch die kulturelle Normalisierung von BDSM: Frühere Fragen nach der „Krankheitsgeschichte“ von BDSM-Neigungen seien heutzutage hinfällig. Denn, so argumentieren sie sinngemäß, es sei schließlich gleichermaßen unsinnig (engl. nonsensical), nach den „Ursachen“ zu forschen, warum jemand Fesselspiele, Feldhockey oder Fanfarenmusik mag – oder eben nicht mag. Plausibel ist ein Zusammenwirken unterschiedlicher bio-psycho-sozialer Einflussfaktoren, durch die sich individuelle Vorlieben innerhalb wie außerhalb des Sexuellen formen. Diese Entstehungsfaktoren entscheiden aber letztlich nicht darüber, ob und wie man mit den gegebenen Neigungen gut, sinnerfüllt und lustvoll leben kann.

Der erste Teil des Buches („Introducing BDSM“) liefert zunächst eine Übersicht der BDSM-Forschung der letzten 40 Jahre und stammt von der Mitherausgeberin Brandy L. Simula. Das Übersichtskapitel zeigt, wie sich die BDSM-Forschung zunehmend ausdifferenziert und aus dem klinischen stärker in den kultur- und sozialwissenschaftlichen Bereich ausgeweitet hat. Der Mitherausgeber Liam Wignall steuert eine Abhandlung zur Bedeutung des Internets für die BDSM-Szene und -Forschung bei. Hier wird erklärt, dass viele „soziale“ Netzwerk-Plattformen besser als „sozio-sexuelle“ Plattformen zu bezeichnen sind, da sie eben auch eine große Bedeutung für sexuelles Kennenlernen und Gemeinschaftsbildung haben. Erläutert wird dies am Beispiel der internationalen Online-Community Fetlife.com mit über 10 Millionen Mitgliedern und rund 18 000 anstehenden Szene-Veranstaltungen wie Stammtischen, Workshops und Play-Partys. Fetlife.com hat wesentlich dazu beigetragen, dass die BDSM-Szene sich finden und ihre regelmäßigen Online- und Offline-Events organisieren kann. Gleichzeitig bietet die Plattform guten Feldzugang und wird oft genutzt, um Befragungspersonen für BDSM-Studien zu rekrutieren.

Der zweite Teil des Buches („Play and Practices“) widmet sich in einzelnen Kapiteln dem Spiel mit Seilen und Fesseln (rope bondage), dem Spiel mit der Rolle als Hund oder Welpe (pup play) sowie dem Spiel Erwachsener mit der Rolle von Babys, Kindern oder Jugendlichen (age play). Der Beitrag zu Age Play vom Mitherausgeber Robin Bauer basiert auf Interviews und Analysen eines Online-Forums. Er arbeitet heraus, welche Erfahrungen Erwachsene suchen, die sich im Spiel in die Rolle der „Kleinen“ (adult littles) begeben. Dabei wird auch deutlich, dass diese Kink-Aktivitäten nichts mit Inzest oder Missbrauch zu tun haben, da nur Erwachsene involviert sind und alles einvernehmlich abläuft. Vielmehr wird Age Play als Flucht vor oder Rebellion gegen Adultismus interpretiert, also gegen eine Vorrangstellung der Erwachsenen und Abwertung des Kindlichen in unserer Gesellschaft.

Der dritte Teil des Buches („Relationships and Communities“) geht auf der Basis einer schriftlichen Umfrage der Herausforderung nach, BDSM-Vorlieben in eine Partnerschaft zu integrieren, wenn das Gegenüber ursprünglich keinen BDSM-Bezug hatte. Weitere Beiträge befassen sich mit den Merkmalen der BDSM-Szene in Südafrika sowie mit den Effekten, die zu beobachten sind, seit die Swinger-Szene sich stärker der BDSM-Szene öffnet, erkennbar beispielsweise an der Existenz von BDSM-Spielzimmern in Swingerclubs. Hier wird unter anderem die These formuliert, dass durch den BDSM-Einfluss verbaler Konsens in stärkerem Maße Einzug in die Swinger-Szene hielt, in der man früher relativ schnell und wortlos zu körperlicher Annäherung überging.

Der vierte Teil des Buches („Representations and Personal Reflections“) umfasst drei Kapitel: Eine Analyse der Darstellung von BDSM in sexualwissenschaftlichen Lehrbüchern, die auf eine Reihe von Lücken verweist, eine Analyse der Rechtslage zu BDSM, die fortbestehende Kriminalisierung in verschiedenen Rechtssystemen aufzeigt, und eine persönliche Reflexion des Erlebens von Intersektionalität in einer Situation, in der eine weiße, männlich gelesene Person in der dominanten Rolle mit einer asiatischen Frau in der submissiven Rolle spielt. Dieser Beitrag der bekannten Butch-Erotik-Autor*in Sinclair Sexsmith hebt sich durch den persönlichen Bezug und eindringlichen Schreibstil von den anderen Kapiteln ab.

Der fünfte und letzte Teil des Buches („Ethics and Consent in the Scene and in BDSM Studies“) geht darauf ein, wie nicht-weiße Personen BDSM erleben, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Szene oft sehr weiß dominiert ist. Zwei Beiträge thematisieren BDSM aus der Perspektiven von Frauen mit Gewalterfahrungen. Hier geht es um den potenziell heilenden Effekt von selbstbestimmtem und einvernehmlichem Trauma Play. Gleichzeitig klingt an, dass BDSM-Aktivitäten nicht automatisch bei der Verarbeitung von Traumatisierungen helfen und dass es auch in BDSM-Kontexten zu Grenzverletzungen kommen kann. Im fünfzehnten und letzten Kapitel des Buches schildert die Wissenschaftlerin Charlotta Carlström ihren Umgang mit Grenzen und eigenen Emotionen im Zuge ethnografischer Feldforschung in der BDSM-Szene. Sie beschreibt Stigmatisierung durch Fachkolleg*innen, die ihr zu verstehen geben, sie selbst könnten „solche Themen“ wie BDSM ja nicht bearbeiten. Ebenso beschreibt sie das Dilemma, bei Paar-Interviews als Interviewerin in die Paar-Dynamik hineingezogen zu werden, etwa wenn der dominante Part permanent über den anwesenden submissiven Part spricht und diesen kaum zu Wort kommen lässt. Soll die Interviewerin hier regulierend eingreifen oder soll sie die Dynamik des BDSM-Paares als Teil des Untersuchungsgegenstandes anerkennen?

Der Sammelband ist empfehlenswert für alle, die im Bereich BDSM forschen und/oder das Thema sexualpädagogisch bearbeiten. Die Kapitel sind gut strukturiert, verständlich formuliert und basieren oft auf Befragungs- oder Beobachtungsstudien in der jeweiligen BDSM-Szene. Sie liefern dadurch lebendige Einblicke in das Geschehen, kombiniert mit psychologischen und soziologischen Reflexionen. Zeitgemäß sind der konsequent normalisierende Zugang zum Thema und das relativ breite Spektrum der repräsentierten Spielarten. Wichtig sind auch die vielen Hinweise auf Intersektionalität: So haben Geschlecht, sexuelle Orientierung, Alter, Ethnizität, Behinderung und sozioökonomischer Status im Kontext unterschiedlicher BDSM-Rollen und -Identitäten andere Bedeutungen. Kritisch angemerkt wird beispielsweise, dass die BDSM-Szene zuweilen der Konsumkultur doch sehr huldigt und diejenigen an Status gewinnen, die mit kostspieligen Kostümen, Gerätschaften, Möbeln oder gar separaten Spielzimmern aufwarten können. Angesprochen werden auch ethische Konflikte rund um die Erotisierung von sexistischer oder rassistischer Gewalt. So ist die „Sklaven“-Rolle im BDSM-Kontext fest etabliert, wird aber auch zunehmend wegen ihrer postkolonialen Konnotationen problematisiert. Interessant sind nicht zuletzt die Hinweise auf intergenerationelle Unterschiede in der Szene. So wird mehrfach zwischen Anhänger*innen der „alten Schule“ (engl. old guard) von BDSM (stärker formalisiert, mit festen Regeln, Rollen und Hierarchien) und den jüngeren und neueren Szene-Entwicklungen differenziert, die stärker durch einen spielerischen, fluiden und unverbindlichen Zugang gekennzeichnet sind.

Über 400 Mal wird der Begriff des „Spiels“ (engl. play) im Buch verwendet. Sinnvoll wäre es gewesen, in der Einleitung ein Theoriemodell des BDSM-Spiels anzubieten. So bleibt dieses zentrale Konzept, das auch im Titel des Buches auftaucht, beim Lesen leider zu unbestimmt. In verschiedenen Kapiteln stößt man auf unterschiedliche Teilaspekte, etwa darauf, dass BDSM-Spiel gleichermaßen ernst und lustvoll sei, dass es explizit sexuell, aber auch asexuell sein könne, dass es den sexuellen Aktivitäten, aber auch den Freizeitaktivitäten zuzuordnen sei. Ein konzeptueller Rahmen samt Verknüpfung mit Spielaktivitäten und Spieltheorien in Kontexten außerhalb von BDSM wären ausgesprochen hilfreich für das Verständnis gewesen.

Bedauerlich ist auch, dass Sexarbeit im BDSM-Kontext weitgehend ausgeblendet bleibt. Diesem wichtigen Thema hätte man einen sechsten Teil widmen können, sofern es möglich gewesen wäre, entsprechende Beiträge einzuwerben: Wie sind die Arbeitsbedingungen professioneller Dominas und anderer Dienstleistender im BDSM-Kontext, etwa vor dem Hintergrund der Stigmatisierung und Kriminalisierung von Sexarbeit? Welche Spielarten werden im transaktionalen BDSM nachgefragt und wie erlebt die Kundschaft die verschiedenen Dienstleistungen? Wie ist Online-Sexarbeit mittels OnlyFans oder BestFans im BDSM-Kontext beschaffen? Wie verträgt sich BDSM-„Spiel“ mit Sex-„Arbeit“? Wie hat sich die BDSM-Pornografie in den letzten Dekaden entwickelt – zwischen anhaltender Stigmatisierung und Kriminalisierung von Gewaltpornografie einerseits und der zunehmenden Integration von BDSM- und Rough-Sex-Elementen in die Mainstream-Pornografie ebenso wie in alternative Pornografien andererseits?

Das Thema BDSM wird sexualwissenschaftlich und sexualpädagogisch auf der Agenda bleiben. Dem hier besprochenen Sammelband ist positive Resonanz zu wünschen und auch eine baldige Zweitauflage, die vielleicht einige der angesprochenen theoretischen und empirischen Lücken schließen kann.

Nicola Döring (Ilmenau)



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Article published online:
12 March 2024

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