Gesundheitswesen 2004; 66(11): 765-769
DOI: 10.1055/s-2004-813776
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Perspektivlosigkeit ist meine Krankheit” - Subjektive Empfindungen von Langzeitarbeitslosen

“Loss of Perspective is my Disease” - Subjective Feelings of Long-Term UnemployedN. Lauenroth1, 2 , E. Swart1
  • 1Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Medizinische Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
  • 2FB Gesundheits- und Sozialwesen, Hochschule Magdeburg-Stendal
Wir danken der Geschäftsführung der AQB Magdeburg, besonders Frau Rießler, und den TeilnehmerInnen an der Studie für ihre Unterstützung.
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Publication Date:
24 November 2004 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Der Verlust des Arbeitsplatzes birgt besonders in den neuen Bundesländern für viele Menschen das Risiko längerfristigen Verbleibs in der Arbeitslosigkeit. Die daraus resultierenden psychischen, sozialen und physischen Gefährdungen für die Gesundheit sind erheblich. Diese verschlechtert sich aber nicht notwendigerweise kontinuierlich, sondern ist vermutlich Wellenbewegungen unterworfen in Abhängigkeit von Phasen von Erwerbslosigkeit und kurzfristiger Arbeitstätigkeit. Vorgehen: Diese Vermutung wurde in strukturierten Interviews mit 20 Beschäftigten (je zehn Männer und Frauen) einer Magdeburger ABM-Gesellschaft überprüft. Aus den subjektiv wahrgenommenen Zusammenhängen zwischen Gesundheit und Erwerbsstatus sollten Determinanten der Gesundheit und Ansatzpunkte für Gesundheitsförderung angeleitet werden. Ergebnisse: Die Befragten waren im Durchschnitt 55 Jahre alt und mehr als sieben Jahre ohne Arbeit. Psychosoziale Beschwerden wie Depressionen, Schlafstörungen oder Nervosität stellten sich nach etwa drei Monaten der Arbeitslosigkeit ein, wurden durch die ABM-Tätigkeit gemildert, um an deren Ende wieder zuzunehmen. Bei einem Teil der Befragten verbesserte sich der Gesundheitszustand; dies ist abhängig von der ABM-Dauer und den Arbeitsanforderungen und -bedingungen. Bei den Befragten überwiegt Perspektivlosigkeit und passives Abfinden mit der Arbeitslosigkeit. Schlussfolgerungen: Der bekannte Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit wurde bestätigt. Diese Studie erbringt darüber hinaus neue Einblicke in die subjektiven Belastungen während der ABM-Tätigkeit sowie die psychische Verfassung der Langzeitarbeitslosen. Als entscheidender Gesundheitsfaktor erwiesen sich deren Zukunftsaussichten. Daraus lassen sich Ansätze zur Gesundheitsförderung bei Langzeitarbeitslosen innerhalb von ABM-Gesellschaften und durch andere Institutionen ableiten.

Abstract

Background: Nowadays job loss implies the risk of long-term unemployment particularly in former East Germany. Many physical, psychological and social problems are associated with unemployment. However, health of long-term unemployed may not decrease continually, but may be subject to fluctuations according to different phases of unemployment and short-term work. Methods: This expectation was examined by structured interviews with long-term unemployed (10 men and women) working in temporary job-creating-schemes (ABM). We asked for determinants of health and subjectively perceived associations between health and employment as well as for conditions of life and work. Results: The employees were on average 55 years old and more than 7 years without work before joining the ABM. Psychosocial complaints such as depression, sleep disorders or nervousness appeared after approximately three months of unemployment. Subjective health improved during job-creating-schemes, depending on specific work conditions, but deteriorate at its end again. Most of the ABM-employees don’t have any perspective of future employment. Conclusions: The well-known association between unemployment and health was confirmed. Furthermore, the study gave new insights into psychological strains of long-term unemployed and subjective work loads during ABM. Future prospects were proved to be an important determinant of health (‘lack of perspective is my illness’). From this measures of health promotion for long-term unemployed within ABM companies and other institutions can be derived.

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Dr. Enno Swart

Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Medizinische Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Leipziger Str. 44

39120 Magdeburg

Email: enno.swart@medizin.uni-magdeburg.de

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