Z Sex Forsch 2009; 22(4): 369-385
DOI: 10.1055/s-0029-1224765
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Publication Date:
05 January 2010 (online)

Svenja Flaßpöhler: Der Wille zur Lust. Pornographie und das moderne Subjekt. Frankfurt / Main: Campus Verlag 2007. 259 Seiten, EUR 24,90

Mit ihrer Dissertation „Der Wille zur Lust“ legt Svenja Flaßpöhler eine dichte philosophische Untersuchung über intime genetische Zusammenhänge des modernen Subjekts und der modernen Pornografie vor. Um zu zeigen, dass „das Subjekt der Moderne eine zutiefst existenzielle (das heißt die Grundstruktur der Subjekts betreffende) Verbindung zur Pornografie unterhält“ (S. 13), interpretiert sie die Hegel’sche Philosophie ebenso wie die de Sade’sche „Pornosophie“ als Reaktionen auf den Verlust der ontologischen Seinsordnung im Übergang zur Moderne. Auf diesen Verlust reagiere Hegel mit einer transzendentalphilosphischen Subjektkonstruktion; die de Sade’sche Pornografie versuche hingegen, das Subjekt im Körper als Lustmaschine zu ver­ankern. Während das Hegel’sche Subjekt ­jedoch in Prozessen der wechselseitigen ­Anerkennung zu sich selbst komme, schei­tere die de Sade’sche Konzeption, da sie auf die Vernichtung des Anderen hinauslaufe.

Zunächst arbeitet die Autorin jedoch ­heraus, dass die Pornografie nicht jenem von Foucault analysierten (bzw. postulierten) „Willen zum Wissen“ zu subsumieren sei, der die scientia sexualis antreibe. Por­nografie werde vielmehr primär von einem „Willen zur Lust“ befeuert. Diese (m. E. durchaus problematische) Trennung erlaubt es Flaßpöhler, sich in ihren weiteren Ausführungen allein auf den Aspekt der Lust bzw. der de Sade’schen Lustmaschinen zu konzentrieren.

In ihrer Analyse der de Sade’schen „Pornosophie“ deutet Flaßpöhler die de Sade’sche Zerstörungslust als eine Art Ersatz für die metaphysische Grundierung der Welt: „Wenn das Metaphysisch-Göttliche als unhinterfragter Existenzgrund ein für alle Mal ausgedient hat, so lautet de Sades These, dann kann der Mensch sich nur durch seinen Körper – und das heißt: durch sexuelle Erregung – in der Welt halten“ (S. 246 f.). Der Gedanke, dass es de Sade um eine Antwort auf das Problem der Subjektgenese nach dem Ende des klassischen Zeitalters der Repräsentation gehe, führt die Autorin zu jenem Vergleich von de Sade und Hegel, der das Gravitationszentrum ihres Werks bildet. Beiden gehe es, so Flaßpöhler, um die Selbst begründung des modernen Subjekts nach dem Brüchigwerden der transzendent-metaphyischen Welt- und Denkordnung.

In ihrer Lesart von Hegels dialektischer Konzeption des Verhältnisses von Herr und Knecht wählt die Autorin freilich nicht den naheliegenden Weg, den Herrn bruchlos mit dem de Sade’schen Libertin, den Knecht aber mit seinem Opfer zu identifizieren. Ihr geht es vielmehr – wie Hegel selbst – um Anerkennungsverhältnisse. Bei Hegel setzt die Subjektwerdung des Herrn wie des Knechts bekanntermaßen die wechselseitige Anerkennung voraus, da nur auf diese Weise auch der Herr zum Bewusstsein seiner selbst gelangen kann. Dem Opfer des de Sade’schen Libertins ist dieser Weg jedoch nicht zuletzt dadurch abgeschnitten, dass es am Ende ermordet wird. Die Pointe von Flaßpöhlers Argumentation liegt nun aber darin, dass auch dem Libertin der Weg zum Selbstbewusstsein im Sinne Hegels dadurch verbaut ist, dass er sich auf Anerkennungsverhältnisse gar nicht erst einlässt. Er bleibt somit im Status des primären Narzissmus gefangen und daraus leitet sich in Flaßpöhlers Argumentation, die hier Hegel mit Freud zu lesen versucht, auch seine Omnipotenz(fantasie) ab. Libertin, Libertinage und die Pornografie seien damit aber konstitutiv in den Bereich der Fantasie verwiesen. Aus dieser Schlussfolgerung wird Flaßpöhler am Ende ihrer Arbeit schließlich ihr wesentliches Argument gegen filmische Pornografie spinnen.

Eine zentrale Rolle spiele bei Hegel wie bei de Sade die Angst vor dem Tod: „Während die Angst das (Hegel’sche – S. L.) Transzendentalsubjekt in die Dynamik der wechselseitigen Anerkennung treibt, verführt sie den Libertin gerade zur lustvollen Negation des Anderen“ (S. 247, Herv. im Orig.).

Kurz gesagt: Was Hegel und de Sade verbindet, sind die Problemlagen, auf die sie philosophisch reagieren. Beide entwickeln Konzeptionen moderner Subjektivität und liegen damit gewissermaßen im Trend ihrer Zeit. Während Hegel allerdings auf Anerkennung des Anderen setzt und damit eine (gesellschaftliche) Entwicklungsperspektive eröffnet, konstituiert sich das de Sade’sche Subjekt als „selbstvollendende Lustmaschine“ gerade durch die Negation (und letztendliche Vernichtung) des Anderen. In der Ver kennung des Anderen ist es narzisstisch und es führt kein Weg zum Selbstbewusstsein im Sinne Hegels. Die Negation des ­Anderen treibt den de Sade’schen Libertin und die Pornografie vielmehr in einen infiniten Wiederholungszwang.

Im abschließenden Kapitel widmet sich die Autorin schließlich dem Pornofilm bzw. einer Ehrenrettung de Sades aus dem Geiste der Medienkritik. Flaßpöhlers – mit Lacan und Žižek psychoanalytisch unterfütterte – medien­theoretische Argumentation läuft darauf hinaus, dass das Medium der Schrift, indem es eine Lücke lasse, den Lesenden auf andere Weise involviere, ihn zum „Komplizen“ des Geschriebenen mache, als dies dem Film, zumal dem Pornofilm, möglich sei. Lesen setze, knapp gesagt, ein Subjekt voraus – der pornografische Film hingegen nicht. Im Falle de Sades vollzögen sich die sexuellen Handlungen nicht im Text selbst, sondern erst im Akt der Rezeption. Der Porno­film zeige hingegen „alles“ und überlasse der Fantasie nichts. In Aufnahme von ­Kategorien der Lacan’schen Psychoanalyse nimmt Flaßpöhler an, dass der pornografische Film „das Reale“ oder zumindest das, was man für das Reale hält, auch tatsächlich zeige. Da der pornografische Film im Gegensatz zu Geschriebenem jedoch keine Lücken kenne, sondern „alles“ zeige, seien Fantasie und Konstruktionsleistungen des Subjekts und damit auch dieses selbst nicht mehr ­nötig: „Diese fehlende Lücke, die glatte, bruchlose Oberfläche des pornografischen Films verhindert ein Eindringen des Betrachters in eine zu erschließende Sach­dimension und raubt ihm auf diese Weise seinen Subjektstatus“ (S. 234).

Mit den Cultural Studies wäre hier freilich einzuwenden, dass auch Konsumenten (scheinbar) trivialer massenmedialer ­Erzeugnisse keine „Kulturtrottel“ sind und Flaßpöhlers Annahme, der Zuschauer werde durch das Medium (Porno-)Film in eine rein passive, subjektlose Position gedrängt, bedürfte zumindest der kritischen Über­prüfung. Die Autorin geht jedoch davon aus, dass der Pornofilm allenfalls den Körper des Betrachters engagiere, jedoch keine sub­jektiven (Re-)Konstruktionsleistungen erfor­dere. Filmische Pornografie falle gegenüber der Pornografie de Sades bzw. gegenüber Schrift allgemein wieder auf die Stufe der ­Repräsentation zurück: Der Pornofilm „stellt den Menschen als ein repräsentativ-transparentes Tableau vor – und entzieht damit nicht nur der Sadeschen Schöpfungswut, sondern auch der Hegelschen Selbstreflexion ihren Grund“ (S. 251). Übersehen wird hier wohl auch, dass der gemeine Pornofilm im Gegensatz zu den Schriften de Sades nicht als philosophisches Projekt ­antritt und sich jene Moderne, um die es Hegel und de Sade geht, längst durchgesetzt, wenn nicht bereits überholt hat.

Flaßpöhlers Interpretation der de Sade’schen Pornografie kann zwar auf gewichtige Vorläufer zurückgreifen – man denke etwa an den zweiten Exkurs der „Dialektik der Aufklärung“ – und es erscheint auch als plausibel, das Auftreten der de Sade’schen Schriften als Reaktion auf die durch den Umbruch zur Moderne hervorgerufenen Erschütterungen zu deuten. Jedoch leidet Flaßpöhlers primär von einem „subjekt- bzw. kulturtheoretische[n] Erkenntnisinteresse“ (S. 13) angetriebene Analyse, deren Methode als „materiales Philosophieren“ angegeben wird (S. 23), daran, dass sie die Moderne primär als eine Ordnung des ­Denkens bzw. der Denksysteme begreift, sozialstrukturelle Aspekte aber ausblendet. ­Eine Berücksichtigung letzterer mag dem Rahmen philosophischer Arbeiten zwar sprengen, aber es ist zu fragen, ob sich ­Zusammenhänge zwischen Pornografie und dem modernen Subjekt tatsächlich allein auf philosophische Weise hinreichend behandeln lassen.

An die Frage, ob der Rahmen einer philosophischen Analyse nicht allzu eng gesteckt ist, schließt sich als weitere Frage „warum de Sade?“ an. Die Bedeutung Hegels für die Analyse der modernen Gesellschaft und die Konzeption des modernen Subjekts ist unbestritten – aber gilt dies auch für de Sade in seinem Verhältnis zur Pornografie? Zweifelsohne ist de Sade für Philosophen besonders attraktiv und sicherlich ist er für die Geschichte der Pornografie nicht unwichtig. Aber ist er in irgendeiner Weise typisch? Handelt es sich bei ihm nicht vielmehr um einen Solitär, einen Einzelgänger, der außerhalb des Stromes des zeitgenössischen Pornografischen steht? Sind nicht eher Romane wie L’ecole des filles oder Fanny Hill (proto-)typisch für die Pornografie seiner Epoche? Zweifelhaft ist auch, ob de Sade ein Visionär war, da sich seine Visionen in seinen eigenen Schriften zwar erfüllen, aber eben auch erschöpfen. Und blickt man aus der nunmehr 250-jährigen Geschichte der modernen Pornografie auf de Sade zurück, so fällt doch auf, dass ihre inhaltlichen Anschlüsse an ihn eher gering sind, wenngleich die Faszination für ihn weiter anhält – nur scheint diese Faszination viel eher intellektuell als sexuell motiviert zu sein. Eignet sich de Sade damit tatsächlich dafür, an ihm das Phänomen der Pornografie zu untersuchen?

Trotz aller Kritikpunkte legt Flaßpöhler ein zweifelsohne gelungenes und anregendes Buch vor – wenngleich man sich als ­Soziologe ein wenig mehr sozialwissenschaftliche Erdung gewünscht hätte.

Sven Lewandowski (Hannover)

1 Das „Märchen“ basiert dabei grundsätzlich auf autobiografischen Gesprächen mit einer brasilianischen Edel-Prostituierten.

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