Gesundheitswesen
DOI: 10.1055/a-2308-7059
Originalarbeit

Versorgungsforschung im Gesundheitsamt – eine explorative Interviewstudie zur wissenschaftlichen Methodenkompetenz im ÖGD in Baden-Württemberg

Health Services Research in the Public Health Department – An Explorative Interview Study on Scientific Methodological Competence in the PHS in Baden-Württemberg, Germany
Emily Piontkowski
1   Zentrum für öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung (ZÖGV), Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Germany
,
Hannah Richter
1   Zentrum für öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung (ZÖGV), Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Germany
,
Jonas Bischof
1   Zentrum für öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung (ZÖGV), Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Germany
,
Anja Herrmann
1   Zentrum für öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung (ZÖGV), Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Germany
,
Christine Preiser
1   Zentrum für öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung (ZÖGV), Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Germany
2   Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Germany
,
David Häske
1   Zentrum für öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung (ZÖGV), Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Germany
,
Stefanie Joos
1   Zentrum für öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung (ZÖGV), Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Germany
3   Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung, Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Germany
,
Monika A Rieger
1   Zentrum für öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung (ZÖGV), Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Germany
2   Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Germany
› Author Affiliations

Zusammenfassung

Hintergrund und Ziel der Studie Ein Ziel des Paktes für den ÖGD (Öffentlicher Gesundheitsdienst) ist die Steigerung der wissenschaftlichen Tätigkeit im ÖGD. Es ist aktuell jedoch unklar, welche wissenschaftlichen Methoden bekannt sind und welche Bedarfe und Bedürfnisse hinsichtlich wissenschaftlicher Kompetenzen bestehen. Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, welche Methoden zur Versorgungsforschung im ÖGD in Baden-Württemberg (BW) bekannt sind, angewandt werden und bei welchen Methoden Bedarfe bestehen.

Methodik Es wurden leitfadengestützte Interviews (Fokusgruppen-/Einzelinterviews) mit 12 Personen unterschiedlicher Ebenen (Amtsleitungen, Abteilungsleitungen, Mitarbeitende) aus Gesundheitsämtern in BW geführt, die inhaltsanalytisch in Anlehnung an Kuckartz ausgewertet wurden.

Ergebnisse Die Interviewten nennen heterogene Bedarfe und Kompetenzen. Mitarbeitende äußern häufiger vorhandene Kompetenzen als Leitungspersonen. Kompetenzen, die im Berufsalltag angewandt werden sind z. B. Literaturrecherche oder verschiedene Datenauswertungsmethoden, die vor allem im Bereich der routinemäßig erfassten Daten (z. B. Einschulungsuntersuchung) eingesetzt werden. Bedarfe und Bedürfnisse bestehen vor allem im Bereich der Datenauswertung/-erhebung, werden aber auch im Bereich der Grundlagen geäußert. Vorgaben zur guten wissenschaftlichen Praxis (z. B. Ethikanträge) und zum Publikationsprozess sind eher weniger bekannt. Vielfach wird ein Bedarf nach einem Unterstützungsangebot durch Forschungseinrichtungen oder oberen Behörden genannt. Darüber hinaus werden Aussagen zur Motivation und Hemmnisse für Forschung im ÖGD gemacht.

Schlussfolgerung Diese Studie zeigt heterogene bestehende Methodenkompetenzen sowie Bedarfe und Bedürfnisse auf, die auf die unterschiedlichen Hintergründe und Tätigkeitsbereiche der Befragten zurückzuführen sind. Kompetenzen werden angegeben z. B. im Bereich der Literaturrecherche und der Auswertung vorhandener Daten. Bedarfe gibt es z. B. in Methoden der Datenerhebung/-auswertung sowie in der Grundlagenvermittlung und Vertiefung der vorhandenen Kompetenzen. Es besteht ein Bedarf an Unterstützungsangeboten hinsichtlich wissenschaftlicher Methodenkompetenz für Gesundheitsämter. Es fehlt zudem an Forschungsinfrastruktur (z. B. Software, Literaturzugriff) und gesetzlicher Grundlage für die wissenschaftliche Tätigkeit im ÖGD. Die Ergebnisse können als Grundlage für die Konzeption bedarfsgerechter Fortbildungen für ÖGD-Beschäftigte in BW dienen.

Abstract

Background and aim of the study One aim of the pact for the Public Health Service (“Pakt für den ÖGD”) is to increase scientific activity in the Public Health Service (PHS). This study deals with the question, which methods related to health services research are known and applied in the PHS and which methods are needed by PHS employees in the federal state Baden-Württemberg in Germany.

Methods Guideline-based interviews (focus group and individual interviews) were conducted with 12 persons at different hierarchy levels from public health departments in Baden-Württemberg. The interviews were subjected to content analysis acording to Kuckartz.

Results The interviewees described their heterogeneous needs as well as their methodological competences. Staff members expressed existing competences more frequently than leaders. These competencies included those used in everyday work such as literature research in routinely collected data (e. g., school entry examination), or different methods for data analysis. Needs seemed to exist primarily in the area of data analysis and collection, but were also expressed in the area of basic scientific methods. Topics relating to guidelines for good scientific practice (e. g., ethics proposals) and publications were also rather less known. A need for a support from research institutions or higher authorities was frequently mentioned. In addition, motivation and barriers for research in public health departments were mentioned.

Conclusion This study shows that existing methodological competencies and needs are heterogeneous and can be attributed to the heterogeneous backgrounds and fields of activity of the interviewees. Competencies are indicated, for example, in literature research and analysis of existing data. There is a need in methods, for example, of data collection/analysis as well as in basic scientific methods and deepening of existing skills. Furthermore support offers regarding scientific methodological competence for public health departments are required. There is also a lack of research infrastructure (e. g. software, access to literature) and a legal basis. The results can serve as a basis for the design of demand-oriented methodological programs for employees of the PHS in Baden-Württemberg.

Zusätzliches Material



Publication History

Accepted Manuscript online:
17 April 2024

Article published online:
21 June 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

 
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