psychoneuro 2004; 30(10): 528-529
DOI: 10.1055/s-2004-835999
Kasuistik

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Anpassungsstörung bei Arthrogryposis Multiplex Congenita

Björn Kardels1 , Karl-H. Beine1
  • 1St. Marien-Hospital Hamm, Universität Witten-Herdecke
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Publication Date:
05 November 2004 (online)

Gerade bei Menschen mit körperlichen Erkrankungen können Anpassungsstörungen auftreten. In der vorliegenden Kasuistik wird über eine 20jährige Patientin berichtet, die seit ihrer Geburt an einer Arthrogryposis multiplex congenita litt. Sie entwickelte im Juli 2003 zum zweiten Mal einen zerebralen Krampfanfall und litt seit März 2003 an einer Anpassungsstörung. In der Praxis werden häufig psychiatrische Begleiterkrankungen bei körperlichen Leiden übersehen.

Im Juli 2003 erfolgte die stationäre Aufnahme einer damals 20jährigen Patientin, bei der eine Arthrogryposis multiplex congenita (sog. angeborene Krummgelenkigkeit) bekannt war. Die Mutter berichtete, dass ihre Tochter kurzzeitig nicht ansprechbar gewesen sei, die Augen nach links oben verdreht und am ganzen Körper gezittert habe. Anschließend sei eine postiktale Phase von ca. 30 Minuten Dauer aufgetreten. Die Mutter schilderte, dass die Patientin im März desselben Jahres bereits wegen eines Grand-Mal-Anfalls in einer benachbarten Universitätsklinik behandelt worden war. Als Kind hatte unsere Patientin eine Reihe von Hüftoperationen in verschiedenen Kinderkliniken hinter sich gebracht. Dennoch habe sie - so die Mutter - eine gute Entwicklung genommen und die Realschule abgeschlossen. Sie lebe noch im Haus der Eltern, sei nicht verheiratet, sei nicht berufstätig und habe die Mutter im Haushalt unterstützt. Sie bewege sich mit Hilfe von Krücken und einem Rollstuhl fort. Seit dem ersten zerebralen Krampfanfall im März 2003 habe sich die Tochter vermehrt zurückgezogen und immer wieder an depressiven Verstimmungen mit Suizidgedanken, Ängsten und Schlafstörungen gelitten. Eine antidepressive Pharmakotherapie oder eine Psychotherapie haben nicht stattgefunden.

Bei der körperlichen Untersuchung sahen wir eine 20jährige Patientin in reduziertem Allgemein- und Ernährungszustand. Das Körpergewicht betrug 55 kg bei einer Körpergröße von 174 cm. Sie wies eine Sattelnase mit nach oben gerichteter Nasenöffnung, eine Mikrognathie sowie einen hohen Gaumen auf. Die Ellbogen- und Radiokarpalgelenke waren in Beugestellung eingesteift und die Wirbelsäule war skoliotisch verändert.

Die Muskeleigenreflexe an den oberen Extremitäten waren auf Grund der ausgeprägten Flexionsstellung nicht auslösbar. Die Sensibilität war seitengleich. Kraftgrad 3 an den Oberarmflexoren und Kraftgrad 2+ an den Oberarmextensoren. Bei schlaffem Muskeltonus war eine Streckung in den Ellbogengelenken bis 110 Grad möglich. An den Beinen wies die Patientin eine Paraparese mit einem Kraftgrad von jeweils 1 auf. Am gesamten Körper war die Muskulatur atrophisch. Zehen- und Hackenstand sowie die Koordinationsprüfung waren nicht durchführbar. Hinweise für eine Dysarthrie oder Aphasie ergaben sich nicht.

Psychopathologisch war die Patientin wach und ansprechbar. Sie war zu Ort, Zeit, Person und zur Situation orientiert. Der formale Gedankengang war durch Denkhemmung verlangsamt. Inhaltliche Denkstörungen in Form von Wahn und Halluzinationen waren nicht eruierbar. Die Stimmungslage war depressiv und es bestand eine Antriebsschwäche. Suizidgedanken wurden zum Aufnahmezeitpunkt von der Patientin erwähnt. Psychomotorisch wirkte sie verlangsamt und unruhig.

Korrespondenzadresse:

Dr. med. Björn Kardels

St. Marien-Hospital Hamm

Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie

Universität Witten-Herdecke

Knappenstraße 19

59071 Hamm

Email: Bjoern.Kardels@marienhospital-hamm.de