Viszeralchirurgie 2007; 42(4): 275-277
DOI: 10.1055/s-2007-981245
Das viszeralchirurgische Prüfungsgespräch

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die akute Pankreatitis, Indikation zur konservativen und operativen Therapie

Acute Pancreatitis, Conservative and Operative StrategiesC.-T. Germer1 , J. Köhler1
  • 1Klinik für Allgemein-, Viszeral und Thoraxchirurgie, Klinikum Nürnberg
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Publication Date:
23 August 2007 (online)

Frage 1:

Welche Beschwerden charakterisieren die Diagnose der akuten Pankreatitis (AP)? Welche Befunde sind klinisch und laborchemisch zu erheben? Nennen Sie relevante Differenzialdiagnosen

Leitsymptom ist der akute Oberbauchschmerz von typischerweise kontinuierlichem Charakter und mit gürtelförmiger Ausstrahlung in den Rücken. Begleitend finden sich häufig Übelkeit und / oder Erbrechen sowie Fieber. Zu beachten ist, dass in etwa 10 % der Fälle keine wegweisenden abdominellen Schmerzen bestehen. Das klinische Erscheinungsbild reicht vom kaum beeinträchtigten Patienten bis zum Schock mit Multiorganversagen. Der abdominelle Palpationsbefund zeigt häufig das Bild des „Gummibauches” bei diffus druckdolentem Abdomen. Nachdem es sich initial um eine Erkrankung des Retroperitoneums handelt, lässt sich nicht selten ein Schmerzmaximum durch Beklopfen der Nierenlager auslösen. Ein in etwa 25 % der Fälle begleitender Ikterus kann bereits auf die Ätiologie hinweisen. Selten (1-3 %) finden sich Ekchymosen im Bereich der Flanke (Grey-Turner-Zeichen) oder periumbilikal (Cullen-Zeichen). Sie können auf einen schweren Krankheitsverlauf mit hoher Mortalität hinweisen.Nach der interdisziplinären deutschen Leitlinie des Jahres 2000 ist für die Diagnose der AP neben der Klinik ein Enzymanstieg (Serum-Amylase / -Lipase) auf mehr als das Dreifache der Norm gefordert. Dabei ist zu beachten, dass zum einen die Serumkonzentration keine Korrelation mit der Krankheitsschwere aufweist und zum anderen ein Enzymanstieg in bis zu 30 % der Fälle fehlen kann. Myokardinfarkt (Hinterwandinfarkt), Mesenterialinfarkt, kompliziertes peptisches Ulkus, rupturiertes Aortenaneurysma, akute Cholangitis

Frage 2:
Welche ätiopathogenetischen Überlegungen beeinflussen Diagnostik und Therapie der AP?

In etwa 90 % der Fälle ist die AP alkoholinduziert oder biliärer Genese. Neben postinterventionellen (post-ERCP) und posttraumatischen Ursachen finden sich als seltene Ätiologien die Hyperlipoproteinämie, die Hyperkalzämie bei Hyperparathyreoidismus, Infektionskrankheiten, Autoimmunerkrankungen und hereditäre Formen. Zu beachten ist, dass die AP Erstsymptom eines Pankreastumors sein kann.

Bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung der AP ist wegen der diagnostisch/therapeutischen Konsequenz eine biliäre Genese wahrscheinlich zu machen oder auszuschließen. Laborchemisch hinweisend ist hier der Nachweis erhöhter „Leberwerte”. Der positive sonografische Nachweis der Cholezysto- und Choledocholithiasis erlaubt die Diagnose der biliären Pankreatitis.

Frage 3:
Welche bildgebenden und invasiven diagnostischen Verfahren sind initial und im Verlauf erforderlich?

Die Kombination aus Klinik, Laborchemie und Sonografie erlaubt in 80 bis 90 % die korrekte Diagnose der AP. Hauptindikation für die Sonografie in der Akutsituation ist die Beurteilung von Gallenblase und Gallenwegen. Die sonografische Beurteilbarkeit des Pankreasorgans selbst ist in der Akutsituation häufig deutlich eingeschränkt, insbesondere ist die Frage nach dem Vorliegen und dem Ausmaß von Pankreasnekrosen auch im Verlauf nicht suffizient beurteilbar. Schnittbildgebung (CT, NMR) ist nicht für die Diagnosestellung der AP erforderlich. Sie kommt in Form der Spiral-CT mit oralem und intravenösem Kontrastmittel zur Abklärung unklarer differenzialdiagnostischer Situationen zum Einsatz.

Die KM-CT ist jedoch Standard in der Verlaufsbeurteilung von Pankreasnekrosen. Das Ausmaß einer Nekrotisierung kann in frühen CT-Untersuchungen allerdings nicht suffizient beurteilt werden, so dass bei nekrotisierender Pankreatitis ein ct-grafischer Ausgangsbefund möglichst erst 3-4 Tage nach Beschwerdebeginn erhoben werden sollte.

Frage 4:
Welche diagnostischen und therapeutischen Besonderheiten ergeben sich bei der biliären Pankreatitis?

Bei bestehendem Verdacht auf biliäre Genese der AP und dem Hinweis auf eine wirksame Gallengangsobstruktion besteht die Indikation zur dringlichen ERCP, bei begleitender Cholangitis innerhalb von 24 Stunden.

Die ERCP im Intervall sollte bei AP unklarer Ursache zum Ausschluss eines Malignoms veranlasst werden.

Da bei 60-70 % der Patienten mit biliärer AP ein Pankreatitisrezidiv auftreten kann, besteht die grundsätzliche Indikation zur laparoskopischen Cholezystectomie im Intervall. Der Operationszeitpunkt sollte etwa 4-6 Wochen nach Ausheilung der AP geplant werden.

Frage 5:
Die Prognose der AP ist wesentlich abhängig vom Schweregrad der Erkrankung.

Welche Klassifikationen / Score-Systeme zur Beurteilung der Krankheitsschwere kennen Sie? Welche Faktoren gehen in die Beurteilung des Schwergrades ein und welche Bedeutung haben Score-Systeme für den klinischen Alltag?

Die Einteilung der AP in Schweregrade ist wünschenswert, um die 20 % der schweren Verlausformen mit hoher Mortalität von den 80 % der milden Verlaufsform abgrenzen zu können. Eine Vereinheitlichung der Terminologie wurde durch die „Atlanta-Klassifikation” 1992 erzielt (Tab. 1):

Tab. 1 Klassifikation der AP milde AP geringe Organdysfunktion mit Ansprechen auf Flüssigkeitssubstitution schwere AP einer der folgenden Punkte:- lokale Komplikationen (Pankreasnekrose, pankreatische Pseudozyste, Pankreasabszess)- Organversagen- ≥ 3 Ranson-Kriterien- ≥ 8 APACHE-II-Kriterien

Die hier genannten Kriterien für die Definition einer schweren Verlaufsform werden im Allgemeinen nicht als ausreichend angesehen.

In den gemeinsamen deutschen Richtlinien zur Therapie der AP aus dem Jahre 2000 wird die schwere Pankreatitis durch das Gesamtbild folgender Kriterien definiert:
Klinisches Bild:
- Schmerzen
- lokaler Peritonismus
Laborparameter:
- Leukozytose > 15 000 µl
- LDH > 300 mg / dl
- CRP > 120 mg / l
- Kreatininanstieg
- Abfall des arteriellen pO2
Multi-Score-Analyse:
- Ranson > 3
- APACHE-II > 8

Entscheidend ist, dass der Gesamteindruck die schwere Verlaufsform charakterisiert und einzelne Parameter nicht für die Klassifikation ausreichend sind. Insbesondere ist der initiale klinische Eindruck für sich kein Kriterium.Unter den genannten Laborwerten ist lediglich das C-reaktive Protein (CRP) gut validiert. Ein Spitzenwert > 210 mg / l innerhalb der ersten 48 Stunden oder ein Wert > 120 mg / l am Ende er ersten Krankheitswoche haben einen den Multi-Score-Systemen vergleichbaren Aussagewert. Neben anderen bisher nicht in die Routinediagnostik eingegangen Laborparametern (etwa IL-6, IL-8, Phospholipase A 2) ist das Prokalzitonin (PCT) wertvoll für die initiale und die Verlaufsbeurteilung. Nicht geeignet sind die Höhe der Pankreasfermente (Serum-Amylase und -Lipase) sowie der Serumkalziumwert.Score-Systeme haben den Vorteil, Krankheitsverläufe und Therapieverfahren vergleichbar zu machen. Sie sind im Rahmen von Studien deshalb unverzichtbar. Ihr Nachteil ist ein teilweise nicht unerheblicher erforderlicher Zeitaufwand, im Besonderen beim APACHE-II-Score. Bei der Anwendung ist zu beachten, dass der Ranson-Score nur für die ersten 48 Stunden validiert ist und der APACHE-II-Score nicht krankheitsspezifisch ist.

Frage 6:
Die therapeutischen Überlegungen und die Frage des Stellenwertes der Chirurgie orientieren sich am phasenhaften Verlauf der schweren nekrotisierenden AP. Welche Phasen sind hier zu unterscheiden?

1. Phase: 1.-2. Krankheitswoche - toxische Phase mit Ausbildung eines SIRS 2. Phase: ab 2. / 3. Krankheitswoche - septische Phase

Frage 7:
Nennen Sie die Grundelemente der konservativen Therapie der AP in Abhängigkeit vom Schweregrad.

Interdisziplinarität: Grundsätzlich sollte die Therapie frühzeitig im interdisziplinären chirurgisch / intensivmedizinisch / gastroenterologischen Konsens diskutiert werden.

Initiale konservative Behandlung: Wesentliches Element ist die hämodynamisch kontrollierte Flüssigkeitssubstitution und die Schmerztherapie (Procainhydrochlorid, ggf. Opiode, ggf. Periduralkatheter). Der Bedarf an Flüssigkeit wird häufig unterschätzt. Zielkriterien der Volumensubstitution sind zentraler Venendruck und Hämatokritwert. Eine generelle Magensondenapplikation ist nicht erforderlich, jedoch bei Übelkeit und Erbrechen indiziert. Die Bedeutung der parenteralen Ernährung zur Ruhigstellung der Drüse ist nicht geklärt. Aktuelle Daten sprechen für einen positiven Effekt einer frühzeitigen enteralen Nutrition

Intensivmedizinische Therapie: Bei schweren Verlaufsformen mit Entwicklung eines SIRS frühzeitige Therapie des Organversagens (Beatmung, Nierenersatztherapie). Bei Patienten mit im KM-CT gesicherter Nekrotisierung führt eine prophylaktische Antibiotikatherapie (Imipenem oder Ciprofloxacin / Metronidazol) für 10-14 Tage zur Reduktion zur Nekroseninfektion und zu einer Reduktion der Mortalität.

Frage 8:
Wann besteht die Indikation zur operativen Intervention bei schwerer AP?

Die operative Therapie hat ihre Indikation in der Behandlung septischer Komplikationen, vor allem in Form der Pankreasnekrosen-Superinfektion mit einem Manifestationszeitpunkt ab der 2. / 3. Krankheitswoche. Die infizierte Nekrose sollte entweder radiologisch (Lufteinschlüsse im Verlaufs-CT) oder bakteriologisch (CT-geführte Feinnadelaspiration) gesichert sein. Der Zeitpunkt des Eingriffes sollte möglichst spät (ab 3. / 4. Krankheitswoche) gewählt werden, um eine ausreichende Demarkation der Nekrosen mit geringerem Blutungsrisiko zu gewährleisten. Seltene Komplikationen, die einer operativen Behandlung bedürfen sind die Arrosion eines Nachbarorgans (vor allem Kolon) und die septische Arrosionsblutung. Letztere sollte primär angiografisch abgeklärt und falls möglich auch interventionell behandelt werden.

Frage 9:
Welche Therapieverfahren kommen bei infizierten Nekrosen oder retroperitonealer Abszedierung zur Anwendung?

Standard ist die offene Nekrosektomie und anschließende Spülbehandlung entweder in Form der kontinuierlichen Bursalavage oder der programmierten Relaparotomie (Etappenlavage). Regelzugang ist hierfür die quere Oberbauchlaparotomie. Ziel ist die Entfernung sämtlicher Nekrosen in digitoklastischer Technik. Bei später Ausbildung retroperitonealer Abszesse entlang der Nekrosestraßen ist eine chirurgische Abszessdränage ggf. über einen retroperitonealen Zugang zu bevorzugen. Der Stellenwert minimalinvasiver und interventioneller Therapieverfahren ist noch unzureichend evaluiert.

Frage 10:
Postakute Pankreaspseudozysten treten als Defektbildung bei bis zu 20 % der Patienten nach nekrotisierender AP auf.

Wie ist der Spontanverlauf unbehandelter Pseudozysten? Wann ergibt sich eine Therapieindikation? Welche Therapiemöglichkeiten kennen Sie?

Innerhalb von 4-6 Wochen ist mit einer spontanen Rückbildung der Pseudozysten in 40-60 % der Fälle zu rechnen. Persistierende asymptomatische Pseudozysten bedürfen keiner Therapie. Symptome entstehen größenbedingt durch Kompression von Nachbarorganen (Oberbauchbeschwerden; Choledochus-, Wirsungianus-, Duodenalkompression; Blutung durch Arrosion - Hämosuccus pancreaticus, obere gastrointestinale Blutung). Hier konkurrieren interventionelle mit operativen Therapieverfahren. Es existieren keine prospektiv-randomisierten Studien, die beide Therapieverfahren vergleichen. Der perkutanen oder endoskopisch transgastralen / transduodenalen Zystendrainage steht die chirurgische Therapie durch Zystoenterostomie gegenüber. Pseudozysten mit dokumentiertem Anschluss an das Gangsystem können mittels Wirsungianusstent behandelt werden. Chirurgische Standardtherapie ist die Zystojejunostomie an die erste nach Roux Y ausgeschaltete Jejunalschlinge. Lokalisationsabhängig kann die Zystendränage auch ins Duodenum erfolgen. Wichtig ist die Wahl des Operationszeitpunktes mit radiologisch dokumentiert ausreichend konsolidierter Pseudozystenwand, um ein stabiles Nahtlager vorzufinden. Pseudozysten des Pankreasschwanzes können reseziert werden. Resezierende Verfahren sollten darüber hinaus bei fraglicher Dignität Anwendung finden.

Univ.-Prof. Dr. med. C.-T. Germer

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