Zentralbl Chir 2007; 132(3): 225-226
DOI: 10.1055/s-2007-981230
Originalarbeiten und Übersichten

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. Juli 2007 (online)

zum Beitrag „Endovaskuläre Therapie eines infrarenalen Aortenaneurysmas bei heterotopem Nierentransplantat” von N. Tsilimparis et al.

Die Autoren beschreiben kasuistisch einen 61-jährigen Patienten mit Bauchaortenaneurysma (BAA), welches wegen einer früheren heterotopen, allogenen Nierentransplantation (NTx) endovaskulär ausgeschaltet wurde. Es erfolgte die Implantation eines aorto-biiliakalen Stentgraftsystems. Nach einer Beobachtungszeit von 1 Jahr ergab sich folgendes Resümee:

Vorteile Nachteile - keine herzbelastende Klemmmanöver an der Aorta- keine Schrittmacherumstellung notwendig- Vermeidung der warmen Ischämie des NTx- geringere Morbidität in der Frühphase - endovaskuläre Manipulation in der A. iliaca der Tx-Seite- intraoperative KM-Gaben- persistierendes Endoleak Typ II aus A. lumbalis bei Dauerantikoagulation mit Kumarin- notwendige KM-belastende Vor- und Nachuntersuchungen- Fremdkörper (Stentschenkel) in NTx blutzuführender Beckenarterie

Die Autoren betrachten die „Datenlage” als geeignet, um die EVAR als Methode der „ersten Wahl” zur Behandlung eines BAA nach NTx zu empfehlen.

In der kritischen Analyse der vorliegenden Publikation ergeben sich folgende Schwerpunkte. Vorerst sei der Patient noch einmal beschrieben:

Multilokuläre ASK- Karotisstenose rechts (90 %) mit Apoplex und Linksseitensymptomatik. - Herzschrittmacherimplantation wegen absoluter Arrhythmie vor 1 Jahr- asymptomatisches deutlich infrarenales Aortenaneurysma (47 × 49 mm) NTx rechts iliakal wegen Glomerulonephritis vor 11 Jahren- Serumkreatinin 1,26 mg/dl kardiovaskuläre Risikofaktoren- langjährige terminale Nierenerkrankung- arterielle Hypertonie- Hyperlipidämie- Adipositas? vermutlich nicht, denn BAA war palpabel weitere Risiken- Immunsuppression mit Cyclosporin- Dauerantikoagulation mit Kumarin.

Gab es im vorliegenden Fall eine Behandlungsindikation?

Das BAA wurde zufällig entdeckt. Es hatte eine Größe von knapp < 5 cm und damit ein Rupturrisiko von 3 % / Jahr. Weitere Risikofaktoren sind ein arterieller Hypertonus (stabil, labil?) und die bestehende Medikation mit Immunsuppressiva und Kumarinpräparaten. Es bestanden eine geringe Wandverkalkung und ein schmaler Thrombussaum. Damit war der Patient in eine mittlere bis hohe Risikogruppe einzustufen, sodass eine elektive Ausschaltung dieses Zufallsbefundes gerechtfertigt war. Die Vor- und Nachteile des konventionellen und endovaskulären Vorgehens ergeben sich aus der obigen Tabelle.

Beschleunigt eine Immunsuppression durch Aortenwanddegeneration ein Aneurysmawachstum?

Diese Frage wird kontrovers diskutiert. Erinnert man die Hypothese, dass beispielsweise Clamydien zu einer bakteriellen Genese der Aneurysmabildung beitragen, so könnte eine Immunsuppression zur Beschleunigung der Aortenwanddestruktion und damit zur Wachstumsbeschleunigung des BAA führen. Im Falle einer abakteriellen Genese ergibt sich kein Zusammenhang. Wesentlich sind der arterielle Hypertonus und die Gabe von Steroiden.

Führt die konventionelle Ausschaltung eines BAA notwendigerweise zur Ischämie der NTx?

In der Tat ist eine konventionelle Ausschaltung eines BAA nach stattgehabter NTx mit einer Ischämiegefährdung des Transplantats verbunden. Die Autoren haben viele protektive Hilfsmaßnahmen zusammengetragen, mit denen die Ischämietoleranzzeit des NTx verlängert werden kann. Am günstigsten ist ein intraaortales Shuntsystem, andere Modelle implizieren extraanatomische Verfahren (Abb. [1]). Dennoch gibt es in etwa 10 % ein Transplantatversagen, was für einen langzeittransplantierten Patienten besonders tragisch ist. Aus dieser Sicht kann ein endovaskuläres Verfahren empfohlen werden.

Abb. 1 Verschiedene Protektionssysteme zur Perfusion von NTx bei Operationen an der AortaA axillo-femoraler ShuntB aorto-iliakaler ShuntC protheto-iliakaler ShuntD aorto-iliac. intralumin. ShuntE hypotherme FlushperfusionF extrakorporale Zirkulation

War die Aortenmorphologie für die EVAR geeignet?

Das BAA hatte sich im vorliegenden Fall deutlich infrarenal im Bereich der Aortenbifurkation entwickelt. Es gab einen langen Aneurysmahals, wobei die bereits chronisch verschlossenen Nierenarterienostien einen besonderen Halt für einen Stentgraft versprachen (Cave: Migration). Die Erweiterung der beiden Aa. iliacae communes war langstreckig und noch nicht aneurysmatisch. Beide Aa. iliacae internae waren durchgängig, sodass keine Gefahr einer kolorektalen Ischämie bestand. Da auch keine Abknickungen der Arterien bestanden, war die morphologische Indikation zur EVAR durchaus gegeben.

Besteht bei Aneurysmaausschaltung durch alloplastisches Prothesenmaterial unter Immunsuppression eine höhere Infektionsgefahr als durch EVAR?

Diese Hypothese kann nicht bestätigt werden. Die Infektionsgefahr einer alloplastischen Aortenprothese liegt millionenfach bestätigt bei 1 %. Auch unter Immunsuppression gibt es keine erhöhte Gefahr, insbesondere dann nicht, wenn besondere Vorkehrungen (TEA des Aneurysmasacks, Betaisodonaspülung) eingehalten werden. Auch bei endovaskulärer Stentimplantation liegt das Infektrisiko bei 1 %. Dies wird durch die Unterlassung der o. g. Maßnahmen erklärlich. Auch das so genannte Postimplantationssyndrom (30-70 %) könnte mit infektologischen Abwehrvorgängen des Körpers in Zusammenhang gebracht werden. Deshalb ist die Schlussfolgerung der Autoren, die EVAR ist eine „wirksame Prophylaxe gegen eine Protheseninfektion” inakzeptabel.

Unverständlich wirkt in diesem Kontext die Vorstellung, bei simultanen Operationen (BAA-Operation und NTx) eine Spenderaorta einzusetzen. Die Langzeitergebnisse der Gefäßtransplantation sind an der Aorta deutlich einem textilen Prothesenersatz unterlegen (Fibrosierung, aneurysmatische Degeneration). Besser ist ein zweizeitiges Vorgehen, indem zuerst das BAA saniert und nach Abschluss der Wundheilung (6 Wochen) eine elektive NTx geplant wird. Sämtliche Qualitätsparameter sind bei einer solchen Logistik überlegen.

Wie kann ein Endoleak Typ II behandelt werden?

Die Entstehung von Endoleaks sind das große Problem der aortalen Stentprothesen. Die Inzidenz schwankt zwischen 10 und 20 %. Wenn auch die Vertreter der Industrie immer wieder auf Spontanverschlüsse hinweisen, kommt es oftmals zur Aneurysmatension mit drohender Ruptur, insbesondere bei Kumarintherapie, wie in vorliegendem Fall. Das anatomische Problem sind offene Lumbalarterien und die durchgängige A. mesenterica inferior (beide würden bei konventioneller Operation instrumentell verschlossen werden). Diese Arterien sind radiologisch schwer zu erkennen, sodass eine „temporäre” Endoleckage bei Stentgrafts billigend in Kauf genommen wird. Aus diesem Grund sind neben anderen Gesichtspunkten lebenslange Kontrollen erforderlich, die außer der wiederholten Kontrastmittelbelastung zur Verängstigung der Patienten führen können; ein Nachteil, den konventionell operierte Patienten nicht verspüren.

Zur Therapie von Endoleaks Typ II haben die Autoren ausführlich beigetragen. Die wesentlichen Vorschläge sind:

  • Coilembolisation durch translumbale CT-gestützte Direktpunktion

  • Thrombininjektion

  • laparoskopische Clip-Ligatur der Aa. lumbales.

Leider sind all diese Vorschläge, wie wir aus eigenen Erfahrungen wissen, nicht praktikabel und höchstens auf Ausnahmefälle begrenzt, sodass oftmals doch noch die Konversion zur offenen Aortenchirurgie indiziert werden muss. Da dann die Letalität auf über 10 % steigt, kehren sich die Vorteile der Stentgraftimplantation schnell zu Nachteilen um.

Insgesamt entspricht das vorgeschlagene Therapiemodell einer interessanten Alternative zur konventionellen Chirurgie. Ob es wirklich die Therapie der „ersten Wahl” wird, müssen Langzeitbeobachtungen erst belegen.

Literatur

  • 1 Allenberg J R, Kallinowski F, Schumacher H. Stand der Chirurgie des infrarenalen Aortenaneurysmas.  Deutsches Ärzteblatt. 1997;  94 A 2830-A 2834
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  • 4 Marrewijk C J, Leurs J L, Vallabhaneni S R, Harris P, Buth J, Laheij J F. Eurostar collaborators . Risk-adjusted outcome analysis of endovascular abdominal aortic aneurysm repair in a large population.  J Endovasc Ther. 2005;  12 417-429
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