PiD - Psychotherapie im Dialog 2007; 8(2): 173-174
DOI: 10.1055/s-2007-970879
Resümee
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

In jedem Ende steckt ein Anfang

Michael  Broda, Bettina  Wilms
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Publication Date:
01 June 2007 (online)

Das Thema der Beendigung von Psychotherapien war bislang in der wissenschaftlichen Diskussion eher randständig (siehe auch den Überblick von Frau Rieber-Hunscha in diesem Heft). Es gibt bislang nur sehr wenige systematische Auseinandersetzungen mit dem Thema der Beendigung - zwei Autorinnen der neueren Monografien haben wir auch mit Beiträgen für dieses Heft gewinnen können. Frau Rieber-Hunscha gibt uns den Überblick über ihre Recherchen, wie das Thema Beendigung in den einzelnen Verfahren diskutiert wird und Frau Müller-Ebert stellt einen Vergleich zwischen tiefenpsychologisch, gesprächspsychotherapeutisch und gestalttherapeutisch ausgerichteten Grundverfahren vor. Wir hoffen, dass wir mit der Auswahl der Beiträge eine Problematisierung des Stellenwerts des Beendens von Psychotherapie erreichen konnten und bei Ihnen, liebe PiD-Leser, Impulse zur Überprüfung eigener Routinen im therapeutischen Handeln geben konnten.

Zunächst ist beachtenswert, dass sich die Frage der Beendigung offensichtlich nicht mit bestimmten Grundorientierungen gleichsetzen lässt - auch die Psychoanalyse, wie sie von Herrn Gerlach hier vertreten wird, kennt kurze Therapien und die Systemiker, wie von Herrn Hargens dargestellt, kennen auch die Langzeitpatienten. Und die Verfahren, die innerhalb der Richtlinienpsychotherapie praktizieren, stellen, wie Herr Kappauf anmerkt, eine Annäherung der Therapiedauern an die Bewilligungskontingente der Krankenkassen fest. Das für uns spannende an diesem Themenheft war somit, auch innerhalb der Verfahren zum kritischen Nachdenken anzuregen und nicht von vornherein festgelegte Positionen dargestellt zu bekommen.

Wir haben den Eindruck, dass in allen diesen Beiträgen eine sehr differenzierte und zum Teil selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Thema des Beendens von Therapien stattfindet.

Wir denken, dass es in den Beiträgen auch darum geht, Zeit in der Therapie als kostbares Gut und wichtigen Wirkfaktor wieder verstärkter wahrzunehmen. Dabei ist es jedoch nicht einfach, die Frage der Beendigung dieser gemeinsamen Arbeitszeit einheitlich zu entscheiden. Offensichtlich ist es so, dass alle Grundorientierungen von der Wirkung des Faktors Zeit überzeugt sind und entweder mit großen Intervallen, wie die Kurzzeittherapeuten, oder mit hoher Frequenz und langer Dauer, wie die Psychoanalyse, einen Beitrag zur Herstellung von Therapieeffekten leisten. Insofern spielt die Rolle der Dauer von Therapie auch für die Beendigung eine wichtige Rolle auf dem schmalen Grad zwischen Stärkung der Autonomie von Patienten durch niederfrequente Kontaktgestaltung einerseits und Verantwortungsübernahme durch stärkere Anbindung an das therapeutische Setting andererseits.

Wir haben darüber hinaus versucht, auch andere Bereiche als die Grundorientierungen zu bitten, uns Einblick in ihr Beendigungshandeln zu geben.

Frau Garlipp berichtet aus dem Alltag der stationären Psychiatrie und gibt u. a. zu bedenken, dass Behandlungsabbrüche als eine sehr deutliche Form der Beendigung eines therapeutischen Kontakts nicht ausschließlich negativ gesehen werden müssen: Autonomie von Patienten ist ein wünschenswertes Ziel von Behandlungen und kann sich auch im patientenseitigen Beenden einer Behandlung ausdrücken. Dies kann uns dabei helfen, diese Form von Behandlungsbeendigungen in der ambulanten Therapie möglicherweise in einen anderen Kontext zu stellen.

Aus Sicht der systemischen Therapie macht Herr Loth deutlich, dass die Beendigung einer Therapie als ein Akzent für ein „Weiterbestehen hilfreicher Umstände” gesehen werden kann. Auch betont er, dass ein frühzeitiges Bewusstsein des Beendens einen Schutz davor darstellt, die Binnenrealität der Therapie mit der Lebensrealität zu verwechseln.

Weinmann et al. weisen am Beispiel depressiver und schizophrener Erkrankungen auf die mögliche Gefahr des Übertherapierens von Patienten mit günstiger Prognose hin, stellen aber auch klar, dass es Patienten gibt, die lange Zeit eine Unterstützung in dem Versorgungssystem benötigen.

Frau Wittorf unterstreicht die Notwendigkeit, dass sich Therapeuten in der Frage der Beendigung von Therapien mit Krebspatienten auf Gefühle des Scheiterns, des im Stich-gelassen-Werdens, aber auch auf Berührungen mit dem Thema Tod oder Spiritualität einlassen müssen, ein Beitrag, der uns mit einer neuen und oft belastenden Facette der Therapiebeendigung konfrontiert, dabei aber auch Mut macht, darauf zuzugehen.

Das Gespräch zwischen Vertretern einzelner Grundorientierungen macht deutlich, dass die Hauptunterschiede nicht in erster Linie zwischen den Verfahren, sondern möglicherweise im Hinblick auf die Problemstellung bei den Patienten zu suchen sind. Dies versucht auch Broda in seinem Impulsbeitrag zum „psychotherapeutischen Hausarzt” zu verdeutlichen.

Wir denken, dass Beendigung aber in erster Linie auch etwas mit uns Therapeuten zu tun hat.

Formal ist die Tendenz zu beobachten, dass Therapiebeendigungen häufig mit Beendigung des Bewilligungskontingents zusammenfallen. Dort bildet sich eine Allianz zwischen Patienten und Therapeuten: Für die einen ist die Bewilligung von 45 Sitzungen analog zu anderen „Verordnungen” im Gesundheitssystem ein Kontingent, das man nicht „verfallen” lassen will, für die anderen bedeutet ein Weitermachen eine Arbeitsersparnis (man kennt den Patienten, keine neue Anamneseerhebung notwendig, kein neues Antragsverfahren). Diese formale Tendenz wird so lange bestehen bleiben, solange die probatorischen Sitzungen in den meisten Kassenärztlichen Vereinigungen so viel schlechter vergütet werden und es keine Anreize für kurze Therapien gibt.

Inhaltlich lassen sich bei gut verlaufenden Therapien immer neue Themenstellungen auf dem Boden einer gesicherten Beziehung finden. Kaum eine Bezugsperson des sozialen Umfelds unserer Patienten stand jemals in diesem Ausmaß für Gespräche zur Verfügung, wie wir Therapeuten dies tun. Dies könnte zur Folge haben, dass Patienten das Bedürfnis entwickeln, neue, mit dem ursprünglichen Therapieschwerpunkt nur entfernt zusammenhängende Themenstellungen einzubringen und bei uns Therapeuten auf offene Ohren stoßen. Denn auch wir lieben vertraute Inhalte mehr als neue, greifen gerne auf unser Schatzkästchen der hilfreichen Therapiegedanken zurück und verfallen oft in ein munteres „Mehr-Desselben”.

Am spannendsten ist sicherlich der Beziehungsaspekt für die Beendigung von Therapien. Natürlich haben wir diesen Beruf gewählt, weil wir gerne helfen (vielleicht, weil wir es auch besonders gut können) und haben deshalb möglicherweise auch Probleme, uns rechtzeitig überflüssig zu fühlen. Ein Patient, der uns sagt, dass er die Hilfe nicht mehr benötigt, muss uns schon viel Dankbarkeit über die bisherigen Fortschritte mitservieren, um eine Kränkung bei uns zu vermeiden. Wer fühlt sich schon gerne „nicht mehr gebraucht”? Gerade, wenn Patienten nach mehreren Behandlerwechseln uns endlich als den kompetenten Helfer gefunden haben, sollen wir auf diese Selbstwertquelle verzichten und uns als entbehrlich hinstellen? Etwas viel verlangt, könnte man meinen, wo wir doch einen Beruf ausüben, in dem wir vielfach in puncto Zuneigung und Akzeptanz ausgesaugt und im Verständnis häufig an den Rand des Möglichen gebracht werden. Andererseits werden wir im Verlauf der Behandlungen oft zu den wichtigsten Bezugspersonen unserer PatientInnen, haben Informationsmacht, mehr oder weniger klare Analysen und Modelle der Störung, Lösungsideen und Kreativität und brauchen die Patienten als „Opfer” für unsere diesbezüglichen Kompetenzen. Und einen Patienten in Sitzung 65 immer noch mit einer neuen Sichtweise verblüffen zu können, zählt mehr als in Sitzung 17.

Natürlich kennen wir alle diese Gefahren und glauben, uns schon längst davor geschützt zu haben. Aber manchmal hören wir in Supervisionen doch noch ab und zu Tendenzen, die darauf hindeuten, dass diese kleinen „Therapieteufelchen” auf den Therapeutenschultern immer noch versuchen, uns ins Ohr zu flüstern, wie gut und hilfreich wir sind.

Wir denken, dass die Beendigung ein Anfang ist, der aus der künstlichen Therapiewelt in die Realität eines mehr oder weniger selbstbestimmten Lebens führt. Ein Anfang, der einen neuen Weg zu beschreiten versucht, oder auch manchmal ein Anfang, der den alten Weg beibehält, sich in der Entscheidung jetzt aber sicherer ist.

Was nützt, kann auch schaden. Wenn wir Psychotherapie als ein hochwirksames Verfahren konzipieren, müssen wir uns der möglichen Schädlichkeit bewusst sein. Wir verunsichern in Therapien, unterbrechen Automatismen, üben neue soziale Verhaltensweisen ein, die durchaus mehr Konflikte nach sich ziehen können und verstärken mit jeder Sitzung die Überzeugung beim Patienten, mit der Problematik noch nicht alleine fertig werden zu können. Auch wir können durch Nichtbeenden zu Chronifizierungen beitragen, genauso, wie wir durch „Antherapieren” und dann fallen lassen (weil möglicherweise der Umwandlungsantrag zu mühsam ist) Patienten immensen Schaden zufügen können.

Vielleicht sollten wir uns wieder mehr auf das Prinzip der minimalen Intervention besinnen und nie außer Acht lassen, dass das Leben unserer PatientInnen auch ohne uns vollzogen wird, manchmal unterbrochen von mehr oder weniger hilfreichen therapeutischen Gesprächen.

Wir denken, dass Sie, liebe PiD-Leser, aus all den Beiträgen Anregungen und Nachdenkpunkte für Ihre Arbeit mitnehmen konnten. Ist dies der Fall, hat sich die Beschäftigung mit dem Thema für uns „gelohnt”, auch wenn wir bei dem Umfang des Thementeils dieses Heftes schneller zu einem Ende gefunden haben, als es bei anderen Themenheften möglich war.

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