PiD - Psychotherapie im Dialog 2007; 8(2): 107
DOI: 10.1055/s-2007-970873
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Anfang vom Ende …

Bettina  Wilms, Michael  Broda
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Publication Date:
01 June 2007 (online)

… war vermutlich die Idee von Jochen Schweitzer und Michael Broda, sich mit der Thematik des Therapieendes anlässlich der PiD-Tagung im Juni 2006 zu befassen. Das Ergebnis dieser Überlegungen war ein Laboratorium mit Alf Gerlach, Alfred Kappauf und Andrea Ebbecke-Nohlen zur Sicht auf den „richtigen” Zeitpunkt eines Therapieendes - implizit unterstellt, dass diese Frage aus Sicht unterschiedlicher Therapieschulen so beantwortet würde, dass die unterschiedlichen Sichtweisen unterschiedlicher Therapieschulen über den Therapieprozess einen bedeutsamen Unterschied markierten …

Doch, wie so oft kam es anders: Die Frage, wann denn zu Ende therapiert sei, ließ sich erwartbar nicht nach schulenspezifischen Erwägungen trennscharf beantworten. Vielmehr wurde in der Diskussion schon deutlich, dass es auch eigentlich kurzzeitverliebte Systemiker teilweise durchaus lange mit Klienten aushalten und die Befürworter langfristiger therapeutischer Beziehungen dies nicht in jedem Fall für indiziert halten. Also wurde schnell klar, dass dieses Thema nahezu gemacht ist für eine Zeitschrift, die eine schulenübergreifende Sichtweise auf die Psychotherapie als wesentliches Anliegen vertritt. Dann jedoch konkret Menschen zu finden, die sich mit dieser Thematik systematisch beschäftigen, darüber publiziert haben und bereit wären, einen Beitrag zu verfassen, gestaltete sich schwieriger als zunächst gedacht. Eine Menge von Gründen hierzu findet sich im Standpunkte-Beitrag von Rieber-Hunscha: Verglichen mit anderen Themen, scheint das Therapieende eher ein vernachlässigtes Terrain in der publizierten Diskussion zu sein. Darüber hinaus ist in Ausbildungscurricula recht wenig zur Frage, wann zu Ende therapiert sei, zu erfahren, geschweige denn, wie es gelingt, dieses Ende einzuleiten und zu gestalten.

Wir haben daher den Versuch unternommen, Ausbildungskandidaten zu dieser Thematik zu befragen. In den schlaglichtartig erfragten Rückmeldungen zeigt sich, dass es nur wenig Hinweise auf schulenspezifische Antworten gibt. Dafür setzen sich bereits in Ausbildung befindliche Kollegen sehr differenziert mit dem Zeitpunkt des Therapieendes auseinander - aus unserer Sicht ein starkes Plädoyer für schulenübergreifende Handlungsstrategien in der Gestaltung von Therapieprozessen. Da uns die Therapieschulen aber doch nicht so ganz losgelassen haben (oder wir sie nicht loslassen wollten), haben wir uns dennoch für drei Beiträge aus den Richtlinienverfahren und der Systemischen Therapie entschieden: Alfred Kappauf nähert sich dem Thema aus Sicht der Verhaltenstherapie, Alf Gerlach vertritt eine eher „langzeitfreundliche” Haltung und Jürgen Hargens beschreibt die systemischen, eher kurzzeittherapeutischen Betrachtungsweisen. Frau Müller-Ebert vergleicht tiefenpsychologische Verfahren mit gestalt- und gesprächspsychotherapeutischen Ansätzen. Aber gerade im Versuch, dies zunächst von einzelnen Autoren entwickeln zu lassen und diese Haltungen dann in einer Diskussion zusammenzuführen, zeigt sich das Therapieende als umfassendes und eigentlich den kompletten Therapieprozess überspannendes Thema einer Beziehung auf Zeit.

Dies gewinnt besonders im Beitrag von Wolfgang Loth an Bedeutung, in einem Kontext von psychosozialer Beratung, der bei Unendlichkeit schnell Gefahr läuft, unentbehrlich zu werden und dabei Kompetenzen von Klienten verkümmern lassen kann. Dass daher ein vorzeitiges, d. h. nicht im Konsens mit den Therapeuten herbeigeführtes, Therapieende auch eine Lösung für einen Klienten sein kann, wird im Beitrag von Petra Garlipp eindrucksvoll beschrieben. „Abbruch” ausschließlich negativ zu konnotieren, scheint in der Tat für eine Reihe unserer Patienten und Patientinnen nicht passend zu sein und wir sind aufgefordert, für diese Prozesse andere Beschreibungen zu finden.

Die Erweiterung des Themas in Richtung Psychiatrie und Psychopharmakologie hat nicht nur etwas mit der psychiatrischen Brille einer der Herausgeber dieses Heftes zu tun. Sehr viele Menschen, die sich in Psychotherapie begeben, haben mittlerweile Erfahrungen mit Psychopharmaka; ob dies immer zweckmäßig ist, kann diskutiert werden. Wird das Ende von Therapie beleuchtet, ist für den Fall einer Kombinationsbehandlung neben der Frequenz von Therapiesitzungen auch die Frage einer weiteren Pharmakotherapie zu betrachten und der Stand der in diesem Zusammenhang herrschenden Kunst. Denn was nützt uns Psychotherapeuten über die Endlichkeit von Psychotherapie nachzudenken, wenn im gleichen Atemzug die Empfehlungen für die Fortsetzung einer Behandlung mit Medikamenten immer größer werdende Zeiträume beinhalten.

Schließlich wird von Frau Wittorf Beendigung im Zusammenhang mit der Begrenzung der Lebensperspektive bei Tumorpatienten dargestellt - eine Problematik, die uns in nächster Zeit in den psychotherapeutischen Praxen häufiger begegnen dürfte. In einem Einwurf wird von Michael Broda der Frage nachgegangen, ob es nicht eine Reihe von Patienten gibt, die über lange Zeiträume niederfrequent in unseren Praxen behandelt werden müssen.

Auf jeden Fall wünschen wir unseren Leserinnen und Lesern eine Reihe neuer Gedanken und Anregungen bei der Lektüre dieses Heftes, so wie wir dies bei der Herausgeberarbeit selbst erlebt haben.

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