Pneumologie 2007; 61(3): 145-147
DOI: 10.1055/s-2007-959173
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125 Jahre nach der Entdeckung des Tuberkelbazillus durch Robert Koch - neue Probleme in der weltweiten Bekämpfung der Tuberkulose

Focus: 125 Years after the Discovery of the Tubercle Bacillus by Robert Koch - New Problems in the Worldwide Fight against TuberculosisR.  Loddenkemper1
  • 1Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose Lungenklinik Heckeshorn, HELIOS Klinikum Emil von Behring, Berlin
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Publication Date:
07 March 2007 (online)

Am 24. März 1882 hielt Robert Koch in Berlin seinen berühmten Vortrag „Über Tuberkulose”. Der wissenschaftlich brillant geführte Beweis der Tuberkelbazillen als Ätiologie der Tuberkulose [1] setzte einen Meilenstein in der Mikrobiologie, Hygiene und Phthisiologie und wird seinen Platz in der Geschichte der Medizin für immer behalten. 2007 sind es 125 Jahre seit der Entdeckung des Tuberkulose-Erregers, alljährlich findet seit 1982 zum Gedenken an Robert Koch an diesem Datum der Welttuberkulosetag statt.

Im Nachruf von Paul Ehrlich, Schüler von Robert Koch, der 1910 in der „Frankfurter Zeitung” erschien und in dieser Ausgabe der „Pneumologie” nochmals abgedruckt ist [2], werden die großen Verdienste von Robert Koch - nicht nur auf dem Gebiet der Tuberkulose - hervorgehoben. Erstaunlich aber ist, dass Ehrlich zu diesem Zeitpunkt immer noch das Tuberkulin als Heilmittel ansieht und auch die irrige Auffassung Robert Kochs unterstützt, dass das Mycobacterium bovis keine Bedeutung in der Ätiologie der menschlichen Tuberkulose hat. Dieser Auffassung wurde übrigens von einem weiteren weltberühmten Schüler von Robert Koch, Emil von Behring, heftig widersprochen, der wiederum mit seiner Meinung falsch lag, dass M. bovis praktisch allein für die Tuberkulose des Menschen verantwortlich sei [3]. Zwangsläufig ergibt sich anhand dieser beiden Beispiele die Frage, welchen Irrtümern wir heute bei der Bekämpfung der Tuberkulose unterliegen, denn 125 Jahre nach der Entdeckung des Erregers stellt die Tuberkulose eine unbesiegte Infektionskrankheit mit gewaltigen Problemen dar.

Trotz zahlreicher Fortschritte in Diagnostik, Therapie und Prävention [4] [5], dank derer manche die Tuberkulose schon für besiegt hielten, musste die WHO 1993 die Tuberkulose-Entwicklung zum globalen Notstand erklären [6]. Die von der Internationalen Union gegen Tuberkulose und Lungenkrankheiten (IUATLD) entwickelte „DOTS”-Strategie wurde daraufhin von der WHO übernommen [7]. Heute sind 183 Länder als „DOTS”-Länder anerkannt, und die WHO schätzt, dass 83 % der Weltbevölkerung hiermit erfasst werden [8]. Fünf Punkte enthielt die „DOTS”-Strategie ursprünglich: politischer Wille vonseiten der Regierungen, passive Fallfindung mittels Untersuchung von Sputumausstrichen, standardisierte Behandlung aller Sputumausstrich-positiven Patienten und Einhaltung einer direkt überwachten Medikamenteneinnahme, garantierte Bereitstellung aller Tuberkulose-Medikamente und Aufbau einer genügenden Medikamentenreserve sowie Registrierung und Meldung aller Sputumausstrich-positiven Patienten mittels standardisierter Register.

Wegen der zunehmenden Entwicklung von Medikamentenresistenzen, insbesondere der „Multidrug Resistance” (MDR), wurde diese Strategie im Jahr 2000 durch das „DOTS-Plus”-Programm ergänzt [9]. Dieses beinhaltet zusätzlich den kulturellen TB-Nachweis mit der Möglichkeit von Resistenztestungen sowie die Bereitstellung von Zweitrangmedikamenten zu erschwinglichen Preisen in den Ländern, in denen „DOTS” eingeführt ist.

Tatsache ist jedoch, dass man in weiten Teilen der Welt die Tuberkulose noch längst nicht in den Griff bekommen hat. Zwar nimmt in den Industrieländern die Häufigkeit der Neuerkrankungen bis auf wenige Ausnahmen kontinuierlich Jahr um Jahr ab, in Deutschland in der Dekade von 1996 bis 2005 um fast 50 %, nämlich von 11 814 [10] auf 6045 Fälle [11]. Global aber vermehrt sich die Zahl der neuen Fälle jährlich schätzungsweise um 0,6 %. Die Zahl der Neuerkrankungen wird von der WHO im Jahr 2004 auf knapp 9 Millionen, die der Todesfälle auf etwa 2 Millionen geschätzt [8]. Neben demografischen Faktoren wie Bevölkerungswachstum und höherem Alter sowie der zunehmenden Migration sind besonders die Verbreitung der HIV-Infektion und die Zunahme der Medikamentenresistenzen hierfür verantwortlich zu machen [6]. Ersteres vorwiegend in Subsahara-Afrika, zum Teil mit einer TB/HIV-Koinfektionsrate bis zu 75 % [12], aber auch durch die Zunahme der HIV-Infektionen in anderen Ländern, wie Indien, China und Osteuropa [13], ist ein Anstieg der TB/HIV-Koinfektionsrate zu erwarten. Die Entwicklung der Medikamentenresistenzen wirkt sich besonders dramatisch in Osteuropa bzw. in den Ländern der früheren Sowjetunion aus, wo die MDR-Rate bei Neuerkrankungen auf 9,9 % und bei vorbehandelten Fällen auf 39,9 % geschätzt wird [14]. Dies spiegelt sich bereits in Deutschland bei den Patienten aus den Neuen Unabhängigen Staaten (NUS) mit einer MDR-Rate von 15,7 % wider [11]. Eine HIV-Koinfektion dürfte dagegen bei uns in weniger als 5 % der Neuerkrankungen vorliegen [15].

Besonders dramatisch wird die Situation dort, wo HIV/AIDS und Medikamentenresistenzen zusammenkommen, wie eindrucksvoll vor kurzem aus Südafrika geschildert, wo bei HIV-Patienten eine „Extensive Drug Resistance” (XDR) rasch tödlich verlief und auch zur Übertragung auf Beschäftigte im Gesundheitsdienst führte [16].

Die XDR, zunächst definiert als Resistenz mindestens gegen INH und RMP sowie drei der sechs Zweitrangmedikamentengruppen, wurde erstmals im März 2006 von den CDC beschrieben, wobei genauere Daten nur aus drei Ländern vorlagen [17]. In Lettland hatten 19 % der MDR-Fälle eine XDR, in Südkorea 15 % und in den USA 4 %. Nach der aktuellen Definition - MDR plus Resistenz gegen Fluorochinolone und wenigstens ein injizierbares Tuberkulosemedikament (Amikacin, Capreomycin, Kanamycin), die im Oktober 2006 formuliert wurde, zeigt sich, dass eine XDR bereits in vielen Ländern der Welt festgestellt wurde, auch in Deutschland, jedoch sind genaue Raten noch nicht bekannt. In einigen Ländern sind vereinzelt auch schon Fälle mit einer XXDR, einer extremen Resistenz, nämlich gegen alle verfügbaren Erst- und Zweitrangmedikamente, aufgetreten [18].

Die WHO hat daher die „DOTS”-Strategie um sechs zusätzliche Komponenten erweitert („DOTS Expansion”): Erweiterung und Beschleunigung eines hochwertigen „DOTS”-Programms, Ausrichtung auf TB/HIV, MDR-TB und andere Herausforderungen, Verstärkung des Gesundheitssystems, Einbeziehung aller an der Versorgung Beteiligten, Unterstützung der Tuberkulosepatienten, Verstärkung der Forschung [19]. Im Oktober 2006 kamen noch die Forderung nach breiterem Zugang zur Rifampicin-Resistenz-Schnelltestung und nach wirksamen Infektionsschutzmaßnahmen, insbesondere bei HIV-Positiven, hinzu [20].

Zum Erreichen der „Millennium Development Goals” wurde gemeinsam von der „Stop TB Partnership” und der WHO ein globaler „Stop TB”-Plan für die Jahre 2006 bis 2015 aufgestellt [21]. Dieser sieht vor, im Vergleich zu 1990 die Prävalenz der Tuberkulose-Erkrankungen und die Todesfälle bis 2015 um die Hälfte zu reduzieren. Zusätzlich soll eine Verkürzung der Therapiedauer auf 1 - 2 Monate erreicht werden. Um in diesen 10 Jahren 50 Millionen Tuberkulosepatienten erfolgreich zu behandeln und 20 Millionen Todesfälle zu verhindern, ist ein finanzieller Aufwand von 56 Milliarden US-Dollar errechnet worden, wovon 47 Milliarden direkt in die Patientenversorgung und 9 Milliarden in die Erforschung neuer diagnostischer Verfahren, besser wirksamer Medikamente und Impfverfahren investiert werden sollen. 31,5 Milliarden USD sollen von den betroffenen Ländern aufgebracht werden, 21,7 Milliarden, darunter der komplette Forschungsetat, von den Industrieländern. Von Deutschland wird beispielsweise eine Beteiligung mit 2,5 Milliarden US-Dollar erwartet, was jährlich etwa 200 Millionen Euro ausmachen würde (die aktuelle Beteiligung Deutschlands im Jahr 2005 wird auf etwa 100 Millionen Euro geschätzt).

Am 7. April 1910, wenige Wochen vor seinem Tode am 27. Mai, hielt Robert Koch vor der Akademie der Wissenschaften zu Berlin einen sehr nachlesenswerten Vortrag zum Thema „Epidemiologie der Tuberkulose” [22]. Er stellte darin fest, dass sich die Lungenschwindsuchts-Sterblichkeit seit 1882 in Preußen halbiert hatte (von 32 auf nahezu 16 Todesfälle/10 000 Lebende). Als mögliche Ursachen dieser Abnahme führte er mehrere Faktoren an. Neben der Abnahme der allgemeinen Sterblichkeit, dem allgemeinen epidemiologischen Verhalten der Tuberkulose wie dem bei anderen Seuchen, der Entdeckung des ansteckenden Charakters der Schwindsucht, wodurch die Menschen vorsichtiger geworden seien, hebt er die „Isolierung der Phthisiker in Krankenanstalten und die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse, insbesondere des Schlafraumes” hervor. Er schloss seinen Vortrag mit der Forderung nach Verbesserung der epidemiologischen Überwachung (heute „Surveillance” genannt) und der Einrichtung von zusätzlichen Fürsorgestellen und anderweitigen Einrichtungen zur Bekämpfung der Tuberkulose.

Robert Koch unterstreicht damit die große Bedeutung der staatlich zu fördernden Tuberkulosekontrolle sowie der notwendigen Verbesserung der sozialen Strukturen. Beiden Faktoren kommt auch heute noch die entscheidende Rolle in der Bekämpfung der Tuberkulose zu, neben der Entwicklung besserer diagnostischer [23], therapeutischer [24] und präventiver [5] Maßnahmen. Allerdings muss das globale soziale Ungleichgewicht zunächst beseitigt werden [25] [26], um das derzeitig noch utopisch anmutende Ziel der WHO zu erreichen, welche die Tuberkulose bis zum Jahr 2050 eliminieren will [21]. Dazu gilt es, die Kontrollprogramme national und international ständig kritisch zu überprüfen, um Irrtümer, wie eingangs beschrieben, zu korrigieren und um die Strategien zur Tuberkulosebekämpfung aktuellen und zukünftigen Problemen anzupassen.

Literatur

  • 1 Koch R. Die Aetiologie der Tuberculose.  Berliner Klin Wschr. 1882;  15 221-230
  • 2 Ehrlich P. Robert Koch (1848 - 1910).  Frankfurter Allg Zeitung, Pneumologie. 2007;  61 XX
  • 3 Rössle R. Tuberkulose. In: Behring zum Gedächtnis. Berlin: Bruno Schultz 1942: 137-148
  • 4 Mitchison D A. The diagnosis and therapy of tuberculosis during the past 100 years.  Am J Resp Crit Care Med. 2005;  171 699-706
  • 5 Kaufmann S HE, Baumann S, Nasser Edine A. Exploiting immunology and molecular genetics for rational vaccine design against tuberculosis.  Int J Tuberc Lung Dis. 2006;  10 1068-1079
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  • 19 Raviglione M C, Uplekar M W. WHO’s new TB strategy.  Lancet. 2006;  367 952-955
  • 20 Anonymous . Extensively drug-resistant tuberculosis (XDR-TB): recommendations for prevention and control.  Wkly Epidemiol Rec. 2006;  81 430-432
  • 21 Stop TB Partnership and World Health Organization .The Global Plan to Stop TB 2006 - 2015. Genf: World Health Organization 2006
  • 22 Koch R. Epidemiologie der Tuberkulose.  Zeitschr Hygiene und Infektionskrankheiten. 1910;  67 1-18
  • 23 Perkins M D, Roscigno G, Zumla A. Progress towards improved tuberculosis diagnostics for developing countries.  Lancet. 2006;  367 942-943
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  • 25 Murray J F. A century of tuberculosis.  Am J Respir Crit Care Med. 2004;  169 1181-1186
  • 26 Achmat Z. Science and social justice: the lessons of HIV/AIDS activism in the struggle to eradicate tuberculosis.  Int J Tuberc Lung Dis. 2006;  10 1312-1317

Prof. Dr. Robert Loddenkemper

Generalsekretär des DZKLungenklinik Heckeshorn HELIOS Klinikum Emil von Behring

Walterhöferstr. 11

14165 Berlin

Email: loddheck@zedat.fu-berlin.de

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