Der Nuklearmediziner 2007; 30(1): 10
DOI: 10.1055/s-2007-955221
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Molekulare Bildgebung - Facts oder Fiction?

E. Moser1
  • 1Abteilung Nuklearmedizin, Radiologische Universitätsklinik Freiburg
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Publication Date:
14 March 2007 (online)

Die Erfolge in der Medizin der letzten 20 Jahre waren charakterisiert durch den Ansatz, physiologische und pathophysiologische Vorgänge auf molekularer und genetischer Ebene aufzuklären und zu verstehen. Um mithalten zu können, mussten sich ältere Medizinsemester an völlig neue Begriffe gewöhnen und neue Inhalte durch kontinuierliche Fortbildung und Selbststudium erlernen. Phänomene wie Signaltransduktion, Apoptose, Reportergene, Up- und Downregulation von Rezeptoren, Expressionvektoren, Antisensetechniken waren vor 30 Jahren unbekannt. Nicht selten fällt es schwer, aus dem Laborchinesisch die relevanten Informationen zu extrahieren.

Der Zugang zur molekularen Medizin gelingt den Grundlagenwissenschaften verständlicherweise wesentlich leichter, viele revolutionierende Ergebnisse konnten im Labor gewonnen und hochrangig publiziert werden. Leider war eine Übertragung der Erkenntnisse in die Klinik („translationale Forschung”), zum Nutzen des Patienten, bislang weit weniger erfolgreich, der erhoffte Durchbruch bei den Killern der Zivilisationsgesellschaft wie den Malignomen oder den vaskulären Erkrankungen an Herz und Hirn fand bislang nicht statt. Mancher Weg, z. B. in der Gentherapie, hatte sich als falsch, ja sogar als tödlich für den Patienten erwiesen. Trotzdem ist der Weg zum molekularen Verständnis der Medizin prinzipiell richtig.

Wer heute in der medizinischen Forschungslandschaft überleben will, muss auf diesen immer schneller fahrenden Zug aufspringen. Ein Forschungsprojekt ohne molekularbiologischen oder genetischen Ansatz hat heute kaum noch Chancen auf Förderung durch die bekannten Instrumente. Findige Köpfe glaubten auf diesen Trend parieren zu können, indem sie ihrem Fach das Adjektiv „molekular” voranstellten: z. B. molekulare Pathologie, molekulare Gynäkologie, molekulare Endokrinologie. Dies fiel einigen klinischen Disziplinen relativ leicht, z. B. der Inneren Medizin, andere taten sich schon schwerer, z. B. Unfallchirurgie oder Zahnheilkunde. Im Anfang wirkten die Versuche, sich der molekularen Medizin zu nähern, etwas verkrampft. Dies trifft beispielsweise für die Radiologie zu, auch wenn dies die Fachvertreter anders sehen mögen. Der Begriff „molekulare Bildgebung” war geboren, nun musste der Kuchen verteilt und der Begriff mit Leben erfüllt werden.

Nuklearmediziner glauben, dem Anspruch auf Molekulare Bildgebung durch den Hinweis zu verteidigen, dass dieses Fach schon seit seinem Beginn auf molekularer Ebene geforscht und klinisch gearbeitet hat. Gerne wird hier das auf von Hevesy zurückgehende Tracerprinzip ins Feld geführt, wie es exemplarisch in der Anwendung von Radioiod zur Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenerkrankungen zur Anwendung kommt. Je nach dem, wie streng man den Begriff „molekulare Medizin” fasst, mag dies auch zutreffen. Doch molekulare Bildgebung ist mehr. In den letzten Jahren wurde weltweit auf dem Gebiet der „molekularen Nuklearmedizin” geforscht. Dies förderte an einigen Standorten eine Schwerpunktverlagerung: Weg vom Patienten, weg von klinischen Studien, hin zur Grundlagenwissenschaft, zum Experiment im Labor. Diese Entwicklung der Hochschulmedizin wird generell von der Wissenschaftspolitik gefördert, Patienten sind an Universitätsklinika nur in dem Maße erforderlich, wie sie der Forschung und Lehre dienen.

Der Zugang zur molekularen Bildgebung hat Auswirkungen auf alle Bereiche der Nuklearmedizin, auf Gerätetechnik, Radiochemie, Radiopharmazie.

Daher war der Herausgeber dieser Zeitschrift gut beraten, ein Themenheft zu diesem brandaktuellen Thema anzuregen. Es ist gelungen, von ausgewiesenen Experten die verschiedenen Facetten und Aspekte der molekularen Bildgebung in der Nuklearmedizin beleuchten zu lassen. Wenn man versucht zu resümieren, so lässt sich die eingangs gestellte Frage nur so beantworten: In der molekularen Bildgebung unseres Faches gibt es zunehmend Befunde („Facts”) aus dem Labor, aber eine Übertragung der Befunde auf die Klinik (translationale Forschung) ist nach wie vor Wunschtraum („Fiction”). Von diesem Fernziel ist die Nuklearmedizin ebenso weit entfernt wie der Rest der Medizin.

Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. E. Moser

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