Geburtshilfe Frauenheilkd 1992; 52(11): 653-662
DOI: 10.1055/s-2007-1026140
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hormonale Kontrazeption und Substitutionstherapie: Die Bedeutung des Gestagens für kardiovaskuläre Erkrankungen

Oral Contraception and Replacement Therapy: The Significance of the Progestogen for Cardiovascular DiseasesH. Kuhl
  • Abt. für gynäkol. Endokrinologie, Zentrum der Frauenheilkunde und Geburtshilfe der J. W. Goethe-Universität Frankfurt / M.
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Publication Date:
18 June 2008 (online)

Zusammenfassung

Epidemiologische Untersuchungsergebnisse haben gezeigt, daß die Gestagenkomponente in den oralen Kontrazeptiva an der Entstehung von Hochdruck, ischämischen Herzerkrankungen und Schlaganfällen beteiligt ist. Es war angenommen worden, daß atherosklerotische Veränderungen aufgrund der ungünstigen Wirkung von Gestagenen mit androgenen Eigenschaften aufden Fettstoffwechsel dabei eine kausale Rolle spielen. Es hat sich jedoch gezeigt, daß es trotz erniedrigtem HDL und erhöhtem LDL nicht zur Atherosklerose kommt, vermutlich wegen der Induktion der hepatischen LDL- und Remnant-Rezeptoren durch die starke Wirkung des Ethinylestradiols auf die Leber. Eine Reihe von experimentellen und klinischen Befunden deutet darauf hin, daß Vasospasmen als Folge des vasokonstriktorischen Effekts der Gestagene kausal an der Entstehung arterieller Thrombosen beteiligt sind. Auch bei postmenopausalen Frauen, insbesondere bei bestehenden vaskulären Läsionen, kann die zusätzliche Gabe eines Gestagens zur Östrogenbehandlung ischämische Erkrankungen auslösen. Östrogene haben einen sehr ausgeprägten vasodilatatorischen Effekt und stabilisieren den Tonus - durch Änderung der Sensitivität von Endothel und glatten Muskelzellen gegenüber vasoaktiven Substanzen, durch Beeinflussung der Freisetzung der Neurotransmitter aus den Nervenendigungen und durch direkte Blockierung der Kalziumkanäle. Diese Wirkungen sind wesentlich von einem intakten Endothel abhängig. Durch einen direkten Effekt auf die Gefäßwand steigern Gestagene die Sensitivität der Arterien gegenüber vasokonstriktorischen Substanzen und verringern die Durchblutung. Da Aldosteron die Zahl der ß-Rezeptoren in den glatten Muskelzellen erhöht und damit vasodilatatorisch wirkt, kann nicht ausgeschlossen werden, daß Gestagene mit hoher Affinität zum Aldosteronrezeptor und antimineralokortikoiden Eigenschaften einen verstärkten vasokonstriktorischen Effekt haben. Insbesondere bei vorhandenen Gefäßschäden kann ein Überwiegen der vasokonstriktorischen Wirkung der Gestagene akute ischämische Erkrankungen auslösen. Aus diesem Grund sollte bei der Substitutionstherapie die niedrigste effektive Dosis des Gestagens angewandt werden und bei hysterektomierten Frauen auf eine Gestagengabe verzichtet werden. Auch bei der oralen Kontrazeption sollte nicht nur die Dosis des Ethinylestradiols, sondern auch die des jeweiligen Gestagens so weit wie möglich reduziert werden. Die Anwendung gestagendominanter Ovulationshemmer sollte auf besondere Zusatzindikationen beschränkt werden.

Abstract

Epidemiological data have demonstrated, that the progestogen component of oral contraceptives is involved in the development of hypertension, ischaemic heart diseases and stroke. It had been suggested, that atherosclerotic lesions due to the unfavourable effect on lipid metabolism of progestogens with androgenic properties, play a causal role. It has, however, been shown, that there is no development of atherosclerosis despite reduced HDL and elevated LDL, presumably because of the induction of hepatic LDL- and remnant-receptors by the strong effect of ethinyl-oestradiol upon the liver. A series of experimental and clinical fmdings indicates that vasospasms caused by the vasoconstrictory effect of progestogens are involved in the development of arterial thromboses. In postmenopausal women, the additional administration of progestogens to the oestrogen treatment may trigger ischaemic diseases, particularly in the presence of vascular lesions. Oestrogens exercise a pronounced vasodilatory effect and stabilize the vascular tonus - through changes in the responsiveness of endothelium and smooth muscle cells to vasoactive compounds, through modulation of neurotransmitter release from nerve endings, and through direct blocking of calcium Channels. The effects depend essentially on an intact endothelium. By a direct action on the vascular wall, progestogens increase the sensitivity of arteries to vasoconstrictory compounds and reduce blood flow. As aldosterone increases the number of ß-adrenergic receptors in the arterial smooth muscle cells and thus act vasodilatorily, it cannot be excluded, that progestogens with high affinity to the aldosterone receptor and antimineralocorticoid properties, may exert a strong vasoconstrictory effect. If vascular lesions are present, predominance of the vasoconstrictory action of progestogens may cause acute ischaemic attacks. Therefore, the lowest effective dose of the progestogen has to be used for replacement therapy, and in hysterectomized women, the additional administration of progestogens should be avoided. Similarly, not only the dose of ethinylestradiol, but also that of the respective progestogen in oral contraceptives should be reduced as far as possible. The use of progestogen-dominant ovulation inhibitors should be restricted to cases with an additional indication.

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