Rehabilitation (Stuttg) 2008; 47(2): 131-132
DOI: 10.1055/s-2007-1004597
Bericht

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Bericht zum 2. Reha-Symposium des Netzwerkes Rehabilitationsforschung in Bayern e. V. im Oktober 2007 in Prien zum Thema „Chronische Erkrankung und berufliche Realität - Neues zur medizinisch-beruflichen Rehabilitation”

Report of the 2nd Rehab Symposium of the Bavarian Rehab Research Network NRFB Oct. 2007 in Prien on “Chronic Illness and Occupational Realities - Current Issues of Medical-Vocational Rehabilitation”A. Hillert 1 , S. Koch 1 , H. Faller 2
  • 1Medizinisch-Psychosomatische Klinik Roseneck, Prien am Chiemsee
  • 2Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie der Universität Würzburg, Arbeitsbereich Rehabilitationswissenschaften
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Publication History

Publication Date:
28 March 2008 (online)

Unter dem Thema „Chronische Erkrankung und berufliche Realität - Neues zur medizinisch-beruflichen Rehabilitation” fand am 19. und 20. Oktober 2007 das 2. Reha-Symposium des Netzwerks Rehabilitationsforschung in Bayern e. V. (NRFB) in der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee statt. Das mit 80 Teilnehmern auch aus anderen Bundesländern gut besuchte Symposium imponierte insbesondere durch die offene, zu regem Austausch und Diskussion auch problematischer Themen anregende Atmosphäre. Zu dieser Atmosphäre trug auch das musikalische Rahmenprogramm (Regine Jurda, Mezzosopran, und Christina Lemnitz, Klavier) bei, das zudem der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft an Erwin Mahn, Mitbegründer und ehemaliger Vorsitzender des NRFB, einen würdigen Rahmen gab.

Nach Eröffnung des Symposiums durch den NRFB-Vorsitzenden Werner Krempl, Erster Direktor der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Ober- und Mittelfranken, Bayreuth, referierte zunächst Marco Streibelt, Lehrstuhl für Versorgungssystemforschung und Qualitätssicherung in der Rehabilitation, Charité- Universitätsmedizin Berlin, über die Evidenz berufsbezogener Maßnahmen in der medizinischen Rehabilitation. Sein Vortrag beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit der Rehabilitation muskulo-skeletaler Erkrankungen und berücksichtigte auch internationale Entwicklungen. Es wurde deutlich, dass in Literatur und Praxis zwar eine Vielzahl von berufsbezogenen Therapieangeboten erwähnt bzw. praktiziert wird, dass jedoch methodisch tragfähige Wirksamkeitsnachweise erst in Ansätzen vorliegen.

Ausgehend von der Konzeption und ersten Ergebnissen eines Projektes zur „Beruflichen Orientierung in der medizinischen Rehabilitation von Langzeitarbeitslosen”, stellte Hans-Dieter Wolf vom Arbeitsbereich Rehabilitationswissenschaften am Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie der Universität Würzburg ein neues Behandlungskonzept für arbeitslose Rehabilitationspatienten vor. Das Konzept fokussiert mit verhaltensmedizinischer Therapie, Sozialberatung, Belastungserprobung, Bewerbungstraining und Unterstützungsangeboten zur beruflichen Reintegration auf die spezifischen Probleme der sozialmedizinischen Risikogruppe der Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Nach Abschluss einer ersten Erprobungsphase wird es im Rahmen des durch die DRV Bund und die DRV Unterfranken geförderten Projekts darum gehen, das Behandlungskonzept zu überarbeiten, zu evaluieren und in Form eines Handbuches aufzubereiten.

Dirk Lehr vom Institut für Medizinische Psychologie der Philipps-Universität Marburg zeigte anhand umfangreicher Untersuchungen zum Thema „Wenn der Beruf mehr verlangt als er gibt - Evidenz zur beruflichen Gratifikationskrise und Gesundheit” auf, dass es gerade das Erleben eines Ungleichgewichts von beruflichem Engagement und beruflich erfahrener Gratifikation ist, das Einfluss auf das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, insbesondere aber auch für psychische und psychosomatische Störungen nimmt. Hinsichtlich der Effort-Reward-Imbalance, gemessen mit dem von J. Siegrist entwickelten Fragebogen zur Erfassung beruflicher Gratifikationskrisen (ERI), unterschieden sich z. B. gesunde und psychosomatisch erkrankte Lehrkräfte deutlich. Ein Vorteil des Modells liegt nicht zuletzt in den daraus ableitbaren konkreten therapeutischen Implikationen.

Andreas Hillert von der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck (Prien am Chiemsee), diskutierte zum Abschluss des ersten Tages aktuelle Konzepte und Befunde zum Burnout-Phänomen. Dabei wurde die Diskrepanz zwischen der großen Popularität des Burnout-Begriffs, auch unter Therapeuten und Ärzten, und fundamentalen, bis heute ungelösten konzeptuellen und definitorischen Problemen des Phänomens deutlich. Die prägnanten Implikationen des Begriffes und die als wenig stigmatisierend erlebte Qualität haben maßgeblich zu seiner Popularisierung beigetragen. Wissenschaftlich gesehen ist eine Operationalisierung im Sinne der ICD-10 nicht zu erwarten; konsequenterweise ist Burnout dort auch nur als Zusatzkodierung (ICD-10 Z73) aufgeführt. Eine adäquate konzeptuelle (und damit auch politische) Thematisierung der zumal für psychisch vorbelastete Menschen gravierenden negativen Implikationen der aktuellen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt wird durch den wissenschaftlich unhaltbaren, letztlich von jedem Betroffenen selbst definierten Burnout-Begriff zumindest nicht erleichtert.

Am zweiten Tag lud zunächst die Abteilung Sozialtherapie der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Roseneck zu einem „Forum Sozialtherapie” ein, das unter dem plakativen Thema „Wegen Ihrer beruflichen Probleme gehen Sie am besten zur Sozialtherapie!” stand. Moderiert von Anke Marienfeld, Prien am Chiemsee, stellten knapp 20 sozialtherapeutische Mitarbeiter von Rehabilitationseinrichtungen und Kliniken die berufsbezogenen Therapieangebote ihrer Einrichtungen vor. Individuelle sozialtherapeutische Beratungsgespräche sind Standard. Als Gruppenangebote sind in vielen Kliniken Bewerbungstrainings üblich, wobei aber Inhalte (von „reinen” Bewerbungstrainingsgruppen bis zu „Sozialen Gruppen”, die sozialrechtliche Fragen, Arbeitsplatzsuche, Bewerbungsformalitäten und Rollenspiele beinhalten) und zeitlicher Rahmen erheblich variieren. Im Rahmen der Diskussion über „Berufliche Belastungserprobungen” zeigte sich, dass diese trotz hoher Plausibilität und nachgewiesener Effizienz (zumindest in der Psychosomatik) im engen personellen wie zeitlichen Rahmen der stationären Rehabilitation derzeit bestenfalls einem Bruchteil der Patienten angeboten werden können. Möglichkeiten, im Einzelfall mit dem jeweiligen Kostenträger Sonderregelungen zu vereinbaren, wurden erörtert. Konsens bestand dahingehend, dass eine gute Vorbereitung und sozialpädagogische Begleitung bei stufenweisen Wiedereingliederungen wichtig wären, bislang aber - auch aufgrund diverser Schnittstellenprobleme - vielfach nur unzureichend erfolgen. Derzeit wird vor allem mit den Rehabilitationsberatern der Kostenträger als externen Beratern zusammengearbeitet; daneben können - mit unterschiedlicher Effizienz - aber auch Beratungsdienste und Testungen der Bundesagentur für Arbeit genutzt werden. Neben inhaltlichen und konzeptuellen Fragen dieser Art wurde deutlich, unter welch schwierigen Bedingungen derzeit sozialtherapeutische Arbeit stattfindet. In vielen Kliniken ist ein Sozialtherapeut bzw. eine Sozialtherapeutin für mehr als 100 Patienten zuständig und wird zudem nicht selten erst dann konsultiert, wenn die sozialen Probleme von Patienten nicht mehr zu übersehen sind. Insgesamt bot die offene Diskussion wertvolle Anregungen zur Optimierung sozialpädagogischer Angebote in der Rehabilitation und die Aussicht auf einen künftigen fachlichen Austausch.

Im anschließenden Vortrag stellte Stefan Koch von der Klinik Roseneck die „Entwicklung und Evaluation eines berufsbezogenen Schulungskonzeptes für die medizinische Rehabilitation” vor. Konkret ging es um die in sechs Kliniken im Förderschwerpunkt Rehabilitationswissenschaften der DRV Bund durchgeführte kontrollierte Evaluation eines auf fünf Doppelstunden angelegten „Gesundheitstrainings Stressbewältigung am Arbeitsplatz (GSA)” für beruflich belastete orthopädische und kardiologische Rehabilitationspatienten. Das fünf berufliche Themenschwerpunkte behandelnde Programm erwies sich dabei als praktikabel; die entsprechenden Bewertungen durch die Teilnehmer waren durchgehend positiv. Zwar demonstrieren psychometrische Ergebnisse (insbesondere anhand der Arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster) Vorteile der berufsbezogenen Intervention. Die insgesamt geringe therapeutische Gesamtdosis und der niederschwellige, dementsprechend auch viele Patienten ohne schwerwiegende berufliche Probleme berücksichtigende Zugang dürfte jedoch die Wirksamkeit bezüglich anderer Outcomes, u. a. der beruflichen Wiedereingliederungsquote, limitiert haben.

Stefan Löffler vom Arbeitsbereich Rehabilitationswissenschaften am Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie der Universität Würzburg stellte das „Würzburger Screening zu beruflichen Problemlagen” vor. Als Ergebnis eines Umsetzungsprojektes im Förderschwerpunkt Rehabilitationswissenschaften der DRV Bund konnte die Arbeitsgruppe ein drei Skalen (Berufliche Belastungen, Subjektive Erwerbsprognose und Interesse an berufsbezogenen Therapieangeboten) mit insgesamt acht Items umfassendes Instrument vorlegen, das sich mit guter innerer Konsistenz der Skalen und hinreichender Trennschärfe der Items für den handlichen Einsatz in der Praxis anbietet. Anhand von über 3500 gescreenten Rehabilitanden aus Orthopädie, Kardiologie, Pneumologie und Psychosomatik erwies sich das „Würzburger Screening” als sensitiv und spezifisch zur Identifikation beruflicher Risikopatienten.

Christian Gerlich vom Arbeitsbereich Rehabilitationswissenschaften am Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie der Universität Würzburg gab ausgehend von einer breit angelegten, in zwei Schritten durchgeführten Befragung deutscher Rehaeinrichtungen einen Überblick über das aktuell in Rehakliniken angebotene Repertoire an berufsbezogenen Behandlungsangeboten und glich diese mit den aktuellen KTL-Schlüsseln ab. Rüdiger Zwerenz aus der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz widmete sich abschließend dem Thema „Berufsbezogene Therapiemotivation in der Rehabilitationsbehandlung”. Hierzu skizzierte er sehr anschaulich aktuelle Konzepte zum Phänomen Motivation, konkretisierte diese auf das spezielle berufliche Thema hin und stellte den Fragebogen zur berufsbezogenen Therapiemotivation (FBTM) vor, bevor er auf therapeutische Möglichkeiten zur Problematisierung und Verbesserung der Therapiemotivation einging.

Drei inhaltlich innovative Posterpräsentationen wurden jeweils mit gleichwertigen Posterpreisen ausgezeichnet. Preisträger waren Matthias Bethge, Berlin - Thema: „Berufliche Gratifikationskrisen und Beeinträchtigungen der Teilhabe”, Gabriele Hiller, Prien - Thema: „Psychosomatische Erkrankung und berufliche Realität im Polizeidienst”, sowie Karin Meng, Würzburg, mit dem Thema: „Entwicklung eines Fragebogens zum Interesse an berufsbezogenen Maßnahmen bei Arbeitslosen”.

In der abschließenden Diskussion wurde deutlich, dass sich der Stellenwert berufsbezogener Behandlungsangebote in der Rehabilitation nachhaltig ändern muss, zumal um medizinisch und/oder psychosomatisch stark belasteten Patienten die Chance zu geben, den Anschluss auf dem Arbeitsmarkt nicht zu verpassen. Dass Rehabilitationsbehandlungen ohne eine dezidierte Thematisierung und therapeutische Bearbeitung beruflicher Probleme schon heute nicht mehr als zeitgemäß gelten, kann durchaus auch als Erfolg des Förderschwerpunkts Rehabilitationswissenschaften sowie der daraus hervorgegangenen Nachfolgeorganisationen betrachtet werden, so auch des NRFB. Beim 3. Reha-Symposium im Herbst 2008 in Würzburg soll angesichts des großen Zuspruch insbesondere auch das Forum Sozialtherapie eine Fortsetzung finden.

Korrespondenzadresse

PD Dr. Dr. Andreas Hillert

Medizinisch-Psychosomatische Klinik Roseneck

Am Roseneck 6

83209 Prien am Chiemsee

Email: ahillert@schoen-kliniken.de

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