Fortschr Neurol Psychiatr 1992; 60(11): 441-448
DOI: 10.1055/s-2007-1000667
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die neue Euthanasie-Diskussion aus psychiatrischer Sicht

The new Discussion on Euthanasia - a Psychiatric ApproachH.  Lauter1 , J. E. Meyer2
  • 1Psychiatrische Klinik rechts der Isar der Technischen Universität München
  • 2Psychiatrische Klinik der Universität Göttingen
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Publication History

Publication Date:
10 January 2008 (online)

Abstract

The practice to kill terminally ill patients on their own demand has resulted in the Netherlands in a decriminalisation of active euthanasia which thus has fundamentally changed the way to deal with dying patients. Sooner or later this development will extend to other European countries as well as to the USA. Involuntary euthanasia of severely handicapped newborn children or of demented persons is propagated by the practical ethics of P. Singer and other representatives of utilitarianistic philosophy. According to the standpoint of utilitarianism a human being should only have the right to live as long as he or she is a person, i. e. has rationality and self-consciousness. The next step toward the elimination of elderly people can easily be predicted. For economical reasons these persons may be withheld from lifesaving medical treatment or may be supposed to commit suicide. A moral pressure is created to make a decision for suicide as soon as severe invalidity occurs. The consideration of such ideas shows that in today's debate on euthanasia the issue is no longer the right of a few severely and terminally ill human beings to their "own death". Instead, the right to live of a large group of handicapped and "socially useless" or "unproductive" persons is at stake. This is the danger of today's discussion of euthanasia.

Zusammenfassung

Mit der Freigabe der Tötung auf Verlangen hat in Holland bereits eine Entkriminalisierung der aktiven Euthanasie eingesetzt, welche die bis dahin übliche Sterbehilfepraxis grundlegend verändert hat. Über kurz oder lang wird diese Entwicklung auch auf andere europäische Länder und amerikanische Bundesstaaten übergreifen. Der unfreiwilligen Euthanasie schwerbehinderter Neugeborener oder dementer Personen ist durch die praktische Ethik Singers und anderer Vertreter des Utilitarismus der Weg bereitet. Einen Schutz des Lebensrechts sollen Menschen aus der Sicht des Utilitarismus nur dann genießen können, wenn sie Personen sind, d. h. über Rationalität und Selbstbewußtsein verfügen. Darüber hinaus ist die Eliminierung alter Menschen bereits vorgezeichnet, denen ohne Rücksicht auf ihre individuellen Wünsche aus Gründen ökonomischer Rationalisierung lebensrettende medizinische Behandlungsmöglichkeiten vorenthalten werden sollen oder für die alternativ eine fremdbestimmte Selbsttötung vorgesehen ist. Es wird ein moralischer Erwartungsdruck erzeugt, sich beim Eintritt einer schweren Behinderung zur Selbsttötung zu entschließen. Wenn solche planerischen Vorstellungen überhaupt ins Auge gefaßt werden, so zeigt dies, daß es bei der heutigen Sterbehilfedebatte gar nicht mehr um das Recht einiger weniger schwerkranker und sterbender Menschen auf ihren eigenen Tod geht, sondern daß das Lebensrecht einer sehr großen Gruppe behinderter und für den Produktionsprozeß unbrauchbarer Menschen auf dem Spiel steht. Darin besteht die große Gefahr der heutigen neuen Euthanasie-Diskussion.

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