PiD - Psychotherapie im Dialog 2007; 8(1): 1-2
DOI: 10.1055/s-2006-951980
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Unentbehrlich, weil einzigartig?

Wolfgang  Senf, Volker  Köllner, Henning  Schauenburg
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Publication Date:
13 March 2007 (online)

Mit diesem PiD-Heft greifen wir bewusst in eine Diskussion ein, die in den kommenden Jahren heftiger geführt werden wird. Es geht um die Zukunft der Stationären Psychotherapie auf einem sich neu formierenden Gesundheitsmarkt. Um was es dabei geht? In Deutschland werden Patienten mit psychosomatischen und psychischen Erkrankungen, wenn eine Krankenhausbehandlung angezeigt ist, in rund 400 Krankenhäusern für Psychiatrie und Psychotherapie mit rund 55 000 Betten, in ca. 80 Kliniken für Psychosomatik und Psychotherapie mit 3200 Betten oder in 175 Fachkliniken für Psychosomatische Rehabilitation mit 14 800 Betten behandelt, nach wie vor werden darüber hinaus ungefähr 35 % der Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen in der somatischen Medizin stationär aufgenommen. Die Zahlen variieren je nach Veröffentlichung, die Größenordnungen stimmen. Wo liegen die Probleme dabei? Vor allem in dem Druck einer zunehmenden Ökonomisierung in der gesamten Medizin, wobei kurzfristigen Einspareffekten häufig der Vorrang vor der Förderung nachhaltiger Entwicklungen gegeben wird.

Zuallererst kostet stationäre Psychotherapie Geld, das von den Krankenkassen oder von den Rentenversicherungsträgern aufgebracht werden muss. Da wird nicht nur argumentiert, dass das zu teuer sei, sondern auch, dass es stationäre Psychotherapie in dieser Form und diesem Ausmaß nur in Deutschland gebe, und es folgt die Frage, ob dieser Sonderweg effektiv und notwendig sei. Dabei wird übersehen, dass wir von ausländischen Fachkollegen nicht nur für unser gesamtes Versorgungssystem Psychotherapie, auch in der stationären Anwendung, beneidet werden, sondern auch als Vorbild dienen, wie z. B. die gegenwärtige Entwicklung in China zeigt, über die in PiD berichtet wurde (PiD 5, Heft 4, 2004). Eigentlich sollten wir also stolz darauf sein, dass in unserem Gesundheitssystem jeder Patient ein Anrecht auf eine qualifizierte fachpsychotherapeutische Behandlung hat, wie für somatische oder psychiatrische Behandlungen auch. Und dies nicht durch ausschließliche Eigenfinanzierung wie in anderen Ländern, sondern im Rahmen der üblichen Kassenleistungen. Dass es hier z. T. Reformbedarf gibt, und das gilt natürlich auch für die stationäre Psychotherapie, darauf haben wir in PiD mehrfach hingewiesen.

Inzwischen sieht es so aus, als würden die finanziellen und die klinischen Zuständigkeiten zwischen verschiedenen Interessengruppen hin und her geschoben bzw. gezogen. Die Leistungserbringer im System, also Krankenhäuser und Rehabilitationskliniken, tragen konkurrierende Standpunkte vor, wohin nun die stationäre Psychotherapie gehöre: Ist stationäre Psychotherapie Krankenbehandlung oder Rehabilitation? Die Kostenträger streiten sich ebenfalls, nämlich um die Frage, wer was zu bezahlen hat. Das sind Probleme, durch die die Kolleginnen und Kollegen in den psychotherapeutischen Krankenhäusern in den z. T. heftigen Auseinandersetzungen mit den Medizinischen Diensten der Krankenkassen unnötig viel Zeit und Kraft verlieren. Diese Streits um Kostenübernahmen enden oft erst vor den Sozialgerichten, meist im Nachhinein, d. h. nach erbrachter, aber eben nicht bezahlter Leistung.

Warum diese Diskussion in der PiD? Wir denken, wir müssen das Thema aufgreifen. In den Jahrzehnten scheinbar grenzenlosen Wohlstandes und ökonomischen Wachstums unserer Gesellschaft hatten wir, die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die weltweit einzigartige Chance, die wissenschaftlich begründete Psychotherapie als anerkannte Heilmethode in der medizinischen Versorgung nachhaltig, strukturell zu implementieren. Stichworte sind die ärztliche Approbations- und Weiterbildungsordnung, das Psychotherapeutengesetz für Psychologen sowie das Finanzierungssystem. Qualifizierte Fachpsychotherapie ist unverzichtbarer Bestandteil unserer medizinischen Versorgung. Dies alles erscheint wegen kurzsichtiger, vor allem auch finanzieller Partikularinteressen gefährdet. Und dies betrifft zunächst eben auch die stationäre Psychotherapie.

Lösungen können wir mit diesem Heft wohl kaum bieten, das zeigt die Kontroverse unter Standpunkte, die wir hiermit nur präsentieren können, in der Hoffnung, dass sie zukünftig konstruktiv geführt wird. Wir möchten mit diesem Heft dazu beitragen, dass diese Diskussionen zumindest öffentlich und transparent stattfinden (Um dies in größtmöglicher Weise zu gewährleisten, ist die gesamte Standpunkte-Diskussion im Internet frei zugänglich unter www.thieme.de/pid).

Indem wir weiter zeigen, was stationäre Psychotherapie eigentlich ist und was damit geleistet wird, können wir eine Grundlage für eine rationalere Auseinandersetzung schaffen. Um ein solch differenziertes Instrumentarium wie die stationäre Psychotherapie mit der gebotenen Effektivität nutzen zu können, ist die Vernetzung zwischen ambulant und stationär tätigen PsychotherapeutInnen notwendig. Grundlage hierfür ist das Wissen über Indikationen, Wirkprinzipien und Nebenwirkungen stationärer Psychotherapie. Ein Problem unseres Gesundheitswesens ist nach wie vor ein zu geringer Informationsfluss zwischen dem ambulanten, stationären und rehabilitativen Sektor. Ein zentrales Anliegen dieses Themenheftes ist es daher auch, über aktuelle Konzepte und Entwicklungen im Bereich der Psychotherapie sowie über Möglichkeiten der Vernetzung zu informieren und so den Dialog zwischen den Sektoren ebenso zu fördern wie den zwischen den therapeutischen Grundorientierungen. Wichtig ist, dass wir uns alle, ob im ambulanten oder im stationären Sektor, klar machen, wie wir uns unsere gemeinsame psychotherapeutische Zukunft vorstellen.

Zuletzt: Wir haben uns entschlossen, ab dieser Ausgabe die Möglichkeit anzubieten, Fortbildungspunkte im Rahmen der CPE (Continuous Professional Education) zu erwerben. In Zukunft werden bis zu 6 Punkte zu erwerben sein. Wir hoffen, dass wir mit diesem Schritt vielfach geäußerten Wünschen entgegenkommen. Ausführliche Anleitungen zum Vorgehen finden Sie im Heft.

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