PiD - Psychotherapie im Dialog 2006; 7(4): 448-449
DOI: 10.1055/s-2006-951887
Kommentar
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Brief an die Herausgeber

Kommentar zu „Achtsamkeit und Akzeptanz” (PiD Heft 3, September 2006)
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Publication Date:
29 November 2006 (online)

Mit dem Heft 3/2006 hat PiD einen aus meiner Sicht sehr bedenklichen Weg eingeschlagen. Er führt weit hinter den Punkt zurück, an dem PiD es in Heft 2/2005 Autoren wie Heiner Keupp ermöglichte, „Die gesellschaftlich ambivalente Funktion von Psychotherapie” zu diskutieren. Meine Bedenken haben nichts mit dem Thema - „Achtsamkeit und Akzeptanz” - zu tun. Ich selber leite in meiner Klinik zwei psychotherapeutische Stationen, von denen die eine psychodynamisch arbeitet und die andere DBT-orientiert - was zu sehr viel „Psychotherapie im Dialog” führt, wie sich leicht vorstellen lässt -, und deshalb weiß ich die Vorzüge einer therapeutischen Arbeit mit Achtsamkeit und Akzeptanz zu schätzen. Die Bedenken haben zu tun mit Art und Weise, in der die Autoren eine spezielle therapeutische Haltung vorgestellt haben, aus der wiederum eine spezifische Therapeutik sich ableitet, ohne beides vor dem sozioökonomischen Hintergrund zu reflektieren, an den es gebunden ist. Warum aber sollte dies gerade bei „Achtsamkeit und Akzeptanz” so wichtig sein?

Ich gehöre zur gleichen Altersgruppe wie die meisten Autoren des Heftes und es ist zu vermuten, dass sie ähnlich wie ich in ihrer beruflichen Sozialisation zumindest die Ausklänge einer Zeit mitbekommen haben, in der die Entscheidung, Psychotherapeut zu werden, für manche eng verknüpft war mit der Vorstellung, „aus der Krankheit eine Waffe” zu machen. Für Deutschland hätte das bedeutet, dass - wie in den ausgebeuteten Ländern jenseits der Meere - auch wir unsere krankmachende Entfremdung spätestens dann bekämpfen würden, wenn der Leidensdruck groß genug wäre. Dann würden progressive Psychiater und Psychotherapeuten als Befreiungshelfer für unsere ,innere 3. Welt‘ zur Stelle sein. Man dachte nach - so ein zeitgenössischer Titel - über „Die Funktion des Arztes als Sachwalter des Kapitals und deren Aufhebung”. Das Ganze hieß damals übrigens „Verelendungstheorie”, war unethisch und hätte heutzutage schlicht zu wenig Charme, um noch als Ideologie zu taugen.

Heute dagegen wird es im psychiatrisch-psychotherapeutischen Diskurs immer populärer, dem Patienten „Radikale Akzeptanz” zu empfehlen. Diese bedeutet, dass „der Betroffene daran arbeitet, sowohl die Ausweglosigkeit der Problemlage zu akzeptieren als auch seine emotionale Reaktion darauf. (…) Die Folge ist eine Linderung der Not, des Leidens und Entsetzens. Denn Leiden entsteht immer dann, wenn ein wie auch immer gearteter - auch emotionaler - Schmerz nicht akzeptiert wird. Radikale Akzeptanz ist damit die Fähigkeit, sich selbst und seine Umgebung wahrzunehmen, ohne zu erwarten, dass die Person selbst oder die Umgebung anders sein sollten - entsprechend dem Konzept des Zen ,Alles ist, wie es sein sollte‘” (Stiglmayr et al. in PiD Heft 3/2006). Man soll diesem Konzept kein Unrecht tun - es wurde entwickelt zur Stärkung des Selbstmanagement schwer Persönlichkeitsgestörter und ist dort Gold wert. Aber man muss auch wahrnehmen, dass es mittlerweile als völlig störung-unspezifischer Behandlungsansatz verbreitet wird - und genau dies ist im letzten Heft geschehen. In Zeiten zunehmender sozioökonomischer Verelendung und Marginalisierung hat dieses Konzept offensichtlich viel Charme.

In der Psychotherapie ändern sich die Paradigmen ähnlich wie in anderen Bereichen der Kultur im Wechselspiel mit den Veränderungen herrschender gesellschaftlicher Strukturen. Das Paradigma des geheilten Patienten in der Psychotherapie unserer neoliberalen Gegenwart scheint der Mensch zu sein, der nie anders als autonom gewesen ist, den man in der Behandlung nur immer wieder zur Nutzung seiner Freiheit auffordern muss. Eigenverantwortlichkeit - dieses neo-liberale Unwort: Eigenverantwortlichkeit im Umgang mit gesellschaftlich mitverursachtem Leiden ist angesagt in diesen Zeiten, in denen Lebensrisiken zunehmend privatisiert werden. Von denjenigen, die von der Deregulierung profitieren, darf Entschädigung durch Versorgung nicht mehr erwartet werden. Der Produktionsbereich „Instandhaltung menschlicher Ressourcen” wurde ausgelagert: Selbstfürsorge is the new outsourcing. Und das heißt: „Lernen, Üben, Selbermachen”. Der Zynismus des Leitspruchs „Jeder ist seines Glückes Schmied” wird dank der Deregulation der sozialen Systeme mehr und mehr seiner menschenfreundlichen Masken entkleidet, je deutlicher wird, wie ungleich das Eisen verteilt ist, das zum Schmieden zur Verfügung steht.

Psychotherapeuten kamen letztlich noch nie um die Feststellung herum, dass sie auf zwei Hochzeiten tanzen. Sie üben Funktionen aus sowohl für den Patienten mit seinem Wunsch nach einem heilsamen Selbstobjekt als auch für die jeweilig vorherrschenden gesellschaftlichen Kräfte mit ihren Bedürfnissen nach Ruhe und Sicherheit in Zeiten wachsender sozialer Spannungen.

Die idealisierende Übertragung des Patienten auf den Therapeuten gleich welcher methodischer Herkunft ist notwendige Voraussetzung für seine Wirksamkeit; sie ist gleichzeitig eine Gefahr, denn in ihrem psychologischen Kern macht die idealisierende Übertragung keine Unterscheidung hinsichtlich der Moral des Idealisierten. Es wäre ein Gebot der Fairness für den Therapeuten, der Techniken wie Achtsamkeit und Akzeptanz vermittelt, auf diesen Umstand einer besonderen Beziehungsqualität hinzuweisen und es ausdrücklich dem Patienten anheim zu stellen, seine Anregungen ethisch zu bewerten. Und er würde dadurch - sich selbst und seinen Patienten gegenüber - anerkennen, dass das, was dort in einer gewöhnlichen Psychotherapie geschieht, gesellschaftlich sehr relevant ist.

In meinem klinischen Bereich gehört es zur Psychoedukation, die Patienten eben darauf aufmerksam zu machen, unsere Rolle als Anbieter von Selbstmanagement-Techniken soziokulturell einzuordnen und unsere Produkte einzustellen in eine Reihe von Alternativen, die ebenfalls zu einer Verbesserung von Selbstwirksamkeit führen können: zum Beispiel gesellschaftliches Engagement, angefangen bei katholischer Ehrenamtlichkeit bis hin zu Autonomer Antifa.

Dem üblichen von Hartz-IV bedrohten Patienten unseres Behandlungsalltags, dem die psychischen Kompensationsmöglichkeiten seiner neurotischen Entwicklung oder seiner Persönlichkeitsstörung zusammengebrochen sind angesichts der mittelbaren Auswirkungen der sozioökonomischen Umverteilung, die ihn treffen - diesem Patienten vorzuschlagen, zu akzeptieren, dass ,Alles ist, wie es sein sollte‘, hätte den zynischen Charme, der einem Banken-Vorstand gut anstehen würde.

Sollten es die Autoren des letzten Heftes in ihrer Praxis anders halten, wäre es gut gewesen, sie hätten darauf hingewiesen.

Dr. med. Willy Herbold (Göttingen)