PiD - Psychotherapie im Dialog 2006; 7(4): 446-447
DOI: 10.1055/s-2006-951851
Kommentar
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Denn es könnte sein, was nicht sein dürfte … - und was dann?

Kommentar zum Beitrag von H. S. Schindler und A. von Schlippe: „Psychotherapeutische Ausbildung und psychotherapeutische Praxis” (PiD Heft 3 2006)
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Publication Date:
29 November 2006 (online)

Ich greife die Anregung im Vorspann des o. g. Beitrags (von wem stammt der Vorspann? Offenbar nicht von den Autoren, denn die würden vermutlich nicht über sich in der dritten Person reden) gerne auf - zu einer Diskussion für/über die Zukunft der Psychotherapie. Und dafür bietet der Beitrag eine gute Ausgangsposition, denn in meinen Augen stellt er sich dar als eine Art Selbstbeschreibung kassenzugelassener PsychotherapeutInnen. Und so möchte ich kurz, in vier Punkten und einer Anmerkung, dazu meine Meinung sagen.

Ich gehe nicht darauf ein, ob die Untersuchung „methodisch rein und einwandfrei” ist, die Ergebnisse „die Realität” abbilden, sondern ich gehe davon aus, dass - egal, ob das so ist oder nicht - die Ergebnisse immer auch ein Stück Wirklichkeit beschreiben, selbst wenn mir diese Beschreibung nicht gefallen sollte. Denn es geht um Anregungen für die Zukunft.

Meinen Ausgangspunkt bildet der Abschnitt „Selbstbeschreibungen der eigenen Tätigkeit”, denn er benennt in meinen Augen das, was auch ich in meiner Praxis (systemisch-lösungsorientiertes Arbeiten) erlebe - mit dem Unterschied, dass ich eine Approbation und keine Kassenzulassung habe, denn ich wollte auch nach Inkrafttreten des PTG die Art der therapeutischen Arbeit fortsetzen, die ich bis dahin etwa 26 Jahre (erfolgreich) gemacht hatte. Und, wie „die Wirklichkeit” zeigt, wird diese (meine etwas andere) Arbeit immer wieder auch von Kassen bezahlt.

Für mich ist es wichtig zwischen Qualität, Wirksamkeit und Zufriedenheit zu unterscheiden.

Dazu fällt mir als erstes immer ein Aspekt ein, auf den Hubble et al. (2001, S. 323f) hingewiesen haben: „Sie können es glauben oder nicht, aber die bestehenden ethischen Codizes der drei größten nichtmedizinisch orientierten Organisationen psychosozialer HilfeanbieterInnen in den Vereinigten Staaten … fordern weder, dass TherapeutInnen wirksam praktizieren, noch dass sie wenigstens ihre Praxis irgendeiner systematischen oder fortlaufenden Ergebniserhebung unterziehen. Vielmehr ist alles, was verlangt wird, dass TherapeutInnen innerhalb der Grenzen ihrer Kompetenz und Erfahrung praktizieren … Bislang galt die Annahme, dass Kompetenz Wirksamkeit gebiert. So seltsam es jedoch auch klingen mag, eine Therapie kann kompetent durchgeführt werden und dennoch ineffektiv sein.”Für mich ergibt sich daraus die Frage, ob eine Orientierung an einer wie auch immer definierten „Qualität” ausreicht, um die Wirksamkeit von Psychotherapie zu beschreiben. Offenbar ist dieser Zusammenhang nicht so eindeutig, wenn ich das Zitat ernst nehme.Dafür spricht auch, dass die PraktikerInnen, wie die Befragung zeigt, offenbar etwas anderes machen als das, was „vorgesehen” ist - vermutlich, um eine bestimmte Wirksamkeit zu erreichen. Psychotherapie hat immer einen ganz wesentlichen Bestandteil, ohne den sie gar nicht funktionieren könnte: die KlientIn! Das scheint gelegentlich übersehen zu werden. Die Bedeutung der KlientIn hat bereits Klaus Grawe deutlich herausgestellt: „Grawe (1995) gibt an, dass die Einschätzungen der Patienten im Stundenbogen … sehr hoch mit dem Therapieergebnis zusammen[hängen]. Etwa 50 % der Varianz im Therapieerfolg können durch die Einschätzungen der Patienten im Patientenstundenbogen aufgeklärt werden. Dies entspricht einer Korrelation von r ≈ 0,707” (Hargens 2005, S. 21).Das bedeutet für mich, dass es von entscheidender Bedeutsamkeit für die Wirksamkeit sein könnte, eben diese KlientIn immer wieder selber zu fragen - zumal es ein weiteres, empirisch gut abgesichertes Ergebnis zur Wirksamkeit gibt: „Es gibt keinen einzigen empirischen Beleg dafür, dass lange Therapien irgendetwas Positives bewirken, was nicht mit kürzeren Therapien gleich gut oder besser erreicht werden kann” (Grawe et al. 1993, S. 696).Kein Wunder, so ließe sich folgern, dass die therapeutische Beziehung eine große Rolle spielt. Schätzungen sprechen von 30 % der Varianz. Dabei gilt es allerdings auch, im Auge zu behalten, dass Forschungsergebnisse darauf hinweisen, dass „die von der KlientIn wahrgenommenen Beziehungsfaktoren - und nicht sosehr die von objektiven Bewertern wahrgenommene Beziehung - stets die positiveren Erfolge mit sich bringen” (Asay u. Lambert 2001, S. 54ff). Und die Zufriedenheit? Nun, ich denke, sie spielt eine große Rolle - wobei mir allerdings unklar bleibt, ob eine solche Zufriedenheit etwas über Wirksamkeit aussagen muss. Ich kann mich z. B. sehr verstanden und gut aufgehoben fühlen, ohne dass sich erkennbare Fortschritte bezüglich der Symptomatik zeigen. Doch all dies ist Spekulation. Wenn nun Psychotherapie ein „Markt” ist - und darauf zielen ja viele Überlegungen ab -, dann ist die Zufriedenheit der KundInnen zweifellos bedeutsam, da sie sich auf die Inanspruchnahme und die Weiterempfehlung auswirken dürfte. Der Zusammenhang mit der Wirksamkeit bleibt dabei zunächst im Dunkeln. Wer sich für die derzeit oft hoch gelobte EVT (empirisch validierte Therapie) interessiert, den möchte ich auf einen interessanten Beitrag von Duncan und Miller (2005) hinweisen, die nach ihrer Bewertung verschiedener empirischer Studien zu der klaren Schlussfolgerung gelangen: „Die Annahme, dass spezifische technische Vorgehensweisen der TherapeutIn zu Änderungen aufseiten der KlientIn führen, erhält keine erkennbare Unterstützung. Auch wenn Training in manualisierten Psychotherapien das Lernen und die technische Kompetenz der TherapeutIn in einem spezifischen Ansatz erweitern, so besteht keine Beziehung zwischen solchen Manualen und dem Ergebnis” (Übers. J. H.).

Insofern denke ich, dass es sehr hilfreich sein kann, die „Zukunft der Psychotherapie” nicht nur geradlinig, sondern auch ein wenig „gegen den Strich” zu diskutieren. Auch der DFB hat gerade mit dem ehemaligen Bundestrainer der Hockeynationalmannschaft ausdrücklich einen „Querdenker” eingestellt. Denn sonst kann es leicht geschehen, dass „beste Absichten” in ihr Gegenteil verkehrt werden können. Das ist oft „Schicksal” von Institutionen und Organisationen, die Innovatives erreichen wollen: „Es liegt in der Natur der Organisation, dass sie das, was im Augenblick läuft, in eine Form bringt und so neue Entwicklungen hemmt … Dies ist besonders deshalb ein Problem, da unübersehbar ist, dass die Leute, die Interesse daran haben, Organisationen zu verwalten, gewöhnlich nicht die Leute sind, die an Innovation Interesse haben und radikal neue Entwicklungen fördern … Allgemein scheint es, dass sich Organisationen dann entwickeln, wenn Innovationen absterben” (Haley 1986, S. 109).

Damit komme ich zum Abschluss:

Wie bedeutsam es sein kann, auch die Grundlagen der psychotherapeutischen Praxis, wie sie bisher organisiert ist, infrage zu stellen, darauf weist ein unerwartetes Nebenergebnis einer Untersuchung über ambulante Therapie mit depressiven PatientInnen hin: „Die durchschnittliche Stundenzahl pro Woche, die PsychotherapeutInnen und SupervisorInnen mit Psychotherapie zubringen, in welchem Setting auch immer, war allerdings negativ korreliert mit einer Änderung aufseiten der PatientIn (r = - 0,47, p < 0,002)” (Vociscano et al. 2004, S. 261, Übers. J. H.).

Insofern, denke ich, kann eine Veröffentlichung der APA durchaus zum Nachdenken anregen: „How Clients Make Therapy Work” (Bohart u. Tallman 1999).

Jürgen Hargens, Meyn

Literatur

  • 1 Asay T P, Lambert M J. Empirische Argumente für die allen Therapien gemeinsamen Faktoren: Quantitative Ergebnisse. In: Hubble MA, Duncan BL, Miller SD (Hrsg) So wirkt Psychotherapie. Empirische Ergebnisse und praktische Folgerungen. Dortmund; modernes lernen 2001: 41-81
  • 2 Bohart A C, Tallman K. How Clients Make Therapy Work. The Process of Active Self-Healing. Washington, DC; APA Press 1999
  • 3 Duncan B L, Miller S D. Treatment Manuals Do Not Improve Outcomes. In: Norcross J, Levant R, Beutler L (Hrsg) Evidence-Based Practices in Mental Health: Debate And Dialogue on the Fundamental Questions. Washington, DC; APA Press 2005
  • 4 Grawe K, Donati R, Bernauer F. Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession. Göttingen, Bern, Toronto, Seattle; Hogrefe 1993
  • 5 Haley J. Ehe- oder Familientherapie.  Z system Ther. 1986;  4 (2) 107-119
  • 6 Hargens J. Psychotherapie … und welche Bedeutung haben die Beteiligten?. In: Hargens J (Hrsg) „… und mir hat geholfen …” Psychotherapeutische Arbeit - was wirkt? Perspektiven und Geschichten der Beteiligten. Dortmund; borgmann 2005: 13-26
  • 7 Hubble M A, Duncan B L, Miller S D. Das Augenmerk auf das richten, was funktioniert. In: Hubble MA, Duncan BL, Miller SD (Hrsg) So wirkt Psychotherapie. Empirische Ergebnisse und praktische Folgerungen. Dortmund; modernes lernen 2001: 289-344
  • 8 Vociscano C. et al . Therapist Variables that Predict Symptom Change in Psychotherapy with Chronically Depressed Outpatients.  Psychotherapy: Research, Practice, Training. 2004;  41 (3) 255-265