Der Klinikarzt 2006; 35(1): 3
DOI: 10.1055/s-2006-932559
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Was ist ärztliche Leistung wert?

Burckart Stegemann
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Publication Date:
01 February 2006 (online)

Die Ökonomisierung steht heute praktisch an erster Stelle bei der Patientenversorgung und hat so einen sehr bestimmenden Einzug in das Gesundheitswesen und damit auch in unsere Krankenhäuser gehalten. „Menschliche Zuwendung, liebevoller ärztlicher Beistand und persönliches Mitgefühl könnten im Krankenhaus zukünftig ihren Stellenwert drastisch einbüßen, wenn sie einem bestimmten Wirtschaftsergebnis zuwider laufen.” In diesem Sinne äußerte sich der scheidende Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Prof. I. Flenker, Münster, unlängst bei seiner Abschiedsrede.

„Rationierung ist an vielen Stellen längst Realität, nicht nur bei medizinischen Leistungen, sondern eben auch bei der Zeit, die wir dem kranken Menschen widmen können. Es hat eine unglaubliche Leistungsverdichtung stattgefunden. Dabei findet eine erschreckende, fortschreitende Entwertung und Missachtung ärztlicher Arbeit statt, bei der Ärztinnen und Ärzte bestenfalls als Leistungserbringer angesehen werden - und nicht als Leistungsträger, die sie in Wirklichkeit sind. Der stationäre Krankenhausbetrieb wird heute durch viele Millionen unbezahlter und nicht ausgeglichener Überstunden subventioniert.”

Ein junger Arzt, der im Grunde mit geforderten 60 Stunden pro Woche und mehr konfrontiert ist, muss die Erhöhung der gesetzlichen Arbeitszeit auf 40 oder auch 42 Stunden pro Woche fast als Hohn empfinden. Zwar sind Chefärzte für die dienstliche Organisation zuständig und werden auch gerne dafür verantwortlich gemacht. Selbst sie sind aber längst am kurzen Gängelband der Verwaltungsorgane und sind quasi gezwungen, die exorbitante Mehrarbeit der Assistenten, besonders in interventionellen Fächern, nicht nur hinzunehmen. Sie werden sogar angehalten, ihr ökonomisches Verständnis und ihre Einsicht in solche Belange für die eigene Klinik und den Krankenhausträger „qualitativ” am besten dadurch zu beweisen, dass sie die Personalstellen aktiv durch Nichtbesetzung frei gewordener Stellen faktisch sogar noch reduzieren und die Arbeitsleistung dadurch weiter verdichten. Wen wundert da noch die immer weitere Aufschiebung der Umsetzung des Urteils des europäischen Gerichtshofes zu Ungunsten der Betroffenen?

Die ärztliche Leistung wird im Spannungsfeld zwischen der Politik mit ihren äußerst rigiden gesetzlichen Vorgaben sowie Verwaltern und Ökonomen erbracht, die praktisch die Exekutive im Krankenhaus übernommen haben. Ärzte fühlen sich vielerorts als Marionetten im Dienste der Bürokratie! Bei dem geforderten Einsatz bleibt ihnen oft nur noch, sich bitter zu beklagen oder den Beruf zu wechseln bzw. aufzugeben. Eigentlich ein schlechter Weg! Schwarzseher führen uns nicht weiter!

Ärztliches Ziel muss immer die bestmögliche Patientenversorgung sein. Dafür lohnt es sich, lieber das intensive Miteinander zu propagieren und sich zu Nutze zu machen, sodass man über die Umsetzung der Richtlinien der Fachgesellschaften in Verbindung mit durchaus zum Teil auch individuellen Behandlungspfaden im Krankenhaus - auch im Umgang der Disziplinen untereinander - noch manche Ressourcen freisetzen kann. Diese sollten dann auch dazu beitragen, die Ärzte von allzu viel Bürokratie zu befreien, zum Beispiel durch den Einsatz von Dokumentationsassistenten. Vielerorts haben diese sich schon bestens bewährt, auch ökonomisch gesehen. Wer aber den Umgang mit der elektronischen Datenverarbeitung heute noch ablehnt, hat schon verloren. Sie kann uns ganz gleich in welchem Bereich zeigen, wo wir effizient sind und wo nicht.

Was ist die ärztliche Leistung nun wert? Ist sie nur das wert, was sie kostet oder aus der Sicht der Krankenhausträger „erlöst”? Nein! Ich persönlich zähle sie zum Wertvollsten, das man seinem Mitmenschen angedeihen lassen kann. In den abstrakten Bereichen wie zum Beispiel der liebevollen Zuwendung, Achtung und dem Mitgefühl ist die ärztliche Leistung gar nicht zu bezahlen und bleibt einem lediglich ökonomisch Denkenden vielleicht auch verborgen. Das darf aber nicht dazu führen, dass mit ihr, und sei es auch nur aus Unkenntnis, Schindluder betrieben wird.

Prof. Dr. Burckart Stegemann

Hagen

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