Gesundheitswesen 2007; 69: S64-S98
DOI: 10.1055/s-2006-927373
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J. Donhauser1
  • 1Gesundheitsamt im Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen
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Publication Date:
14 February 2007 (online)

1 S. Schmacke, Güse, Zwangssterilisiert, verleugnet, vergessen.

2 S. Frei, Gesundheitspolitik in der NS-Zeit, S. 1.

3 Ich übernehme den Begriff in diesem Zusammenhang aus einem Aufsatz von Eugen Kogon, der unter der Überschrift „Über Rassenwahn” abgedruckt ist in dem Tagungsbericht „Massenwahn in Geschichte und Gegenwart” des 11. Kongresses der Stuttgarter Gemeinschaft „Arzt und Seelsorger”, Pfingsttagung 1964 in Stuttgart, in: Bitter, Massenwahn in Geschichte und Gegenwart, S. 40: „[...] Drei Eigenheiten schufen den besonderen Wahncharakter der damaligen Rassenlehre (wenn man es eine Lehre nennen will). Die erste Eigenheit bestand, im Gefolge des Gobineau'schen Dogmatismus, in der rein statischen Auffassung von Rasse: sie wurde als eine in ihrer Substanz unabänderlich fixierte leibliche, seelische und geistige Vererbungsgemeinschaft angesehen. Sie wurde zweitens ethisch und politisch gewertet: Bestimmte physische Rassenmerkmale galten als determinierende Anzeichen, ja, Vorraussetzungen ethischer und politischer Hoch- oder Minderwertigkeit. Drittens boten mehrfache Begriffsvermengungen die Möglichkeit, verschiedenartige, auch einander widersprechende Wirklichkeiten scheinwissenschaftlich an den Mann zu bringen: man sprach zum Beispiel von „artfremden Rassen”, obgleich es die nicht gibt (Art ist der Oberbegriff, die Arten sind unter anderem dadurch gegeneinander natürlich abgegrenzt, daß sie miteinander nicht zeugungsfähig sind); es wurde eine einheitliche „Nordische Rasse” konstruiert mit gleichzeitig kombinierten und vereinfachten Hochqualitäten; die Bezeichnung „arisch”, die der indogermanischen Sprachgruppe zukommt, wurde zu einer angeblich typischen Rassenbezeichnung [...]”

4 S. Carl Schmitt, der auch nach dem Kriege anerkannte Staatsrechtler, Rechtsphilosoph und juristische Wegbegleiter des Dritten Reiches, sprach bereits 1935 mit ebensoviel Zynismus wie Genugtuung von der „legalitären Durchführung” der „nationalsozialistischen Revolution” und veranschaulichte damit die damalige Auffassung über den obrigkeitstreuen Beamtenapparates: „[..] Bei der Formalisierung und Technisierung eines nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit funktionierenden Verwaltungsapparates scheint es für den jeweiligen Inhaber der staatlichen Macht das einfachste zu sein, sich dieses ausgezeichneten, der ‘normativen Kraft des Faktischen‘ sich sofort unterwerfenden und jedem Ziel und Inhalt zur Verfügung stehenden Mittels zu bedienen. Was könnte bequemer sein, als einen Gesetzesstaat zu beherrschen und sich an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Justiz und Verwaltung zu halten, wenn man selber die Gesetzgebungsmaschine handhabt und sogar, wie die heutige Reichsregierung, durch bloßen Regierungsbeschluß Gesetze im formellen Sinne des Wortes, sogar verfassungsändernde Gesetze machen kann? Wer den Fahrplan macht, hat doch ein Interesse daran, das es fahrplanmäßig zugeht. [...]” Schmitt empfahl dem NS-Regime auch „[...] die Methoden und Formen des Rechtsstaates so lange beizubehalten und sich ihrer - ohne ihnen geistig und innerlich anheimzufallen - so lange zu bedienen, als nicht neue Methoden, neue Begriffe und eine neue Beamtenschulung eingeführt und erprobt sind. Dann wäre das ganze Problem des Rechtsstaates heute nur noch eine politisch-technische Übergangsfrage.[...]” s. Schmitt, „Was bedeutet der Streit um den ‚Rechtsstaat‘? In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 95, 1935, S. 189 - 201, hier S. 196 f.; zitiert nach: Blasius, Umgang mit Unheilbarem, S. 134 f., s. Anmerkung 17 auf S. 147. Zum Beamtentum s. a. Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich; insbesondere das Kapitel „Fachbeamtentum oder politisierte Verwaltung” S. 62 - 90; Mommsen verweist hier auch mehrmals auf Carl Schmitt so z. B.: „[...] Nicht alle Anhänger des Berufsbeamtentums exponierten sich so stark wie Carl Schmitt, der im Berufsbeamtentum ein unerläßliches Gegengewicht gegen „die auflösenden Wirkungen des labilen Koalitionsparteienstaates”, sah [...]” Zitat von S. 25 und Mommsens Verweis auf Schmitts Verfassungslehre 1928 (S. 172 f.) in seiner Anmerkung 14 auf derselben Seite. Laut Mommsen habe sich die NSDAP ab 1930 als „Verteidiger der Beamtenrechte geriert(e)” (s. S. 26), Mommsen zieht deshalb den Schluss:„[...] Es ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, daß der im Vergleich zu den anderen Berufsgruppen extrem hohe Prozentsatz der Parteibeitritte von Beamten nach dem 30. Januar 1933 nicht allein auf einen äußeren Gleichschaltungsprozeß zurückgeführt werden darf, sondern auch darauf, daß zahlreiche Sympathisierende vorher aus äußeren Gründen von dem Eintritt in die NSDAP abgesehen hatten. [...]” (s. S. 29); zum Verhalten von Beamten im Dritten Reich ist auch Forstners Arbeit „Die Beamten des bayerischen Innenministeriums im Dritten Reich, Loyale Gefolgsleute oder kritische Staatsdiener?” lesenswert.

5 S. L/T, Gesundheitsamt oder Amt für Volksgesundheit? In: Frei, Gesundheitspolitik, S. 35

6 Fritz Pürckhauer, damaliger 1. Vorsitzender des Bundes der Medizinalbeamten Deutschlands behauptete 1954: „[...] Das Gesundheitsamt verdankt seine Existenz dem Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens. Es ist erlassen am 3.7.1934 und trägt die Unterschrift Adolf Hitlers. Wer daraus folgern wollte, daß das Gesetz und damit das Gesundheitsamt eine Ausgeburt nationalsozialistischen Denkens sei, der geht in die Irre [...] Das Gesundheitsamt und das Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens trägt aber auch vom Inhalt her gesehen nicht den Stempel des Nationalsozialismus. [...] Wenn von einzelnen darauf gedrängt wurde, daß bei der Aufführung der Aufgabengebiete, deren Durchführung dem GA obliegen sollte, das Wort „Rasse” im Zusammenhang mit Erb- und Rassenpflege herausgestrichen werde, so kann ich das nur als eine Handlung bezeichnen, zu der vom medizinischen Standpunkt aus keinerlei Notwendigkeit bestand. Rassenhygiene im echten Sinn des Wortes ist eine Disziplin der ärztlichen Wissenschaft, die lange vor dem Dritten Reich auch in Deutschland gepflegt wurde. Der Umstand, daß das Dritte Reich das Wort Rasse in völlig unwissenschaftlicher Weise mißbrauchte, darf m. E. nicht dazu führen, daß das Gesundheitsamt sich nicht mit Eugenik befaßt und Erkenntnisse der Wissenschaft auf diesem Gebiet bei seinen bevölkerungspolitischen Maßnahmen außer acht läßt [...]. Zum Glück für die spätere Zeit wurde das GA. nur wenig in die Politik des Dritten Reiches und gar nicht in den verbrecherischen Teil derselben hineingezogen. [...]” Pürckhauer in: Der öff. Gesundh.-dienst 1954/1955, S. 279 - 296; s. dazu auch Trüb in: Der öff. Gesundh.-dienst, 1964, Heft 8, S. 321 - 349, insbesondere S. 333. Noch 1988! tischte Pfau im Öff. Gesundh.-Wes. seinen Lesern das Märchen erneut auf, s. dort, 1988, S. 202 - 205; einen Überblick über die Äußerungen in der Zeitschrift „Der öffentliche Gesundheitsdienst” geben auch L/T in ihrer Einleitung zu GVG, S. 1 ff.

7 S. Labisch, Entwicklungslinien des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Deutschland, in: Öff. Gesundh.-Wes. 44 (1982), S. 745 - 761 und L/T, 50 Jahre Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens, in: Öff. Gesundh.-Wes. 46, 1984, S. 291 - 298, und Schmacke, Schritte in die Öffentlichkeit, 1993.

8 S. Gesetz über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des Bundesministeriums für Gesundheit (BMAuSBBG), Gesetz vom 14.8.2006 BGBl. I, S. 1869.

9 Im Jahre 2000 gaben einige Formulierungen der DVOen im „Rechtsinformationssystem” (RIS) des Bundeskanzleramtes in Österreich Anlass zu öffentlicher Diskussion. Die damals zuständige Ministerin (FPÖ) äußerte: „[...] 758/AB XXI.GP Beantwortung der Anfrage der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde betreffend rechtliche Organisation des Gesundheitswesens in Hinblick auf in diesem Bereich in Kraft stehende Gesetze und Verordnungen mit nationalsozialistischem Gedankengut (Nr. 733/J). Zur vorliegenden Anfrage führe ich Folgendes aus: [...] Zu den Fragen 3 und 6: Nein, weil das Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens und die dazu ergangenen drei Durchführungsverordnungen, soweit sie noch in Geltung stehen, die einzig umfassende Rechtsgrundlage über die Organisation und die Aufgaben der Gesundheitsämter bzw. der dort beschäftigten Amtsärzte der Bezirksverwaltungsbehörden darstellen. [...]” http://www.parlament.gv.at/portal/page?_pageid = 908,281312&_dad = portal&_schema = PORTAL Letzter Zugriff: 14.07.2006 (s. 758/AB XXI. GP, 07.07.2000, Bundesministerin Elisabeth Sickl in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Grünen, der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde an die Bundesministerin für Soziale Sicherheit und Generationen, Anfrage 733/J XXI.GP, „[...] Aufgrund des angeführten Artikels vom 19.4.2000 in der Zeitung „der Standard” stellen die unterfertigten Abgeordneten folgende ANFRAGE:

[...] 3. Wurden seitens Ihres Bundesministeriums Vorschläge zu einer Bereinigung dieser Vorschriften gemacht, insbesondere im Zuge des Entwurfs des Ersten Bundesrechtsbereinigungsgesetzes, BGBl. 191/1999? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?

4. Wurden etwaige Gesetze, die von Ihrem Ressort zur Weitergeltung im Rahmen des Ersten Bundesrechtsbereinigungsgesetzes empfohlen wurden, auch inhaltlich überprüft. Wenn ja, wurde von Ihrem Ministerium veranlaßt, Paragraphen mit eindeutig nationalsozialistischem Gedankengut außer Kraft zu setzen? Inwiefern?

5. Inwiefern sehen Sie Verantwortung ihres Ministeriums daran gegeben, daß Bestimmungen, die nationalsozialistisches Gedankengut enthalten, nach wie vor in Kraft stehen?

6. Würde mit Außerkrafttreten dieser Gesetze, nämlich des Gesetzes über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens sowie dessen drei Durchführungsverordnungen tatsächlich den Gesundheitsämtern die rechtliche „Grundlage für deren Aufbau und Organisation” entzogen werden, wie vom Amt der Wiener Landesregierung in seiner Stellungnahme, MD - VfR - 358/99, behauptet? Wenn ja, in welchen Bereichen? Wenn nein, warum wurden diese Gesetze dann weiterhin in Kraft gelassen? [...]”) http://www.parlament.gv.at/portal/page?_pageid = 908,312924&_dad = portal&_schema = PORTAL, letzter Zugriff: 14.7.2006, s. dazu auch Czech, Erfassung..., S. 133.

10 Die Veröffentlichung „Das Diktat der Menschenverachtung” der von der Vertretung der regionalen Ärztekammern der drei Westzonen in Köln zum Nürnberger Ärzteprozess 1946/1947 als Berichterstatter abgeordneten Alexander Mitscherlich und Fred Mielke verschwand zunächst in der Versenkung. Die Redaktion der Deutschen Medizinischen Wochenschrift (DMW) hatte eine Veröffentlichung der Ergebnisse abgelehnt (s. Frei, Karrieren im Zwielicht, S. 69). Es tauchte die nie nachgewiesene Zahl von angeblich maximal 350 an Verbrechen beteiligten deutschen Ärzten auf, alle anderen hätten sich nichts zu schulden kommen lassen. Das betonte noch 40 Jahre danach 1987 der damalige Präsident der Bundesärztekammer Carsten Villmar (s. Frei, Karrieren im Zwielicht, S. 27 f.). Erst allmählich begann Ende der Achtzigerjahre nach Vorarbeiten aus dem Ausland auch in Deutschland eine Aufarbeitung der Medizin im Dritten Reich (s. Lifton, Ärzte im Dritten Reich, 1988). Liftons psychoanalytischer Ansatz zur Erklärung der Medizinverbrechen ist zwar interessant zu lesen, wird aber historiografischen Qualitätskriterien nicht gerecht. Fundiert dagegen stellt sich Michael Katers Monografie dar, die zuerst in den USA 1989 unter dem Titel „Doctors under Hitler” publiziert und in Deutschland erst 2000 verlegt wurde mit dem Titel: „Ärzte als Hitlers Helfer”, begleitet von einer negativen Rezension im Deutschen Ärzteblatt mit dem Tenor, das Buch sei „alter Wein mit neuem Vorwort”. Der Autor der Rezension wollte damit beim Leser wohl bewusst den Eindruck erwecken, das Buch sei mittlerweile völlig überflüssig; dem Autor warf er darüber hinaus rein pekuniäres Interesse vor (s. DÄB 97, B, Heft 24, 16.6.2000, S. 1404). Nach einem Artikel des deutschen Arztes Hartmut Hanauske-Abel im August 1986 im Lancet mit dem Titel „From Nazi Holocaust to Nuclear Holocaust - A Lesson to Learn?”, in dem der Autor die aktive Beteiligung eines Großteils der deutschen Ärzteschaft an der menschenverachtenden Gesundheits- und Sozialpolitik der Nazis herausstellte (ein Beitrag, den er als Referat bereits im Mai 1986 auf dem 6. Weltkongress der IPPNW („International Physicians for the Prevention of Nuclear War”) in Köln gehalten hatte), sahen sich Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung genötigt als Herausgeber des Deutschen Ärzteblattes ihr Scherflein zur Diskussion beizusteuern. Heraus kam eine im Frühjahr 1988 begonnene Artikelreihe einiger Medizinhistoriker zum Thema im DÄB, die 1989 als kleines Büchlein im Druck erschien; s. Bleker/Jachertz (Hrsg), Medizin im „Dritten Reich”.

11 Victor Klemperer, LTI, Zitate auf S. 21.

12 S. WKB, S. 32 f. und 36 f.

13 S. Johann Peter Frank, System einer vollständigen medicinischen Polizey, bei C. F. Schwan, Mannheim, 1779, Erster Band, Der Zwoten Abteilung Dritter Abschnitt, von ungesunden Ehen. § I. Frank forderte ein gesetzliches Eheverbot für Menschen, die an bestimmten Krankheiten leiden: „Es scheint, nach dem ersten Anblick, eine Unbilde zu seyn, jemanden seines natürlichen Rechts auf die Zeugung und Erfüllung ordnungsmäßiger Triebe, durch ein Gesetz berauben zu wollen: so lang man dieses Geschäft blos für das nimmt, was es den mehrsten Ehepaaren ist: „eine Handlung zum beiderseitigen Vergnügen, und, weil es eben so auszufallen pflegt, zu Erzeugung seines Gleichen, „welches ein jeder bei sich selbsten noch immer für wichtig genug hält, um die Race gerne fortgepflanzet zu sehen. Ueberlegt man aber, daß die Ehen, in den Augen des Staates, ein Stand von weit ernsthafteren Absichten sind; so verlieret die Behauptung vieles von ihrer anscheinenden Rauigkeit: „daß man nemlich nicht ohne Unterschied, Menschen an einem Geschäfte Theil nehmen lassen solle, wovon eigentlich das Schicksal der Gesellschaft und der ganzen Menschheit auf das genaueste abhängt: erstens, weil das Heirathen unter gewissen Umständen, eine dem heiratenden Theile selbst nachtheilige, oder gar tödtliche Sache werden kann: zweitens, weil entweder gar keine, oder doch meistens nur solche Kinder in dergleichen ungesunden Ehen gebohren werden, die sich selbsten, und dem gemeinen Wesen zu Last fallen, und doch von keiner Dauer sind: drittens, weil die Fortpflanzung der erblichen Krankheiten dadurch mehr und mehr unterhalten wird. (Zitat von S. 297 f.)

14 S. WKB, S. 73 ff. und PRH, S. 13 f.

15 S. WKB, S. 114 - 121 und WHR, S. 11 - 60, sowie PRH, S. 13 - 20 und Mann, Biologismus..., sowie Baader, Rassenhygiene... und L/T, GVG, S. 144 - 150, sowie Schmuhl, Rassenhygiene, S. 29 ff. Im Detail auch: Weiss, Race, Hygiene..., S. 27 ff. Darwin selbst unternahm in „The Origin of Species” nicht den Versuch, sich auf die menschliche Evolution zu beziehen. Erst 12 Jahre später, 1871 mit „Decent of Man”, machte er seine zur damaligen Zeit illusionslosen und streng empirischen Gedanken zum möglichen Einfluss der natürlichen Selektion auf den Menschen und seine soziale Entwicklung öffentlich und sprach sich für eugenisch begründete Eheeinschränkungen unter der Voraussetzung eines vielleicht in der Zukunft erfolgten Erkenntnisgewinns bzgl. der Vererbungsgesetzmäßigkeiten aus. Er war in seinen Formulierungen bei weitem nicht so radikal wie sein Cousin Francis Galton: „Man scans with scrupulous care the character and pedigree of his horses, cattle, and dogs before he matches them, but when it comes to his own marriage he rarely, or never takes any care ... Yet he might by selection do something not only for the bodily constitution and frame of his offspring, but for their intellectual and moral qualities. Both sexes ought to refrain from marriage if they are in any marked degree inferior in body or mind; but such hopes are utopian and will never be even partially realized until laws of inheritance are thoroughly known. Everyone does good service who aids towards this end. When the principles of breeding and inheritance are better understood, we shall not hear ignorant members of our legislature rejecting with scorn a plan for ascertaining wether or not sanguineous marriages are injurious to men.”, zitiert nach Weiss, Race, Hygiene..., S. 29, Quellenangabe dort unter Anmerkung 78 auf S. 171: Charles Darwin, Descent of Man and Selection in Relation to Sex, 2d ed. (1876; reprint, New York: The Modern Library, n. d.), S. 504.

16 S. Benzenhöfer, Der gute Tod, S. 81, Haeckel, Ernst, Die Lebenswunder. Gemeinverständliche Studien über Biologische Philosophie. Ergänzungsband zu dem Buche über die Welträthsel. Stuttgart 1904, S. 152 f.: „[...] Ein ausgezeichnetes Beispiel von der künstlichen Züchtung der Menschen in großem Maßstab liefern die alten Spartaner, bei denen auf Grund eines besonderen Gesetzes schon die neugeborenen Kinder einer sorgfältigen Musterung und Auslese unterworfen werden mußten. Alle schwächlichen, kränklichen Kinder wurden getödtet. Nur die vollkommen gesunden und kräftigen Kinder durften am Leben bleiben, und sie allein gelangten später zur Fortpflanzung. Damit wurde die spartanische Rasse nicht allein beständig in auserlesener Kraft und Tüchtigkeit erhalten, sondern mit jeder Generation wurde ihre körperliche Vollkommenheit gesteigert [...].” s. auch Schmuhl, Rassenhygiene, S. 31 f.

17 Vgl. zeitgenössisch:, Die Renaissance, Historische Szenen vom Grafen Gobineau in der Übersetzung Ludwig Schemanns: In dem 1877 erstmals in Frankreich veröffentlichten Werk äußert sich Gobineau nicht mehr so pessimistisch zur Zukunft der weißen Rasse und gibt der Hoffnung Ausdruck, die weiße Rasse könne der Katastrophe der Degeneration entgehen, deshalb wurde dieses Buch wohl vor allen anderen besonders populär (Richard Wagner stützte darauf seine „Regenerationstheorie”, die ihren sinnfälligsten Ausdruck in seiner letzten Oper „Parzival” erfährt). In der „Renaissance”, schildert Gobineau gleichsam in einem philosophischen Drama eine Elite, die sich gegen ein dekadentes Italien behauptet. Dies macht er am Wirken solch herausragender Persönlichkeiten der Renaissance wie Savonarola, Cesare Borgia und Papst Julius II. fest; s. v. a. Mosse, Geschichte des Rassismus, S. 76 - 82 und WKB, S. 94 ff. sowie PRH, S. 12; WHR, S. 51 f. und L/T, GVG, S. 151.

18 Ploetz, Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen. Ein Versuch über Rassenhygiene und ihr Verhältnis zu den humanen Idealen, besonders zum Socialismus, Berlin, 1895, S. 144 f.: „[...] Stellt es sich trotzdem heraus, daß das Neugeborenen ein schwächliches oder mißgestaltetes Kind ist, so wird ihm von dem Ärzte - Kollegium, das über den Bürgerbrief der Gesellschaft entscheidet, ein sanfter Tod bereitet, sagen wir durch eine kleine Dosis Morphium.[...]”, zit. n. Schmuhl, Rassenhygiene, S. 35; s. dazu auch Benzenhöfer, Der gute Tod?, S. 87.

19 In „Die Fröhliche Wissenschaft” schreibt Nietzsche im 73. Aphorismus „Heilige Grausamkeit”: „[...] Zu einem Heiligen trat ein Mann, der ein eben geborenes Kind in den Händen hielt. ‚Was soll ich mit dem Kinde machen’ fragte er, ‚es ist elend, mißgestaltet und hat nicht genug Leben um zu sterben.‘ ‚Tödte es, rief der Heilige mit schrecklicher Stimme, ‚tödte es und halte es dann drei Tage und drei Nächte lang in deinen Armen, auf daß du dir ein Gedächtnis machest: - so wirst du nie wieder ein Kind zeugen, wenn es nicht Zeit für dich ist zu zeugen.‘ - Als der Mann dies gehört hatte, gieng er enttäuscht davon; und Viele tadelten den Heiligen, weil er zu einer Grausamkeit gerathen hatte, denn er hatte gerathen, das Kind zu tödten. ‚Aber ist es nicht grausamer, es leben zu lassen?‘ fragte der Heilige. [...]” Vgl. Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, Leipzig, 1906, S. 129 f. Zum Einfluss von Nietzsches Gedankengut auf nationalkonservative Kreise, die eugenische Bewegung bis hin zu rassistischen und protofaschistischen und faschistischen Kreisen in Großbritannien, vgl.: Thatcher, Nietzsche in England 1890 - 1914, und besonders: Stone, Breeding Superman. Nietzsche, Race and Eugenics in Edwardian and Interwar Britain. Zur Ilustration von Nietzsches Einfluss auf die eugenische Bewegung führt Dan Stone in seinem Kapitel „Nietzsche and Eugenics” eingangs ein paradigmatisches Zitat an: „To Sir Francis Galton belongs the honour of founding the Science of Eugenics. To Friedrich Nietzsche belongs the honour of founding the Religion of Eugenics ... Both aim at a Superman, not a Napoleonic individual, but an ideal of race of supermen, as superior to the present mankind - many of whom, alas! have not even completed the stage of transition from animal to man - as man is superior to the worm.”, Zitat bei Stone, Breeding Superman, S. 62, (Hervorhebung im Original kursiv), Stone belegt die Quelle mit: „Maximilian Mügge, ‚Eugenics and the Superman‘, Eugenics Review, 1.3, 1909, p. 191”. Ob Nietzsche von den damaligen Zeitgenossen „richtig” interpretiert wurde, steht hier nicht zur Debatte, ich möchte nur festhalten, dass seine Schriften damals auch so interpretiert wurden, vor allem die nach 1897 von seiner Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche und seinem langjährigen Freund Peter Gast editierten Ausgaben, insbesondere die willkürlich aus Fragmenten des Nietzsche-Nachlasses kompilierte Schrift „Der Wille zur Macht - Versuch einer Umwertung aller Werte” (dies war wohl eher ein „Versuch” Elisabeth Förster-Nietzsches, ihre nationalistische, rassistische und antisemitische Weltanschauung unter dem Deckmantel Nietzsches unters Volk zu bringen); vgl. dazu: Diethe, Carol, Nietzsches Schwester und der Wille zur Macht. Biografie der Elisabeth Förster-Nietzsche, Europa Verlag, Hamburg, Wien, 2001; zum Einfluss auf protofaschistische und faschistische Kreise s. auch: Taureck, Nietzsche und der Faschismus.

20 S. Chamberlain, S. 328 (S. 278 der Originalausgabe): „[...] hat man nun einsehen gelernt, welche Wunder die Wahl [gemeint ist „Zuchtwahl” geeigneter rassegleicher Partner, J. D.] vollbringt, wie ein Rennpferd oder ein Dachshund oder ein „überschwängliches” Chrysanthemum nach und nach durch sorgfältige Ausscheidung alles Minderwertigen erzeugt wird, dann wird man das selbe Phänomen auch im Menschengeschlecht als wirksam erkennen, wenngleich es hier natürlich nie mit der Klarheit und Bestimmtheit wie dort auftreten kann. Als Beispiel führte ich vorhin die Juden an; das Aussetzen schwächlicher Kinder ist ein weiteres und war jedenfalls eines der segenvollsten Gesetze der Griechen, Römer und Germanen; harte Zeiten, welche nur der stämmige Mann, das ausdauernde Weib überlebt, wirken in ähnlichem Sinne [...]”.

21 S. Fest, Hitler, S. 81 f. und Kershaw, Hitler, S. 115 und S. 179 sowie: L/T, GVG, S. 151; Rosenberg nimmt im „Mythus” mehrmals Bezug auf Chamberlain, u. a. S. 81 ff.; Hamann beschreibt den ersten Besuch Adolf Hitlers im Hause Wahnfried am 1.10.1923 und die Begegnung mit H. S. Chamberlain, der fortan, ebenso wie das Ehepaar Winifred und Siegfried Wagner, begeisterter Hitleranhänger war, die Bewunderung beruhte auf Gegenseitigkeit; s. Hamann, S. 83 ff.

22 S. Weiss, Race Hygiene and National efficiency. The Eugenics of Wilhelm Schallmayer; zum Krupp- Preisausschreiben, hier insbesondere S. 64 - 89, außerdem Schmuhl, Rassenhygiene, S. 43 ff. sowie WHR, S. 85 f. Zum Krupp-Preisausschreiben und seiner Wirkung s. WHR S. 114 - 120; außerdem: PRH, S. 17; zu Schallmayer und Ploetz s. a. L/T, GVG, S. 152 - 158 zeitgenössisch: Schallmayer, Wilhelm, Vererbung und Auslese.

23 S. WHR, S. 235 - 239, und WKB, S. 323 - 337.

24 S. WKB, S. 320 ff. und WHR, S. 230 ff.

25 Vgl. Pettenkofer, Ziemmssen, Handbuch der Hygiene und der Gewerbekrankheiten, Zweiter Theil. Sociale Hygiene, Leipzig, 1882, und WHR, S. 220 f. sowie Labisch, Homo hygienicus, S. 165 f.

26 S. zeitgenössisch: Muckermann, Kind und Volk; WKB, S. 299; Vossen, GÄ, S. 56.

27 S. zeitgenössisch: Grotjahn, Soziale Pathologie, Berlin 1923; Roth sah sich 1984 bemüßigt vor dem vermeintlichen Vorbild Grotjahn zu warnen: S. Roth, Erfassung zur Vernichtung, 1984, S. 31 - S. 56; kritisch dazu: Weindling, Soziale Hygiene und Medizinische Praxis - Der Fall Alfred Grotjahn, in: Krankheit und Ursachen, Argument Sonderband AS 119, Berlin 1984, S. 6 - 20 und Weindling, Die preußische Medizinalverwaltung und die „Rassenhygiene” 1905 - 1933 in: Thom, Medizin im Faschismus, S. 48 - 56; außerdem: PRH, S. 22 f.; außerdem: Schwartz, Sozialistische Eugenik, S. 70 - 80 sowie: Tutzke, insbes. S. 28 ff. Grotjahn war zwar ein Verfechter eugenischer Ideen, aber vor allem unter dem Gesichtspunkt einer quantitativen Bevölkerungspolitik und erst nach erfolgreicher Erreichung dieser könne eine umfassende qualitative Bevölkerungspolitik erfolgen (s. Schwartz, S. 75 u. 76). Michael Schwartz kritisiert in seiner Arbeit „Wichtige Vertreter der neueren Eugenik-Historiographie“, die seiner Meinung nach Grotjahn zum vehementen Verfechter der Eugenik stempelten, wie z. B. Gisela Bock, weil Grotjahn 1914 in seiner Veröffentlichung „Geburtenrückgang und Geburtenregelung im Lichte der individuellen und der sozialen Hygiene“ „ein volles Drittel der Gesamtbevölkerung“ als „minderwertig“ und „nicht fortpflanzungswürdig“ eingeschätzt hätte. Schwartz bestreitet das und betont, Grotjahn habe „niemals das gesamte ‚Drittel‘ der von ihm als ‚minderwertig‘ Definierten zugleich für ‚fortpflanzungsunwürdig‘ erklärt“. Stattdessen habe er dazu geraten „zunächst einmal den großen Anteil ‚umweltbedingter Minderwertigkeit‘ zu subtrahieren und diesen mit rein sozialhygienischen Mitteln zu beheben. Im Falle der verbleibenden ‚erblichen Minderwertigkeiten‘ sollte wiederum eine ziemlich differenzierte negative Eugenik greifen, wobei Grotjahn primär eine Anstaltsunterbringung (Asylierung) der lebensuntüchtigen schwer Erbkranken sowie eine freiwillige, eugenisch motivierte Anwendung von Verhütungsmitteln bei leichteren Erkrankungen befürwortete. Lediglich als marginale Notlösung kamen für ihn auch die eugenisch indizierte Abortion und die Unfruchtbarmachung infrage“ (s. Schwartz, S. 75 und seine Anmerkung 165 [„vgl. Grotjahn 1914, S. 145 - 149”]). Schwartz geht hier mit Weindling im Wesentlichen konform (s. Weindling, Soziale Hygiene und Medizinische Praxis - Der Fall Alfred Grotjahn). Grotjahn war nichtsdestotrotz auch Mitglied der Berliner Sektion der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene, obwohl der Gründer der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene, Alfred Ploetz, diese als unpolitisch sah und keine Mitglieder mit Parteizugehörigkeit wünschte. Grotjahns Einstellung bzw. eigene Abgrenzung zur völkischen bzw. anthropologisch orientierten Rassenhygiene veranschaulicht folgender Auszug eines Briefes an den Sozialdemokraten und späteren überzeugten Nationalsozialisten Karl Valentin Müller: „[...] Wir sollten [...] von der Eugenik die politische Anthropologie getrennt halten. Ich will gewiß dieser ihre wissenschaftliche Bedeutung nicht abstreiten. Für Amerika z. B. hat sie sogar aktuelle politische Bedeutung. Für Deutschland aber führt sie zur, wenn sie aus der wissenschaftlichen Atmosphäre heraustritt, pseudo- wissenschaftlichen theoretischen Grundlage des Antisemitismus und des Arierfimmels, wie der Kreis der Autoren des Münchner Verlagshauses Lehmann von Lenz und Günther zeigt [...]” (Fritz Lenz: Prof. für Rassenhygiene und Mitautor des Rassenhhygiene-Klassikers „Bauer- Fischer-Lenz”, Hans F. K. Günther: Der „Rasse-Günther”, Autor des populären Werkes „Rassenkunde des deutschen Volkes”). Brief Grotjahns an seinen Schüler Karl Valentin Müller am 14.4.1927 (Müller wechselte 1932 die Seite und wurde Nationalsozialist), Nachlass Grotjahn, Humboldt Universität Berlin, lfd. Nr. 130, zitiert nach: Thomann, Auf dem Weg in den Faschismus, in: Bromberger, Mausbach, Thomann, Medizin, Faschismus und Widerstand, S. 139 und Anmerkung 30, S. 180 sowie Vossen, GÄ, S. 63 - 69.

28 S. Black, War Against the Weak; Bock, S. 113 ff.; WKB, S. 286 ff. und S. 337 - 350; PRH, S. 97 ff. sowie Kühl, insbesondere Kapitel 1: Der Traum von der genetischen Verbesserung des Menschen: Die Entstehung der internationalen eugenischen Bewegung, S. 18 - 39.

Zum Kanton Waadt s. http://www.admin.ch/ch/d/ff/2003/6311.pdf (letzter Zugriff: 23.9.2006) „Parlamentarische Initiative. Zwangssterilisationen. Entschädigung für Opfer (von Felten) Bericht der Kommission des Nationalrates vom 23. Juni 2003”, Kap. 1.4. Sterilisationen und Kastrationen in der Schweiz. Historische Daten; demnach seien aufgrund des Gesetzes von 1928 im Kanton Waadt bis 1977 etwa 100 Frauen zwangssterilisiert worden.

Zu Schweden vgl. Der Spiegel, 36/1997, S. 152 - 154, Der Spiegel berichtete unter dem Titel „Minderwertige Elemente” über eine Artikelserie im August 1997 in der größten Morgenzeitung Schwedens, dem „Dagens Nyhetter”, zu Zwangssterilisationen in Schweden, demnach seien zwischen 1935 und 1976 in Schweden 62 000 Jugendliche und Erwachsene, zu 95 % Frauen, „[...]ohne - oder mit einer erpreßten Zusage - ihrer Zeugungsfähigkeit beraubt [...]” worden.

29 Vgl. zeitgenössisch: Lehmann, Melanie, Verleger J. F. Lehmann, München, 1935, S. 164 f., Vierzig Jahre Dienst am Deutschtum 1890 - 1930, München, 1930; Fünfzig Jahre J. F. Lehmanns Verlag 1890 - 1940, München, 1940, Zarnow, Gefesselte Justiz, München 1931 (Bd. 1), 1932 (Bd. 2), s. dazu im Detail: Stöckel (Hrsg), Die „rechte Nation” und ihr Verleger, hier v. a. die Aufsätze von Weindling, The Medical Publisher ..., S. 159 - 170, Kirschstein, Der J. F. Lehmanns Verlag im Kampf gegen die Weimarer Demokratie, S. 171 - 206, Heidler, Biographische Skizze..., S. 17 - 30, Hahn, Erfolge des Verlages..., S. 31 - 46, Heidler, Die Zeitschriften ..., S. 47 - 102, Lohff, Die Monographien.., S. 207 - 240, Lohff, Die Medienpolitik..., S. 241 - 258; und außerdem: Thomann, Auf dem Weg in den Faschismus, S. 94 - 110 sowie ders. „Dienst am Deutschtum” ..., in: Bleker, Jachertz, Medizin im „Dritten Reich”, S. 54 - 70; und L/T, GVG, S. 181 - 184.

30 S. Vossen, GÄ, S. 60 - 79 und: Thomann, S. 84 - 97.

31 S. Fangerau, Der „Baur-Fischer-Lenz” in der Buchkritik 1921 - 1940.

32 S. WHR, S. 490 - 492; Hitler vermischte in „Mein Kampf“ Biologisches mit Religiösem und vereinfachte aus der Vererbungslehre das, was er glaubte, verstanden zu haben, ohne zu bemerken, dass er bei seinen Vergleichen aus dem Tierreich Rasseunterschiede meinte, seine Beispiele aber aus verschiedenen Gattungen und Arten wählte : „[...] Die Sünde wider Blut und Rasse ist die Erbsünde dieser Welt und das Ende einer sich ergebenden Menschheit. [im Original gesperrt gedruckt; Zitat S. 272] Jede Kreuzung zweier nicht ganz gleich hoher Wesen gibt als Produkt ein Mittelding zwischen der Höhe beider Eltern. Das heißt also: das Junge wird wohl höher stehen als die rassisch niedere Hälfte des Elternpaares, allein nicht so hoch wie der höhere. Folglich wird es im Kampf gegen diese höhere später unterliegen. Solche Paarung widerspricht aber dem Willen der Natur zur Höherzüchtung des Lebens überhaupt. [...] Der Stärkere hat zu herrschen und sich nicht mit dem Schwächeren zu verschmelzen, um so die eigene Größe zu opfern. Nur der geborene Schwächling kann dies als grausam empfinden, dafür aber ist er auch nur ein schwacher und beschränkter Mensch; denn würde dieses Gesetz nicht herrschen, wäre ja jede vorstellbare Höherentwicklung aller organischen Lebewesen undenkbar. Die Folge dieses in der Natur allgemein gültigen Triebes ist nicht nur die scharfe Abgrenzung der einzelnen Rassen nach außen, sondern auch ihre gleichmäßige Wesensart in sich selber. Der Fuchs ist immer ein Fuchs, die Gans eine Gans, der Tiger ein Tiger usw., und der Unterschied kann höchstens im verschiedenen Maße der Kraft, der Stärke, der Klugheit, Gewandtheit, Ausdauer usw. der einzelnen Exemplare liegen. Es wird aber nie ein Fuchs zu finden sein, der seiner inneren Gesinnung nach etwa humane Anwandlungen Gänsen gegenüber haben könnte, wie es ebenso auch keine Katzen gibt mit freundlicher Zuneigung zu Mäusen. [Zitat auf S. 311, bzw. Zentner, S. 142/143] Zum Lebensrecht kranker Menschen äußerte sich Hitler folgendermaßen: „[...] Wenn die Kraft zum Kampfe um die eigene Gesundheit nicht mehr vorhanden ist, endet das Recht zum Leben in dieser Welt des Kampfes. [Im Original gesperrt gedruckt] Sie gehört nur dem kraftvollen „Ganzen” und nicht dem schwachen „Halben”. [...]” Zitat auf Seite 282.

33 S. WKB, S. 246 - 253, WHR, S. 406 f., L/T, GVG, S. 163 ff.

34 S. Möllers, Bernhard (Hrsg), Gesundheitswesen und Wohlfahrtspflege im Deutschen Reiche, Urban & Schwarzenberg Verlag, Berlin, Wien 1923; zur Weimarer Eugenik s. WHR, das Kapitel Weimar Eugenics, S. 399 - 439; WKB, das Kapitel Rassenhygiene und preußische Medizinalverwaltung, S. 268 - 273 sowie L/T, GVG, S. 167 - 171.

35 S. Benoit Massin, Rasse und Vererbung als Beruf, in: Schmuhl, Rassenforschung, S. 190 - 196; außerdem: L/T, GVG, S. 169 f., WKB, S. 239 - 246; WHR, S. 430 - 439; PRH, S. 79 ff., insbesondere „Table 2. Professorships of racial hygiene and allied fields at German universities, 1923 - 1944” auf S. 80; Proctor führt hier insgesamt 26 Lehrstühle in 18 Universitätsstädten auf; dazu auch: WHR, das Kapitel „Institutionalizing eugenics”, S. 337 ff., hier besonders „Table 6. University Lectures in racial hygiene, 1918 - 1920” auf S. 339, Weindling listet hier 16 Dozenten an 13 Universitäten namentlich auf, davon für 1918 an den Universitäten Göttingen und Berlin (Grotjahn), 1919 an 6 zusätzlichen und 1920 nochmals an 5 weiteren Universitäten, der Autor beruft sich dabei auf folgende Quelle: M. Günther, Die Institutionalisierung der Rassenhygiene an den deutschen Hochschulen vor 1933, med. Diss., Mainz 1982. Zur internationalen Anerkennung der deutschen Rassenhygiene siehe auch Kühl, S. 59 - 63, nach Kühl drängte die „Permanent International Eugenics Commission”, namentlich der Leiter des amerikanischen „Eugenics Record Office” (ERO), Charles B. Davenport, der sich persönlich an Fritz Lenz und Erwin Baur wandte, die deutschen Rassenhygieniker nach dem Ende des I. Weltkrieges inständig zur erneuten Mitarbeit in diesem internationalen Gremium, was aber von Ploetz unter Hinweis auf die noch laufende Besetzung des Rheinlandes durch französische Truppen abgelehnt wurde. Deutsche Rassenhygieniker hätten erst wieder 1927 an internationalen Treffen teilgenommen.

36 Zur Arbeit des KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik s. Benoit Massin, Rasse und Vererbung als Beruf, in: Schmuhl, Rassenforschung, S. 196 - 244; s. auch: Bergmann, e. a., Menschen als Objekte..., wobei hier der Fokus zu sehr auf der Person Eugen Fischers liegt. Fischer leitete die „Abteilung für Anthropologie”, sein Schüler Otmar von Verschuer bis 1935 die „Abteilung für menschliche Erblehre” bis 1935, als er nach Frankfurt ging, um bereits 1942 nach der Emeritierung Fischers das Direktorat des KWI zu übernehmen, seine Abteilung wurde aufgelöst und die Arbeiten von Fischer und Lenz weitergeführt. Die „Abteilung für Eugenik” stand bis 1933 unter der Leitung des Jesuiten und Biologen Hermann Muckermann, der 1933, als Katholik den Nazis missliebig, entlassen und durch Fritz Lenz ersetzt wurde; im Verlauf entstanden weitere Abteilungen: 1939 übernahm Karl Diehl die „Abteilung für Tuberkuloseforschung” (s. a. Anmerkung 319), ebenfalls 1939 entstand die „Abteilung für experimentelle Erbpathologie” unter dem Zoologen und Genetiker Hans Nachtsheim und noch 1943 die „Abteilung für Embryologie” unter Leitung des Holländers Wouter Ströer (s. Bergmann e. a. S. 125 f.).

37 Die DFA war 1917 als Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie in München gegründet und 1924 der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft angegliedert worden. Zu Rüdins Familienforschungen im Rahmen der psychiatrischen Genetik an der DFA (er war seit 1917 Leiter der genealogisch-demografischen Abteilung und ab 1931 geschäftsführender Direktor der ganzen DFA) s. Roelcke, Programm und Praxis der psychiatrischen Genetik an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie unter Ernst Rüdin, in: Schmuhl, Rassenforschung, S. 38 - 67. Roelcke führt als Beweis für das internationale Renommée Rüdins zwei Beispiele britischer Psychiater an, denen Rüdins Arbeiten Vorbild waren. Zum einen Aubrey Lewis, ab 1936 Direktor des berühmten, 1923 eröffneten und nach dem Vorbild der Münchner psychiatrischen Universitätsklinik und der DFA konzipierten Maudsley Hospitals in London. Er hatte in den 20er-Jahren im Rahmen eines Reisestipendiums der Rockefeller Foundation die amerikanische, britische und deutsche Psychiatrie gründlich studiert. Zum zweiten den Begründer der psychiatrischen Genetik in Großbritannien, Eliot Slater, der 1934 ebenfalls im Rahmen eines Stipendiums der Rockefeller Foundation ein Jahr in München bei Rüdin hospitierte und noch bis in den Krieg hinein mit ihm korrespondierte. Das „American Journal of Medical Genetics” habe 1996, so Roelcke, der Munich School of Psychiatric Genetics ein Sonderheft gewidmet (s. dazu Roelckes S. 38 f., und seine Anmerkungen 3 - 6 auf den Seiten 38 und 39).

38 S. Vossen, GÄ, S. 69 - 78.

39 Ebenda, S. 145 f.

40 S. Liek, S. 98 und 99; Hervorhebung (hier kursiv) im Original gesperrt gedruckt, zu Liek s. auch WHR, S. 473 und Thomann, S. 107 und S. 124 ff. sowie: Wolff, Eberhard, Mehr als nur materielle Interessen, in: Jütte, Ärzte..., S. 136 ff. Zum generellen Einfluss der Lehmann’schen Publikationen auf die deutsche Medizin: Weindling, The Medical Publisher Julius Friedrich Lehmann and the Racialising of German Medicine, in: Stöckel (Hrsg) Die „rechte Nation” und ihr Verleger, S. 159 - 170.

41 Zur Diskussion um die Sterilisation „Minderwertiger” und „Erbkranker” s. Vossen, Gesundheitsämter, S. 155 - 172 und ders., Die Umsetzung der Politik der Eugenik; sowie Schmuhl, Rassenhygiene, S. 99 - 105; WKB, S. 291 - 306; WHR, S. 450 - 457; L/T, GVG, S. 176 - 181 und Schwartz, S. 271 - 327. Der „Entwurf eines Sterilisierungsgesetzes” wurde veröffentlicht in den „Veröffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinalverwaltung, XXXVIII: Band - 5. Heft, Verhandlungen des preußischen Landesgesundheitsrates Nr. 24. Die Eugenik im Dienste der Volkswohlfahrt, Bericht über die Verhandlungen eines zusammengesetzten Ausschusses des Preußischen Landesgesundheitsrats vom 2. Juli 1932”, Präsident: Ministerialdirektor Dr. Schopohl, Verlagsbuchhandlung von Richard Schoetz, Berlin, Mit Begründung, S. 106 - 112: „Entwurf eines Sterilisierungsgesetzes.

§ 1.

Eine Person, die an erblicher Geisteskrankheit, erblicher Geistesschwäche, erblicher Epilepsie oder an einer sonstigen Erbkrankheit leidet oder Träger krankhafter Erbanlagen ist, kann operativ sterilisiert werden, wenn sie einwilligt und nach den Lehren der ärztlichen Wissenschaft bei ihrer Nachkommenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit schwere körperliche oder geistige Erbschäden vorauszusehen sind. Der Einwilligung hat eine Aufklärung über die Folgen der Sterilisierung vorauszugehen. Für die Sterilisierung einer Person, die einen gesetzlichen Vertreter hat, oder für die ein Pfleger bestellt ist, dem die Sorge für die Person zusteht, bedarf es auch deren Einwilligung.

§ 2.

Die Sterilisierung ist nur mit Genehmigung des im § 4 bezeichneten Ausschusses zulässig. Die Erteilung der Genehmigung kann beantragen:

Die Personen, deren Einwilligung nach § 1 Abs. 1 und 3 erforderlich ist; jede von ihnen ist selbständig antragsberechtigt; der behandelnde oder der beamtete Arzt; bei Pfleglingen einer Kranken- oder Heil- oder Pflegeanstalt und bei Insassen von Gefangenenanstalten der Leiter der Anstalt; der Leiter des zuständigen Fürsorgeverbandes.

§ 3.

Dem Antrag sind beizufügen:

die nach § 1 erforderlichen Einwilligungserklärungen; ein ärztlicher Bericht, der eine ausführliche Begründung für die Vornahme der Sterilisierung sowie die Erklärung des Arztes enthält, daß die Person, für welche die Genehmigung beantragt wird, über die Folgen der Sterilisierung aufgeklärt worden ist.

§ 4.

Der Ausschuß, der über die Vornahme der Sterilisierung entscheidet, wird von der obersten Landesbehörde eingesetzt. Er besteht aus zwei in Deutschland approbierten Aerzten [sic] und einem Vormundschaftsrichter wenigstens eines der beiden ärztlichen Mitglieder muß in der menschlichen Erblehre erfahren sein. Der Ausschuß hat auf Antrag eines Mitgliedes weitere Ermittelungen anzustellen. Gerichts-, Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden sind, soweit ein dienstliches Interesse nicht entgegensteht, verpflichtet, dem Ausschuß auf sein Ersuchen Auskunft zu erteilen. Der Ausschuß beschließt mit Stimmenmehrheit. Der Beschluß ist schriftlich abzufassen und von den Mitgliedern des Ausschusses zu unterschreiben. Er muß die Gründe enthalten, aus denen die Genehmigung zur Vornahme der Sterilisierung erteilt oder abgelehnt worden ist. Der Beschluß ist dem Antragsteller zuzustellen. Er unterliegt keiner Anfechtung.

§ 5.

Der Ausschuß hat eine Ausfertigung des Beschlusses mit den Vorgängen einer von der obersten Landesbehörde bestimmten zentralen Stelle einzureichen.

§ 6.

Die Sterilisierung darf nur von einem in Deutschland approbierten Arzt ausgeführt werden. Der Beschluß, in dem die Sterilisierung genehmigt worden ist, muß ihm vorher vorgelegt worden sein. Der Arzt hat einen kurzen Bericht über die Ausführung und die Methode der Sterilisierung dem Ausschuß einzureichen, der ihn an die im § 5 bezeichnete Stelle weiterreicht.

§ 7.

Für die Tätigkeit des Ausschusses (§ 4) dürfen Kosten von der zu sterilisierenden Person nicht erhoben werden. Die Kosten der Operation werden, sofern die zu sterilisierende Person hilfsbedürftig ist, von dem zuständigen Fürsorgeverband getragen.

§ 8.

Die bei der Stellung des Antrages und bei der Beschlußfassung über die Genehmigung der Sterilisierung beteiligten Personen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das gleiche gilt für Personen, die der im § 5 bezeichneten zentralen Stelle angehören. Eine Zuwiderhandlung gegen Absatz 1 wird, soweit nicht nach anderen Vorschriften eine höhere Strafe verwirkt ist, mit ...... bestraft. Sie wird nur auf Verlangen desjenigen verfolgt, für den die Genehmigung zur Sterilisierung beantragt worden war.” (Zitat von S. 107 - 109).

42 Vgl. Gütt, Der ÖGD, 1939, S. 3.

43 S. Süß, Der Volkskörper im Krieg, S. 32 - 40 und L/T, Gesundheitsamt oder Amt für Volksgesundheit, in: Frei, Medizin und Gesundheitspolitik, S. 35 - 66.

44 S. L/T, Gesundheitsamt oder Amt für Volksgesundheit, in: Frei, Medizin u. Gesundheitspolitik, S. 35 - 66.

45 S. Reichsanzeiger Nr. 155, 1934 und Schaetz, Schwerin, S. 17.

46 S. Anmerkung 43.

47 S. Gostomzyk, Die Zeitschrift „das Gesundheitswesen” im Wandel öffentlicher Gesundheit, in: Gesundheitswesen 2000; 62, S. 1 - 3, und Stöckel, Sozialmedizin im Spiegel ihrer Zeitschriftendiskurse, hier insbesondere die Seiten 14 mit 19; laut Gostomzyk waren über 80 % der 68 Originalarbeiten im 1. Jahrgang 1935/1936 den Themen Rassenhygiene, Erbgesundheit, Eugenik und Sterilisation gewidmet. S. a. Staehr, S. 77 f., nach Staehr, seit 1980 Bereichsleiter Fachzeitschriften im Georg Thieme Verlag, habe damals der Verlagsleiter Dr. Hauff dem Verleger Kurt Kornfeld, der „[...] als Jude in arger Bedrängnis [war...] durch den Kauf seines Verlages einen Freundschaftsdienst [...]” erwiesen (Zitat S. 78).

48 S. Sachße, Tennstedt, S. 105 f.

49 S. ÖGD, 2. Jahrgang, 1936/1937, Ausgabe A, S. 92.

50 S. IMS Nr. 5001a 15. v. 4.4.1935 und RS Nr. 5000 aa 3. v. 11.4.1935, Quelle GA SOB.

Bis Ende 1935 dürfte auch im übrigen Bayern die Umsetzung des GVG abgeschlossen gewesen sein. Es existierten nun 138 bayrische Gesundheitsämter (inkl. 13 Gesundheitsämter des damals zu Bayern gehörenden „Regierungsbezirk Pfalz”), wobei 1938 noch ein weiteres Gesundheitsamt für den Bezirk Augsburg-Land hinzukam (s. Gütt, Der ÖGD, S. 349). Von den bayrischen Gesundheitsämtern konnten von den vier bereits in der Weimarer Republik entstandenen kommunalen Ämtern in Augsburg, Fürth, München und Nürnberg nur die Ämter in Augsburg, München und Nürnberg ihren kommunalen Status wahren. Augsburg und München behielten ihren Kommunalbeamten, während Nürnberg einen staatlichen Amtsarzt als Leiter erhielt (s. Gütt, Der ÖGD, S. 349 [Augsburg], S. 344 [München] und S. 347 [Nürnberg] sowie Astrid Ley, Zwangssterilisation und Ärzteschaft, S. 108 ff.).

51 S. IMS Nr. 5001 S 1. v. 22.7.1935, Quelle GA SOB; so nahm z. B. auch das neu gegründete staatliche Gesundheitsamt Schwabach am 15.8.1935 seine Amtsgeschäfte auf (s. Astrid Ley, S. 109 und ihre Anmerkung 21 dazu auf S. 109).

52 S. Vossen, GÄ, S. 236 - 246 und L/T, wie Anmerkung 37, S. 38 - 43.

53 S. IMS, v. 25.3.1937, Quelle GA SOB.

54 S. Protokoll der Bezirksratssitzung vom 7.6.1937, Quelle GA SOB.

55 S. IMS v. 9.5.1938 Nr. 5001 ae 650, Quelle GA SOB.

56 S. IMS v. 18.3.1937 Nr. 5001 ae 217, Quelle GA SOB.

57 S. Labisch, Tennstedt, in: Frei, Medizin und Gesundheitspolitik, S. 65.

58 S. RS d. Reg. v. Oberbayern, Nr. P 5000/58 vom 5.12.1938, Quelle GA SOB.

59 S. Der ÖGD, 3. Jg., 1937/1938, Teilausgabe A, Heft 6, 20.6.1937, S. 207 und S. 208 oben.

Der Reichsminister des Innern, Dr. Wilhelm Frick wird hier mit folgenden Worten zitiert:„[...] In den 2 Jahren seit Bestehen des Gesetzes ist Erstaunliches geleistet worden. 745 Gesundheitsämter, und zwar 655 staatliche und 90 kommunale wurden im Reiche errichtet [...] Ein Netz von Fürsorge- und Beratungsstellen wurde über das Reich ausgebreitet. [...] Ihre Arbeitsleistung spiegelt sich in folgenden Zahlen wider: In der Erb- und Rassenpflege wurden, abgesehen von den Untersuchungen zur Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, die einen breiten Raum einnahmen, schon im 1. Jahre des Bestehens der Gesundheitsämter rd. 33 000 Ehestandsdarlehensbewerber, über 41 000 bäuerliche Siedler und deren Angehörige, untersucht und begutachtet, sowie rd. 150 000 weitere Untersuchungen von Kinderreichen, Einbürgerungsbewerbern und sonstige Begutachtungen in erbbiologischer Hinsicht vorgenommen. Das ergibt zusammen allein auf diesem Gebiet eine Leistung von mehr als 500 000 Untersuchungen. [...]” Frick begann seine statistischen Angaben mit dem Betätigungsfeld das den neuen Machthabern am wichtigsten war, der „Erb- und Rassenpflege”. Um einen Eindruck von den sonstigen Aktivitäten damaliger Gesundheitsämter zu erlangen und Vergleiche zwischen den einzelnen Arbeitsfeldern zumindest ansatzweise zu verfolgen, sei hier Frick weiter zitiert:„[...] In der Gesundheitsvorsorge- und der Krankenfürsorge steht, dem zahlenmäßigen Umfang nach, die Schulgesundheitspflege an erster Stelle. Im Jahre 1935 haben die Gesundheitsämter rund 7,5 Millionen Schulkinder laufend betreut, von ihnen sind 2,8 Millionen durch Reihenuntersuchungen auf ihren Gesundheitszustand ärztlich geprüft und über 500 000 als „Überwachungsschüler” einer besonderen ärztlichen Beobachtung und Betreuung unterzogen worden. Den zweiten Platz nimmt die Tuberkulosefürsorge ein. Sie wurde im Jahre 1935 in 1817 ärztlich geleiteten Fürsorgestellen und ferner von 4471 Gesundheitspflegerinnen und Fürsorgeschwestern ausgeübt. 1 361 000 Personen nahmen die Tuberkulosefürsorge in Anspruch. Für sie wurden 1 212 000 körperliche Untersuchungen, 1 068 000 Röntgendurchleuchtungen und -aufnahmen und 605 000 sonstige Untersuchungen und Ermittlungen ausgeführt. In 125 000 Fällen erfolgte Einweisung in eine Heilstätte oder Krankenanstalt, in 92 000 Fällen Überweisung in ärztliche Behandlung. Für die erfolgreiche Bekämpfung der Tuberkulose, die im Absinken der Sterblichkeit von 14 je 10 000 der Bevölkerung vor dem Kriege auf rund 7 im Jahre 1935 zum Ausdruck kommt, spielen aber neben diesen ärztlichen und fürsorgerischen Maßnahmen die Belehrungen und Aufklärungen über das Wesen der Erkrankung, die in ungezählten Fällen die Gesundheitsämter und ihre Fürsorgestellen gegeben haben, eine beachtliche Rolle. [...] Die Säuglingsfürsorge hat mehr als ⅔ aller Säuglinge erfaßt, das ergibt etwa 800 000 Säuglinge. Von ihnen ist nahezu die Hälfte durch Vorstellung in den Beratungsstellen und die andere Hälfte durch Hausbesuche der Gesundheitspflegerinnen betreut worden. [...] Auch auf den übrigen Gebieten der Gesundheitsvor- und Krankheitsfürsorge haben die Gesundheitsämter und ihre Beratungsstellen beachtliche Leistungen aufzuweisen. Insgesamt wurden hier weitere 1 Œ Millionen Volksgenossen in der Kleinkinderfürsorge, der Schwangerenfürsorge, der Geschlechtskrankenfürsorge, der Krüppelfürsorge und in sonstigen Fürsorgestellen erfaßt und untersucht. Überblicken wir die Gesamtheit der Gesundheitsämter und ihrer Beratungsstellen, so können wir feststellen, daß schon im Jahre 1935 infolge des Ausbaues der Gesundheitsämter und der einheitlichen Arbeit mehr als 7 Millionen deutsche Menschen in gesundheitlicher Hinsicht von ihnen betreut worden sind. Berücksichtigt man dabei, daß ja nur solche Personen erfaßt werden, die besonderer Betreuung bedürfen, so kann man bereits heute von einer umfassenden Gesundheitspflege des Staates sprechen. [...]” Vergleichsdaten wurden in den darauf folgenden Jahren nicht mehr veröffentlicht, sodass die Ausführungen Fricks, die ja die Leistungen des neuen nationalsozialistischen Staates im besten Lichte erscheinen lassen sollten, schwer nachprüfbar sind. Bemerkenswert ist immerhin, dass diese Leistungen nur für 1935 veröffentlicht wurden, als, wie ich bereits erwähnte, zumindest in Bayern die neuen Gesundheitsämter erst im Spätsommer 1935 ihre Arbeit offiziell aufnahmen und dringend benötigtes Personal erst in den folgenden Jahren nach und nach eingestellt wurde, sodass, meinen Recherchen zufolge, die Gesundheitsämter erst im Laufe des Jahres 1938 ihre volle Leistungsfähigkeit entfalten konnten, um aber im selben Jahr bereits den ersten Aderlass wieder hinnehmen zu müssen, als Personal für das „angeschlossene” Österreich abgezogen wurde.

60 S. StAN, GA Eichstätt, Nr. 34 mit 42 und Nr. 63; das Bezirksamt Eichstätt zählte 1938 34 260 Einwohner zuzüglich 8255 Einwohner der Stadt Eichstätt, im Zuständigkeitsbereich des staatl. GA Eichstätt lebten somit 42 515 Einwohner (s. Nr. 63); die Zahlenangaben in [Tab. 1] sind den Jahresgesundheitsberichten Nr. 34 für 1935, Nr. 35 für 1936, Nr. 36 für 1937, Nr. 37 für 1938, Nr. 38 für 1939, Nr. 39 für 1940, Nr. 40 für 1941, Nr. 41 für 1942 und Nr. 42 für 1943 entnommen.

61 S. Quelle GA SOB, das Bezirksamt Schrobenhausen zählte 1937 22 656 Einwohner; die Zahlenangaben in Tab. 2 sind den Jahresgesundheitsberichten 1935 mit 1940 und 1942/1943 entnommen, der Bericht von 1941 fehlt; die z. T. erheblichen Zahlenschwankungen lassen sich aus der Lektüre der Jahresberichte (Prosateil) nicht erklären, nur dem Formblatt 44 des Jahres 1943 liegt ein handschriftliches Blatt bei, das teilweisen Aufschluss zulässt. Zu den vertraulichen Geschäften (n = 1279) ist hier vermerkt, „NSV” und „AOKK” ohne weitere Zuordnung von Zahlen; die Zahlen zu den „medizinalpolizeilichen Geschäften” sind folgendermaßen spezifiziert: „Polen 230”, „Russen 150”, Blutentnahmen 20, Belgierinnen 5”, Gesamtzahl „210” (woraus sich nun die Zahl 210 ergibt, ist nicht näher erklärt); zu „Dienstreisen in med. polizeil. Geschäften” ist die Zahl „217”, davon spezifiziert sind: „Lagerbesichtigungen 6” (Strichliste, J. D.), „Wohnungsbesichtigungen 9” (Strichliste, J. D.), „Geisteskranken 11” (Strichliste, J. D.), „Polenuntersuchungen 22” (davon 2 als Strichliste, J. D.), „Übertragbaren Krankheiten 8” (Strichliste, J. D.); zu „Zeugnisse und Gutachten” ist spezifiziert: „EU. ET, ED, Ausbildungsbeihilfen 127” (bei den Kürzeln „EU.”, „ET”, und „ED” handelt es sich vermutlich um Abkürzungen für Untersuchung gemäß Ehegesundheitsgesetz [„EU”], Ehetauglichkeitsnachweis [„ET”] und Ehestandsdarlehensbewerber [„ED”], J. D.); „Kinderbeihilfen 10” „Ehrenkreuze 5”, „Pflegeplätze 15”, „Amtsärztl. Zeugnisse 107/264”.

62 S. Handbücherei für den ÖGD, Band 2, Zitat S. 251/252.

63 Ebenda, Zitat S. 252/253.

64 S. Verschuer, Leitfaden der Rassenhygiene, Zitat auf Seite 126 und 127. Verschuer „erbte” 1942 von Eugen Fischer das Direktorat des Berliner KWI für „Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik”. Er unterstützte als Doktorvater die „Zwillingsforschung” von Josef Mengele und konnte dennoch nach dem Kriege ab 1951 ohne große Probleme in Münster die Humangenetik aufbauen. Er war ab 1952 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie und ab 1954 Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Münster. In seinem Lehrbuch „Genetik des Menschen” von 1959 sind noch einige Passagen aus seinem alten „Leitfaden für Rassenhygiene“ enthalten, natürlich taucht der Begriff „Rassenhygiene“ nun nicht mehr auf (s. Frei, Karrieren, S. 38 - 45 und Verschuer, Genetik des Menschen).

65 S. GÄ, Vossen, S. 236 f.

66 Vgl. Dr. Jaegers Beantwortung des IMS Nr. 1022a 95 vom 3.12.1936, „Betreff: Ernennung von höheren Verwaltungsbeamten.” mit einem Fragenkatalog zu früheren Parteimitgliedschaften und „Militärverhältnis“, eingegangen im GA SOB am 17.12.36, handschriftlicher Eintrag „Seit 2.I.32 Stahlhelmmitglied (Sturmbannarzt), außerdem: „Stabsarzt d. R. beim 22. bayr. Kriegslazarett“, die Fragen 3a), „Mitglied der NSDAP?“, 3b) „Ämter in der Partei oder einer ihrer Gliederungen?“ sind verneint, Quelle GA SOB. Der „Stahlhelm” war als „Bund der Frontsoldaten” im November 1918 gegründet worden. Ab 1931 beteiligte er sich zusammen mit der DNVP, der NSDAP und weiteren Verbänden an der „Harzburger Front” als „Nationale Opposition” gegen die Regierung Brüning. Zur Person Dr. Jaeger: Jaeger, Alfred, 17.3.1881 - 8.4.1939, niedergelassen als Allgemeinpraktiker am 1.1.1910 in Königshofen und am 1.8.1925 in Schrobenhausen, zur RVO-Kassenpraxis zugelassen am 1.3.1915, Kriegsteilnehmer vom 5.8.1914 bis Kriegsende; Zulassung beendet mit Wirkung zum 1.7.1936 durch Verzicht; Stahlhelm seit 2.1.1932; NSDAP-Mitglied seit 1.5.1937 (Nr. 3.972.047); Recherche im BDC und in der RÄK: Dr. Johannes Vossen, Berlin.

67 S. WHR, S. 444.

68 S. L/T, GVG, S. 199.

69 S. ZfMB 1929, Nr. 16v. 15.8.1929, S. 359 - 364 (Antrag), Verabschiedung: S. ZfMB 1929 Nr. 21v. 1.11.1929, S. 492 f.; s. L/T, GVG, S. 199; WHR, S. 451.

70 Medizinalrat Dr. Wollenweber aus Dortmund brachte in seiner Funktion als Schriftführer im Märzheft der „Zeitschrift für Medizinalbeamte” den Vorschlag einer „Reform des öffentlichen Gesundheitswesens in Preußen” im Auftrag des Vorstandes des PrMBV ein; s. ZfMB, !932, Nr. 3, S. 85 - 91, in den Aufgaben war hier von einem bevölkerungspolitischen Ansatz noch keine Rede:„[...] I. Aufgaben. Bei der überragenden Bedeutung der Gesundheit und ihres Schutzes für den gesamten Volkskörper ist das öffentliche Gesundheitswesen als eine Aufgabe des Staates zu bezeichnen und von ihm restlos in die Hand zu nehmen, soweit es nicht vom Reich übernommen ist oder wird.[...] “ (Zitat S. 87/88).

71 S. L/T, GVG, S. 199 ff.

72 S. ZfMB, 1932, Nr. 4, S. 152- 158

73 Zitate Gütts: Nr. 1 auf S. 153, Nr. 2 auf S. 154 und Nr. 3 auf S. 157.

74 S. ZfMB, 1932, Nr. 10, S. 451 - 472: Gütt breitete hier insbesondere auf insgesamt 17 des 22 Seiten umfassenden Beitrages die Befürchtungen aus, die der Statistiker Friedrich Burgdörfer bereits 1932 in seinem Buch „Volk ohne Jugend“ unters Volk gebracht hatte; Gütt verwandte insbesondere auch neun Abbildungen Burgdörfers zur Veranschaulichung seiner von Burgdörfer übernommenen Thesen, wobei er sich zur weiteren Legitimation seiner Thesen auch eines Zitates von Benito Mussolini zur Bevölkerungspolitik bediente (s. S. 466). Gütt sah die Umsetzung der neuen „Erb- und Rassenpflege“ analog zur klassischen seuchenhygienischen Eingriffsverwaltung und verkündete gleichsam programmatisch: „[...] Wenn der Arzt Krankheiten heilt, so wollen wir Krankheiten und Schäden durch das öffentliche Gesundheitswesen verhüten. Wenn es gelungen ist, Pest, Pocken und andere Seuchen als Geißel der Menschheit zu beseitigen, so muß es uns gelingen, durch Anwendung der Erkenntnisse der Vererbungslehre und Rassenhygiene die Gefahren der erblichen Belastung zu bannen und dabei gleichzeitig die Fortpflanzung erbgesunder und tüchtiger Menschen wieder zu verbürgen. D a s s i n d d i e A u f g a b e n, d i e e i n e n e u e E p o c h e d e s ö f f e n t l i c h e n G e s u n d h e i t s- w e s e n s h e r b e i f ü h r e n u n d u n s S c h a f f e n s- f r e u d e w i e A r z t t u m w i e d e r g e b e n w ü r d e n. [Hervorhebung im Original, I. D.] Nur dann wird unser Stand die Stellung im Staatswesen wiedererobern, die ihm zum Besten des Volkes zukommt. [...]” (Zitat von S. 469 unten und 470 oben). Sodann verkündete Gütt seine 8 Punkte umfassenden „Richtlinien“, in denen er u. a. forderte, die Wiederherstellung der „[...] Staatshoheit auf dem Gebiet des öffentlichen Gesundheitswesens im vollen Umfange [...und ...] von Medizinalbeamten geleitete Gesundheitsämter einzurichten, denen sämtliche Aufgaben des öffentlichen Gesundheitswesens einschließlich der Gesundheitsfürsorge, des vertrauensärztlichen Dienstes, wie die bevölkerungspolitisch notwendigen rassenhygienischen Maßnahmen zur Durchführung zu übertragen wären [...] Daher sind die Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes im Sinne einer rassenhygienisch beeinflußten quantitativen und qualitativen Bevölkerungspolitik grundsätzlich zu erweitern. [...]” (Zitat aus den Punkten 1. und 2. auf S. 470 sowie aus Punkt 5 auf S. 471) Im 6. Punkt forderte Gütt eine „[...] staatliche Regelung der Sterilisation [...], um die Fortpflanzung und dauernde Zunahme der schwer erblich Belasteten zu verhindern [...] jedoch nur unter der Voraussetzung, daß der Gesetzgeber geeignete Maßnahmen ergreift, um eine strenge wissenschaftliche Indikationsstellung zu verbürgen und eine gesetzliche Durchführung der Sterilisation und Schwangerschaftsunterbrechung zu ermöglichen. [...] Ebenso erscheint eine gesetzliche Regelung der Eheberatung und Ausstellung von Ehezeugnissen vor der Heirat geboten. [...]” (s. S. 471)

75 S. ZfMB, 1932, Nr. 12, S. 524- 532

76 Zitat Bundt s. ZfMB, 1933, Nr. 4, S.127 ff.

77 Zitat Wollenweber: „Die neue Zeit”, in: ZfMB, 1933, Nr. 4, S. 130 - 135; Zitat S. 130 unten. Vorstandsveröffentlichung vom März 1932: Wollenweber in: ZfMB, 1932, Nr. 3, S. 85 - 91, 1. Zitat S. 88, 2. Zitat S. 90 unten und S. 91 oben.

78 S. Herbert, Gerichtsmedizin, S. 73 und Anmerkung Nr. 15 auf S. 462.

79 RdErl. d. RMdI, Az IV f 1787/1000b. und vom 2.7.1935, Az IV f 3735/1000b, MBliV. S. 871. „[...] (2) Wenn ich im Erl. vom 25.03.1935 - IV f 1787/1000b - ausgesprochen habe, daß die Professoren für gerichtliche Medizin auch in der Erb- und Rassenpflege einschl. Eheberatung tätig sein können, so bedeutet dies nicht, daß sie diese Tätigkeit ausschließlich und in jedem Falle durch zu führen haben, sondern lediglich, daß sie die bei ihrer Tätigkeit gesammelten Erfahrungen kriminalbiologisch auszuwerten und so die Arbeit der Gesundheitsämter auf dem Gebiet der Erb- und Rassenpflege nutzbringend zu unterstützen haben. [...]”

80 Dazu sehr ausführlich Michael H. Kater, Doctors under Hitler, 1989, dt. Ausgabe 2000: Ärzte als Hitlers Helfer, S. 103 ff. Seine Zahlen basieren leider auf einem eher kleinen Kollektiv von gut 4000 Karteikarten der Reichsärztekammer (sog. Kater-Sample). Dafür ist seine Arbeit nach wie vor ein Standardwerk der Sozialgeschichte der Ärzte im Dritten Reich (so Hans Mommsen in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe). Kater beleuchtet besonders auch die wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge der Beweggründe für Ärzte in die NSDAP ein zutreten. Er führt drei Hauptgründe an (s. S. 105):

Zunächst hätten „die meisten Mediziner zu Beginn des Dritten Reiches erst einmal mißtrauisch abgewartet, wie die Nazis das sozioökonomische Dilemma ihres Berufsstandes lösen würden, das gerade erst durch die dringenden Bedürfnisse der Berufsanfänger entstanden war.” Kater meint damit u. a. die hohe Arbeitslosigkeit junger Ärzte und das niedrige Einkommen der Berufsanfänger. Hochschulabgänger hatten in der Weimarer Republik zunächst einen dreijährigen Assistenzarztdienst in einem Krankenhaus zu absolvieren. Außerdem war es jungen Ärzten nahezu unmöglich, eine eigene Praxis zu eröffnen - das Krankenkassensystem ließ nur einen Arzt auf 600 Patienten zu (s. S. 42). Bis 1937 habe das Regime Verdienst, Beschäftigung und Verteilung der Ärzte wesentlich verbessert (1934 betrug das durchschnittliche Bruttoeinkommen eines Arztes 10 324 RM, 1937 bereits 13 643 RM, s. S. 68 f.). Diese Entwicklung sei „durch eine ... Teillösung der ‚Judenfrage‘ erleichtert worden“, bis 1934 hatten viele jüdische Ärzte ihre Kassenzulassung bzw. ihre Stellen an Universitäten und Krankenhäusern verloren (nach Labisch waren „bis Ende 1933 mindestens 2800 Ärzte, 500 Zahnärzte und 200 Dentisten von der Kassenarztpraxis ausgeschlossen“, [s. Labisch, Gesellschaftliche Bedingungen öffentlicher Gesundheitsvorsorge, S. 70]). Bis 1937 hätten die Nazis „die versprochene Reorganisation des Berufsstands weitgehend abgeschlossen”. Sie hätten „die Bezahlung der Ärzte durch die Krankenkassen neu geregelt, mit der Reichsärzteordnung eine umfassende gesetzliche Grundlage für den Berufsstand geschaffen und mit der Reichsärztekammer den entsprechenden Verband gegründet”. Eine „willkommene Nebenwirkung” sei die „Ausschaltung der verhaßten Bürokratie der Krankenkassen” gewesen (s. S. 105), s. auch: Thomann, Klaus-Dieter, Auf dem Weg in den Faschismus, insbesondere das Kapitel „Politik und Medizin”, S. 64 - 84, s. dazu auch: Rüther, Ärztliches Standeswesen im Nationalsozialismus 1933 - 1945, in: Jütte, Geschichte der deutschen Ärzteschaft, S. 143 - 193, zur Mitgliedschaft in NS-Organisationen s. Tab. 4, 6 auf S. 167; Rüther verwendet hier Katers Zahlen („... Diese auf der Grundlage einer Stichprobe ermittelten Werte...” gemeint kann nur der „Kater-Sample” sein, J.D.) ohne auf ihn zu verweisen und verdeutlicht den recht früh schon recht hohen NS-Organisationsgrad der deutschen Ärzte durch Zahlen, die er einer 1936 durchgeführten Fragebogenaktion der Reichsärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands entnahm und die, so seine Angaben, rund 56 000 Ärzte und Medizinalpraktikanten erfasste. Angaben der Ärztekammern Brandenburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Lübeck, Hamburg und Saarpfalz konnte Rüther nicht auffinden. Die Zahlen belegen für 1936 reichsweit für 45 331 erfasste Ärzte eine NSDAP-Mitgliedschaft von 30,82 %, SA-Mitgliedschaft von 21,30 % und SS-Mitgliedschaft von 4,12 % aus. Da der Autor nur die Zahlen von 1936 zugrunde legt und nicht auch Zahlen nach dem Ende des Aufnahmestopps in die NSDAP von 1937 bringt, erscheint hier der NS-Organisationsgrad eher niedrig. Für Thüringen wurde dagegen die Kartei der Reichsärztekammer im Archiv der Bundesärztekammer ausgewertet, die die jeweiligen Mitgliedschaften von 1933 bis 1944 aufgezeichnet hat. Und sofort zeigt sich ein deutlicher Unterschied: Für 1936 weist Thüringen ebenfalls einen mit 34,93 % eher niedrigen Anteil an NSDAP-Mitgliedern an der Gesamtärzteschaft aus, im Zeitraum 1933 - 1944 ergibt sich eine NSDAP-Mitgliedschaft von 50,33 %. Rüther verweist noch darauf, dass in diesen Zahlen auch 226 Ärztinnen mit einem NDSAP-Anteil von etwa 10 % enthalten sind. Rüther zieht den Ärztinnenanteil vom Ärzteanteil ab und kommt bei den männlichen Kollegen in Thüringen auf eine NSDAP-Quote von 55 %. Eine Auswertung von knapp 6200 Karteikarten aus dem Rheinland ergab zumindest regional einen ebenfalls hohen Organisationsgrad von 56 % NSDAP-Mitgliedern (s. Rüther, Deutsches Ärzteblatt DÄB, Nr. 49/2001[B], S. 2756 f.). Für den Zuständigkeitsbereich der Ärztekammer Niederschlesien wurde mittlerweile aus der Reichärztekartei ein NSDAP-Organisationsgrad von 47,7 % ermittelt (Ärztinnen: 21,9 %, Ärzte: 52 %) SS-Mitglieder waren 7,8 % der niederschlesischen Ärzte, wobei hier besonders der hohe SS-Organisationsgrad bei Oberärzten (19,6 %), Chirurgen (18,8 %), und bei Leitenden Ärzten (15,4 %) auffällt (s. Methfessel, Deutsches Ärzteblatt Nr. 16/2006 [Ausgabe B], v. 21.4.2006, S. 866 - 867) Astrid Ley hat für ihre Arbeit den nationalsozialistischen Organisationsgrad der frei praktizierenden Ärzte im Zuständigkeitsbereich des EG Erlangen im Raum Nürnberg, Fürth, Erlangen ermittelt: Knapp 49 % waren 1944 Mitglied der NSDAP, weitere 6,5 % waren zwar nicht Parteimitglieder, aber entweder der SA oder der SS beigetreten, sodass etwa 55,5 % dieser Ärzte Mitglied in mindestens einer dieser drei wichtigen NS-Gliederungen waren. Ley weißt extra daraufhin, dass sie die Mitgliedschaft in anderen NS-Organisationen wie HJ, BdM, NS-Studentenbund oder NSDÄB nicht mit berücksichtigte. In dem von ihr exemplarisch untersuchten Bezirksamt Schwabach gehörten sogar 75 % der Ärzte einer der genannten NS-Gliederungen an (s. Ley, Zwangssterilisation und Ärzteschaft, S. 155 f. und ihre Anmerkungen Nr. 48 - 50 auf S. 155/156).

81 S. Vossen, GÄ, S. 236 - 257. Vossen unterteilt die Amtsärzte in drei „Typen”: „Typ I: Der alte Kreis- bzw. Stadtarzt der „Gründerzeitgeneration” (Geburtsjahrgänge 1870 - 1885)” und bemerkt hierzu: „[...] Die älteren Kreisärzte und auch die leitenden Kommunalärzte waren beruflich bei Beginn des Nationalsozialismus fest etabliert, hatten als Staats- bzw. Kommunalbeamte seit jeher Distanz zu den Parteien gehalten und traten überdurchschnittlich häufig nicht in die NSDAP ein [...]” Zitat auf S. 247. „Typ II: Der jüngere Amtsarzt der „Frontgeneration” Geburtsjahrgänge 1885 - 1900)” Vossen zu ihrer Parteizugehörigkeit: „Die Medizinalbeamten dieser Gruppe waren alle bis auf Dr. Kirchner NSDAP-Mitglieder [...] Die übrigen Medizinalbeamten blieben bis auf Dr. Klein, der sich das Leben nahm, bis zum Ende ihrer beruflichen Laufbahn in den 50er bzw. 60er Jahren als Amtsarzt tätig [...]”, Zitat auf Seite 250; „Typ III: Der nationalsozialistische Amtsarzt (Geburtsjahrgänge 1900 - 1908) [...] Sämtliche der hier genannten Ärzte waren Mitglied der NSDAP (... Vossen führt hier die beruflichen Biografien von sieben Amtsärzten exemplarisch für den Typ III auf; der Verf.), sämtliche Amtsärzte waren zumindest zeitweise auch als Sanitätsoffiziere in der SA tätig, Dr. Boos war zusätzlich SS-Untersturmführer, Dr. Ersfeld und Dr. Roberg waren Leiter der örtlichen Kreisämter für Volksgesundheit der NSDAP [...]” Zitat auf S. 253.

82 S. Zitat aus Süß, S. 412 f. auf der letzten Seite dieser Dokumentation. Auch Nitschke geht sehr ausführlich im Kapitel „3.3.2. Personelle und institutionelle Prägungen“ mit insgesamt 44 Seiten auf die nationalsozialistische Gesinnung und das persönliche Wirken einzelner Amtsärzte ein: s. Nitschke, Erbpolizei, S. 157 - 190, Zitat auf S. 189.

83 S. L/T, GVG, S. 252 f.; demnach habe Gütt mit dem GzVeN seine „Feuerprobe” im RMdI bestanden - er wurde unter Umgehung der Laufbahnvorschriften zum 1.8.1933 zum Ministerialrat ernannt - der Antrag des Ministers stammte vom 14.7.1933, dem Tage der Verabschiedung des GzVeN! (s. S. 255); Vizekanzler Franz von Papen wandte sich in der Kabinettssitzung gegen den im Gesetz formulierten Zwang - er befürchtete, der Vatikan könne verärgert reagieren und das eine Woche später zur Unterzeichnung anstehende Reichskonkordat gefährden - Papen hatte als Vertreter des Reiches die Verhandlungen mit dem Generalstaatssekretariat im Vatikan geführt; s. Schmuhl, Rassenhygiene, S. 154 f.; s. a. Cornwell, John, Pius XII. Der Papst der geschwiegen hat, Verlag C. H. Beck, 1999, S. 189.

84 Eugenical News, Vol. XVIII (1933), S. 91 - 93, zitiert nach Black, War Against the Weak, S. 300, s. auch Blacks Anmerkungen 77 und 81 auf S. 486.

85 Journal of the American Medical Association (JAMA), Vol. 101, No. 11, 9.9.1933, S. 866 - 867, zitiert nach Black, S. 301, s. auch Blacks Anmerkung 85 auf S. 486; die Allianz zwischen dem JAMA (und auch dem NEJM [New England Journal of Medicine]) und der eugenischen Bewegung war keine kurzlebige, wie ein Review einschlägiger Artikel von 1930 bis 1945 in beiden Publikationsorganen ergab, s. Andre N. Sofair, Lauris C. Kaldjian, „Eugenic Sterilisation and a Qualified Analogy: The United States and Germany, 1930 - 1945” in: Annals of Internal Medicine, Volume 132, No. 4, 15.2.2000, S. 312 - 319.

86 Dass diese Interpretation nicht aus der Luft gegriffen ist, beweist die Begründung zu § 2 GzVeN: „[...] Der Entwurf geht davon aus, daß derjenige, dessen Unfruchtbarmachung zum Nutzen der Volksgesundheit notwendig ist, in vielen Fällen selbst die nötige Einsicht aufbringen wird, um die Sterilisierung zu beantragen. [...]. S. GRR, S. 133 und zu § 3: „[...] Im Hinblick darauf, daß die Allgemeinheit ein erhebliches Interesse an der Sterilisierung haben kann, sollen auch der beamtete Arzt und bei Insassen von geschlossenen Anstalten der Anstaltsleiter antragsberechtigt sein. [...]”, s. GRR, S. 136; damit letztendlich ein Antrag gestellt wird, führt dazu der 5. Satz in Art. 3 der 1. AVO des GzVeN v. 5.12.1933, RGBl. I, S. 1021 - 1036, weiter aus: „[...] Hält der beamtete Arzt die Unfruchtbarmachung für geboten, so soll er dahin wirken, daß der Unfruchtbarzumachende selbst oder sein gesetzlicher Vertreter den Antrag stellt. Unterbleibt dies, so hat er selbst den Antrag zu stellen. [...]”, s. GRR, S. 64.

87 Art. 3, Absatz 4 (eigentlich Satz 4) der 1. AVO des GzVeN v. 5.12.1933, RGBl. I, S. 1021 - 1036, s. GRR, S. 63 - 80, hier: S. 64:

„[...] Wird einem approbierten Arzt in seiner Berufstätigkeit eine Person bekannt, die an einer Erbkrankheit (§ 1 Abs. 1, 2) oder an schwerem Alkoholismus leidet, so hat er dem zuständigen Amtsarzt hierüber nach Vordruck Anlage 3 unverzüglich Anzeige zu erstatten. Die gleiche Verpflichtung haben sonstige Personen, die sich mit der Heilbehandlung, Untersuchung oder Beratung von Kranken befassen. Bei Insassen von Anstalten trifft den Anstaltsleiter die Anzeigepflicht. [...]”

Zur Schwierigkeit der einheitlichen Diagnosebezeichnung verweist der Kommentar darauf, dass bereits der Verdacht auf einen Zustand nach § 1 zu melden ist und führt dazu aus:

„[...] Es ist selbstverständlich, daß die im Gesetz angeführten krankhaften Zustände, die mit den in der Deutschen Diagnosetabelle vorgeschlagenen übereinstimmen, gemeldet werden müssen (s. Anhang S. 228). Schwierig ist im besonderen die Tatsache der noch immer unterschiedlichen Bezeichnungen der Geisteskrankheiten. Nicht einmal alle Ärzte oder auch Psychiater gebrauchen für gleiche Zustände auch gleiche Krankheitsbezeichnungen. Trotzdem die Diagnostik nach der Deutschen Diagnosetabelle mit wenigen Ausnahmen allgemein üblich ist, kommen doch immer noch abweichende Bezeichnungen vor. Ferner sind ja nach Art. 3 auch Nichtärzte meldepflichtig, von denen ja bestimmte einwandfreie Diagnosen und ärztliche Namensbezeichnungen wegen fehlender Ausbildung überhaupt nicht verlangt werden können. [...] Es steht daher fest, daß es sehr viele Zustände nach § 1 des Gesetzes gibt, die von Ärzten, dem Heilpersonal oder von Laien anders benannt werden, als dies im § 1 zusammenfassend geschieht. Wenn auch die verschiedenartige Bezeichnung solcher Krankheitszustände gewisse Schwierigkeiten machen wird, so kann doch kein Zweifel daran bestehen, daß solche Zustände den Bestimmungen des Gesetzes und damit der Meldepflicht unterliegen, was auch daraus hervorgeht, daß nach dem für die Anzeige vorgeschriebenen Formular die Meldung des Verdachtes vorgesehen ist (s. Anlage 3 zu Art. 3 Abs. 4, abgedruckt auf S. 68). Infolgedessen sind alle solche nicht genau zu bezeichnenden krankhaften Geistesstörungen dem Amtsarzt bekanntzugeben, der dann seinerseits zu entscheiden hat, ob ein Antrag überhaupt in Frage kommt und dann erst gestellt werden muß. [...]” (Zitat von S. 138 unten und 139)

Zu der Anzeigeverpflichtung für „sonstige Personen” präzisiert der Kommentar:

„[...] 12. Personen, die sich selbständig mit der Heilbehandlung, Untersuchung oder Beratung von Kranken befassen, z. B. unter Umständen auch Zahnärzte, Dentisten, Hebammen, selbständig tätige Schwestern oder Gemeindeschwestern, Masseure, Masseusen, Heilpraktiker, Kurpfuscher; ausgenommen sind dagegen Personen dieser Art, die lediglich als Angestellte, Gehilfen oder Beauftragte einer Anstalt, eines Arztes oder sonst einer der nach Art. 3 Abs. 4 der AV zur Meldung verpflichteten Personen zu der Kenntnis von der Erbkrankheit gelangen. [...]” (Zitat S. 140)

Das RMdI weitete die Meldepflicht auch auf die Hebammen aus, wie einem Schreiben des bayr. Innenministeriums zu entnehmen ist, vgl. IMS Nr. 5348e 246v. 20.7.1934, StAM, RA 57 312.

Zum Anzeigen-Formblatt, Anlage 3, gemäß Art. 3, Abs. 4 der AVO zum GzVeN v. 5.12.1933, in GRR, S. 68, siehe Faksimile im Anhang Nr. 1. Der Herausgeber der im Juni 1934 ins Leben gerufenen Beilage zum Deutschen Ärzteblatt „Der Erbarzt“, Prof. Otmar Freiherr von Verschuer, geht in seinem programmatischen Leitartikel „Der Erbarzt an der Jahreswende“ (in: Der Erbarzt, Nr. 1, 1936, S. 1 f.) auf die geringe Befolgung der Anzeigepflicht seiner niedergelassenen Berufskollegen ein:

„[...] Der Individualarzt der vergangenen Zeit wird abgelöst durch einen neuen Arzttypus, den Erbarzt, den Arzt, „dessen Sorge dem Erbe unseres Volkes gilt und der sich die Pflege dieses Erbgutes zur Pflicht gemacht hat”. Der Patient ist nicht nur Einzelmensch, sondern als Erbträger auch Glied seiner Familie, seiner Rasse und seines Volkes.

Diese neue innere Einstellung kann nicht von jedem von heute auf morgen gewonnen und in allen ihren Folgerungen übersehen werden. Die zunächst kleine Schar von Ärzten, die von den Notwendigkeiten der Erb- und Rassenpflege durchdrungen war, hat an führenden Stellen bestimmenden Einfluß auf die Gestaltung des Gesundheitswesens im Dritten Reich genommen und darüber hinaus weite Kreise der deutschen Ärzteschaft für die neuen Gedanken gewonnen. Wir sind aber noch lange nicht am Ziel. Jeder in der praktischen Erb- und Rassenpflege tätige Arzt kann von Erlebnissen berichten, die ihm offenbaren, daß die Zahl der Kollegen nicht klein ist, die den neu an sie herantretenden Forderungen gegenüber noch eine abwartende, manchmal sogar noch ablehnende Haltung einnehmen. Das brauchen nicht die schlechtesten Ärzte zu sein! Sie werden aber mehr und mehr erfahren, daß das Berufsethos des Arztes nicht angetastet, sondern von den Schlacken der Zersetzung befreit werden soll. [...]” (Zitat S. 1)

Dass die Zurückhaltung in der niedergelassenen Ärzteschaft damals allgemein auffiel, belegt auch ein Erfurter Amtsarzt, der im Mai 1935 über die bisher gemachten Erfahrungen berichtet:

„[...] Die Mehrzahl der Fälle von erbbiologischer Minderwertigkeit, [...] kamen in den stadtärztlichen Allgemeinsprechstunden zur Kenntnis. Von 346 Fällen in der Zeit vom 1.III. 1934 bis 31. XII. 1934 waren dies 112, [...]”, davon seien von „[...] praktizierenden Ärzten je 2 [...]” Fälle mitgeteilt worden.

(S. „Einiges über erbbiologische Ermittlungstätigkeit Von Stadtoberverwaltungs- und Medizinalrat Dr. Reich, Erfurt”, in: Der ÖGD, 1. Jg., 1935/1936, Teilausgabe A, Heft 4, 20.5.1935, S. 129 - 132, Zitat von S. 129.)

Astrid Ley geht in ihrer Studie „Zwangssterilisation und Ärzteschaft. Hintergründe und Ziele ärztlichen Handelns 1934 - 1945” auf das Meldeverhalten der niedergelassenen Ärzte detailliert ein am Beispiel des Bezirks Schwabach in Mittelfranken, der damals 47 500 Einwohner zählte:

Von 238 in den Jahren 1934 bis 1943 im dortigen Gesundheitsamt eingegangenen Anzeigen waren 19 % von niedergelassenen Allgemein- oder Fachärzten, wobei von diesen insgesamt 44 Anzeigen nur 14 auf das Konto der zehn dort gemeldeten Allgemeinärzte ging und ebenfalls 14 Anzeigen durch 3 Nervenärzte erfolgte von denen zwei als Beisitzer beim EG Erlangen beschäftigt waren. Sieben Anzeigen erfolgten durch zwei Orthopäden, jeweils 3 Anzeigen gingen von zwei Augenärzten und zwei Chirurgen ein (s. Ley, S. 152 f. und Tab. 6 auf S. 153).

Hella Birk hat in ihrer Untersuchung zum Erbgesundheitswesen im bayerischen Schwaben für das EG Kempten in 5,6 % der Fälle Anzeigen von Ärzten, in 0,7 % von Fachärzten und für das EG Günzburg den Anteil ärztlicher Anzeigen mit 2 % ermittelt (s. Birk, S. 84).

Als Erklärung für das zurückhaltende Meldeverhalten der niedergelassenen Allgemein- und Fachärzte legt Ley den Schwerpunkt auf den wirtschaftlichen Aspekt, wobei man dies vor dem Hintergrund der finanziell prekären Lage der niedergelassenen Ärzteschaft vor 1933 sehen muss (s. dazu auch Anmerkung 80):

„Als wirtschaftlich selbständige Betreiber freier Praxen waren die niedergelassenen Allgemein- und Fachärzte schon aus finanziellen Erwägungen stark an den einzelnen Patienten orientiert. Seit Mitte der 1920er Jahre herrschte bei den meisten deutschen Krankenversicherungen freie Arztwahl, so daß neben Privat- auch Kassenpatienten die Möglichkeit hatten, sich ihren Therapeuten selbst auszusuchen. Aufgrund dieser Wahlfreiheit war die Höhe des ärztlichen Einkommens nicht zuletzt von der Treue des Patienten abhängig. Das galt besonders für die Allgemeinpraktiker, die zumeist als feste Hausärzte ihrer Klientel fungierten und wegen ihrer umfassenden Betreuungsaufgaben in aller Regel eine weit geringere Patientenzahl versorgten als die nur für spezielle Erkrankungen zuständigen Fachärzte. Als wesentliche Voraussetzung jener Patiententreue sahen freie Praktiker ein enges Arzt-Patient-Verhältnis an, das ihnen überdies als unerläßliche Bedingung für eine erfolgreiche medizinische Tätigkeit galt. Bei der Behandlung erwarteten sie von ihren Patienten unbedingtes Vertrauen, eine Erwartung, die vor allem in dem Selbstverständnis gründete, daß sie den Kranken zu ihrem Wohl zu verhelfen suchten. Zwischen den in eigener Praxis tätigen Medizinern und ihren jeweiligen Patienten bestand also eine komplexe Beziehung, die sowohl von gegenseitigem Vertrauen als auch von ärztlichen Erwerbsinteressen bestimmt war, auch wenn diese Beziehung bei Allgemeinpraktikern sicherlich intensiver gewesen sein dürfte als bei Spezialisten.

Aufgrund ihrer zugleich persönlichen und wirtschaftlichen Beziehung zum Patienten bedeutete das GzVeN für die niedergelassene Ärzteschaft in beruflicher wie in ökonomischer Hinsicht eine Gefahr. Wie zeitgenössische Äußerungen in der medizinischen Fachpresse erkennen lassen, wurde die damit verbundene ärztliche Anzeigepflicht von freien Praktikern als Bedrohung ihres Arzt-Patient-Verhältnisses wie ihres Einkommens angesehen, weil sie ihnen abverlangte, das Vertrauen ihrer Patienten zu brechen.” (Zitat von S. 336 unten und S. 337 oben)

Laut Ley zeigten insgesamt nur zehn der 30 ortsansässigen Ärzte in Stadt und Land Schwabach Patienten beim Gesundheitsamt an:

„Für die - in Vergleich zu Allgemeinpraktikern - größere Bereitschaft von Spezialisten, Patienten beim Gesundheitsamt zu melden, dürften vor allem zwei Faktoren verantwortlich gewesen sein. Wie weiter oben dargestellt, verfügte der Spezialist gewöhnlich über eine breiter gestreute Klientel, die die des Allgemeinarztes auch zahlenmäßig überwog. Fachärzte waren daher - zum ersten - von den einzelnen Kranken in ökonomischer Hinsicht relativ unabhängig, so daß der Boykott durch angezeigte Patienten, die von der Meldung ihres Arztes erfahren hatten, für diese Mediziner finanziell ungefährlicher war als für die häufig als Hausärzte ganzer Familien tätigen Allgemeinärzte, denen in solchen Fällen möglicherweise der Verlust ganzer Patientenfamilien drohte. Zum zweiten war der berufliche Kontakt bei Spezialisten schon aufgrund ihrer größeren Klientel zwangsläufig weniger intensiv. Da Fachärzte nur wegen bestimmter Krankheiten aufgesucht wurden, beschränkte sich deren persönlicher Umgang mit einzelnen Patienten zumeist auf gelegentliche Behandlungssitzungen, was die Herausbildung eines engeren Betreuungsverhältnisses, wie es besonders Hausärzte zu ihren Patienten unterhalten haben dürften, erschwerte. Die in aller Regel eher lose Arzt-Patient-Beziehung scheint den Fachärzten die Erstattung von Sterilisationsanzeigen zusätzlich erleichtert zu haben.

Daß der mangelnde persönliche Kontakt zu den Patienten die ärztliche Meldebereitschaft zu erhöhen vermochte, deutet der hier ausgewertete Schwabacher Anzeigenbestand auch auf andere Weise an. Wie die dort erhaltenen Meldungen zeigen, waren die als Anzeigende in Erscheinung getretenen Fachärzte - im Unterschied zur Majorität anzeigender Allgemeinmediziner - größtenteils in Nürnberg niedergelassen. Da ihre Praxen - und vermutlich auch ihre Privathäuser - zumeist relativ weit vom Wohnort ihrer Schwabacher Klienten entfernt lagen, waren alltägliche Begegnungen zwischen Arzt und Patienten sehr unwahrscheinlich. Dagegen praktizierten und lebten die betreffenden Allgemeinmediziner mehrheitlich in der Stadt Schwabach oder in dem zugehörigen Landkreis. Sie waren deshalb in der Regel - trotz aller Standesunterschiede, die sie von den meisten Kranken trennten - wie ihre Patienten Teil der örtlichen Gesellschaft. Die Folge war ein komplexes gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen solchen Ärzten und ihrer Klientel, in dem neben beruflichen und ökonomischen Faktoren auch soziale Gegebenheiten eine Rolle spielten. Dieser Umstand dürfte es den betreffenden Ärzten zum einen grundsätzlich erschwert haben, Patienten als „erbkrank” anzuzeigen. Zum anderen barg er die Gefahr, daß nicht nur das Einkommen, sondern auch das gesellschaftliche Ansehen eines Arztes Schaden nahm, wenn dessen Meldetätigkeit am Ort bekannt wurde. Daher steht zu vermuten, daß die vergleichsweise niedrige Anzeigequote der Allgemeinpraktiker im Bezirk Schwabach - zumindest zum Teil - der speziellen Lebenssituation dieser Ärzte zu verdanken war.” (Zitat auf S. 153 und S. 154)

Eine Ausnahme bildeten die Anstaltsärzte: Die Psychiater in den Heil- und Pflegeanstalten waren ebenso wie die Amtsärzte berechtigt, selbst die Anträge beim EG zu stellen und mussten daher nicht den Umweg über die Anzeigenerstattung beim Gesundheitsamt gehen.

Zur Tätigkeit der Amtsärzte (zeitgenössisch): „Die Tätigkeit des Amtsarztes bei der Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Von Med.-Rat Dr. W. Skalweit, Oberarzt der Psychiatrischen und Nervenklinik Rostock-Gehlsheim und ärztliches Mitglied des Mecklenburgischen Erbgesundheitsobergerichts zu Rostock”, in: Der ÖGD, 1. Jg., 1935 - 1936, Teilausgabe A, Heft 11, 5.9.1935, S. 401 - 420; sowie Astrid Ley, Zwangssterilisation und Ärzteschaft, S. 67 - 81.

Zum Verfahren bei den EG (zeitgenössisch): „Das Verfahren vor den Erbgesundheitsgerichten. Von Amtsgerichtsrat Dr. Matzner, Vorsitzender der Ersten Kammer des Erbgesundheitsgerichts Berlin”, in: Der ÖGD, 1. Jg., 1935 - 1936, Teilausgabe A, Heft 8, 20.7.1935, S. 281 - 289; s. v. a. Heitzer, S. 77 - 358, Birk, S. 145 - 170 und Ley, S. 82 - 93.

88 Hella Birk zeigt die Vorgehensweise in bayerisch Schwaben auf: Der Leiter der HuPflA Kaufbeuren Valentin Faltlhauser ließ eigene Formulare für die „freiwillige Beantragung” der Insassen beim EG erstellen. Birk zitiert hingegen den Leiter der HuPflA Günzburg: „Vor allem kann ich mir nicht vorstellen, daß in den Anstalten soviel dispositionsfähige Kranke sein sollten, die eine Sterilisation selbst wünschen und dabei in der Lage wären, eine so schwerwiegende Erklärung rechtsgültig abzugeben.” (Zitat, im Original kursiv, s. Birk, S. 102, Anm. 8: Anstaltsleiter Mayr an die Reg. v. Schwaben am 18.7.1933). Aus der HupflA Günzburg seien deshalb, so Birk, in den Jahren 1934/1935 keinerlei Selbstanträge beim EG Günzburg eingegangen. Für die außerhalb der Anstalten lebenden betroffenen Menschen sah die „Einwirkung” des Amtsarztes laut Birk anders aus. Sie zitiert die Aussage eines Betroffenen vor dem EG Kempten: „Ich wollte den Antrag auf Unfruchtbarmachung seinerzeit nicht stellen [...] Der Bezirksarzt sagte aber, wenn ich es nicht tue, dann wird es ein ‚Muss‘. Darum habe ich ihn dann ohne meinen Willen gestellt“ (Zitat, im Original kursiv, s. Birk, S. 102, Anm. 11: OLG München Ke 190/36). Demzufolge wurden im 1. Quartal 1934 in den drei schwäbischen EG in Augsburg 17 von 44 (38,6 %), in Günzburg 4 von 24 (16,7 %) und in Kempten 15 von 31 Anträgen vom Betroffenen oder seinem gesetzl. Vetreter gestellt, alle restlichen vom Amtsarzt oder Anstaltsleiter (s. Birk, S. 103, Tab. 10, und Birks Anmerkung 13 auf derselben S.).

89 Vgl. IMS Nr. 5348e 146v. 14.4.1934, StAM, RA 57 312.

90 S. Kapitel 1.2, Die „eugenischen” Schwangeschaftsabbrüche.

91 S. Kapitel 1.1.5, Radikalisierung im Vollzug des Erbgesundheitsgesetzes.

92 S. Bock, S. 302 - 326; Birk, S. 136 - 139.

Birk kann in ihrer Stichprobe der Sterilisationsakten der EG Günzburg und Kempten mit einigem Zahlenmaterial zum sozialen Hintergrund der Betroffenen aufwarten:

Beruf der Eltern der Betroffenen: In 28, 6 % der Fälle Landwirte, 8 % Angestellte/Beamte, 7 % Handwerksgesellen, 4 % Handwerksmeister, 4 % Hilfsarbeiter, 3,3 % Fabrikarbeiter, 3,3 % Taglöhner, 35,1 % Sonstige/Unbekannt (s. Tab. 32, EG Kempten, S. 137).

Ausgeübte Tätigkeit der Betroffenen: (Zahlen für EG Kempten an 1. Stelle, Zahlen für EG Günzburg in Klammern) In 36,3 (9,0) % der Fälle Hilfsarbeiter (Taglöhner); 29,8 (38,9) % landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter; 11,3 (5,0) % Dienstmädchen; 6,0 (2,0) % Angestellte; 5,0 (2,0) % Ausbildungsberufe; 1,3 (1,3) % arbeitslos; 0,0 (19,4) % Anstaltspflegling (diese Kategorie kommt beim EG Kempten nicht vor); 1,3 (3,0) % Landwirt; 1,0 (0,0) % selbstständig; 0,0 (16,4) % Sonstige/Unbekannt (s. Tab. 33, S. 138).

Diagnosen gem. GzVeN und berufliche Tätigkeit (EG Kempten):

„Angeborener Schwachsinn”: 57,0 % landwirtschaftliche Hilfsarbeiter; 14,9 % Dienstmädchen; 8,3 % Fabrikarbeiter; 5,8 % Schüler; 5,0 % Hilfsarbeiter; 2,5 % Ausbildungsberufe; 0,8 % Angestellte; 5,7 % Sonstige/Unbekannt.

„Schizophrenie”: 20,0 % landwirtschaftliche Hilfsarbeiter; 10,0 % Dienstmädchen; 10,0 % Fabrikarbeiter; 14,2 % Angestellte; 9,2 % kaufmännische Berufe; 22,5 % Ausbildungsberufe; 6,7 % Hilfsarbeiter; 6,5 % Sonstige/Unbekannt (s. Tab. 34, S. 139).

Im Zuständigkeitsbereich des EG Passau waren 69,3 % aller Betroffenen aus der Stichprobe ohne Volksschulabschluss, 14,7 % mit Volksschulabschluss, 8,4 % mit Hilfsschulabschluss, 4 % ohne Schulbesuch, und jeweils 1,3 % mit Mittlerer Reife oder Abitur (s. Heitzer, Abb. 7, S. 132), 88 % hatten keine Berufsausbildung (ebenda, Abb. 8, S. 134); 53,4 % arbeiteten als ungelernte Arbeiter, Magd oder Knecht, 28 % waren als Haushaltshilfen beschäftigt (ebenda, Abb. 9, S. 135); 73,4 % lebten im elterlichen Haus bzw. in der Familie; 17,4 % am Arbeitsort bzw. beim Arbeitgeber, 4 % in einer HuPflA, 4 % in einer JVA; 1,3 % in einer Nervenklinik (ebenda, Abb. 10, S. 136).

Besonders die Menschen, die von der Zuordnung zur Kategorie „angeborener Schwachsinn” betroffen waren, übten Hilfsarbeiten oder Tätigkeiten als ungelernte Fabrikarbeiter aus oder waren in Stellung als Dienstmädchen in der Stadt, Magd oder Knecht in der Landwirtschaft, entstammten somit dem unteren Ende der Sozialskala.

93 S. Der ÖGD, 2. Jg., 1936 - 1937, Teilausgabe B, Heft 3, 5.5.1936, S. 64:

In der Rubrik „Buchbesprechungen” wird die Veröffentlichung eines Mannheimer Schulpsychologen kritisch gewürdigt, indem versucht wird, den Terminus „Hilfsschulentlaßniveau“ näher zu definieren: „Hilfsschulentlaßniveau und Sterilisierung. Von H a n s L ä m m e r m a n n. Die deutsche Sonderschule”. 3 H. 2. Armanenverlag, Leipzig (1936).”[...] Unter „Hilfsschulentlaßniveau“ sei dem Autor nach, so der Rezensent, „der mittlere intellektuelle und schulische Leistungsbereich der aus der obersten Klasse der Hilfsschule zur Entlassung kommenden Schüler” verstanden. „[...] des Weiteren sei „[...] Die aus 10 Leistungsproben bestehende Prüfungsreihe [...] ausführlich anzugeben. Sie soll noch in einigen anderen Städten ausprobiert werden, um repräsentative Maßwerte zu gewinnen.” [...] Der Rezensent kommt zu dem Schluss: „Die Arbeit ist für jeden von Interesse, der sich mit der Begutachtung Schwachsinniger zu befassen hat.”

94 S. Vernooji, S. 11.

95 S. Ellger-Rüttgart und Synwoldt sowie: Der ÖGD, 2. Jg., 1936 - 1937, Teilausgabe B, Heft 10, v. 20.8.1936 S. 259:

Hier weist der Autor auch auf Fälle von „Spätentwicklung“ hin, so sei „Die Zahl der Spätentwicklungen von Hilfsschülern [...] erheblich größer, als bisher angenommen. S c h n e i d e r, Halle, stellte 1934 rund 23 % (bei 595 Hilfsschülern) fest. Diese haben ihre rückständige Entwicklung, durch welche sie zur Hilfsschule kamen, vollständig nachgeholt.” (Zitat S. 259, „Die Mitarbeit des Sonderschullehrers bei der Verwirklichung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Von Karl Tornow. Dtsch. Sonderschule H. 5 [1936].“)

Auch Dubitscher schränkte 1937 ein:

„[...] wenn auch die Hilfsschulbedürftigkeit einen wesentlichen Hinweis auf das Vorliegen eines Schwachsinns darstellt, so ist doch keineswegs jeder Hilfsschüler ohne weiteres als schwachsinnig anzusehen. [...]” Ebenso meinte er: „[...] Daß ein- oder zweimaliges Sitzenbleiben in der Schule und zwar nicht nur in der höheren, sondern auch in der Volksschule, nichts besagt hinsichtlich eines etwaigen Schwachsinns, bedarf keiner Frage. Auch bei Kindern, die sich durch auffallenden Wechsel in ihren Leistungen auszeichnen, handelt es sich zumeist nicht um Schwachsinnige, sondern um Psychopathen. [...]” Dubitscher, Der Schwachsinn, in: Handbuch der Erbkrankheiten, Band 1, S. 192.

Das von Arthur Gütt herausgegebene „Handbuch der Erbkrankheiten“ muss als eine Pflicht- oder zumindest Standardlektüre für die Amtsärzte und die am Erbgesundheitsgericht tätigen Ärzte gegolten haben. Die von Dubitscher gemachten Einschränkungen wurden aber bei den von mir eingesehenen amtsärztlichen Begutachtungen und Urteilsbegründungen der Erbgesundheitsgerichte nicht berücksichtigt - im Gegenteil! Vgl. die Beispiele im Kapitel 1.1.3. „Erbgesundheitsgesetz in Bayern” dieser Dokumentation.

96 S. dazu auch Vossen, GÄ, S. 284 f.

97 S. StAA, GA Neuburg, Nr. 46; Birk fand dasselbe Schreiben im StAA, Bestand GA Mindelheim Nr. 80 und stellt fest. „Der parteilichen Aufforderung kamen jedoch nur wenige Schulen nach.” (S. Birk, S. 78, Anmerkung 171.)

98 S. Vossen, GÄ, Zitat auf Seite 421 und seine Anmerkungen Nr. 22 bis 27.

Auch im Erfurter Gesundheitsamt war man damals der Meinung, man müsse die Lehrkräfte für die „erbbiologische” Ermittlungsarbeit gewinnen:

„[...] Für eine systematische erbbiologische Erfassung der Bevölkerung scheinen uns die Schulrekruten nicht ungeeignet. Sowohl für die schulärztlichen Beurteilungen und Maßnahmen als für erzieherische Maßnahmen des Lehrers ist die erbbiologische Kenntnis der gesamten Sippe von Wert. In einer Großstadt ist es nicht so wie auf dem Lande, wo der Lehrer im Laufe der Jahre die Sippe recht gut kennengelernt hat. In einer Großstadt müssen durch entsprechende Ermittlungen die Unterlagen erst geschaffen werden. Es ist durchaus möglich und in Erfurt beschlossen, in jeder Schule geeignete Lehrkräfte als Mitarbeiter zu gewinnen. Sie müssen entsprechende eingehende Anleitungen erhalten und werden besonders als Klassenlehrer der Kleinen das erforderliche Interesse aufweisen. Im Laufe des ersten Schuljahres müssen die Bestandsaufnahmen beendet sein. Über Charakter und Fähigkeiten kann der Lehrer einige Beobachtungen am Schlusse eintragen, auch was er über die Sippe inzwischen durch Augenschein in Erfahrung gebracht hat. [...]“ (zitiert aus: „Einiges über erbbiologische Ermittlungstätigkeit. Von Stadtoberverwaltungs- und Medizinalrat Dr. Reich, Erfurt“, in: Der ÖGD, 1. Jg. 1935/1936, Ausgabe A, Heft 4, 20.5.1935, S. 129 - 132, Zitat von S. 131 unten bis 132 oben.)

99 S. Faksimiles im Anhang Nr. 3 „Formblatt Anlage 5 Amtsärztliches - ärztliches Gutachten“ und im Anhang Nr. 4: „Formblatt Anlage 5a Intelligenzprüfungsbogen“, dreiseitig, gem. AVO zum GzVeN, v. 5.12.1933, abgedruckt in: Gütt, Rüdin, Ruttke, S. 76 - 78, die reichseinheitliche Verwendung war zwar vorgesehen, wobei das RMdI den psychiatrisch erfahrenen Ärzten zugestand, in der Verwendung einzelner Prüfungsaufgaben von den Vorgaben des Formblattes abzuweichen. (S. Rd-Erl. d. RuPMdI v. 6.1.1934 - II 1079, s. StAM, GA Pfaffenhofen, Nr. 497); Anfang 1937 wurden diese reichseinheitlich detailliert vorgegebenen Fragen zur Prüfung von „1. Orientierung, 2. Schulwissen, 3. Allgemeines Lebenswissen, 4. Spezielle Fragen aus dem Beruf, 5. Geschichtserzählung und Sprichworterklärung, 6. Sittliche Allgemeinvorstellungen, 7. Gedächtnis und Merkfähigkeit“ fallengelassen - es blieben nur noch die einzelnen Themenüberschriften, sodass der Gutachter die Möglichkeit hatte hier individuellere Fragen zu verwenden (s. Rd.-Erl. d. RuPMdI v. 7.1.1937 - IV a 17 718/36 - 1079, s. StAM, GA Pfaffenhofen, Nr. 497) zu den Hintergründen: s. Kapitel: 1.1.5 Radikalisierung des GzVeN.

Kritisch auseinander gesetzt mit der ersten Version des Formblattes „Anlage 5a“ haben sich bereits kurz nach Inkrafttreten des GzVeN einige Psychiater, so z. B. 1935 in seinem damals grundlegenden Aufsatz zur „Tätigkeit des Amtsarztes“ der Rostocker Psychiater und Mitglied des EOG Rostock, Dr. Skalweit (s. Anmerkung 87):

„[...] Den praktisch bedeutendsten und zugleich schwierigsten Teil der amtsärztlichen Tätigkeit wird auch in Zukunft die Begutachtung des angeborenen Schwachsinns einnehmen, vor allem die Abgrenzung der leichten Formen von der „physiologischen Dummheit” und der reinen Psychopathie. Besonders zeitraubend ist hier die in jedem Falle vorgeschriebene zusätzliche Intelligenzprüfung (nach Anl. 5a). Was zunächst die praktische Bedeutung des Intelligenzfragebogens anbetrifft, so dürfte die allgemeine Erfahrung bestätigt haben, daß der amtliche Vordruck gerade bei den so häufigen leichteren Schwachsinnsfällen völlig versagt, weil er zuviel Schulwissen und rein mechanisch erlernbare Kenntnisse verlangt, während die eigentlichen Verstandesfragen und Aufgaben der praktischen Erfahrung zahlenmäßig dahinter zurücktreten. Die einzelnen Fragen sind daher qualitativ ganz verschieden zu beurteilen, es muß dringend von einer rein quantitativen Auswertung nach der Zahl der richtigen und falschen Antworten gewarnt werden. Die Schwierigkeiten liegen vor allem darin, daß es praktisch kaum möglich ist, alle individuellen Besonderheiten im Einzelfalle durch eine generelle Testmethode zu erfassen, da bei jeder Intelligenzprüfung letzten Endes doch gewisse Imponderabilien aus der persönlichen Erfahrung des Arztes und dem Gesamteindruck des Kranken ausschlaggebend mitsprechen. Das gilt besonders für Erwachsene, die sich manchmal eine rein äußerliche Gewandtheit mit gewissen oberflächlichen Kenntnissen ohne tieferes Verständnis anzueignen vermögen („Salonschwachsinn!”) [...]. Das darf allerdings wieder nicht dazu führen, auch harmlose und arbeitsame, also sozial wertvolle und nur etwas primitive Menschen (z. B. in der ländlichen Bevölkerung) von der Fortpflanzung abzuschneiden, die sich gerade für einfache, eintönige (aber oft körperlich anstrengende) Arbeiten eignen und hierin - infolge ihrer geringen Lebensansprüche und weniger differenzierten psychischen Struktur - ihrerseits ebensolche Befriedigung an schaffendem Tun finden und ebenso notwendig sind wie der gelernte Arbeiter der Stirn und der Faust. [...]” (Zitat S. 412 unten und S. 413)

Zur selben Problematik äußerten sich auch zwei Experten aus dem Reichsgesundheitsamt:

Zur Frage der Intelligenzuntersuchung nach Anlage 5a der Ersten Ausführungsverordnung zum Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Von Dr. F. Dubitscher und Dr. M. Kresiment, Humanmedizinische Abteilung des Reichsgesundheitsamts”, in: Der Erbarzt, Heft 1, 1935, S. 2 - 4.

„[...] Für die Feststellung schwerer Schwachsinnsgrade (Idiotie) kommt der „Intelligenzprüfungsbogen” kaum in Betracht [...]. Dagegen ist eine sorgfältige Untersuchung der Intelligenz unentbehrlich bei den leichteren Schwachsinnsgraden, da diese vielfach - wie z. B. der „Salonschwachsinn” - für den Unkundigen den Stempel ihres Leidens nicht an der Stirn tragen. Insbesondere ist durch die Untersuchung der Intelligenzfaktoren ein wertvolles, wenn auch nicht ausschließlich maßgebendes Mittel zur Feststellung bestimmter Typen und zu dem Versuch einer Abgrenzung gegen die „physiologische Dummheit [Dazu Anmerkung 3 der Autoren:] „Bonhoeffer: Die psychiatrischen Aufgaben des Gesetzes zVeN. Klinische Vorträge im erbbiologischen Kurs Berlin, März 1934. Verlag Karger. „Angeborener Schwachsinn” von Thiele.”) an die Hand gegeben, da letztere ebensowenig wie Fälle einseitiger Sonderbegabung ohne deutlich nachweisbaren Schwachsinn dem Gesetz zVeN unterliegt. [...] Für die schwierigen Grenzfälle, wohin zum Beispiel die „erbbiologisch unbedenkliche Debilität (Bonhoeffer) gehört, ist die Untersuchung der Intelligenzfaktoren mit einem sachlich nachprüfbaren Maßstab zu fordern, wobei das schriftlich niedergelegte Ergebnis bis zu einem gewissen faßbaren Grade objektiv auswertbar ist. Gegenüber dem Schematismus des „Intelligenzprüfungsbogens” betont allerdings Bonhoeffer [Quelle wie Anmerkung 3, s. o.] mit Recht, daß nicht ein Fragebogen beantwortet werden soll, sondern daß Schwachsinn durch den Arzt festzustellen ist. [...]” (Zitat S. 2 rechts unten und S. 3 links oben). Dubitscher wiederholt diese grundlegende Kritik am Vordruck 5a „Intelligenzprüfungsbogen” nochmals ausführlich unter Verwendung des Bonhoefferschen Bonmots in seiner gut 350 Seiten starken Monografie „Der Schwachsinn”, die 1937 als Band 1 des von Arthur Gütt herausgegebenen „Handbuch der Erbkrankheiten” erschien (s. S. 183 ff., Bonhoeffers Bonmot auf S. 185).

100 S. StAM, GA Pfaffenhofen, Nr. 94.

101 Dieses und die folgenden Zitate s. StAM, GA Pfaffenhofen, Nr. 96.

102 S. Vossen, GÄ, S. 285 f.; Birk, S. 126 ff.

103 S. Birk, S. 79 f., S. 122 f. und S. 180; Birk fand einen „Anteil der mit Schulauskünften unterlegten Sterilisationsanträgen” beim EG Kempten zwischen 3,4 und 36,0 % (der Durchschnitt der Jahre 1934 mit 1941 ergibt hier 23,7 %), beim EG Günzburg zwischen 15,4 und 85,7 % (der Durchschnitt der Jahre 1934 mit 1941 ergibt hier 60,5 % Berechnung der beiden Durchschnittswerte: J. D.) (s. Birk, Tab. 24 und 25 auf S. 122); laut Birk bezog der Leiter der HuPflA Kaufbeuren, Dr. Faltlhauser, für seine Sterilisationsanträge Informationen durch „direkten Zugriff auf die Kartei des schulärztlichen Amtes, wo Daten über Geburtsverlauf, frühkindliche Entwicklung und Schulleistungen des Betroffenen und dessen Eltern gespeichert waren.” (S. Birk, S. 123)

104 S. GRR, S. 94 ff. zur Abgrenzung der „Debilität” vom „Schwachsinn”: „[...] Vor allem muß bei Untersuchung und Beurteilung der Schwachsinnsart und des Schwachsinnsgrades der Umstand Berücksichtigung finden, daß Störungen des Gefühls, des Willens, des Trieblebens, der ethischen Regungen usw., die mit der Verstandesschwäche verknüpft sein können und ebenfalls erblich bedingt sind, die schon durch die Intelligenzstörung bedingte Abnormität noch gewaltig verstärken. [...] Bei zahlreichen asozialen und antisozialen, schwer erziehbaren, stark psychopathischen Debilen wird man die Unfruchtbarmachung daher als unbedenklich für zulässig erklären können, selbst wenn sie in ihrer Intelligenzentwicklung allein nicht übermäßig zurückgeblieben sind. [...]” (Zitat S. 94)

Dubitscher ordnete 1937 in Arthur Gütts „Handbuch der Erbkrankheiten” in seiner Monografie „Der Schwachsinn” die Beurteilung der „Lebensbewährung” als „soziales” Kriterium in der Abgrenzung von „Dummheit” und „Schwachsinn” dem „biologischen” Gesichtspunkt unter: „[...] Bei den fließenden Übergängen von dem, was uns als normale Durchschnittsbreite der Persönlichkeit vorschwebt, bis zu den schweren Schwachsinnsformen, läßt sich eine Grenze zwischen dem Schwachsinn und der Dummheit nur nach Übereinkunft ziehen. [...] Die Grenzbestimmung kann sich vielmehr nach kapitalistisch-individualistischen Gesichtspunkten richten und die b e r u f l i c h e B r a u c h b a r- k e i t als maßgeblich ansehen, oder nach sozialen Gesichtspunkten, dann steht die L e b e n s b e w ä h r u n g im Vordergrund, oder aber nach biologischen Gesichtspunkten, dann ist die volle P e r s ö n l i c h k e i t s e n t w i c k l u n g maßgebend, deren Maßstab im nationalsozialistischen Sinne die Gemeinschaftsfähigkeit auf biologischer Grundlage ist. [...]” S. dazu a. StAM, GA Weilheim Nr. 500, RdErl. d. RMdI IV A 17 718/36/1079v. 7.1.1937 zum „Intelligenzprüfungsbogen” und „Lebensbewährung”, abgedruckt auch in: Reichsdruckerei 1939, Sammlung der Rd-Erl. d. RMdI zum Vollzug des GzVeN, S. 97 f.

105 S. StAN, GA Eichstätt, Sippenakten, Jahrgang 1937, Walburga R., Geburtsjahrgang 1895.

106 Die Durchsicht bezieht sich auf etwa 60 Sippenakten aus dem GA Pfaffenhofen, und vereinzelte aus den GÄ Eichstätt und Neuburg a. d. Donau; Birk führt zwei drastische Beispiele unsorgfältiger Befunderhebung an: Ein Untersucher sah „‘[...] für das Vorliegen einer äußeren Ursache keine Anhaltspunkte‘” (Zitat, S. 129), das urteilende EG habe dann „anhand einer 6 cm langen und 1 cm breiten Narbe an der Schläfe und einer weiteren am Arm festgestellt, dass die Krankheit Folge einer Zangengeburt war. Die Sterilisation wurde daraufhin abgewendet” (Zitat, ebenda); ein weiterer Gutachter habe „im Fall Veronika D. eine Wahrnehmungsgrenze von Umgangssprache von 5 - 6 m festgestellt, dagegen, wies das spätere Gutachten der Universitäts-Nervenklinik eine Wahrnehmungsgrenze von nur 1 - 2 m aus.” (Zitat ebenda), Birks Quellen für Beispiel 1: OLG München Gü 42/39, Beispiel 2: OLG München, Ke 59/40.

107 S. Vossen, GÄ, S. 285 f.

108 S. Braß, das Kapitel „Sexuelle Normverletzungen”, S. 97 - 100.

109 S. StAM, GA Pfaffenhofen, Nr. 91.

110 Ebenda, Nr. 96.

111 Ebenda, Nr. 91, s. Anhang Nr. 6, Faksimile des EOG-Urteils.

112 Vgl. Roelcke, S. 38 f.

113 Vgl. Birk, Heitzer, Ley und Paulus.

114 S. StAA, GA Neuburg, Nr. 44, Schreiben Nr. 492, Dr. Holländer, vom 28.1.1936; zur Person des Amtsarztes: Holländer, Ernst, geb. 25.9.1879; Mitglied der NSDAP seit 1.5.1937 (Nr. 5.346.917) laut BDC (Recherche Dr. Johannes Vossen, Berlin); Holländer war sozusagen ein „Spätberufener”, ihm gelang der Beitritt zur NSDAP erst nach der Aufhebung des Aufnahmestopps.

115 S. StAA, GA Neuburg, Nr. 46.

116 S. StAA, Bezirksarzt Neuburg, Nr. 176; s. dazu auch Ley in „Zwangssterilisation und Ärzteschaft” über den Ablauf der Verhandlungen beim EG Erlangen: „Die EG-Verhandlungen in Erlangen waren in der Regel zweigeteilt. Nach der Sitzung im Amtsgericht begaben sich die Richter in die Räume der circa einen Kilometer entfernt liegenden Heil- und Pflegeanstalt, wo die Verfahren gegen die Klinikinsassen stattfanden. Die Dauer des ersten Teils im Justizgebäude kann aus der Angabe des Sitzungsbeginns in der Anstalt errechnet werden, was es zugleich erlaubt, die maximal für die Verhandlung der Einzelfälle aufgewendete Zeit zu schätzen. Wie Tab. 4 zeigt, waren am 11. März und am 7. Mai 1937 für die Entscheidung von elf Sterilisationsanträgen jeweils eineinhalb Stunden vorgesehen. Für die gleiche Zeitspanne sah der Terminplan am 26. Mai dagegen sieben, am 8. April sogar nur vier Fälle vor. An dem letztgenannten 8. April war die Terminfrequenz jedoch ungewöhnlich niedrig. Im Gesamtjahr 1937 absolvierten die Erbgesundheitsrichter in Erlangen zwölf Sitzungstermine, bei denen zunächst im örtlichen Justizgebäude und anschließend in der Anstalt beraten wurde. Für die zwölf Verhandlungen im Amtsgericht waren im ganzen 118 Verfahren angesetzt, so daß das EG dabei durchschnittlich fast zehn Fälle pro Sitzung entschied. Die bis zum Beginn der Anstaltsverhandlung zur Verfügung stehende Zeit betrug im Mittel jeweils knapp über 90 Minuten. Abzüglich der für den Fuß- oder Fahrtweg zwischen Gericht und Klinik schätzungsweise nötigen zehn Minuten blieben folglich maximal gut 80 Minuten Verhandlungszeit für zehn Sterilisationsanträge. Einen Beschluß faßte die Kammer somit durchschnittlich in nicht einmal achteinhalb Minuten.” Zitat von S. 117 und 118, sowie Anmerkung 34 auf S. 118. Die Vornahme von Ortsterminen in der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen entsprach genau den Empfehlungen des RMdI zur Durchführung des GzVeN:

„[...] Es empfiehlt sich, den Erbgesundheitsgerichten nahezulegen, ihre Termine nicht nur am Sitz des Gerichts abzuhalten, sondern auch von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Sitzungen und Termine in die Räume einer Anstalt, eines Krankenhauses oder einer Fürsorgestelle zu verlegen. [...]” Staatssekretär Pfundtner in einem RdErl. d. RMdI II 1079/26.4. vom 19.5.1934, StAA, GA Neuburg, Nr. 40.

117 S. StAA, GA Neuburg, Nr. 45.

118 Die häufigsten Diagnosen waren: „Uterus myomatosus” und „Metrorrhagie”, glgtl. „Collum-Carcinom” und „Placenta Praevia” zumeist erfolgte die Sterilisation durch eine Totaloperation im Sinne einer Entfernung der Gebärmutter mit zumindest den Eileitern. Hier handelte es sich offensichtlich nicht um eine Maßnahme im Vollzug des GzVeN (es finden sich bei den Einträgen keinerlei zusätzliche „Diagnosen” entsprechend der Kategorien des § 1 GzVeN), auch wenn diese Sterilisationen hier unter den GzVeN-Maßnahmen verzeichnet wurden. Dieselbe Vorgehensweise fiel auch bei der Durchsicht der Statistiken aus den Gesundheitsämtern Pfaffenhofen und Augsburg-Land auf. Ob es sich hier um ein unter Amtsärzten weiter verbreitetes Missverständnis handelte oder ob diese gynäkologischen Operationen mit der zusätzlichen Folge der Sterilisierung absichtlich zum Aufblähen der GzVeN-Statistik aufgenommen wurden (der § 1 [2] des GzVeN mit seinen 8 Diagnosekategorien ist eigentlich unmissverständlich), muss offen bleiben.

119 S. StAM, GA Weilheim, Nr. 500.

120 S. StAN, GA Eichstätt, Nr. 66, die Zahlen sind dem Heft „Verzeichnis der Erbkranken” entnommen, dort sind die ersten beiden Sterilisationen am 19.10.1934 und die letzte am 16.2.1944 verzeichnet.

121 Zur Person des Amtsarztes: Dr. Josef Fischer, geb. 31.3.1892, Kriegsteilnehmer: 1914/18, Feldhilfsarzt, niedergelassen als Allgemeinpraktiker seit 1923, NSDAP-Mitgleid seit 1.5.1937 (Nr. 3.972.046) laut BDC; Nachweis im RÄK: Mitglied im NSKK und der SA; Oberarzt des RAD, nebenamtliche Tätigkeit: Volksgesundheitsvorträge (Recherche: Dr. Johannes Vossen, Berlin).

122 S. StAM, GA Pfaffenhofen, Nr. 91 - 96.

123 S. StAM, GA Pfaffenhofen; die Zahlen sind den Jahresgesundheitsberichten entnommen und zwar für 1934 dem Akt Nr. 91, 1935 (Nr. 92), 1936 (Nr. 93), 1937 (Nr. 94), 1938 (Nr. 95) und 1939 (Nr. 96).

124 Zur Person des Wertinger Amtsarztes: Stuhlberger, Hans, geb. 31.3.1891 lt. RÄK: Kriegsteilnehmer vom 9.8.1914 - 28.9.1918, bis 27.2.1920 in franz. Gefangenschaft; seit Anfang 1925 niedergelassener Allgemeinpraktiker in München; NSDAP-Mitglied seit 1.5.1933 (Nr. 2.948.227). Die Zulassung ruhte vom 1.6.1936 - 31.5.1938, mit Beschluss vom 14.9.1938 Zulassungsausschluss. Recherche: Dr. Johannes Vossen, Berlin.

125 S. Kruse, StAA, Vorwort zu den Sippenakten des Staatl. Gesundheitsamtes Wertingen 2004, Findbuch Staatl. Gesundheitsamt Wertingen, die Sippenakten wurden bis 1953 weitergeführt, s. Kruse, Vorwort, S. X.

126 S. Kruse, StAA, Vorwort zum Findbuch der Akten des Staatlichen Gesundheitsamtes Kaufbeuren 2003; die Sippenakten wurden von Amtsarzt Dr. Riedel bis 1954 weitergeführt und sogar vier neue Sippenakten nach Kriegsende neu angelegt, s. Kruse, Vorwort, S. XI; die Einwohnerzahlen stammen aus dem Jahresgesundheitsbericht 1935 (StAA, Akten der GÄ, GA Kaufbeuren Nr. 292), kriegsbedingt stieg die Einwohnerzahl deutlich an: vgl. RS Nr. VIII 6597 vom 4.1.1943 mit den aktuellen Zahlen des Bayerischen Statistischen Landesamtes am 1.4.1942: Stadt Kaufbeuren 11 908, Bezirk: 36 102, StAA, Akten der GÄ, GA Neuburg, Nr. 46. Leider lassen sich die von mir im StAA ermittelten Sterilisationsstatistiken wegen Lückenhaftigkeit und Inkonsistenz der unterschiedlichen Quellen nicht im Vergleich mit anderen GÄ verwerten. So berichtete das GA Kaufbeuren am 27.1.1938 an die Reg. v. Schwaben in Beantwortung eines RdErl. d. RMdI IV 11 355/37/1079v. 9.8.1937 „Betreff: Versagen bei Unfruchtbarmachungen” die Sterilisationsstatistik des städt. Krankenhaus Kaufbeuren: In der Zeit zwischen Januar 1934 und Dezember 1937 wurden dort insgesamt 612 Personen sterilisiert, davon waren 325 Männer und 287 Frauen. Zur Frage 4 des RdErl. (Versagen) wurde „Fehlanzeige” gemeldet. s. StAA, GA Kaufbeuren, Nr. 257.

127 Zur Person der drei in Kaufbeuren ab 1935 abwechselnd tätigen Amtsärzte: Dr. Hans Göhring (geb. 8.4.1894, in Kaufbeuren 1938 und 1939 tätig), wohnhaft zunächst in Mitterfeld, Gau Bayr. Ostmark, dann in Straubing, dann in Marktoberdorf/Gau Schwaben, NSDAP-Mitglied seit 1.5.1933 (Mitgliedsnummer: 1.858.669), Dr. Friedrich Hofmann, geb. 23.2.1894 in Aschaffenburg, Approbation am 28.5.1920, seit März 1939 am GA Eichstätt (Quelle RÄK); NSDAP-Mitglied seit 1.5.1933 (Nr. 3.468.143), Dr. Rudolf Riedel, (geb. 19.1.1889) war wohl kein NSDAP-Mitglied, zumindest ergaben sich in der RÄK und im BDC keine Hinweise dazu (Recherche: Dr. Johannes Vossen, Berlin).

128 S. Birk, S. 106 - 115.

129 Ebenda, S. 110, Tab. 13 und 14. Die einzelnen von Birk ermittelten Jahresquoten wurden von mir addiert und der Durchschnitt der dokumentierten 6 Jahre errechnet.

130 Ebenda, S. 112, Tab. 15 und 16. Die einzelnen von Birk ermittelten Jahresquoten wurden von mir addiert und der Durchschnitt der dokumentierten 6 Jahre errechnet.

131 S. StAA, GA Augsburg-Land, Nr. 40.

132 ebenda

133 Neuburg: s. Anmerkung 117, Weilheim: s. Anmerkung 119, Eichstätt: s. Anmerkung 120.

134 S. Paulus für das EG Bayreuth, sowie Astrid Ley für das EG Erlangen, S. 39 und ihre Anmerkung Nr. 6 auf derselben Seite. Ley differenziert die anzeigenden Ärzte des Bezirksamtes Schwabach (238 Anzeigen erfolgten dort zwischen 1934 und 1945) genauer: „Anzeigende Personengruppen/Anzahl erstatteter Anzeigen/Anteil am Gesamtaufkommen

ambulante Fürsorgepsychiater 59 24,8 %

niedergelassene Ärzte 44 18,5 %

Anstalts- und Klinikpsychiater 29 12,2 %

Musterungs- und Militärärzte der Wehrmacht 26 10,9 %

Amtsärzte staatlicher Gesundheitsämter 25 10,5 %

Ärzte medizinischer Kliniken 19 7,9 %

Ärzte von Krankenversicherungen und

Wohlfahrtsverbänden 12 5,0 %

Nichtärztliche Mitarbeiter der örtlichen

Stadtverwaltung 8 3,3 %

Ärzte von Strafvollzugseinrichtungen 7 2,9 %

Anonyme Anzeigen 7 2,9 %

Medizinische Laien aus dem privaten

Umfeld der Betroffenen 2 0,8 %

Summe der Anzeigen 238 100,0 %” (s. Ley, Tab. 5, Sterilisationsanzeigen im Bezirk Schwabach, 1934 - 1945, S. 152).

Den bereits in Anmerkung 98 zitierten zeitgenössischen Ausführungen des Erfurter Amtsarztes Dr. Reich ist sehr anschaulich zu entnehmen, wo die einzelnen Anzeigen her kamen:

„[...] Von 346 Fällen in der Zeit vom 1.III.1934 bis 31. XII.1934 [...] waren 112 dem Gesundheitsamt „[...] in den stadtärztlichen Allgemeinsprechstunden zur Kenntnis [...]” gelangt; „[...] davon sind 82 dem Kreisarzt gemeldet, der Rest kam infolge Alters nicht mehr für die Sterilisation in Frage oder wurde noch erbbiologisch bearbeitet. Zahlenmäßig folgen dann 96 aus der Hilfsschule 1935 zur Entlassung kommende angeborene Schwachsinnige, die dem Kreisarzt mitgeteilt wurden. An dritter Stelle mit 77 Fällen steht die für die Stadt Erfurt hauptsächlich in Frage kommende Landesheilanstalt. In weiterem Abstand folgen dann 20 Anzeigen der dem Stadtgesundheitsamt angeschlossenen Trinkerfürsorge. Von auswärtigen Fürsorgeverbänden, Gesundheitsämtern usw. wurden insgesamt 10 erbkranke Fälle uns mitgeteilt, von der Polizei 14, vom Siechenhaus 3, vom örtlichen Jugendamt und praktizierenden Ärzten je 2 und von einer örtlichen Krankenanstalt je 1 Fall. Unter den Heilanstaltsfällen überwiegt die Schizophrenie mit 54 von 77 Gesamtfällen, zahlenmäßig folgen hier die erbliche Fallsucht mit 13 und der Schwachsinn mit 8. Unter den in der allgemeinen stadtärztlichen Sprechstunde ermittelten 112 Erbkranken stand der Schwachsinn mit 89 an erster Stelle, wovon 64 dem Kreisarzt gemeldet wurden, hier schließen sich erbliche Fallsucht mit 8, ererbte Taubheit mit 6, Schizophrenie mit 5, ererbte Blindheit mit 2, ererbter Veitstanz und ererbte körperliche Mißbildung mit je 1 Fall an. [...]” s. „Einiges über erbbiologische Ermittlungstätigkeit Von Stadtoberverwaltungs- und Medizinalrat Dr. Reich, Erfurt”, in: Der ÖGD, 1. Jahrgang, 1935/1936, Teilausgabe A, Heft 4, 20.5.1935, S. 129 - 132, Zitat von S. 129 unten und 130 oben.

135 S. Heitzer, S. 399, Tab. 4 (Gesamtzahl der Anträge) und 5 (Person des Antragstellers), S. 404, Tab. 18 (prozentuale Verteilung der Diagnosen); der EG-Bezirk Passau umfasste die Zuständigkeitsbereiche von 6 Bezirksämtern/GÄ mit insgesamt 225 462 Einwohnern (s. S. 400, Tab. 8); enorme Unterschiede in den Antragsaktivitäten der 6 GÄ offenbart die von Heitzer gewählte Stichprobe aus den EG-Akten: aus den GÄ Passau (68 384 Einw.) und Pfarrkirchen (41 654 Einw.) kamen n = 28 entspr. 37,3 % bzw. n = 16 entspr. 21,3 % der Anträge, während aus den GÄ Wegscheid (18 511 Einw.) und Griesbach (33 603 Einw.) nur n = 9 entspr. 6,7 % bzw. n = 1 entspr. 1,3 % kamen (s. Tab. 6, S. 399), (Einwohner/Bezirk, s. Tab. 8, S. 400).

136 S. Heesch.

137 S. Fleiter, S. 69 - 71, hier S. 71, der Quote liegt zugrunde die Einwohnerzahl Hannovers 1933: 445 000 (s. Fleiters Anmerkung 66 auf S. 113).

138 S. Vossen, GÄ, S. 320.

139 Ebenda, S. 448.

140 Ebenda, S. 424, Tab. 11.

141 Ebenda, S. 422 und Anmerkung 28 auf derselben Seite.

142 S. Weindling, „Mustergau” Thüringen. Rassenhygiene zwischen Ideologie und Machtpolitik, in: Frei, Medizin- und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit, S. 81 bis 97 und: Vossen, S. 439.

143 S. Vossen, GÄ, S. 435.

144 Ebenda, S. 442 f.

145 Ebenda, S. 268 ff.

146 Ebenda, S. 275 und Tab. 6 aus S. 319.

147 S. Cranach, Siemen; die in den einzelnen Kapiteln zu jeder bayrischen Heil- und Pflegeanstalt aufgeführten Zahlen wurden von mir addiert.

148 S. Nitschke, Tab. 3 auf S. 228, Zitat von S. 230 oben sowie S. 235 f. (und die Anmerkungen 643 und 644 dazu auf S. 236: Bevölkerung Bremens 1933: 372 000). S. Bock, S. 238

149 S. Braß, S. 87 (Antragszahlen), S. 90 (Diagnosen), S. 89 (Anträge pro Einwohner).

150 S. Goldberger, der Reichsgau Oberdonau habe 15 staatliche und ein kommunales GA (Linz), ganz Österreich habe 79 staatliche GÄ erhalten (s. S. 209), s. S. 92 (Anzeigen), S. 102 (Anträge bis 10/41), S. 101 (Rügen an die Amtsärzte).

151 Ebenda, S. 99 f., zur Schätzung s. S. 214, in den 306 zwischen 1940 und 1944 beim EG Linz eingegangenen Anträgen lautete die Diagnose in 63 % „angeborener Schwachsinn” in 18 % auf Schizophrenie und 9 % auf Epilepsie (s. Tab. auf S. 159 unten). Zur Arbeit des EG Linz macht Goldberger u. a. folgende Angaben: In 228 der vom EG Linz behandelten 257 Anträgen führte das EG einen Sterilisationsbeschluss herbei (~89 %), nur 11 % (29) wurden abgelehnt. Beschwerde von Betroffenen, deren Angehörigen, Pflegern oder gesetzl. Vetretern wurde in 50 (22 %) der verhandelten Fälle eingelegt. Davon lehnte das EOG Linz 40 (80 %) ab, in 10 Fällen (20 %) wurde der Sterilisationsbeschluss des EG Linz aufgehoben (s. S. 160).

152 S. Boberach, Meldungen aus dem Reich, Bd. 2, S. 269.

153 S. Der ÖGD, 1. Jg., 1935/1936, Ausgabe B, S. 244 - 254, mit derselben Problematik beschäftigte sich auch ein 20-seitiger Artikel in der Zeitschrift „Der ÖGD” mit dem Titel „Die Tätigkeit des Amtsarztes bei der Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Von Med.-Rat Dr. W. Skalweit, Oberarzt der Psychiatrischen und Nervenklinik Rostock-Gehlsheim und ärztliches Mitglied des Mecklenburgischen Erbgesundheitsobergerichts zu Rostock“, in: Der ÖGD, 1. Jg., 1935/1936, Ausgabe A, Heft 11, 5.9.1935, S. 401 - 420.

154 S. WKB, S. 469 - 471, Zitat Bonhoeffer auf S. 470. Zur Rolle Bonhoeffers s. Gerrens, Medizinisches Ethos und theologische Ethik, Karl und Dietrich Bonhoeffer in der Auseinandersetzung um Zwangssterilisation und „Euthanasie” im Nationalsozialismus, v. a. Kap. II, Die Reaktion im Handeln des Mediziners, S. 57 - 124; Gerrens gelingt es in dieser 1996 in der Schriftenreihe des Instituts für Zeitgeschichte als Band 73 erschienen Studie das in der bisherigen medizingeschichtlichen Literatur zu Zwangssterilisation und „Euthanasie” in der NS-Zeit recht negativ ausfallende Bild des damals prominenten Psychiaters Karl Bonhoeffer in einigen wesentlichen Punkten zu korrigieren. Gerrens zerpflückt insbesondere einen recht kurz geratenen Aufsatz von Ursula Grell, Karl Bonhoeffer und die Rassenhygiene, in: Totgeschwiegen 1933 - 1945. Die Geschichte der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik, Berlin 1989, S. 207 - 218, in dem Grell Bonhoeffer in enge Verbindung zu den „Euthanasie”-Aktionen bringt, ohne dies entsprechend belegen zu können. Gerrens räumt hingegen Karl Bonhoeffers Äußerungen zur Frage der Zwangssterilisation breiten Raum ein, v. a. mit einer ausführlichen Zitation aus Bonhoeffers vom damaligen „Ausschuß für Bevölkerungspolitik und Rassenhygiene” des Preußischen Landesgesundheitsrats 1923 beauftragten Gutachten zu einem „Gesetzentwurf” des Zwickauer Medizinalrates Gerhard Boeters. Boeters „Gesetzentwurf” war zunächst an die Sächsische Landesregierung gegangen und forderte die Zwangssterilisation für alle die Menschen, die er nahezu den später im GzVeN identisch auftauchenden Kategorien einschließlich der Kriminellen zuordnete. Er forderte aber auch die Zwangssterilisation von Frauen, die mehrere uneheliche Kinder zur Welt gebracht hatten ohne dass der Kindvater bekannt war (zu Boeters s. u. a. Vossen, S. 158 - 163); Bonhoeffer lehnte in seinem acht Leitsätze umfassenden Gutachten Boeters Forderungen ab. Im Leitsatz 6 fordert er: „Einer zwangsweisen Unfruchtbarmachung von staatswegen ist grundsätzlich zu widerraten.” Der den Auftrag zum Gutachten erteilende Ausschuss änderte die Formulierung „grundsätzlich” später in „vorläufig” ab (s. Gerrens, S. 83).

155 So schrieb 1935 ein Jurist vom EG Hannover:

„[...] Die Anhänger der einen Meinung [...] fassen das Wort „kann” als eine Muß-Vorschrift für den Richter auf. Es müsse also die Unfruchtbarmachung angeordnet werden, sobald der Richter auf Grund pflichtmäßigen Ermessens zu der Überzeugung gekommen sei, daß eine Erbkrankheit vorliege. „So bedeutet das Wort „kann” für den Erbgesundheitsrichter nicht Freiheit im Entschlusse, auch wenn die Erbkrankheit feststeht, sondern nur Freiheit im Entschlusse, ob die Erbkrankheit besteht.2).” [Der Autor gibt als Quelle für dieses Zitat an:„ 2) So Grunau: Jur. Wochenschrift 1935 S. 1380“] Der Autor führt zur Bekräftigung seiner Argumente exemplarisch ein Urteil des EOG Jena an: „[...] Dort handelte es sich um den Antrag auf Unfruchtbarmachung einer 50 Jahre alten Schizophrenen, die noch fortpflanzungsfähig war; allerdings war bei der Sachlage eine Schwängerung sehr unwahrscheinlich. In der Entscheidung heißt es: „Das Erbgesundheitsobergericht hat alle diese für und wider die Unfruchtbarmachung sprechenden Umstände gegeneinander abgewogen. Ferner hat es in Betracht gezogen, daß der Eingriff beim Alter der Erbkranken nicht völlig ungefährlich ist. Man würde unter diesen Umständen in der Bevölkerung mit Recht die Durchführung der Unfruchtbarmachung hier als unbillige und unnötige Härte empfinden. Das aber wäre dem großen Gedanken abträglich, der die ganze Rassenpflege tragen und der allen Volksgenossen nahegebracht werden soll. Das Erbgesundheitsobergericht ist daher mit dem Vorrichter der Ansicht, daß die Unfruchtbarmachung hier zu unterbleiben hat.” Diese Entscheidung sei denen vorgehalten, die noch immer meinen aus dem klaren „kann” des Gesetzes ein starres „muß” herauslesen zu müssen. Diejenigen, die glauben, daß ein Zweifel immer noch berechtigt sei, mögen das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vornehmen. Bei Erlaß des Gesetzes war dem Gesetzgeber die vorliegende Streitfrage wohl bekannt. Wenn er trotzdem den § 1 unverändert ließ, so doch wohl nur deshalb, weil die Bestimmung zu wirklich begründeten Zweifeln keinen Anlaß bot. Wenn man „kann” gesagt hatte, konnte man niemals „muß” meinen. [...]” (S. „Starrer Zwang oder pflichtmäßiges Ermessen? Zur Frage der Auslegung des § 1 des Erbkrankengesetzes Von Dr. jur. Walter Kopp, z. Z. am Erbgesundheitsgericht Hannover“, in: Der Erbarzt, Nr. 12, 1936, S. 185 - 187). In seiner Entgegnung zu den Anwürfen seines juristischen Kollegen Kopp erwidert der in Kiel am EOG tätige Grunau und argumentiert vorwiegend mit Anleihen aus dem militärischen Subordinationskodex: „[...] Dem angeblich von mir vertretenen „starren Zwange” stellt er [Kopp, J. D.] seine Ansicht gegenüber, das Erbgesundheitsgericht habe nur nach „pflichtmäßigen Ermessen” die Unfruchtbarmachung anzuordnen und könne die Anordnung, wenn das pflichtmäßige Ermessen dagegen spreche, auch unterlassen. Schon durch die Gegenüberstellung des „starren Zwanges” - die Worte starr und stur liegen nicht weit auseinander - mit dem „pflichtmäßigen Ermessen” wird der Leser in Kopps Sinne beeinflußt. Wer solche Gegenüberstellung liest, denkt ohne weiteres an einen General, [...] der, statt sich der veränderten Sachlage anzupassen, den ihm erteilten Befehl strikt befolgt und dadurch den Verlust der Schlacht herbeiführt; oder er denkt an einen konstruktionswütigen Juristen alten Schlages, dem Wortbedeutung und angebliche Logik weit über einer sinngemäßen Auslegung und einem billigen Ergebnisse stehen. Es ist selbstverständlich, daß nicht blinder Gehorsam, sondern Anpassungsfähigkeit an die jeweilige Lage nicht nur des Soldaten, sondern auch des Richters höchste Pflicht ist. Es ist auch - um mit Kopp zu reden - selbstverständlich, daß der Richter nicht Diener des Gesetzes, sondern des Rechtes ist, und daß er - wie ich hinzufügen möchte - je nach seiner Natur das Gesetz schwächlich, und daß er es kraftvoll handhaben kann. Aber solche freie Handhabung darf nie zur Disziplinlosigkeit führen. Hat der Feldherr - bzw. der Gesetzgeber - bevor er den Befehl erteilt, das Gesetz erlassen hat, eine bestimmte Lage bereits vorausgesehen und in Voraussicht dieser Lage den Befehl erteilt, das Gesetz erlassen, so handeln der Unterführer, der Richter befehls-, gesetzeswidrig, wenn sie sich über den Befehl und das Gesetz hinwegsetzen, und gefährden das Ganze. [...]” (S. „Starrer Zwang oder pflichtgemäßes Ermessen? Eine Entgegnung Von Oberlandesgerichtsrat Dr. Grunau, Kiel“, in: Der Erbarzt, Heft 3, 1936, S. 44 - 46).

Kopp erhielt vom Herausgeber v. Verschuer die Gelegenheit zu einem Schlusswort und bedient sich zweier Referenzen aus dem RMdI. Dabei qualifiziert er Grunaus Sichtweise als überkommen und „rechtspositivistisch“ ab und redet einer völlig „neuen“, weil einer „biologischen“ Sichtweise Raum schaffenden und „lebensgesetzlichen Betrachtungsweise“ das Wort: „[...] Zu meiner Freude ist die von mir vertretene Auffassung inzwischen auch von sehr sachverständiger medizinischer Seite in ganz eindeutiger Form bestätigt worden. Der Sachbearbeiter im Reichsministerium des Innern, Oberregierungsrat Dr. Linden, schreibt im Deutschen Ärzteblatt (1935, S. 124) zu dieser Frage:” Bei einem Gesetz, das auf biologischen Grundlagen beruht und jedem vorkommenden Einzelfall gerecht werden soll, kann eine Muß-Bestimmung den Vielfältigkeiten des Lebens nicht Rechnung tragen. Unsere Aufgabe ist es, mit Hilfe dieser Kann-Bestimmung das dem Gesetzgeber vorschwebende Ziel zu erreichen und nur dann trotz gegebener Voraussetzungen von der Anwendung dieser Ermächtigung abzusehen, wenn wir diese Abweichung jederzeit vor unserem biologischen Gewissen, dem Gesetzgeber, der Volksgemeinschaft und dem Einzelnen gegenüber verantworten können.” Und Dr. jur. Ruttke, der bekannte Mitarbeiter des maßgebenden Kommentars zum Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses schreibt im „Öffentlichen Gesundheitsdienst” (Heft 22, Teil A, Seite 903): „Im § 1 des Gesetzes wird kein Zwang zur Unfruchtbarmachung ausgesprochen und es muß dem Erbgesundheitsgericht überlassen werden, innerhalb der Grenzen des Gesetzes und der Verantwortung vor Volk und Staat die richtige Entscheidung zu finden.” Beide Verfasser lehnen also ebenfalls ganz unzweideutig die Auffassung Grunaus ab, es handele sich bei § 1 um eine Mußvorschrift. Wenn ich hier auf Wunsch von Herrn Professor Dr. v. Verschuer in einem Schlußwort zu der ablehnenden Meinung Grunaus Stellung nehme und für die Kann-Auslegung eintrete, so habe ich fast das Gefühl, offene Türen einzurennen. Die Meinung Grunaus bedarf zwar nach der klaren Stellungnahme Lindens und Ruttkes keiner großen Erörterung mehr, notwendig ist es aber, Grunau deshalb entgegenzutreten, weil die Ausführungen, mit denen er seine entgegengesetzte Auffassung zu begründen versucht, äußerst bedenklich erscheinen. [...]” Im weiteren Verlauf des Schlusswortes geht Kopp noch im Detail auf ein paar Argumente Grunaus ein, um zu folgendem Schluss zu gelangen:

„[...] Die rechtspositivistische Schulung der verflossenen Zeit steht aber im direkten Widerspruch zu der lebensgesetzlichen Betrachtungsweise, die die Anwendung des neuen Rechtes verlangt. Wesentlich ist noch, daß das klare Bekenntnis zur Kann-Vorschrift m. E. keineswegs die Gefahr unbegründeter Ausnahmen von der Anordnung der Unfruchtbarmachung heraufbeschwört. Die Erbgesundheitsgerichte haben sich bei der Erfüllung ihrer großen und neuartigen Aufgaben des Vertrauens, das ihnen der Gesetzgeber entgegengebracht hat, würdig gezeigt. Es dürfte kein Zweifel darin bestehen, daß sie ihre für die Volksgemeinschaft so unendlich wichtige Tätigkeit im gleichen Geiste weiter erfüllen werden. Wie schon früher betont, entspricht aber auch die starre Bindung durchaus nicht nationalsozialistischer Rechtsauffassung. Niemand kann dem Erbgesundheitsgericht die große Verantwortung abnehmen, die es mit jeder Entscheidung gegenüber der Volksgemeinschaft und dem Einzelnen übernimmt. Bei der Schwere der Verantwortung und der großen Tragweite der Entscheidung muß man aber auch dem Gericht das Recht zubilligen, in den ganz seltenen Fällen, in denen sich nach pflichtgemäßer Prüfung aller Umstände die Anordnung der Unfruchtbarmachung vor dem „biologischen Gewissen” nicht verantworten läßt, dementsprechend zu verfahren.” (S. Kopp, Schlußwort, Der Erbarzt, Heft 3, 1936, S. 46/47); s. dazu auch: Gerrens, S. 93 f. Damit war die juristische Diskussion keineswegs beendet. Die Protagonisten des GzVeN hatten aber immerhin ihrer wohl eher taktischen Auslegung des § 1 Nachdruck verliehen. Wie aber die Einschränkung Kopps am Ende seines Schlusswortes unschwer erkennen lässt, dürfte die Bevorzugung der „Kann-Vorschrift“ keine großen Auswirkungen gezeitigt und nur in Einzelfällen mögliche Opfer vor der Zwangssterilisation verschont haben.

156 S. Vossen, GÄ, S. 300, und seine Anmerkung 143; RMdI Wilhelm Frick sah sich höchstselbst veranlasst, mit RdErl. IV A 17 718/36/1079 v. 7.1.1937 „streng vertraulich”, eine neue Fassung des Intelligenzprüfungsbogens nachzuschieben, ohne jedoch zu versäumen nochmals auf einen RdErl. d. RMdI vom 6.1.1934 zu verweisen, er habe bereits damals die Amtsärzte „[...] besonders darauf aufmerksam gemacht, daß der Inhalt des Prüfungsbogens den untersuchenden Ärzten nur als Richtlinie dienen soll und daß es ihnen unbenommen ist, die Fragen dem Einzelfall anzupassen. Die Durchsicht von Erbgesundheitsakten hat mir gezeigt, daß dieser Erlaß immer noch nicht genügend beobachtet wird, und daß die Fragen oft nicht genügend dem Berufsleben und der Umwelt, in der sich der zu Untersuchende bewegt, entnommen werden. Da der Bewährung im Leben für die Beurteilung des Schwachsinns besondere Bedeutung beizumessen ist, [...] ist es erforderlich, im Rahmen der Intelligenzprüfung festzstellen, wie der zu Untersuchende Fragen, die Beruf und Leben täglich an ihn stellen, beantwortet. Dabei werden für die Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit die Lebensführung, die Entwicklung der sittlichen Allgemeinvorstellungen, die Einsicht in die Ordnung der menschlichen Gesellschaft oft entscheidend sein müssen. [...]”, s. StAM, GA Weilheim, Nr. 500.

157 S. BAB, R 22 4005, geheime Denkschrift des Reichärzteführers Gerhard Wagner an Adolf Hitler vom 29.5.1937, Zitat hier von S. 2 (bzw. Stempelaufdruck 990).

158 Ebenda: Zitat von S. 1 und 2 der Anlage zum Anschreiben an Hitler (bzw. S. 6 und 7 des Dokumentes bzw. Stempelaufdruck 994/995).

159 Ebenda, Zitat von S. 12 der Anlage zum Anschreiben an Hitler (bzw. S. 24 des Dokumentes bzw. Stempelaufdruck 1012).

160 Ebenda, Zitat von S. 15 der Anlage zum Anschreiben an Hitler (bzw. S. 27 des Dokumentes bzw. Stempelaufdruck 1015).

161 Ebenda, Zitat von S. 38 der Anlage zum Anschreiben an Hitler (bzw. S. 50 des Dokumentes bzw. Stempelaufdruck 1038).

162 s. „Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und des Ehegesundheitsgesetzes. Vom 31. August 1939.”, RGBl I, 1939, S. 1560/1561: „[...] Artikel I § 1 (1) Anträge auf Unfruchtbarmachung sind nur zu stellen, wenn die Unfruchtbarmachung wegen besonders großer Fortpflanzungsgefahr nicht aufgeschoben werden darf. Soll ein Antrag auf Unfruchtbarmachung gemäß § 2 [Selbstanträge oder Anträge der Vormünder, J. D.] oder gemäß § 3 Ziffer 2 [Anträge durch Anstaltsleiter, J. D.] des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses gestellt werden, so ist er dem zuständigen Gesundheitsamt zuzuleiten, welches prüft, ob diese Voraussetzungen vorliegen. (2) Anzeigen gemäß Artikel 3 Abs. 4 der Verordnung vom 5. Dezember 1933 (Reichsgesetzbl. I S.1021) sind beim Gesundheitsamt zu sammeln. Ihre weitere Bearbeitung ruht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 nicht gegeben sind. § 2 Verfahren auf Unfruchtbarmachung, die beim Inkrafttreten dieser Verordnung noch nicht rechtskräftig erledigt sind, werden eingestellt. Sie sind nur auf besonderen Antrag des Amtsarztes fortzusetzen. Er soll den Antrag nur stellen, wenn ein dringender Fall im Sinne des § 1 Abs. 1 vorliegt. § 3 Der Reichsminister der Justiz kann die Aufgaben mehrerer Erbgesundheitsgerichte einem Erbgesundheitsgericht übertragen. § 4 Die Durchführung von rechtskräftigen Beschlüssen auf Unfruchtbarmachung kann durch den zuständigen Amtsarzt ausgesetzt werden, falls Ärzte, die zur Unfruchtbarmachung ermächtigt sind, nicht zur Verfügung stehen. In dringenden Fällen ist der rechtskräftige Beschluß durchzuführen. Hierzu können ausnahmsweise auch Ärzte herangezogen werden, die nicht ausdrücklich zur Unfruchtbarmachung ermächtigt sind, sofern sie die Gewähr für eine ordnungsmäßige Durchführung des Eingriffs bieten. § 5 (1) Unfruchtbarmachungen, Schwangerschaftsunterbrechungen und Entfernungen der Keimdrüsen gemäß § 14 Abs. 1 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses werden durch diese Verordnung nicht berührt. Dem Leiter der Gutachterstelle bleibt es überlassen, ob und inwieweit er im Einzelfall schriftliche oder mündliche Gutachten über die Notwendigkeit einer Schwangerschaftsunterbrechung einholen will; er kann auch ohne Einholung solcher Gutachten entscheiden. (2) Entfernungen von Keimdrüsen gemäß § 14 Abs. 2 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses sind nicht vorzunehmen. [...]” (Der nachfolgende Artikel II [§§ 6 - 9] betraf das Ehegesundheitsgesetz.)

Diese DVO zum GzVeN vom 31.8.1939 führte offensichtlich zu einigen Missverständnissen an der Basis und veranlasste wohl den Vorsitzenden des EG Berlin zu einer Beschwerde oder kritischen Nachfrage (das Schreiben ist mir nicht bekannt) an das RMdI, weshalb sich „Reichsärzteführer“ und Staatssekretär im RMdI Leonardo Conti genötigt sah, hier gegensteuernd einzugreifen und die Antwort seines Sachbearbeiters Ministerialrat Dr. med. Herbert Linden (der spätere „Reichsbeauftragte für die Heil- und Pflegeanstalten“ und Mitorganisator der „Euthanasie“-Aktivitäten) an den Berliner EG-Vorsitzenden mit einem kurzen Begleitschreiben reichsweit an die ausführenden Behörden zu streuen:

„[...] Wie ich festgestellt habe, werden die in der Verordnung und in meinem Erlaß vom 13. September 1939 - IV b 3842/39 - 1079 - gegebenen Weisungen von einzelnen Dienststellen in einer Form ausgelegt, die mit den gegebenen Anweisungen nicht in Übereinstimmung zu bringen ist.

Zur Richtigstellung irriger Auffassungen sind die einschlägigen Gesichtspunkte von meinem Sachbearbeiter in dem abschriftlich beigefügten Schreiben an den Vorsitzenden des Erbgesundheitsgerichts Berlin zusammengestellt. Ich ersuche hiernach künftig zu verfahren. [...]” RdErl. d. RMdI IV b 4720/39 1079v. 5.12.1939, StAA, GA Neuburg, Nr. 40 (Eingangsstempel des GA Neuburg vom 11.1.1940).

Linden verdeutlicht mit knappen Worten die Intention der DVO:

„[...] Die Verordnung vom 31. August 1939 zur Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und des Ehegesundheitsgesetzes ist absichtlich weit gefaßt, um den für die Durchführung der Gesetze verantwortlichen Dienststellen eine Möglichkeit zu ihrer Steuerung nach den sich aus der Lage ergebenden Verhältnissen offen zu halten. Bei den schon einige Zeit zurückliegenden Vorarbeiten [Hinweis auf kriegsvorbereitende Planungen, J. D.] zu der Verordnung konnte selbstverständlich nicht vorausgesehen werden, wie sich die Kriegslage und die Inanspruchnahme der Gesundheitsämter usw. im einzelnen gestalten würde. Da aber der Gesetzgeber auch unter Annahme der schwierigsten Verhältnisse sich für eine Durchführung der Gesetze, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, ausgesprochen hat, besteht kein Zweifel, daß eine vollkommene Stoppung der Antragstellung, wie sie anscheinend bei einzelnen Dienststellen eingetreten ist, nicht als dem Willen des Gesetzgebers entsprechend angesehen werden kann. Vielmehr sollen die Gesetze im Rahmen des Möglichen durchgführt werden . Hervorhebung im Original, J. D., ...] Zusammenfassend möchte ich sagen: Die Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses muß gerade in der heutigen Zeit darauf abgestellt sein, für die Volksgemeinschaft unerwünschten Nachwuchs zu verhüten. Wissenschaftliche Streitfragen müssen in den Hintergrund treten. Daher wird noch mehr als bisher Wert darauf zu legen sein, sich an Hand des Sippenbefundes ein Urteil über die vorraussichtliche Qualität der Nachkommenschaft des Betroffenen zu verschaffen. Müssen wir zu der Auffassung gelangen, daß der Nachwuchs des Betroffenen unerwünscht ist, so besteht erst recht in Kriegszeiten die Verpflichtung, diesen Nachwuchs zu verhüten. [Hervorhebung im Original, J. D.] Der Reichsminister des Innern hat angeordnet, daß diese meine Auffassung den mit der Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses in Berlin und auch sonst im Reich beauftragten Stellen zur Kenntnis gebacht wird. Heil Hitler! Ihr Dr. Linden“. Auf den 5.12.1939 datiertes Schreiben Lindens ohne Aktenzeichen an den Vorsitzenden des Erbgesundheitsgerichts Berlin Herrn Amtsgerichtsrat Hallberg in Berlin-Charlottenburg 1, Tegeler Weg 17 - 20., s. StAA, GA Neuburg, Nr. 40.

163 S. Bock, Zwangssterilisation, S. 354.

164 S. RdErl. d. RMdI v. 26.11.1935 - IB3/324 II, Reichsgesundheitsblatt Nr. 52 vom 27.12.1935, S. 1058 und 1059 bzw. RMBliV. 1935, S. 1429. Das Reichsbürgergesetz s. Reichsgesetzblatt I, 1935, S. 1333, veröffentlicht auch im Reichsgesundheitsblatt Nr. 48v. 27.11.1935, S. 1001 - 1002.

165 S. Lewy, S. 12 f.

166 S. Begleitheft zur Ausstellung „Das Reichsgesundheitsamt im Nationalsozialismus”. Menschenversuche und „Zigeunerforschung” zwischen 1933 und 1945 im Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin, Berlin-Dahlem, BGVV (jetzt: Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR), Pressestelle 1998, S. 5 ff. Zu den NS-Planungen zur „Lösung des Zigeunerproblems” vgl. auch Bock, S. 361 f.

167 S. RdErl. v. 8.12.38, Az. S-KR 1, 557 VIII/38 - 2026 - 6, RMBliV. 1938, Nr. 51, S. 2105 - 2110. Asmus Nitschke geht in einem 23-seitigen Exkurs „Die erbgesundheitliche Verfolgung von Bremer Sinti und Roma durch die Sterilisationsbehörden” auf die Hintergründe der „Zigeuner”-Verfolgung und fünf Bremer Einzelschicksale ausführlich ein (s. Nitschke, Erbpolizei, S. 236 - 258). Gisela Bock widmet im Kapitel „Sterilisation und „fremde Rassen” (S. 351 - 368) neben der Sterilisationspolitik gegen Juden auch der Verfolgung der „Zigeuner” neun Seiten (S. 360 - 368).

168 S. RMBliV. 1938, Nr. 51, Zitat von S. 2110.

169 Im Königreich Bayern erließ das Königlich-Bayerische Staatsministerium des Innern bereits 1885 eine Entschließung gegen „Zigeuner und nach Zigeunerart umherziehende Personen”. Hier wurden eine strenge Kontrolle ihrer Ausweispapiere und die Einschränkung ihrer Wanderergewerbescheine verlangt. In einer „Ministerial-Entschließung vom 28. März 1899” (MABl. S. 111) wurde kein Hehl daraus gemacht, dass man die „Zigeuner” durch diese Schikanen davon abschrecken wolle, in Bayern umherzuziehen. In der Königlichen Polizeidirektion München entstand deshalb 1899 eine Stelle zur Koordinierung der gegen „Zigeuner” gerichteten Maßnahmen. Die örtlichen Polizeidienststellen hatten nun jeden ihnen bekannt gewordenen „Zigeuner” oder umherziehende Gruppen und ihre dagegen eingeleiteten Maßnahmen der Münchner „Zigeunerzentrale” zu melden. Falls keine Maßnahmen eingeleitet wurden, musste die Polizei sich diesbezüglich erklären. An den Meldungen beteiligten sich auch andere deutsche Staaten, sodass die in München geführte Datenbank 1925 über 14 000 Namen und Fotos aufwies. Ab 1911 wurden von allen ermittelten „Zigeunern” in Bayern die Fingerabdrücke genommen. Der damalige Leiter der Münchner „Zigeunerzentrale”, Alfred Dillmann, brachte 1905 die bisher gesammelten Daten als „Zigeuner-Buch” im Auftrag des Königlich-Bayerischen Staatsministeriums des Innern in einer Auflage von 7000 Exemplaren heraus. Es enthielt neben einschlägigen Vorschriften 3350 Namen und ausführliche Angaben zu 611 Personen, die Dillmann in 435 „Zigeuner” und 176 „nach Zigeunerart Umherziehende” (Jenische) eingeteilt hatte. 477 Personen waren als „Straftäter” vermerkt, ihnen wurde Bettelei, Handel ohne Wanderergewerbeschein oder Diebstahl zur Last gelegt (s. Lewy, S. 119 ff.). Als erster deutscher Staat erließ der Freistaat Bayern am 16. 7.1926 ein „Gesetz zur Bekämpfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen (Zigeuner- und Arbeitsscheuengesetz 1926)” (siehe Bayr. GVBl. Nr. 17 vom 22.7.1926, S. 359 - 361) und eine 7-seitige „Ministerial-Entschließung zur Ausführung des Zigeuner- und Arbeitsscheuengesetz” (GVBl. 1926, S. 361 - 367) mit insgesamt 6 Anlagen, die Muster für den „Personalausweis für Zigeuner und Landfahrer” (Anlage 1, S. 367), einen „Erlaubnisschein für das Umherziehen mit Wohnwagen (Wohnkarren)” (Anlage 2, S. 368), einen „Erlaubnisschein für das Umherziehen mit schulpflichtigen Kindern” (Anlage 3, S. 369), einen „Ausweis für mitgeführte Tiere” (Anlage 4, S. 370), einen „Erlaubnisschein für Schußwaffenbesitz” (Anlage 5, S. 371) und ein Formblatt zur „Mitteilung über verhängten Arbeitszwang an die Polizeidirektion M ü n c h e n” (Anlage 6, S. 372) enthielten. Im Art. 9 des Gesetzes hieß es im Absatz 1: „Zigeuner und Landfahrer im Alter von mehr als 16 Jahren, die den Nachweis einer geregelten Arbeit nicht zu erbringen vermögen, können durch die zuständige Polizeibehörde aus Gründen der öffentlichen Sicherheit bis zur Dauer von 2 Jahren in einer Arbeitsanstalt untergebracht werden” (S. 360). Die Ausführungsbestimmungen erläuterten dazu: „Rücksichten auf allenfalls vorhandene Familienangehörige dürfen im übrigen bei Entscheidungen über die zu treffenden Maßnahmen in der Regel nicht maßgebend sein. Unterhaltsberechtigte Angehörige sind gegebenenfalls in Fürsorge zu nehmen.” (S. 364) In der Ausführungsbestimmung zu Art. 10 „Arbeitsscheue” wird außerdem vorgeschrieben: „[...] vor Anordnung einer Arbeitszwangsmaßnahme ist die Arbeitstüchtigkeit des Betroffenen in der Regel durch amtsärztliches Zeugnis festzustellen [...]” (S. 365) Mit der Definition, wer als „Zigeuner“ zu gelten habe, hielt sich das Bayer. Staatsministerium des Innern in seinen Ausführungsbestimmungen nicht lange auf: [...] „A. Zigeuner und Landfahrer. Begriffsbestimmung. Der Begriff „Zigeuner” ist allgemein bekannt und bedarf keiner näheren Erläuterung. Die Rassenkunde gibt darüber Aufschluß, wer als Zigeuner anzusehen ist. [...]” (S. 361) Auf welche „Rassenkunde” sich das Bayr. Staatsministerium des Innern bezog, wird nicht klar. Hans F. K. Günthers bereits erschienene „Rassenkunde des deutschen Volkes” konnte das Ministerium nicht meinen, da Günther sich nur in einem Halbsatz, und da nur im Vergleich mit den Juden, zu den „Zigeunern” äußerte (s. Günther, S. 434). Die damalige Bayr. Staatsregierung scherte sich mit ihrem „Zigeunergesetz” und den dazugehörigen Ausführungsbestimmungen überhaupt nicht um die in der Weimarer Verfassung (RGBl. 1919, Nr. 152, S. 1383 - 1418) vorgegebenen Bestimmungen zu den „Grundrechte[n]... der Deutschen”, insbesondere Art. 109 „Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich.” Auch wenn in der Weimarer Verfassung die Grundrechte nur den „Deutschen” und nicht wie im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland allen Menschen zugestanden wurden, ist den Bayr. Bestimmungen zu den „Zigeunern” nicht zu entnehmen, dass diesen von vornherein die deutsche bzw. bayerische Staatsbürgerschaft aberkannt gewesen wäre. Die damalige Bayr. Staatsregierung, die 1926 das Gesetz verabschiedete, war eine Koalitionsregierung aus Bayr. Volkspartei (BVP), Deutschnationaler Volkspartei (DNVP) und Bauernbund. Ministerpräsident war seit 28.6.1924 Heinrich Held (BVP). Der Bayr. Innenminister, Karl Stützel, war ebenfalls von der BVP.

170 S. 4. Beiheft zum Reichsgesundheitsblatt, Jahrgang 1938, S. 65 bis 70, Zitat auf S. 65 links.

171 Zitiert nach Bock, Zwangssterilisation, S. 367 f., Quelle laut Bock: Anmerkung 145; Meinhof, 12.5.1944, Bundesarchiv Koblenz, R 22/949, f. 31.

172 S. Bock, S. 366 f.

173 S. Stürzbecher, ÖGW 1974, S. 350 - 359, Bock Zwangssterilisationen, S. 230- 246, Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, S. 67 - 70, Vossen, Gesundheitsämter, S. 316 ff.

174 Vgl. Bock, S. 230 - 246, „Die quantitative Dimension”, zur Sterilisationsquote: s. S. 237 f., Bock führt außerdem einen amerikanischen Zeugen an: „[...] Im Jahr 1942 berichtete Wallace R. Deuel, Deutschlandkorrespondent der Chicago Daily News, von 375 000 Sterilisationen bis zum Jahr 1939. [...]” (Zitat von S. 230, Quellenangabe unter Anmerkung 74 auf S. 231: „Wallace R. Deuel, People Under Hitler, New York 1942, S. 222 [vgl. ebd., S. 219 - 221, die korrekten Angaben zur Anzahl der Kastrationen [Anm. II/34] und zu den Opfern der Euthanasie [100 000]“]) noch 1935 konnten im Reichsgesundheitsblatt die kompletten Zahlen für 1934 veröffentlicht werden (Franz Maßfeller, Die Arbeit der Erbgesundheitsgerichte im Jahre 1934, in: Reichsgesundheitsblatt 1935, Heft 10, S. 592 f. [s. Bock, S. 231, Anmerkung 75], die selben Statistiken veröffentlichte Maßfeller auch im Amtsblatt der deutschen Rechtspflege, Deutsche Justiz, 97. Jhrg., 1935, S. 780- 782), danach habe Hitler, so Bock, durch eine Anordnung im Mai 1936 jede weitere Veröffentlichung von Sterilisationsstatistiken verboten, weil er Unruhe in der Bevölkerung und Proteste aus dem Ausland fürchtete (s. Bock, S. 231, Anmerkung 75, „Lammers, Vermerk vom 14. Mai 1936 und Schreiben an den RMI, 25. Mai 1935“, BAB, R 43 II/721a, f. 82, 84). Friedlander geht, abweichend von Bock, von „etwa 375 000“ aus (s. Friedlander, 1995, S. 71).

175 S. Stürzbecher, ÖGW 1974, S. 350 - 359, Zitat S. 356. Henry Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, verwendet 1995 zu etwa demselben Zeitraum Unterlagen aus dem damaligen Bundesarchiv in Koblenz und kommt auf nur geringfügig andere Zahlen; s. Friedlander S. 67 - 70; Vossen verwendet ebenfalls wie Friedlander die Statistiken aus dem Bundesarchiv, Abteilung Deutsches Reich, die mittlerweile von Koblenz nach Berlin-Lichterfelde überführt wurden, R 18 (RMdI, mittlerweile neue Signatur: R 1501), Nr. 5585, präzisiert jedoch mit „Blatt 329” die Quelle und kommt in der Gesamtzahl der angeordneten Sterilisationen mit 71 760 in 1935 sowie 64 646 in 1936 auf dieselben Zahlen wie Friedlander. Für 1934 beziffert Vossen die Summe der angeordneten Sterilisationen mit lediglich 56 244 und führt darüber hinaus die Gesamtzahlen der von den EG oder EOG abgelehnten Anträge auf: 3692 in 1934 (Friedlander kommt hier auf 4874), 8976 in 1935 (identisch bei Friedlander) und 11 619 in 1936 (ebenso bei Friedlander). Hingegen beschränkt er sich auf die Nennung der Gesamtzahl der in den Jahren 1934 mit 1936 erfolgten Sterilisationen, die er mit 168 989 identisch mit Stürzbecher und Friedlander beziffert. Ebenfalls identische Zahlen zu den 1935 und 1936 gestellten Anträgen liefern Vossen und Friedlander: 88 193 in 1935 und 86 254 in 1936; nur für 1934 differieren die Zahlen wieder: bei Vossen sind es 84 525 und bei Friedlander 84 604 (s. Friedlander, S. 68/69; Vossen, S. 317 und seine Anmerkungen 226/227 dazu auf derselben Seite). Die unterschiedlichen Zahlen für 1934 rühren wohl daher, dass Vossen sich für 1934, anders als Friedlander, nicht der Daten aus dem RMdI sondern derer aus dem ehemaligen Reichsjustizministerium bedient mit der Bezeichnung BA 30.01, Nr. 10 160, Blätter 157 - 158.

176 BAB R 1501/5585, Reproduktion von Mikrofiche 320 Nr. 585, „Anlage 11” mit der handschriftlichen hinzugefügten Seitenangabe 165 sowie der aufgestempelten Dokumentenseitenangabe „329”.

177 S. Stürzbecher.

178 ebenda

179 BAB R 1501/5585, S. „165” bzw. „329”.

180 ebenda

181 S. Friedlander, S. 77 ff. Vossen beziffert für Westfalen, die Arbeit Bernd Walters, Psychiatrie und Gesellschaft in der Moderne. Geisteskrankenfürsorge in der Provinz Westfalen zwischen Kaiserreich und NS-Regime, Paderborn 1996 zitierend, das Ausmaß folgendermaßen: „Für Westfalen ist nach einer Modellrechnung von Bernd Walter von mindestens 36.500 Sterilisationsverfahren auszugehen. 54,6 % aller Sterilisationsanträge wurden in Westfalen in den Jahren 1934 bis 1936 gestellt, auf die folgenden drei Jahre bis zum Kriegsbeginn entfielen weitere 28,7 % und nur 16,7 % der Anträge entfielen auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Es ist für Westfalen von 30.700 rechtskräftig angeordneten Zwangssterilisationen auszugehen, die in aller Regel auch durchgeführt worden sein dürften.” (Zitat bei Vossen auf S. 317 und seine Anmerkungen 230/231 dazu auf derselben Seite)

Johannes Vossen weist hier auf erhebliche regionale Unterschiede in der Umsetzung des GzVeN hin und führt die beiden von ihm ermittelten Extrema an: So seien 1934 im Bereich des EOG Braunschweig Sterilisationsanträge nur für 0,88 pro Tausend der Bevölkerung gestellt worden, wohingegen im Zuständigkeitsbereich des EOG Karlsruhe (Baden) Sterilisationsanträge für 2,65 pro Tausend der Bevölkerung eingereicht wurden (s. Vossen, GÄ, S. 318 und seine Anmerkung 240 auf derselben Seite).

182 Zitiert n. Schmacke, Güse, Zitat Strauß auf S. 165.

183 S. Nitschke, S. 275.

184 S. Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhG) BGBl. I 1998, S. 2501; s. a. Blickpunkt Bundestag, 1.6.1998, Interview mit dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses Horst Eylmann (CDU); Johannes Vossen widmet dem Schicksal der Zwangssterilisierten mehrere Seiten im dritten Teil seines Buches, „Neuanfang und Kontinuität, Wiederaufnahmeverfahren ohne Wiedergutmachung: Das Schicksal der Zwangssterilisierten”, S. 468 - 475.

185 S. RGBl. I 1935, S. 773.

186 S. Vossen GÄ, S. 313 und seine dortige Anmerkung 204; Vossen bezieht sich hier auf eine Stellungnahme Gütts, BA, R 18 (jetzt: 1501) Nr. 5585, Bl. 311 - 323 und den Diskussionsprozess dazu in: BA R 43 II, Nr. 720; s. a. Schmuhl, Rassenhygiene, S. 162 f. und Bock, S. 98 f.

187 S. RGBl. I, 1935, S. 1035 - 1037, Zitat Art. 3 auf S. 1035; was sich hinter dem Begriff „Pfleger” verbirgt, macht Heitzer am Beispiel des EG Passau deutlich: Nur 21,3 % der Betroffenen waren voll geschäftsfähig, in Frankfurt 29,8 % und in Kempten 36,6 %, das heißt in diesem Kontext, eine „Pflegschaft” war nicht die Ausnahme, sondern die Regel! S. Heitzer, S. 247 ff., insbesondere S. 251 und seine dortige Anmerkung 943.

188 Vgl. 2. Änderungsgesetz zum GzVeN v. 4.2.1936, RGBl. I S. 119 und 5. AVO zum GzVeN v. 25.2.1936, RGBl. I S. 122 sowie RdErl. d. RMdI IV A 2261 II/1079v. 15.4.1936 „Betrifft: Unfruchtbarmachung durch Strahlenbehandlung”, s. StAM, GA Weilheim, Nr. 499; zu den Planungen und den Diskussionen im Sachversändigenbeirat s. Kaupen-Haas, Die Bevölkerungsplaner im Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik, in: Kaupen-Haas (Hrsg), S. 103 - 120.

189 S. Ermächtigung des RMdI vom 27.7.1935, Aktenzeichen IV f 4864 1079 abgedruckt in: Richtlinien für Schwangerschaftsunterbrechung und Unfruchtbarmachung aus gesundheitlichen Gründen, herausgegeben von der Reichsärztekammer; J. F. Lehmanns Verlag, München, 1936.

190 S. Garn, S. 37 und: Bock, S. 96 - 99.

191 S. PRH, S. 122 und seine dortige Anmerkung 20: G. Wagner in: Ziel und Weg 3/1933, S. 431.

192 Ebenda, S. 122 und Anmerkung 21: Ärzteblatt für Berlin, Nr. 42, 1937, S. 642; laut Garn habe vor 1933 der Schwerpunkt des Strafmaßes bei Verstößen gegen § 218 bei Gefängnisstrafen von weniger als drei Monaten und Geldstrafen gelegen. 1932 sei noch in 32,75 % und 1935 nur mehr in 10,65 % aller Fälle als Strafmaß eine Geldstrafe verhängt worden (s. Garn, S. 40).

193 S. PRH, S. 122, Anmerkung 23: Walter Schultze, „Grundlagen und Ziele der Rassenpflege“ im Dt. Ärzteblatt Nr. 63/1933, S. 566.

194 S. Brücks, Rothmaler, S. 31; das Motto habe ein Amtsarzt unter den Sterilisationsanträgen gegen einige schwangere Frauen vermerkt. Beide Autorinnen belegen, dass das Hamburger EOG bereits im März 1934 - also zwei Monate nach Inkrafttreten des GzVeN - über die Praxis der Abtreibung im Rahmen des GzVeN entschieden habe und zitieren aus einer EG-Urteilsbegründung vom Oktober 1934, die sich ebenfalls auf das Urteil im EOG-Verfahren 199/1934 bezieht: „[...] Da schon eine Schwangerschaft, die das Leben und die Gesundheit der Mutter ernstlich gefährdet, unterbrochen werden darf, ist es erst recht zulässig, zu unterbrechen, wenn durch das zu erwartende Kind Leben und Gesundheit des Volkes gefährdet werden würden.” Die Schwangerschaft der betroffenen Mutter sei noch im 7. Schwangerschaftsmonat abgebrochen worden. (Zitat vgl. S. 31, und ihre Anmerkung 22; zum Beschluss 199/1934: Anmerkung 20: StAHH, Akten des EOG Hamburg 3, Bd. 1, Allgemeine Angelegenheiten des EOG, Nov. 1933 - Jan. 1935.)

195 S. Bock, S. 435 - 456

196 S. RdErl. d. RMdI v. 18.7.1940 - IV b 1446/40 - 1072e, RMBliV. 1940, Nr. 30, S. 1519 - 1524.

197 S. Faksimile im Anhang Nr. 9, StAM, GA Weilheim, Nr. 499, Unterstreichungen im Original; dazu auch Garn, S. 37 f.; Bock hat dazu ermittelt, eine „Ermächtigung” Hitlers sei einem Vermerk vom 27.11.1941 über eine Besprechung zwischen Rietzsch (RJM), Linden (RMdI) und Hefelmann (KdF) in Vertretung Viktor Bracks, dem Leiter der KdF, zu entnehmen, s. Bock, Anmerkung 161 auf S. 437.

198 S. Bock, S. 438 und dortige Anmerkung 162; hier Zitat Bock: „Am 26. Febr.1945 sandte Linden dem RJM einen Entwurf, der ihn am 11. März billigte: „In einem Schlußsatz bitte ich zum Ausdruck zu bringen, daß es in den Fällen, die nicht auf eine Vergewaltigung der Frauen durch Angehörige der Sowjetarmee zurückzuführen sind, bei der bisherigen Regelung verbleibt” (BAK, R 22/5008, f. 105- 109).

199 S. StAN, GA Eichstätt, Nr. 61.

200 S. StAM, GA Pfaffenhofen, Nr. 86. Der „Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“ ging aus dem bereits um die Jahreswende 1937/1938 ins Leben gerufenen „Reichsausschuß für Erbgesundheitsfragen“ hervor. Dieser Ausschuss war gegründet worden um in Auseinandersetzungen zu Entscheidungen im Rahmen der Durchführung des GzVeN zwischen gesundheitspolitisch aktiven Parteiorganisationen und den staatlichen Gesundheitsbehörden zu schlichten. Er war zuständig für Entscheidungen in strittigen Fragen einzelner EG- oder EOG-Urteile, Eheverbote, und negativer Ehestandsdarlehensentscheidungen, sowie zur Genehmigung von Abtreibungen aus „eugenetischer“ Indikation. Dieser Reichsausschuss war das Bindeglied zwischen der Zwangssterilisation über die eugenische Abtreibung bis hin zur Planung und Organisation der „Euthanasie“-Morde. In ihm verband sich die staatliche Gesundheitsverwaltung in Gestalt der Unterabteilung „Erb- und Rassenpflege“ im RMdI unter Leitung von Ministerialrat Dr. med. Herbert Linden mit der führerimmediaten Parteidienststelle „Kanzlei des Führers“ unter Leitung von „Reichsleiter“ Philipp Bouhler; dazu gesellten sich als Gutachtergremium einige der im Dt. Reich renommiertesten Psychiater, Kinder- und Jugendpsychiater, Neurologen, Gynäkologen und Pädiater (s. Schmuhl, Hans-Walter, Die Patientenmorde, in: Ebbinghaus, Dörner; Vernichten und Heilen, S. 295 - 330 sowie ders., Rassenhygiene, S. 166 ff.; und Roth, Erfassung zur Vernichtung, S. 104 ff.)

201 S. Schmuhl, Rassenhygiene, S. 166 f.

202 S. Bock, S. 444 und S. 446 (Sauckel); Süß berichtet, dass „das Regime nicht nur in katholischen Regionen Schwierigkeiten [hatte], Ärzte zu finden, die den Eingriff durchführten.”, dies sei einem Monatsbericht des Regierungspräsidenten von Oberbayern vom 7.6.1944 zu entnehmen (s. Süß, S. 375 und Anmerkung 30, Süß' Quelle: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, MA/106 695, Bericht vom 7.6.1944, S. 17).

203 S. Goldberger, S. 190 f.

204 S. StAA, GA Wertingen, Nr. 43; s. a. Faksimile im Anhang Nr. 10; Dr. Heißing befand sich mit seiner strikten Ablehnung der „Betreuung dieser Säuglingen durch unsere Gesundheitspflege“ ganz auf Linie. Reichsärzteführer Conti hatte, laut Süß, bereits ein Jahr zuvor mit Rundschreiben an die Ober- und Regierungspräsidenten vom 27.1.1941 die gemeinsame Behandlung von osteuropäischen Zwangsarbeitern mit deutschen Patienten aufgrund von Beschwerden aus der Bevölkerung untersagt (s. Süß, S. 374, Anmerkung 25, Süß‘ Quelle: BAB, R 18/5576). Zur Biografie Dr. Albert Heißings: Geb. 27.3.1899 in Augsburg, Sohn des Drogeriebesitzers Albert Heißing in Augsburg, Volksschule in Augsburg, humanist. Gymnasium „St. Stephan” in Augsburg, seit 1.4.1917 im Heeresdienst (Nordfrankreich, Flandern), Entlassung 15.1.1919, Medizinstudium in München, ärztl. Prüfung 12/1923, Note: 1, Medizinalpraktikum an der städt. Kinderheilanstalt Augsburg, Approbation 1925, Assistenzarzt in der städt. Kinderheilanstalt Augsburg 8/25 - 4/29, Kreisarztexamen 1929, Note: 2, seit 15.7.29 Kreisarzt im Landkreis Lennep, danach Rhein-Wupper-Kreis, seit 1935 stellv. Amtsarzt des dortigen GA, seit 1.11.1937 kommis. Amtsarzt im GA Donauwörth, 1.4.1938 Ernennung zum Medizinalrat, Mitglied der NSDAP seit 1.5.1933 (Nr.: 3.483.358); außerdem SA-San.Scharführer; Quelle: BAD, ZA/V, 61, Bl. 60; Recherche: Dr. Johannes Vossen, Berlin; In den Fünfzigerjahren war Dr. Heißing dann als Obermedizinalrat bei der Regierung von Schwaben beschäftigt (vgl. RS d. Reg. v. Schwaben Nr. VIII G 784/56v. 3.8. und 23.8.1956, „Betreff: Durchführung der schulärztlichen Untersuchungen an den Volksschulen im Rechnungsjahr 1956”, StAA, GA Neuburg, Nr. 46).

205 S. StAA, RS der Reg. v. Schwaben, Nr. VIII 55v. 19.1.1942 und RS v. 30.4.1942 mit der ME des StMI v. 23.4.1942 Nr. 5285d 3, GA Wertingen, Nr. 43; infolge der ME des StMI erreichte das Schreiben Dr. Heißings am 12.5.1942 mitsamt einem RS der Reg. v. Oberbayern vom 5.5.1942 auch das staatl. GA Pfaffenhofen, s. StAM, GA Pfaffenhofen Nr. 86.

206 S. Czarnowski, 1. Kapitel: Rassenhygiene - Eugenik - Fortpflanzungshygiene als wissenschaftliches Programm: Eine neue Qualität des Zugriffs auf den Körper, S. 23 - 37 und Kapitel2: Der medizinische Ehe-Diskurs: „Fortpflanzung” und „Vererbung”, S. 38 - 61.

207 Vgl. Schallmayer, insbesondere S. 192 - 256 und 387- 419.

208 Ebenda, Vorwort, S. V - VI.

209 Vgl. Gruber, 1. Zitat von S. 22, 2. Zitat von S. 30.

210 Vgl. Grotjahn, Die hygienische Forderung, S. 139 und 140.

211 Vgl. Grotjahn, Das Gesundheitsbuch der Frau, S. 61 unten und S. 62 oben.

212 Vgl. Muckermann, Zitat Seite 166/167.

213 Ebenda, Zitat von Seite 240.

214 Vgl. Lenz, Menschliche Auslese und Rassenhygiene, S. 321 - 323.

215 Ebenda Zitat auf S. 463.

216 S. PRH, S. 118, Anmerkung 3.

217 S. Hitler Mein Kampf, Zitat auf Seite 274 und 275: „[...] Die erste Voraussetzung zu einem, aber auch moralischen Rechte, gegen diese Dinge anzukämpfen ist die Ermöglichung einer frühen Verehelichung der kommenden Generation. Im späten Heiraten liegt allein schon der Zwang zur Beibehaltung einer Einrichtung, die, da kann man sich winden, wie man will, eine Schande der Menschheit ist und bleibt, eine Einrichtung, die verflucht schlecht einem Wesen ansteht, das sich in sonstiger Bescheidenheit gern als das „Ebenbild” Gottes ansieht. [...] Die erste aber ist und bleibt die Schaffung der Möglichkeit einer der menschlichen Natur entsprechenden frühzeitigen Heirat, vor allem des Mannes, denn die Frau ist ja hier ohnehin nur der passive Teil. Wie verirrt, ja unverständlich aber die Menschen heute zum Teil ja geworden sind, mag daraus hervorgehen, dass man nicht selten Mütter der sog. „besseren” Gesellschaft reden hört, sie wären dankbar, für ihr Kind einen Mann zu finden, der sich die „Hörner bereits abgestoßen habe” u. s. w. Da daran meistens weniger Mangel ist als umgekehrt, so wird das arme Mädel schon glücklich einen solchen enthörnten Siegfried finden, die Kinder werden das sichtbare Ergebnis dieser vernünftigen Ehe sein. [...]”

218 S. Verordnung des Führers und Reichskanzlers über die Stiftung des Ehrenkreuzes der Deutschen Mutter. Vom 16.12.1938, RGBl. I, S. 1923 - 1926.

219 S. Satzung des Ehrenkreuzes der Deutschen Mutter. Vom 16.12.38, RGBl. I, S. 1924.

220 Vgl. Burleigh, Die Zeit des Nationalsozialismus, Zitate auf den S. 272, 274 und 275.

221 Zur Genese und Umsetzung der Ehestandsdarlehensuntersuchungen s. Czarnowski, Kapitel 4: Ehestandsdarlehen: Der Zugriff auf die „freie Bevölkerung”, S. 101 - 135.

222 Mit dem „Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit“ vom 1.6.1933 (RGBl. I 1933, S. 323 - 329) wurden sog. „Ehestandsdarlehen“ eingeführt. Arbeitstätige heiratswillige junge Frauen sollten arbeitslosen Männern ihren Arbeitsplatz freimachen. Im Abschnitt V des Gesetzes wurde das Reichsministerium der Finanzen mit der Ausarbeitung der Vergabemodalitäten beauftragt. Die 1. DVO vom 20.6.1933 zum Gesetz (RGBl. I 1933, S. 377) regelte die Details der Darlehensgewährung und den Rückzahlmodus (monatl. Raten mit Teilbeträgen, die jeweils 1 % der Gesamtdarlehenssumme betrugen; den Darlehensnehmern erließ man beim Nachweis eines jeden ehelich geborenen Kindes ein Viertel der Darlehenssumme). Das Darlehen bestand aus einem zinslosen Kredit von maximal 1000,- RM.

Vgl. ein Merkblatt des Reichsminister der Finanzen: „Erläuterungen zum Gesetz über Förderung der Eheschließung vom 5. Juli 1933 in der Fassung von 21. Februar 1935”: „[...] Voraussetzung für die Gewährung eines Ehestandsdarlehens ist, daß die künftige Ehefrau den Arbeitsmarkt entlastet. Diese Entlastung muß darin bestehen, daß die künftige Ehefrau bisher dem Arbeitnehmerstand angehört hat und sich verpflichtet, aus dem Arbeitnehmerstand auszuscheiden. [...]

II. Wer kann ein Ehestandsdarlehen erhalten?

Ehestandsdarlehen können Deutsche Reichsangehörige erhalten, die die Ehe miteinander schließen werden und den Antrag auf Gewährung eines Ehestandsdarlehens stellen. Der Antrag hat Aussicht auf Erfolg, wenn die folgenden Voraussetzungen gegeben sind:

Die Antragstellerin muß innerhalb der letzten zwei Jahre vor Stellung des Antrags mindestens neun Monate lang im Inland in einem Arbeitnehmerverhältnis gestanden haben. [...] Hat das Arbeitnehmerverhältnis der Antragstellerin in einer Beschäftigung im Haushalt oder Betrieb ihrer Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, Adoptiveltern oder Stiefeltern bestanden (§ 1 Abs. 2. Des Gesetzes über Förderung der Eheschließungen vom 1. Juni 1933), so wird ein Ehestandsdarlehen nur gewährt, wenn infolge der Aufgabe des Arbeitnehmerverhältnisses der Antragstellerin die Einstellung einer fremden Arbeitskraft vor der Hingabe des Ehestandsdarlehens für dauernd erfolgt ist. Die Ehe darf noch nicht geschlossen sein, es muß aber ein standesamtliches Aufgebot vorliegen, und die Antragstellerin muß ihre Tätigkeit als Arbeitnehmerin spätestens am Tage vor der Empfangsnahme des Ehestandsdarlehens aufgeben. Die Antragstellerin muß sich verpflichten, eine Tätigkeit als Arbeitnehmerin so lange nicht auszuüben, als der Ehemann nicht als hilfsbedürftig im Sinn der Vorschriften über die Gewährung von Arbeitslosenunterstützung betrachtet wird und das Ehestandsdarlehen nicht restlos getilgt ist. Jeder der beiden Antragsteller muß vor der Verheiratung die Deutsche Reichsangehörigkeit besitzen. [...] Jeder Antragsteller muß im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte sein. Es darf nach der politischen Einstellung keines der beiden Antragsteller anzunehmen sein, daß er sich nicht jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einsetzt. Es darf keiner der beiden Antragsteller nichtarischer Abstammung sein. Der Begriff der „nichtarischen Abstammung” bestimmt sich nach den Vorschriften des § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 175) und der dazu erlassenen Durchführungsverordnung vom 11. April 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 195) Es darf keiner der beiden Antragsteller an vererblichen geistigen oder körperlichen Gebrechen, Infektionskrankheiten oder sonstigen das Leben bedrohlichen Krankheiten leiden, die seine Verheiratung nicht als im Interesse der Volksgemeinschaft liegend erscheinen lassen. Es darf nach dem Vorleben oder dem Leumund keines der beiden Antragsteller anzunehmen sein, daß die Antragsteller ihrer Verpflichtung zur Rückzahlung des Darlehens nicht nachkommen werden. Es darf keinerlei Absicht der Antragsteller bestehen, nach der Eheschließung ihren Wohnsitz in das Ausland zu verlegen. Danzig gilt nicht als ausländischer Wohnsitz in diesem Sinn. Die Absicht der Verlegung des Wohnsitzes in das Gebiet der Freien Stadt Danzig steht infolgedessen der Gewährung des Darlehens nicht entgegen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Antragsteller müssen so gelagert sein, daß sie nach den örtlichen Verhältnissen imstande sind, in der mit Hilfe des Ehestandsdarlehens eingerichteten oder vervollständigten Wohnung einen einigermaßen gesicherten Haushalt zu führen.

Es müssen alle elf Voraussetzungen gegeben sein, wenn der Antrag auf Gewährung eines Ehestandsdarlehens Aussicht auf Erfolg haben soll. [...]”

Dem Antrag müssen beigefügt werden:

die vorgeschriebene Arbeitgeberbescheinigung. Auch diese muß auf dem Vordruck erfolgen, der durch das Standesamt unentgeltlich abgegeben wird; je ein Zeugnis darüber, daß keiner der beiden Antragsteller mit irgendwelchen vererblichen geistigen oder körperlichen Gebrechen, mit Infektionskrankheiten oder sonstigen das Leben bedrohenden Krankheiten behaftet ist.

Das Zeugnis muß durch einen beamteten Arzt ausgestellt werden. Die Landesregierungen können mit der Ausstellung solcher Zeugnisse auch Kommunalärzte oder Stadtärzte beauftragen. Die Untersuchung und die Ausstellung der Zeugnisse muß durch denjenigen Arzt erfolgen, der für den Bezirk, in dem die Antragsteller ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, zuständig ist. Die Untersuchung erfolgt an Hand eines Prüfungsbogens. Die Untersuchung und die Ausstellung der Zeugnisse sind für die Antragsteller kostenfrei. [...] Die Hingabe des Darlehens erfolgt in Form von Bedarfsdeckungsscheinen. Diese berechtigen zum Erwerb von Möbeln und Hausgerät in Verkaufsstellen, die zur Entgegennahme von Bedarfsdeckungsscheinen zugelassen sind. Die Bedarfsdeckungsscheine werden in Stücken zu 100, zu 50, zu 20 und zu 10 Reichsmark ausgegeben. [...] Das Darlehen ist unverzinslich. Die Rückzahlung hat in monatlichen Teilbeträgen von je 1 von Hundert des ursprünglichen Darlehensbetrags zu erfolgen. Beispiel: Ein junges Ehepaar erhält ein Ehestandsdarlehen von 600 Reichsmark. In diesem Fall sind monatlich 6 Reichsmark zurückzuzahlen. [...] Bei der Geburt jedes in der Ehe lebend geborenen Kindes werden 25 v. H. des ursprünglichen Darlehensbetrags erlassen. (Gerade Gedrucktes: Im Original gesperrt gedruckt.) Vgl. im Detail dazu auch: Nitschke, S. 98 ff.

223 Die Zahlen wurden von mir aus den jeweiligen im Reichsgesundheitsblatt veröffentlichten Quartalsberichten entnommen und addiert:

Quartale I + II/1936: Reichsges.-Bl. 1936, S. 694 u. S. 864, (Tab. 13); (Tab. 14: S. 707u. 852),

Quartale III+IV/1936: Reichsges.-Bl. 1937, S. 306 u. S. 475, (Tab. 13); (Tab. 14: S. 344u. 441).

Nitschke weist darauf hin, dass die Zahlen aus den Statistiken des Reichsgesundheitsblattes „von den Angaben der Bremer Gesundheitsbehörde mitunter deutlich” abweichen. (Anmerkung 486 auf S. 198)

Laut Nitschke wurden in Bremen zwischen 1933 und 1943 20 132 Personen untersucht, davon wurden 867 abgelehnt, die durchschnittliche Ablehnungsquote aus erbbiologischen Gründen lag bei ca. 4,3 % und schwankte zwischen den Extremwerten von 6,1 % in 1937 und 1,9 % in 1943 (Tab. 1 auf S. 198).

Einen Eindruck zum quantitativen Ausmaß dieser Dienstaufgabe und dem finanziellen Umfang gibt Nitschke auch mit folgenden Einzelheiten aus Bremen:

„[...] Nach amtlichen Angaben wurden in den Jahren 1933 bis 1936 in Bremen-Stadt 3.900 Ehen „mit Hilfe des Ehestandsdarlehens” geschlossen (bei insgesamt 14 467 Eheschließungen). Die Gesamtsumme der vom Bremer Finanzamt gewährten zinslosen Heiratskredite belief sich demnach bereits Ende 1936 auf über 2 Mio. Reichsmark. [...]” (Zitat von S. 199 sowie Nitschkes Anmerkungen Nr. 496 und 497 dazu auf derselben Seite.) Die durchschnittlich gewährte Kredithöhe lag in Bremen laut Nitschke bei 550 RM.

224 Die Zahlen wurden wieder aus den vier Quartalsberichten für 1936 im Reichsgesundheitsblatt addiert:

Quartale I + II/1936: Reichsges.-Bl. 1936, S. 695u. S. 865,

Quartale III+IV/1936: Reichsges.-Bl. 1937, S. 307u. S. 476.

225 S. Der Erbarzt, 1935, Nr. 1, Zitat auf S. 5 und 6.

226 S. StAA, GA Kaufbeuren, Nr. 258.

227 S. StAN, GA Eichstätt, Nr. 70, die Quartalsberichte für das 1. Quartal 1937 und das 3. und 4. Quartal 1943 fehlen, ebenso wie die Berichte vor 1937 und nach 1944. Zur Person Dr. Hofmanns s. Anmerkung 127.

228 S. Sachße, Tennstedt, S. 181.

229 S. Kaupen-Haas, S. 105.

230 S. Kaupen-Haas, S. 100 und Anmerkungen 20 bis 22.

231 S. RGBl. I, 1935, S. 1160.

232 S. RGBl. I, 1935, S. 1206 bis 1214.

233 S. ÖGD, 2. Jg., Teilausgabe A, 5.2.1937, Heft 21, S. 830 - 834, Zitat S. 831 und 832 oben.

234 S. Vossen, GÄ, Zitat von S. 378u. Anmerkungen 16 - 18 sowie S. 379 und Anmerkungen 19 - 20.

235 Ebenda, S. 379, Anmerkung 21, s. RdErl. des RMdI vom 10.10.1935, Betr. Untersuchungen zwecks Gewährung von Kinderbeihilfen an kinderreiche Familien.

236 S. ÖGD, 2. Jg., Ausgabe A, 5.2.1937, Heft 21, Seite 833.

237 S. Vossen, GÄ, S. 381.

238 S. RdErl. d. RMdI v. 4.5.1938, - IV b 1435/38 - 1070a, RMBliV. 1938, S. 832.

239 S. Vossen, GÄ, S. 382 und Anmerkungen Nr. 37 bis 42.

240 S. Kaupen-Haas, Zitat v. S. 107, Quelle: Anmerkung 27 auf S. 119 bzw. Anmerkung 25: Niederschrift der Sitzung des Sachverständigenbeirates vom 26.1.1939.

241 S. RGBl. 1938 I, S. 1923 - 1925.

242 S. DVO zur Verordnung über die Stiftung des Ehrenkreuzes der deutschen Mutter v. 16.12.1938, RGBl I, S. 1926.

243 S. RdErl. d. RMdI v. 28.1.1939, - IV b 198/39 - 1070a, RMBliV., Nr. 5, S. 205 - 210.

244 S. Czarnowski, S. 153 - 170.

245 S. WKB, S. 246 ff.

246 Ebenda, S. 249 f., Zitat: Alfred Selinger, Das Standesamt im Dienste der Volksaufartung, Zeitschrift für Standesamtswesen, Personenstandsrecht, Eherecht und Familiengeschichte, 1925, 5: 172 - 174, Zitat S. 174.

247 S. „Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes“ (Ehegesundheitsgesetz), RGBl. I, S. 1246, v. 18.10.1935.

248 S. Anhang Nr. 11, Formblatt „Amtsärztliche*) ärztliche Bescheinigung über die Untersuchung auf Eignung zur Ehe“, Quelle GA SOB.

249 S. Vossen, GÄ, S. 328, Anmerkung 278, Schriftwechsel zwischen Reichsinnenministerium und Reichsfinanzministerium; s. a. Czarnowski, S. 177 f.

250 S. 1. DVO zum Ehegesundheitsgesetz vom 29.11.1935, § 3, RGBl. I, S. 1419 - 1421.

251 S. Vossen, GÄ, S. 329, Anmerkung 281.

252 Ebenda, S. 329.

253 S. L/T, Gesundheitsamt oder Amt für Volksgesundheit, in: Frei, Medizin und Gesundheitspolitik, S. 35 - 66 und Sachße, Tennstedt, S. 106 ff.

254 S. RdErl. d. RMdI v. 11.6.1936, RMBliV 1936, S. 802.

255 S. Vossen, GÄ, S. 329 f.

256 S. RGBl. I, 1935, S. 1423 - 1426.

257 S. 1. DVO z. Ehegesundheitsgesetz vom 29.11.1935 (§ 4), RGBl. I, S. 1419.

258 ebenda: § 11

259 ebenda: § 13

260 ebenda: § 30

261 S. StAM, GA Weilheim, Nr. 497.

262 S. RdErl. d. RMdI v. 16.6.1936, in: Gütt, Der ÖGD, S. 485.

263 S. Der ÖGD, 2. Jahrgang, 1936/1937 Ausgabe B, Heft 19, 5.1.1937, Dr. Kurt Holm, Physikus am Staatl. Gesundheitsamt Hamburg, S. 537 - 546.

264 S. Vossen, GÄ, S. 331, RdErl. des RMdI vom 29.11.1937 an die Regierungspräsidenten.

265 S. Gütt, Der ÖGD, Seite 264 f.

266 S. Vossen, GÄ, S. 332 und Anmerkungen 301 - 303.

267 S. VO zur Durchführung des GzVeN und des Ehegesundheitsgesetzes vom 31.8.1939 (§ 6) RGBl. I, 1939 S. 1560 sowie Vossen S. 332.

268 S. RGBl. I, 1941 S. 650, 2. VO zur Durchführung des Ehegesundheitsgesetzes, v. 22.10. 1941.

269 S. Vossen, GÄ, S. 334 und Tab. 8 auf Seite 335; zur Dimension der Ehetauglichkeitsuntersuchungen für Bremen recherchierte Nitschke:

„[...] Die Gesamtzahl der Ehetauglichkeituntersuchungen spiegelt freilich auch die Zahl derjenigen Personen, bei denen Bremer Standesbeamte oder Amtsärzte „rassenhygienische Bedenken” in bezug auf Ehetauglichkeit bzw. die getroffene Partnerwahl angemeldet hatten und die mithin ins Fadenkreuz der Bremer Erbgesundheitsbürokratie gerieten. Das waren in den Jahren 1936 bis 1938 nach Angaben des Gesundheitsamtes immerhin rund 6,2 % aller Heiratswilligen. [..., die Ablehnungszahlen konnte Nitschke nicht ermitteln, s. dazu auch seine Anmerkung 521, J. D.] Demnach heirateten in der Zeit von 1936 bis 1938 22 450 Personen in Bremen, und 1384 Bremer wurden in dieser Zeitspanne auf Ehetauglichkeit untersucht. [...]”, Zitat s. Nitschke, Erbpolizei, S. 206 und Anmerkung 521 auf S. 206 sowie Tab. 2 auf S. 205, hier verzeichnete Nitschke für die Jahre 1941 mit 1943 (bei sonst lückenhafter Datenlage) 470 Untersuchungen und insgesamt 57 Ablehnungen, entsprechend 12 %, die einzelne Ablehnung betraf natürlich immer zwei Personen (s. dazu a. Anmerkung 517 auf S. 205).

270 S. Vossen, GÄ, S. 334 unten.

271 S. Vossen, GÄ, Zitat von S. 337 und 338 sowie Anmerkungen 334 - 338.

272 S. StAM, GA Weilheim, Nr. 497, „Rd.Erl. d. RMdI IV b 4275/38 1075a v. 20.3.1939 Ehetauglichkeitsuntersuchungen”, betr. 1. DVO v. 14.11.1935, RGBl. I, S. 1334.

273 S. „RdErl. d. RuPMdI. v. 6.6.1936 - III C II 20 Nr. 10 /36“, RMBliV. 1936, Nr. 27. S. 785 - 786 und „RdErl. d. RF-SS u. Chef d. Dt. Pol. im RMdI v. 8.12.1938 - S-Kr 1 Nr. 557 VIII/38 - 2026 - 6“, RMBliV. 1938, Nr. 51, S. 2105 - 2110.

274 S. StAM, GA Weilheim, Nr. 497.

275 S. StAM, GA Pfaffenhofen, Nr. 86, IMS Nr. 5348d a 1v. 7.3.1934, das IMS bezieht sich auf den Runderlass des RMdI vom 8.2.1934 Nr. II 1072/8.1.

276 Ebenda, IMS Nr. 5001a c II/15. vom 25.6.1937.

277 S. Dr. Kurt Pohlen, Die amtsärztlichen Untersuchungen von bäuerlichen Siedlern auf ihre erbbiologische Eignung in Preußen im Jahre 1934, in: Der Erbarzt 1936 Nr. 6, S. 93 - 96.

278 S. StAM, GA Pfaffenhofen, Nr. 86 und GA Schrobenhausen, Jahresbericht 1935, Quelle GA SOB; s. auch Gütt, Der ÖGD, S. 558 f.

279 S. Schmuhl, Rassenhygiene, S. 146 ff. und: Roth, Erfassung zur Vernichtung, S. 57 - 62 sowie Aly, Roth, Die totale Erfassung, S. 116 f. und: Pfäfflin, Das Hamburger Gesundheitspaßarchiv, S. 18 - 20.

280 S. WKB, S. 246 - 254; Schmuhl, Rassenhygiene, S. 145 f. und Vossen, S. 339.

281 S. Vossen, GÄ, S. 339 und 357 ff.

282 S. § 53, 3. DVO zum GVG.

283 S. RdErl. d. RMdI, IV b 1289/38/1075b, v. 12.7.1934, s. StAM, GA Pfaffenhofen, Nr. 86.

284 S. Vossen, GÄ, S. 341.

285 S. RdErl. d. RMdI v. 21.5.1935 bzw. die aktuellere Fassung der „Grundsätze des RuPrMdI. für die Tätigkeit der Beratungsstellen für Erb- und Rassenpflege in den Gesundheitsämtern und Richtlinien für die Durchführung der Erbbestandsaufnahme*) vom 23. März 1938. Anlage zum RdErl. des RuPrMdI. v. 1.4.1938 - IV b 1289/38 - 1075b (nicht veröff.)“ in: Gütt, Der ÖGD, S. 575 - 595 nebst Anlagen 1 mit 3.

286 S. StAM, GA Pfaffenhofen, Nr. 86, Schreiben des Reichsgesundheitsamtes vom 15.2.1935, Nr. 4096/14.2.

287 S. StAM, GA Pfaffenhofen, Nr. 86, IMS Nr. 5348 ha 97. v. 20.3.1935.

288 S. Gütt, Der ÖGD, Anlage 1 und Anlage 2 sowie Faksimile im Anhang Nr. 12.

289 S. Gütt, Der ÖGD, S. 262 und 264, Hervorhebungen durch Fettdruck im Original.

290 Ebenda, S. 592, im Original gesperrt gedruckt.

291 S. Vossen, GÄ, S. 344.

292 Ebenda, S. 345, Anmerkung 360: GA Bielefeld-Stadt an Regierungspräsidium Minden vom 18.2.1936, s. dazu auch Czarnowski, S. 153 - 170.

293 So sind z. B. von den 25 Staatl. Gesundheitsämtern, für die die Regierung von Oberbayern damals zuständig war, im zuständigen Staatsarchiv München nur vom Gesundheitsamt Pfaffenhofen a. d. Ilm umfangreiche Unterlagen archiviert. Aus sämtlichen anderen Gesundheitsämtern fehlen die entsprechenden Unterlagen dazu fast vollständig. Nach einer mündlichen Mitteilung mir gegenüber hätten sich die Bayerischen Staatsarchive abgesprochen, wegen des großen Umfanges der Sippenakten diese von nur jeweils einem GA im Zuständigkeitsbereich komplett zu archivieren. So ist eine ähnlich umfassende statistische Auswertung, wie Vossen sie vornahm, für Bayern nicht möglich. Das Staatsarchiv Augsburg hat wohl etwas mehr Sippenakten archiviert als München, die meisten sind jedoch noch unter Verschluss (bis 90 Jahre nach dem jüngsten dort registrierten Geburtsdatum).

294 S. StAM, GA Pfaffenhofen, Nr. 86.

295 S. StAN, GA Eichstätt, Nr. 62, Bericht vom 14.10.1938.

296 S. StAM, GA Pfaffenhofen, Nr. 86.

297 S. StAM, GA Weilheim, Nr. 500, vgl. a. Karteikarte im Anhang Nr. 12.

298 S. Nitschke, Erbpolizei, S. 195 f.:

„[...] Wie weit die Arbeiten an der „erbbiologischen Bestandsaufnahme” der Bremer Bevölkerung am Ende des Dritten Reiches bereits gediehen waren, läßt sich nur schätzen. Zahlenangaben über den Umfang der Erbkartei liegen bis zum Jahr 1938 vor. 1935 hatte man 10.000 Bremer verkartet, Ende 1936 waren es über 20.000. In vielen Fällen, so verkündete die Bremer Gesundheitsbehörde seinerzeit, sei es „jetzt” möglich, an Hand der vorhandenen Unterlagen eine erbbiologische Beurteilung vorzunehmen. Das Material stammte aus folgenden Quellen: „Sämtliche ärztliche Untersuchungsbefunde, Krüppelakten, Gerichtsakten, Stammbücher des Amtes für Volksgesundheit, Siedler, Erbgesundheitsgericht usw.” Einem Presseartikel ist zu entnehmen, daß das bremische Gesundheitsamt Anfang 1938 über „erbbiologisches Material” von rund 40.000 Bremern verfügte; „fast täglich” erfolgten „einige hundert Zugänge”, mit deren „Aufarbeitung” ständig fünf Bürokräfte beschäftigt waren. Auf der Grundlage dieser Angaben können wir davon ausgehen, daß 1945 ein Viertel bis ein drittel aller Einwohner Bremens erbbiologisch erfaßt war. Für diese Annahme spricht nicht zuletzt der Umfang der Erbkartei des Bezirksgesundheitsamtes in Bremen-Nord. Im September 1943 waren dort bereits 20.831 Menschen erbbiologisch registriert, also rund 30 % der damaligen Bevölkerung Bremen-Nords. [...]” Zitat auf S. 195 unten und 196 oben. Nitschke belegt seine oben zitierten Aussagen ausführlich mit den Anmerkungen 475 - 481 auf denselben Seiten.

299 S. RdErl. d. RMdI v. 1.4.1938, - IV b 1289/38/1075b, in: Gütt, Der ÖGD, S. 575 - 595.

300 S. Aly, Roth, Die restlose Erfassung, S. 29 f.

301 Ebenda, S. 31 f.

302 S. Vossen, GÄ, S. 355, Anmerkung 395, Conti an Himmler, 13.8.1942, BAB, NS 19, Nr. 2397, Bl. 16 - 19.

303 S. Czech, Tätigkeitsbericht auf S. 46 und 47 und Anmerkung 140 auf S. 47; das zweite Zitat vgl. auf S. 52 und Anmerkung 161 dort.

304 S. RdErl. d. RMdI. - IV g 5225/40 - 5/453v. 6.3.1940, RMBliV. 1940, Nr. 11, S. 471/472. Die Reihenuntersuchungen waren gem. Nr. 5 „[...] mit ungefähr sechs Jahren, 10 Jahren, 14 Jahren, 15, Jahren, 18 Jahren, [durchzuführen ...] soweit es sich nicht gleichzeitig um schulärztliche Untersuchung handelt, [...]”.

305 S Czech, S. 53 und Anmerkung 167 dort.

306 S. Sachße, S. 17 - 148 und Vossen, GÄ, S. 99 f.

307 S. Sachße, S. 106 f.

308 Ebenda, S. 116 f.; s. a. Hering, Münchmeier, S. 51 f.

309 S. Sachße, S. 67.

310 Ebenda, S. 162 ff. und Hering, Münchmeier, S. 77 - 112 sowie Vossen, GÄ, S. 101 f.

311 S. Sachße, S. 193 - 223.

312 S. Hering, Münchmeier, S. 147.

313 S. Vossen, GÄ, S. 257 ff.

314 S. Hering, Münchmeier, S. 161 und S. 166 ff.

315 S. Nitschke, S. 176 f.

316 Vgl.: „Die Organisation und die praktische Arbeit der Beratungsstelle für Erb- und Rassenpflege“, Karl-Joachim Neumann, Leiter der Beratungsstelle für Erb- und Rassenpflege GA Münster, in: Der Öffentliche Gesundheitsdienst, 2. Jg. 1936/1937, Heft 4, v. 20.5.1936, S. 73 - 82.

317 S. L/T-GVG, S. 349.

318 S. Sachße/Tennstedt, Einleitung, S. 12 ff.

319 S. v. Verschuer, Diehl, Zwillingstuberkulose.

320 S. Vossen, GÄ, S. 405 und Anmerkung 63.

321 S. RGBl. I, 1938, S. 1721 - 1724.

322 S. Vossen, GÄ, S. 408 f.

323 Vgl. StAN, Akten des Gesundheitsamtes Eichstätt, Nr. 34 - 43 (Jahresgesundheitsberichte, JGB).

324 S. Quelle, GA SOB; die Zahlenangaben sind den jeweiligen JGBs entnommen, die Anzahl der Hausbesuche war jeweils auf Formblatt S. 86, die restlichen Angaben in der Tabelle auf Formblatt S. 85 des JGB vermerkt. Aus den Jahren 1941, 1944 und 1945 liegen keine JGBs oder zumindest keine ausgefüllten Formblätter S. 85 und 86 vor. Vergleichszahlen aus dem schwäbischen GA Kaufbeuren: (Einwohner: 34 342, 1938); hier sind auch die einzelnen Fürsorge und Überwachungsfälle beziffert, so wird deutlich, dass die einzelnen Kranken oder Überwachten mehrmals jährlich kontaktiert wurden; s. StAA, GA Kaufbeuren, Nr. 295 (JGB 1942) und Nr. 297 (JGB 1944 und 1945).

  1 942 1 944 1 945 Fürsorgefälle 167 203 231 Überwachungsfälle 553 617 681 Hausbesuche 627 826 765 Durchleuchtungen 1 095 938 226 Tuberkulinproben 54 113 42 Sputumuntersuchungen 129 93 41

325 S. Reichs-Gesundheitsblatt 1940, Nr. 3, S. 52, für 1939 ohne Sudetenland und Österreich.

326 S. L/T, S. 35 - 66 in Frei, Gesundheitspolitik.

327 S. Vossen, GÄ, S. 407.

328 Ebenda, S. 409.

329 S. RdErl. d. RMdI. u. d. RAM. v. 26.9.1942 - IV g 7713/42 - 5800u. II a 13 537/42, RMBliV. 1942, Nr. 39, S. 1904.

330 S. RdErl. d. RMdI. v. 13.7.1942, RMBliV. 1942, Nr. 31, S. 1539.

331 S. RdErl. d. Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, betr. Arbeitseinsatz Lungenkranker. Vom 8.6.1943 - VI 2 - 1933/2. Reichsarbeitsbl. S. I 379; s. a. Reichsgesundheitsblatt Nr. 36, 1943, S. 619 - 620 und RdErl. d. RMdI v. 9.8.1943, RMBliV, Nr. 33, 1943, S. 1327 - 1332 und Reichsgesundheitsblatt Nr. 2, 1944, S. 12 - 14.

332 S. RdErl. d. RMdI. v. 1.3.1943 IV g 9142/43 - 5820, RMBliV 1943, S. 363 - 366.

333 S. Süß, S. 295: „[...] wie in Thüringen, wo der Ärztekammervorsitzende und Gaugesundheitsführer Richard Rohde persönlich die Lebensmittelatteste seines Zuständigkeitsgebietes nachkontrollierte. [...]” (Zitat aus Süß' Anmerkung 18 auf S. 295, Rohde an die Landesversicherungsanstalt Thüringen, 13.10.1944, Thüringisches Hauptstaatsarchiv, KVD/179 - 181).

334 S. Süß, S. 295, Anmerkung 19, Versorgungskrankenhaus Weingarten an das Hauptversorgungsamt Südwestdeutschland, 11.4.1944, BA-MA, H 20/731.

335 S. Ulrich Knödler, Von der Reform zum Raubbau. Arbeitsmedizin, Leistungsmedizin, Kontrollmedizin. In: Frei, Medizin und Gesundheitspolitik, S. 115 - 136.

336 S. Vossen, GÄ, Zitat von S. 412, Anmerkung 102: BA, R 96 II, Nr. 25, Bl. 22.

337 S. RdErl. des RMdI und des RAM vom 17.2.1944, Ag 9330/43 - 5800 und II 1301/44, RMBliV. 1944 Nr. 8, S. 229 f. und Reichsgesundheitsblatt Nr. 12, 1944, S. 105 - 106.

338 S. Vossen, GÄ, S. 413 oben und Anmerkung 108: BA, R 96 II, Nr. 3, Bl. 29.

339 Ebenda, Zitat von S. 413, Anmerkung 109: BA, R 96 II, Nr. 6, Bl. 24.

340 Ebenda, Zitat von S. 413, Anmerkung 111: BA, R 96 II, Nr. 1, Bl. 44.

341 Ebenda, Zitat von S. 413, Anmerkung 111.

342 S. Süß, S. 297 - 310.

343 S. Gütt, Der ÖGD, S. 280.

344 S. Sachße, Tennstedt, S. 166 f.

345 S. StAA, GA Kaufbeuren, Nr. 263, die städt. Fürsorge Kaufbeuren betreute z. B. im Quartal II/36 189 Säuglinge, die daher wohl mehrmals jährlich aufgesucht wurden oder mit ihren Müttern in die Beratungsstunden kamen. Bezirksfürsorgerin Katharina K. berichtete 1936 von 435 „in der Fürsorge stehenden Säuglingen” (davon weist sie gesondert 401 als ehelich und 34 als unehelich aus). Der Jahresbericht der städt. Fürsorgestelle Kaufbeuren weist für 1935 insgesamt 1174 Kinder aus, die „die Beratungsstelle besucht haben” (von Mehrfachbesuchen ein und desselben Kindes ist auszugehen, J. D.), insgesamt sind für 1935 außerdem 3454 Hausbesuche ausgewiesen; daran war neben Irene B. als Vollzeitkraft eine in Teilzeit beschäftigte Kollegin mitbeteiligt (Jahresbericht 1935 GA Kaufbeuren, Nr. 265).

346 Die NSV hatte zunächst in ihrer auf Berlin beschränkten Funktion als eingetragener Verein nur lokale Bedeutung und war als Gründung des eher sozialistisch orientierten Berliner Strasser-Flügels der NSDAP in der Partei umstritten. Nach der „Machtergreifung“ änderte sich das mit der Ernennung von Erich Hilgenfeldt zum neuen Leiter. Hilgenfeldt stand unter der Obhut von Reichspropagandaminister Joseph Goebbel, dem, ursprünglich selbst vom „Strasser-Flügel der Partei stammend, die propagandistische Ausschlachtung des Sozialengagements am Herzen lag. Im Mai 1933 erkannte Hitler durch Verfügung des „Führers“ die NSV offiziell an. Ende 1933 wurde sie dem neu gegründeten „Amt für Volkswohlfahrt“ unterstellt, das direkt bei der „Reichsleitung“ der NSDAP angesiedelt war und Ende 1934 zum „Hauptamt für Volkswohlfahrt“ (HAVW) befördert wurde. Die Übernahme des bereits im Winter 1931/32 von den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege gegründeten WHW durch die NSV war von Goebbels beauftragt worden. Zur NSV s. Sachße, Tennstedt, Kap. 2.3.2.2.: „Die NSV: Aufstieg eines Wohlfahrtskonzerns”, S. 110- 132, hier: insbes. S. 111; zum WHW, ebenda, S. 120 f.

347 Ebenda, S. 135.

348 Ebenda, S. 128 f.

349 S. RdErl. d. RMdI v. 4.4.1934 II 2315/22.3, Quelle GA SOB.

350 S. IMS, Nr. 5346 aa 7, v. 16.5.1934, Quelle GA SOB.

351 S. IMS, Nr. 5346 aa 14, v. 16.5.1934, Quelle GA SOB.

352 S. § 3 Abs. 1 I. e, GVG; und 1. DVO, § 4 Abs. 7, in: Gütt, Der ÖGD, S. 279 und S. 280 f.

353 S. 3. DVO, § 59 Abs. 1, in: Gütt, Der ÖGD, S. 279 und S. 280 f.

354 S. RMdI vom 4.4.1934 Nr. II2315/22.3, Quelle GA SOB.

355 S. RdErl. d. RMdI v. 9.11.1939 - IV g 4052/39 - 5330, RMBliV, 1939, S. 2330.

356 S. „Grundsätze zur Durchführung der Rachitisprophylaxe“ v. 1.9.1941 gem. RdErl. d. RMdI v. 4.8.1941 - IV g 6677/41 - 5330, Quelle GA SOB.

357 S. StAA, GA Kaufbeuren, Nr. 266, Bericht des GA Kaufbeuren an Reg. v. Schwaben vom 28.4.1941 „Betreff: RdErl. d. RMdI vom 20.2.41 - IV g 5381/41.5330” und vom 28.4.1942. Im Reg.-Bez. Minden konnte laut Vossen „ein fast 100prozentiger Erfassungsgrad der Säuglinge” erreicht werden, s. Vossen, GÄ, S. 400 (Anmerkung 36: RP Minden an RMdI 14.8.1940).

358 S. Vossen, GÄ, S. 400 und Quellenangabe in seiner Anmerkung 40 auf derselben Seite: RdErl d. RMdI v. 20.10.1941 samt Anlage: Gemeinsame Anordnung des RMdI und des Leiters der Partei-Kanzlei über Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsamt und Hilfswerk „Mutter und Kind” der NSV auf dem Gebiet der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge v. 15.10.1941.

359 S. Fränkel, Doppelstaat, passim.

360 S. Benzenhöfer, Der gute Tod?, S. 112/113.

361 S. Mitscherlich, Mielke, Das Diktat der Menschenverachtung, S. 110 oben, Prot. S. 2410 und: Mitscherlich, Medizin ohne Menschlichkeit, S. 184.

362 Vertreter der funktionalistischen Sichtweise ist beispielsweise Hans Mommsen, der den Begriff der „kumulativen Radikalisierung” prägte, s. Mommsen, Hitlers Stellung im nationalistischen Herrschaftssystem in: ders., Von Weimar nach Auschwitz, S.214 - 247 und ebenda: Ausnahmezustand als Herrschaftstechnik des NS-Regimes, S. 248 - 267 und insbesondere Ian Kershaws Würdigung des Lebenswerkes Mommsens im selben Band, „Statt einer Einleitung”, S. 11 - 20.

363 So z. B. Aly, Aktion T4 und Roth, Erfassung zur Vernichtung, passim.

364 S. Mitscherlich, Mielke, Das Diktat der Menschenverachtung, S. 110 oben und: Mitscherlich, Medizin ohne Menschlichkeit, S. 184; die beiden Autoren werden m. E. durch die Aussagen des T4-Mitarbeiters Hefelmann im „Heyde-Prozess” vor dem Landgericht Frankfurt/Main im Sommer 1960 bestätigt. Der Generalstaatsanwalt kommt ebenfalls zu dem Schluss: „[...] Die von Dr. Hefelmann gegebene Darstellung [vgl. Vernehmung vom 31.8.1960, Bl. 3 R. L 0 „T4”, Expl. Staatsanwaltschaft München, Nr 19 051/8, f. 35, J. D.] scheint der Wirklichkeit der damaligen Vorgänge am nächsten zu kommen. [...]” Vgl. Aktenvermerk Stand 1.1.1961, Js 17/59 (GstA) Exemplar der Staatsanwaltschaft München, StAM, Staatsanwaltschaften Nr. 19 051/8, f. 1; Benzenhöfer kann dann eindeutig belegen, dass Hefelmanns Darstellung wohl im Wesentlichen stimmt, er sich aber zum Zeitpunkt des Eingangs des Gesuches der Eltern von Gerhard Kretzschmar in der KdF irrte. Das Kind war nach Benzenhofer am 20.2.1939 geboren, starb am 25.7.1939 und wurde am 28.7.1939 in seinem Geburtsort Pomßen beerdigt (s. Benzenhofer, DÄB [B] 95 Heft, 19 8.5.1998, S. 955 und ders., Kinderheilkunde, 10/2003, S. 1015).

365 S. Benzenhöfer, „Kindereuthanasie” im Dritten Reich. Der Fall „Kind Knauer”, DÄB (B) 95, Heft 19, 8.5.1998, S. 954 f. und ders., NS-„Kindereuthanasie”: „Ohne jede moralische Skrupel”, DÄB (B) 97, Heft 42, 20.10.2000, S. 2352 - 2355 und Monatsschrift Kinderheilkunde 10/2003, S. 1012 - 1019; s. a. Ulf Schmidt, Kriegsausbruch und Euthanasie; während Benzenhöfer den Familiennamen („Knauer” galt als Pseudonym) zunächst nicht preisgeben wollte und von „Kind K.” sprach, offenbart Schmidt den Familiennamen, äußert zwar Verständnis mit Benzenhöfers Bedenken, meint jedoch „[...] scheint er doch die Persönlichkeit des Kindes selbst und das individuelle Leid des Jungen in gewisser Weise zu übersehen. [...]” (Zitat von S. 5 des im Internet heruntergeladenen Artikels); Benzenhöfer reagierte auf Schmidts Offenlegung des Namens und gibt ihn im Oktober 2003 in einem Artikel für die Zeitschrift Kinderheilkunde (s. o.) mit „Gerhard Herbert Kretzschmar” an. Dorothee Roer zieht in ihrem Beitrag „Lebensunwert”, Kinder und Jugendliche in der NS-Psychiatrie, in: Asbeck, Hamann (Hrsg), Halbierte Vernunft und totale Medizin, 1997, S. 107 - 130, den engen Zusammenhang zwischen „Reichsausschuß“, geheimen Runderlass vom 18.8.1939 des RMdI und den Aktivitäten in den neu eingerichteten „Kinder-Fachabteilungen“ in Zweifel und meint, hier „gewinnen die gängigen Hypothesen zum Kindermord in der NS-Psychiatrie oft fälschlicherweise den Anschein überprüfter Fakten” (S. 107). Sie führt gewichtige, faktenreiche Argumente auf, die ihre These unterstützen, das Konstrukt, Aufteilung in „Kinder- und Erwachsenen-Euthanasie”, könne so wie bisher nicht mehr aufrechterhalten werden. Roer gelingt es darzulegen, dass die Sterblichkeit von Kindern und Jugendlichen in Anstalten, in denen psychisch kranke oder geistig behinderte Minderjährige untergebracht waren, in der Zeit von 1933 bis 1939 bereits stark erhöht war und das, bevor der „Reichsausschuß“ sein Unwesen trieb. So führt sie u. a. das Beispiel der Anstalt Uchtspringe an, wo von 1300 zwischen 1933 und 1939 aufgenommenen Kindern unter 16 Jahren 210 verstarben, entsprechend einer Sterblichkeit von mehr als 16 %. In Ueckermünde habe eine ähnliche Sterberate von 14 % (im selben Zeitraum 224 Aufnahmen, davon 31 verstorben) bestanden (s. S. 109 und Anmerkung 15 auf S. 122 dazu). Erstaunlich ähnlich zu den gängigen Falschdignosen, die später der „Reichsausschuß“ zur Verschleierung seiner Morde wählte, sind die von Roer in den Standesamtsunterlagen in Uchtspringe recherchierten Diagnosen:„Entkräftung”/„Marasmus”/„Siechtum” o. Ä., häufig in Verbindung mit „Idiotie” „Lungenentzündung”, „Bronchopneumonie”, „Bronchialkatarrh”, o. Ä.; „Durchfall”, „Magen-Darm-Katarrh” o. Ä.; „Lungen- und andere Tuberkulose” „Herzschwäche”, „Kreislaufschwäche” o. Ä.” (s. Anmerkung 15 auf S. 122); Roer verliert sich nicht in Spekulationen zu den Ursachen der hohen Sterblichkeit, konstatiert aber folgerichtig: „Die Grenzziehung zwischen Mord, Totschlag, unterlassener Hilfeleistung und Verletzung der ärztlichen Fürsorgepflicht erscheint angesichts der historischen Wirklichkeit jedenfalls schwierig” und hofft auf weitere Forschung um aufzuklären „ob bereits zu diesem frühen Zeitpunkt PsychiatriepatientInnen aktiv ermordet wurden” (s. Anmerkung 16 auf S. 123). Auch die alleinige enge Verknüpfung von verstorbenen Kindern und „Reichsausschuß“-Aktivität nach dem Herbst 1939 stellt Roer infrage: So habe bereits Hans-Hinrich Knaape in seinem Beitrag, Kinderpsychiatrie und Euthanasie in Görden in Brandenburg, in: Diakonisches Werk der Kirche in der DDR (Hrsg), Fachtagung des Diakonischen Werkes in Fragen der „Euthanasie”forschung, Berlin 1990, S. 7 - 35) recherchiert, dass „von den 1264 in Brandenburg-Görden zwischen 1938 und April 1945 verstorbenen Mädchen und Jungen lediglich 130, das sind etwa 10 %, durch den Reichsausschuß eingewiesen worden waren”, für alle anderen Minderjährigen habe Knaape „eine, wie auch immer geartete, Beziehung ihres Schicksals zu diesem Ausschuß nicht nachweisen” können (s. Anmerkung 81 auf S. 128). Aktuellere Zahlen dazu lieferte mittlerweile Beddies: s. S. 129 - 154: „Der Anteil der mit dem Vermerk „RA” (Reichsausschuss) in den Gördener Aufnahmebüchern versehenen Kinder betrug bezogen auf die Gesamtzahl der Aufnahmen 4,3 % (172 erfasste Aufnahmen); bei den bis zu drei Jahre alten Kindern stellten sie knapp ein Viertel, bei den 4- bis 13-jährigen allerdings nur noch gut drei und bei den über 13-jährigen weniger als ein Prozent. [...] Insgesamt starben 147 oder mehr als 85 % aller Kinder des „Reichsausschusses” in Görden [...]”, (Zitat s. S. 141).

366 S. Mitscherlich, Diktat, S. 110, Prot. S. 2410, und: Mitscherlich, Medizin ohne M., S. 184.

367 S. Benzenhöfer, Der gute Tod?, S. 116 und Deutsches Ärzteblatt (B) 95 Heft 19, 8.5.1998, S. 954 f.

368 S. Benzenhöfer, Der gute Tod?, S. 116.

369 S. Mitscherlich, Diktat, S. 110 f.; und: Mitscherlich, Medizin ohne M., S. 184; s. a. von Platen, S. 43 (im Peprint von 1998 (3. Aufl.) identische Seitenzahl) sowie Klee, Euthanasie, S. 100; Finzen, S. 1, und Roth, Erfassung, S. 129.

Zur Vorgeschichte von Hitlers geheimen „Ermächtigungsschreiben“ siehe: Roth, Erfassung zur Vernichtung; hier insbesondere folgendes Kapitel:

Karl Heinz Roth und Götz Aly, Das „Gesetz über die Sterbehilfe bei unheilbar Kranken”, Protokolle der Diskussion über die Legalisierung der nationalsozialistischen Anstaltsmorde in den Jahren 1938 - 1941, S. 101 - 179.

Die beiden Autoren beschreiben die enge Zusammenarbeit zwischen den Sachverständigen im „Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ und den Spitzenfunktionären in der „Kanzlei des Führers (KdF)“. In der „KdF“ sei, so Roth und Aly, zwischen Februar und Mai 1939 mehrmals zu Problemen der „Sterbehilfe“ getagt worden (s. S. 106). Roth und Aly geben auch Einblck in das Selbstverständnis der Mitglieder im „Reichsausschuß“:

„[...] Für viele mag es paradox klingen: gerade jene Institution, in der seit 1937/38 die „Lösung der Euthanasiefrage” konzeptionell und aministativ vorgebahnt wurde, vertrat ohne Zweifel einen streng wissenschaftlichen Anspruch. Sie wurde von Professoren repräsentiert, die im Sinne medizinisch-wissenschaftlichen Fortschritts eine immer „aktivere Therapie” gegenüber Schwerkranken mit der Vernichtung aller definitiv Unheilbaren verbinden wollten. Von Anfang an verstand sich der „Reichsausschuß” als verschworenes wissenschaftliches Pendant zur kurzfristig-administrativen Seite der Vernichtungsaktionen bei der „Kanzlei des Führers” und zur Radikalisierung der Behandlungskonzepte in den Heil- und Pflegeanstalten. Während die Tötungsaktionen einander ablösten, gewann der „Reichsauschuß” mittels der „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pfleganstalten” einen halböffentlichen Charakter und ließ nichts unversucht, um den therapeutischen Apparat der Anstalten beispielsweise durch die zentral gesteuerte Einführung von Elektroschock-Geräten zu erweitern. Und er wehrte sich mit Vehemenz gegen Versuche der Wehrmacht und der NS-Behörden, den frei werdenden Anstaltsraum zu konfiszieren, weil er sich dadurch um die Früchte der Massentötung, nämlich die Effektivierung des therapeutischen Arsenals, betrogen sah. [...] Auch gab es in der Karriere ihrer Akteure keineswegs 1938/39 einen Bruch oder gar „kriminellen Knick”: die im „Reichsausschuß” aktiven Psychiater beispielsweise waren schon seit 1935 oft „Landesobmänner” der „Erbbiologischen Bestandsaufnahme in den Heil- und Pflegeanstalten” gewesen, hatten also ihre späteren „Sterbehilfe”-Opfer längst vorher zwangssterilisiert und in den Karteien erfaßt; sie waren Beisitzer der „Erbgesundheitsgerichte”, standen als „beratende Psychiater” seit langem auf den Mobilisierungslisten der Wehrmacht, um im Fall längerwährender Kriegshandlungen das Ausbrechen „psychischer Epidemien” anders als 1917/18 präventiv zu verhindern; und nun avancierten sie eben auch noch zu Gutachtern in den verschiedenen Kampagnen der Anstaltsvernichtung, in denen sie die bisherige Praxis der administrativen Verstümmelung von Menschen konsequent zu Ende führten. [...]” (Zitat S. 107)

Parallel zum „Reichauschuß“ wurde, so Roth und Aly, in den Strafrechtskomissionen beim Reichsjustizminister die Frage der Straffreiheit der ärztlichen „Tötung auf Verlangen” diskutiert. Den Juristen der Kommission gelang es laut Roth und Aly mittels raffinierter Formulierungen dem eigentlichen Zweck der Übung gerecht zu werden, nämlich von der ärztlichen Tötung auf Verlangen zur Legalisierung des verwaltungsmäßigen Massentötens von unheilbaren Anstaltsbewohnern ohne oder gegen deren erklärten Willen zu gelangen. In der 106. Sitzung der Vierten Gruppe der Strafrechtskommission am 11.8.1939 wurde folgender Entwurf eines Gesetzes zur Sterbehilfe erarbeitet:

„[...] § 1. Wer an einer unheilbaren, sich oder andere stark belästigenden, oder sicher zum Tode führenden Krankheit leidet, kann auf sein ausdrückliches Verlangen mit Genehmigung eines besonders ermächtigten Arztes Sterbehilfe durch einen Arzt erlangen.

§ 2. Das Leben eines Menschen, welcher infolge unheilbarer Geisteskrankheit dauernder Verwahrung bedarf, und der im Leben nicht zu bestehen vermag, kann durch ärztliche Maßnahmen unmerklich schmerzlos für ihn vorzeitig bendet werden. [...]” (Zitat S. 108; die Autoren belegen die Quelle unter der Anmerkung 29 auf S. 119: „29 Zit. nach Rolf Winau: „Euthanasie und Sterilisation”. In: Medizin im Nationalsozailismus, Tagung vom 30. April bis 2. Mai 1982, Protokolldienst der Evang. Akademie Bad Boll, 23/82; S. 73. Vgl. auch BA, R 22/855 und 4209.”)

Roth und Aly gehen davon aus, dass dieser Juristenentwurf nicht „aus dem Nichts entworfen worden ist“. Sie verweisen als mögliche Vorlage für diesen Entwurf auf ein Gutachten des „Leibarztes“ von Adolf Hitler, Dr. Theo Morell, der diesen im Sommer 1939 noch vor dem 11.8.1939 erarbeitet hatte und dem er einleitend einen Gesetzentwurf voranstellte: „[...] „Das Leben von Geisteskranken, die von Geburt an oder mindestens seit... Lebenjahr so schwer körperlich und geistig mißbildet sind, daß sie nur durch dauernde Pflege am Leben erhalten werden können, daß ihr Anblick durch seine Mißgestalt in der Öffentlichkeit Schauder erregen würde und daß ihre geistigen Beziehungen zur ihrer menschlichen Umwelt auf niedrigster Stufe stehen, kann nach Maßgabe des Gesetzes über die Vernichtung lebensunwerten Lebens durch ärztlichen Eingriff verkürzt werden.” [...]”. (Zitat von S. 109; die Autoren belegen die Quelle mit den Anmerkungen 32 - 36 auf S. 119: Heidelberger Dokumente. Rückvergrößerung aus den National Archives Washington (NAW), T-253, Roll 44, Morell-Akte Nr. 81.)

Die von Morell gewählten Formulierungen „mißgebildet“ und „Mißgestalt“ scheinen ihr Pendant im administrativen Auftakt zu den Massentötungen an Kindern, dem geheimen Runderlass des „Reichsausschuß“ „Meldepflicht mißgestalteter usw. Neugeborener“ vom 18.8.1939, in dem dort verwandten Adjektiv „mißgestalteter“ gefunden zu haben.

Im Oktober 1939 war die Diskussion zwischen den Fachleuten im „Reichsausschuß“ und den Funktionären der „KdF“ so weit gediehen, dass man eine schriftliche Festlegung der vom „Führer“ bisher mündlich erteilten Tötungsermächtigung für unabdingbar hielt. Nach Roth und Aly stammt die Formulierung des auf den 1.9.1939 rückdatierten geheimen „Ermächtigunsschreiben“ Hitlers aus der Feder des Berliner Psychiaters de Crinis (s. S. 111).

So blieb es zunächst bei einer verdeckten Vorgehensweise, was die Ausweitung der Kindestötungen auf die erwachsenen Kranken in den Heil- und Pfleganstalten betraf. Im Verlauf der geheimen „Aktion T4“ wurden die beteiligten Mediziner ständig mit dem Verweis auf diese „Ermächtigung“ Hitlers als „Führerbefehl“ abgespeist. Die Mitglieder des „Reichsausschusses“ forderten aber spätestens seit Frühjahr 1940 eine juristische Kodifizierung. In der ständig andauernden fachinternen Diskussion um ein „Euthanasiegesetz“ tauchte auch ein Gesetzentwurf des Chefs der Reichskanzlei, Dr. Hans Lammers auf. Hier wird das Kompetenzchaos, die gleichsam darwinistische Konkurrenz der verschiedenen Machtzentren im NS-Staat untereinander, recht deutlich.

Wahrscheinlich im Oktober 1940, so Roth und Aly, trat dann eine Kommission von etwa 30 Teilnehmern zusammen, hier war auch der Leiter des „Reichssicherheitshauptamtes“, Reinhard Heydrich vertreten und somit auch eine Verbindung zur „SS“ Heinrich Himmlers hergestellt. Der „Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik“ war durch den Ordinarius für „Rassenhygiene“ Fritz Lenz vertreten. Die Gesundheitsverwaltungen der Länder entsandten ebenfalls drei ihrer leitenden Mediziner. Der überwiegende Anteil der Teilnehmer stammte aber aus dem „Reichsausschuß“ bzw. aus dem Kreis der T4-Gutachter. Die Autoren Roth und Aly haben in ihrer Publikation als „Dokument 6” Auszüge aus dem damaligen Diskussionsprotokoll aus den „Heidelberger Dokumenten” im Faksimile abgedruckt (Bl. Nr. 126 659 - 126 690, Rückvergrößerung aus Mikrofilmen der National Archives Washington (NAW), Roll 11).

Nach Ansicht der beiden Autoren Roth und Aly brachte die hier dokumentierte Diskussion „[...] eine umfassende Methodologie von Aussonderungskriterien und -prozeduren gegenüber „lebensunwertem Leben” zum Abschluß [...]. Die Legitimation zum Töten wurde wissenschaftlich exakt festgelegt. „Willkürmaßnahmen”, etwa in Richtung geistig aktiver Behinderter - freilich nur jenseits des zweiten Lebensjahrs! - oder seniler Menschen, wurden ausgeschlossen. Eine Beobachtungs- und Begutachtungszeit von zwei Anstaltsjahren mit entsprechenden „aktiven” Therapieversuchen wurde verbindlich gemacht. [...] Diese Durchführungsverordnung enthielt u. a. einen differenzierten Katalog über die Vorraussetzungen, aufgrund derer der „besonders ermächtigte Arzt” als Gutachter zurücktreten sollte. Als Untergrenze für eine „Sterbehilfe auf Verlangen” wurde ein Lebensalter von 21 bzw. 25 Jahren diskutiert; dagegen stand eine solche Altersbegrenzung im Fall von § 2 (staatlich verfügte Lebensvernichtung gegen den Willen des Opfers) nicht zur Debatte, hier sollte eine „erhebliche Geistesschwäche” die Menschen aller Altersstufen treffen. Und, quasi um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: die „Erleichterung des bereits eingetretenen Todeskampfs” war „nicht Gegenstand des Gesetzes”! [...]” (Zitat s. Roth S. 115)

In diesem Diskussionsprotokoll ist auf den Seiten 126 664 und 126 665 (s. Roth S. 145 und 146) die Diskussion der Teilnehmer „Zur Frage der Ermächtigung der Amtsärzte“ protokolliert. Diese „Ermächtigung” bezieht sich auf die im § 1 des Entwurfes der 4. Strafrechtskommission getroffene Formulierung „[...] mit Genehmigung eines besonders ermächtigten Arztes [...]”

Die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer sprach sich für eine Ermächtigung der Amtsärzte aus.

Zur besonderen Bedeutung der Amtsärzte im vorgesehenen Verfahren äußerte sich auch der Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Brandenburg an der Havel und T4-Gutachter Dr. Irmfried Eberl in einem ebenfalls von Roth und Aly abgedruckten Scheiben an den „Reichsausschuß“ vom 10.9.1940, in dem er seine Änderungsvorschläge bzw. Kommentare zum Gesetzentwurf abgibt: „[...] Zu § 1 bezüglich des Euthanasie-Beauftragten stehe ich nach wie vor auf dem Standpunkt, daß der Amtsarzt der gegebene Mann dafür ist, denn er allein ist in der Lage, sich jederzeit in den Dienst der Sache zu stellen und in der gesetzlich vorgeschriebenen Frist die entsprechende Untersuchung durchzuführen. [...] Den Vorschlag, Amtsärzte von Fall zu Fall je nach Eignung und im übrigen andere Ärzte zu ermächtigen, halte ich nicht für zweckmäßig, um so mehr, als ja der Amtsarzt in der Zukunft der Gesundheitsführer seines Kreises sein soll und auch die Durchführung dieses Gesetzes seine Stellung noch mehr festigen würde. [...]” (Dokument 4 S. 135, als Quelle geben die Autoren an: Urkunden aus den Akten Dr. Eberl der französischen Militäregierung, I/1a307, Dok. I/206/1, I/156b, I/156.) Hier zitiert aus der Anklageschrift gegen Heyde, Bohne und Hefelmann vom 22.5.1962, Seiten 475 - 487, der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/M., Js 17/59 (GstA).” (S. Roth, S. 130.)

370 S. Klee, Euthanasie, S. 206 - 219 und zur Vorlage von Hitlers Ermächtigungsschreiben: S. 241.

371 S. von Platen, S. 58 f. (Ausgabe 1948 und 3. Aufl. 1998).

372 S. StAM, GA Weilheim, Nr. 499, und Anhang Nr. 13, Quelle GA SOB.

373 ebenda

374 S. Faksimile im Anhang Nr. 15 Quelle GA SOB.

375 Vgl. Überweisung von 6.- RM der Regierungshauptkasse Augsburg vom 29.11.1944 an GA Neuburg als Rückvergütung für vom GA Neuburg an Hebammen „vorschüßlich“ ausbezahlte Meldevergütungen für drei Meldungen, StAA, GA Neuburg, Nr. 54.

376 S. Faksimile im Anhang Nr. 14 sowie IMS Nr. 5348e 29. v. 29.9.1939, Quelle GA SOB; das staatliche GA in Eichstätt erhielt den geheimen RdErl. d. RMdI vom 18.8.1939 von der Regierung von Mittel- und Oberfranken in Ansbach mit RS vom 25.10.1939 am 1.11.1939, s. StAN, GA Eichstätt, Nr. 62.

377 S. Faksimile im Anhang Nr. 17 Quelle GA SOB, das IMS Nr. 5348e 20v. 27.2.1940 ging am 7.3.1940 auch im GA Eichstätt ein, s. StAN, Akten der GÄ, GA Eichstätt, Nr. 61.

378 S. Klee, Euthanasie, S. 295 f.

379 Zu Goebbels s. Fest, Das Gesicht des Dritten Reiches, S.119 - 138, hier: S. 123.

380 S. Anhang Nr. 16, Quelle GA SOB.

381 S. StAA, GA Nördlingen, Nr. 45, zur Person des Amtsarztes: Dr. Minderlein, Friedrich 25.9.1876 - 30.1.1943, laut RÄK und BDC kein NSDAP-Mitglied (Recherche: Dr. Vossen).

382 S. Benzenhöfer, Der gute Tod?, S. 117 sowie Friedlander, S. 94 ff.

383 Ebenda; und Burleigh, Tod und Erlösung, S. 125 ff.

384 S. Klee, Euthanasie, Zitat auf S. 298 und 299.

385 Ebenda, S. 299.

386 S. Benzenhöfer, Der gute Tod?, S. 117 sowie Friedlander, S. 94 ff., und Burleigh, Tod und Erlösung, S. 125 ff.

Laut Friedlander verhandelte der Reichsausschuss nicht direkt mit den Angehörigen der Kinder oder deren Ärzten, da er keinen offiziellen Status besaß und keine Befugnis hatte um, Zwangsmaßnahmen zu ergreifen. Ein direkter Kontakt hätte auch die geheime Organisation in der „Kanzlei des Führers“ (KdF) aufgedeckt. So wandte sich der Reichsausschuss an die Gesundheitsbehörden der Länder und der preußischen Provinzen, die dann die Einweisung bzw. den Transport der Kinder organisierten (s. Friedlander S. 108 und seine Anmerkung 94 dazu auf S. 496). Für Württemberg berichtet Friedlander: „In Württemberg verlegten Stähle vom württembergischen Innenministerium (dort für das Gesundheitswesen verantwortlich [s. Friedlander S. 102, J. D.] und die örtlichen Gesundheitsämter 93 Kinder in Mordstationen außerhalb der Landesgrenzen. Auf ähnliche Weise wurden 24 Kinder aus der Hamburger Anstalt Langenhorn am 8. August 1943 von den Hamburger Behörden in die Mordstation von Eichberg in Hessen-Nassau geschickt. Alle 24 Kinder starben innerhalb von zwei Monaten in Eichberg: vier im August, 13 im September und sieben im Oktober 1943.” (Zitat bei Friedlander S. 109 und seine Anmerkungen 95 und 96 dazu auf S. 496.)

387 S. Klee, Euthanasie, S. 306.

388 S. Faksimile im Anhang Nr. 18, RMBliV 1940, Nr. 28, S. 1437; s. dazu auch Friedlander S. 96 f.

Die Gördener Anstalt hatte wahrscheinlich schon im Oktober 1939 ihre neue Bestimmung erhalten. So äußerte sich zumindest der Verwaltungsleiter der geheimen „Aktion T4“, Hans Hefelmann, bei seiner Zeugenvernehmung vor Gericht im Dezember 1960 im Rahmen des Prozesses gegen den T4-Gutachter Werner Heyde. Die Wahl fiel wohl deshalb auf Görden, weil hier der Berliner Kinder- und Jugendpsychiater und T4-Gutachter Hans Heinze im Sommer 1939 die Leitung der Anstalt übernommen hatte. Heinze war bereits seit Mai 1934 Leiter der Landesanstalt Potsdam, der eine größere Kinderabteilung angegliedert war. Darüber hinaus sah er in der Forschung an den Gehirnen der getöteten Kinder eine Chance, auch wissenschaftliche Meriten zu erlangen. Bereits 1937 war Heinze in das Kuratorium des Berliner Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI) für Hirnforschung gewählt worden. Hier hatte sich eine rege Zusammenarbeit mit dem 1938 zum Leiter der neu geschaffenen histopathologischen Abteilung im KWI, Julius Hallervorden, angebahnt. Vor der Eröffnung der „Kinder-Fachabteilung“ in Görden wurden bereits im Mai 1940 232 Kinder aus der Anstalt Görden in der Gaskammer eines ehemaligen Gefängnisses in der Stadt Brandenburg ermordet, um Platz für die ab Sommer 1940 aus dem ganzen Reich geplanten Aufnahmen von „Reichsausschuß“-Kindern zu schaffen. Für wie viele Kinder zwischen 1938 (frühester Zeitpunkt der noch in den Aufnahmebüchern erhaltenen Kinderdaten) und April 1945 der Aufenthalt ein tödliches Ende nahm, ist nicht mehr sicher festzustellen. In den Gördener Aufnahmebüchern mit dem Abgangsvermerk „verstorben“ versehen wurden die Namen von insgesamt 1273 von 3987 in diesem Zeitraum aufgenommenen Kindern und Jugendlichen, also knapp 32 % (s. Beddies, S. 129 - 154, hier S. 135).

Ein weiterer Grund, Görden eine besondere Rolle innerhalb der „Kindereuthanasie” einzuräumen, besteht darin, dass hier einige Ärzte aus anderen Anstalten in die „besonderen” Tätigkeiten einer „Kinderfachabteilung“ eingeführt wurden (s. Beatrice Falk und Friedrich Hauer, Erbbiologie, Zwangssterilisation und „Euthanasie” in der Landesanstalt Görden, in: Hübner, S. 79 - 104 sowie Benzenhöfer, NS-„Kindereuthanasie”. „Ohne jede moralische Skrupel”, Dt. Ärzteblatt Jg. 97, Heft 42, 20.10.2000, S. B 2352 - 2355 und ders.: Genese und Struktur der NS-„Kinder- und Jugendlicheneuthanasie”, in: Monatsschrift Kinderheilkunde, 151, 10/2003, S. 1012 - 1019).

389 S. RdErl. d. RMdI v. 18.6.1940, RMBliV 1940, Nr. 27, S. 1205 - 1208.

390 Ebenda; zu den damals „modernen” Behandlungsformen, v. a. der Schizophrenie, s. Bumke, 1942, S. 593 - 600.

391 S. Friedlander, S. 96.

392 S. Faksimile im Anhang Nr. 19, Quelle GA SOB. Emil Sprenger, geboren am 24.6.1893 in Feldkirch/Vorarlberg, 1914 - 1918 Militärdienst als Sanitätsleutnant, wurde 1921 approbiert und im selben Jahr Sprengelarzt in Lamprechtshausen in Österreich. Er war Mitglied der Großdeutschen Partei und seit Mai 1931 Mitglied der NSDAP und des NSDÄB. Sprenger verbüßte 1934 eine Gefängnisstrafe wegen nationalsozialistischer Betätigung in Österreich, Berufsverbot in Österreich und Flucht aus Österreich 1935; danach Lagerarzt im Flüchtlingshilfswerk der NSDAP in München; SS-Beitritt 1935 (1940 Obersturmbannführer); ab 1938 Arzt im städtischen Gesundheitsamt in München, danach Medizinaldezernent der Regierung von Oberbayern, 1939 Beförderung zum Oberregierungsmedizinalrat und 1943 zum Regierungsmedizinaldirektor; zur Biografie Sprengers s. Süß, S. 477; zu den Entscheidungsträgern auf regionaler Ebene: Süß, S. 319 - 350.

393 S. Aly, Aktion T 4, Zitat 1: S. 67; Zitat 2: S. 133.

394 S. Anhang Nr. 18, RdErl. d. RMdI v. 1.7.1940 - IV b 2140/40 - 1079 Mi, RMBliV 1940, Nr. 28, S. 1437.

395 S. Friedlander, S. 97 und seine Anmerkung 42 zu S. 97.

396 S. Mitscherlich, Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, Zitat auf S. 193 und 194 oben, kursive Stellen im Original ebenso kursiv; s. dazu auch Friedländer, S. 99 f. und seine Anmerkung 57 auf S. 493: „Nürnberger Dok. NO-863: freiwillige Aussage Ludwig Lehners, London, 15. Aug. 1946, wiederholt (mit einigen stilistischen Änderungen) als Eidesstattliche Erklärung vor dem U. S. Office of Chief of Council for War Crimes, St. Wolfgang, Wasserburg am Inn, Oberbayern, 30. März 1947. Vgl. auch U. S. Military Tribunal, Official Transcript of the Proceedings in Case I, S. 1538 - 1539. [...]”

397 S. Friedlander, Anmerkung 57 auf S. 493: „[...] Vgl. StA München I, Verfahren Pfannmüller, 1 KS 10/49 (1b Js 1791/47), Protokoll der öffentlichen Sitzung des Schwurgerichts bei dem LG München I, 25. Okt. 1949, S. 61 - 65.”

398 S. Klee, Euthanasie, Seite 302 und Klees Anmerkung 19 dazu.

399 S. Faksimile im Anhang Nr. 20, Quelle GA SOB und dazu auch Friedlander: „Die Drohung, den Eltern das Fürsorgerecht zu entziehen, hatte in der Regel den gewünschten Effekt. Noch größerer Druck ließ sich gegen die Mütter ausüben, wenn die Väter an der Front standen. In diesen Fällen berief sich der Reichsausschuß auf eine Vereinbarung zwischen dem Reichsarbeits- und dem Reichsinnenministerium und forderte das zuständige Arbeitsamt auf, die widerspenstige Mutter zum Arbeitsdienst zu verpflichten. An dem Punkt hatte die Mutter kaum eine andere Wahl, als ihr Kind herzugeben. Natürlich waren solche Zwangsmaßnahmen nur gegen Mütter aus der Arbeiterklasse wirksam, die nicht in der Lage waren, für die Pflege des Kindes aufzukommen, vor allem nachdem man die Unterstützung für Kinder, die nicht als „brauchbare Volksgenossen” ausgewiesen waren, gestrichen hatte.” (Zitat von S. 114 sowie Friedlanders Anmerkungen 121 bis 124 dazu auf S. 498.)

400 S. Schmidt, Selektion in der Heilanstalt, Zitat auf S. 113.

401 S. Burleigh, Tod und Erlösung, S. 21.

402 S. Siemen, Hans Ludwig, Reform und Radikalisierung. Veränderungen der Psychiatrie in der Weltwirtschaftskrise, in Frei, Medizin und Gesundheitspolitik, S. 191 - 200.

403 S. Klee, Euthanasie, S. 429 f. und Friedlander S. 105 f. sowie v. Cranach, Siemen, S. 448 ff.

404 Vgl. StAM, Staatsanwaltschaften, Nr. 19.05/1 sowie Klee, S. 430 und Schmidt, Selektion in der Heilanstalt, S. 132 sowie Süß, S. 319 - 323 und seine Anmerkung 41 auf S. 320 und v. Cranach, Siemen, S. 449 f.

405 S. Forstner, S. 85 ff. und Süß, S. 319 - 326 sowie v. Cranach, Siemen, S. 310 f.

406 S. Süß, S. 320.

407 S. Schmidt, Selektion in der Heilanstalt, Zitat auf Seite 132 - 134.

408 S. Klee, Euthanasie, S. 430, s. dazu im Detail: v. Cranach, Siemen, S. 287 - 296; zum Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren, Valentin Faltlhauser, sehr ausführlich: Ulrich Pötzl, Dr. Valentin Faltlhauser Reformpsychiatrie, Erbbiologie und Lebensvernichtung, in: v. Cranach, Siemen, S. 385 - 403, zu Faltlhausers „E-Kost“ s. auch Süß, S. 322.

409 S. Klee, Euthanasie S. 432 f.

410 Ebenda, S. 452 und Friedlander S. 105 f.

411 S. v. Cranach, Siemen, Grafik 5, S. 325.

412 S. Klee, Euthanasie, S. 294 bzw. Benzenhöfer, Der gute Tod?, S. 118.

413 S. Vossen, GÄ S. 404 sowie Anmerkung 58.

414 S. Schmidt, Selektion in der Heilanstalt, Seite 117 f.; zur Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar bei München im Detail: Petra Stockdreher, Heil- und Pflegeanstalt Eglfung-Haar, in: v. Cranach, Siemen, S. 327 - 362.

415 S. Aly, Aktion T4, insbesondere S. 168 - 178.

416 S. Süß, S. 319 - 350.

417 S. Faksimile im Anhang Nr. 21, Quelle GA SOB, s. dazu auch Friedlander S. 135u. S.136:

„Das Verfahren, das mit der Massentötung erwachsener Patienten endete, begann mit einem Runderlaß des RMdI am 21. September 1939, nur einen Monat und drei Tage nach einem anderen RMdI-Erlaß [gemeint ist der geheime Runderlass vom 18.8.1939 IV b 3088/39 1079 Mi. „Betrifft: Meldepflicht für mißgestaltete usw. Neugeborene“, J. D.], der den Auftakt zur Ermordung von Kindern gegeben hatte. Der Erlaß vom September, den Leonardo Conti im Namen des Reichsministers des Innern unterzeichnet hatte und der allen außerpreußischen Landesregierungen, preußischen Regierunspräsidenten und Landeshauptmännern in der Ostmark zuging, diente, so die Überschrift, der „Erfassung der Heil- und Pflegeanstalten”. Darin forderte das RMdI die verschiedenen Regierungen auf, bis zum 15. Oktober 1939 eine vollständige Liste aller Anstalten in ihrem Zuständigkeitsbereich zu erstellen, in denen „Geisteskranke, Epileptiker und Schwachsinnige nicht nur vorübergehend verwahrt werden”. Aufzuführen waren „öffentliche, gemeinnützige, charitative oder private” Anstalten unter Angabe des Namens, der genauen Postanschrift, des Besitzers oder Trägers der Anstalt sowie der Patientenkapazität. Nachdem Heil- und Pflegeanstalten nicht die einzigen Unterbringungsorte für die in Frage kommenden Patienten seien, müßten sämtliche bestehenden Anstalten aufgeführt werden, z. B. auch Siechenheime und Sanatorien, sofern sie solche Kranke sowie Personen, „die an seniler Verblödung leiden”, beherbergten. Ausgenommen waren lediglich Krankenhäuser, die Patienten nur zur Beobachtung und Diagnose aufnahmen, wie etwa Universitätskliniken. Diese Informationen, teilte das RMdI den Regierungsstellen mit, würden zur Erstellung von Fragebögen für die Anstalten benötigt. Das Ministerium plane, mit den Anstalten direkt in Kontakt zu treten, werde jedoch die Unterstützung der jeweiligen Regierungsstellen einfordern, sofern die Fragebögen nicht rechtzeitig zurückgeschickt würden.” (Zitat von S. 135 unten und S. 136 sowie Friedlanders Anmerkung 87 dazu auf S. 504.)

418 S. Faksimile im Anhang Nr. 22, Quelle GA SOB.

419 S. Süß, S. 319 - 350.

420 S. Süß, Zitat auf S. 366/367 und Anmerkungen 254 mit 260. Mit dem „Erlaß des Führers über das Sanitäts- und Gesundheitswesen. Vom 28. Juli 1942.” RGBl. 1942 Teil I Nr. 87 S. 515 - 516 verfügte Adolf Hitler in Nr. 1 eine „Zusammenfassung aller gemeinsamen Aufgaben auf dem Gebiet des Sanitätswesens der Wehrmacht“, um das bisherige unkoordinierte Nebeneinander der Sanitätsbereiche aller drei Waffengattungen zu beseitigen. Im Weiteren ließ er dem „Reichsgesundheitsführer“ Leonardo Conti nur noch die Zuständigkeit über die staatliche Gesundheitsverwaltung und übertrug seinem „Begleitarzt“ Karl Brandt die ganze zivil-miltärische Bedarfsplanung und Koordination: „[...] 2. Für den Bereich des zivilen Gesundheitswesens ist für alle einheitlich zu treffenden Maßnahmen der Staatssekretär im Reichsministerium des Innern und Reichsgesundheitsführer Dr. Conti verantwortlich. Ihm stehen hierfür die zuständigen Abteilungen der Obersten Reichsbehörden und ihre nachgeordneten Dienststellen zur Verfügung. 3. Für Sonderaufgaben und Verhandlungen zum Ausgleich des Bedarfs an Ärzten, Krankenhäusern, Medikamenten usw. zwischen dem militärischen und dem zivilen Sektor des Sanitäts- und Gesundheitswesen bevollmächtige ich Professor Dr. med. Karl Brandt, der nur mir persönlich unterstellt ist und von mir unmittelbar Weisung erhält. 4. Mein Bevollmächtigter für das Sanitäts- und Gesundheitswesen ist über grundsätzliche Vorgänge im Wehrmachtssanitätswesen und zivilen Gesundheitswesen laufend zu unterrichten. Er ist berechtigt, sich verantwortlich einzuschalten. [...]”. Damit war Conti quasi entmachtet und die bisherige Dominanz des staatlichen Instanzenzuges im öffentlichen Gesundheitswesen beseitigt (s. dazu auch Süß S. 82 ff.). Conti hatte sich in den Monaten davor erfolglos gegen die sich abzeichnende Machtverschiebung hin zu seinem Konkurrenten Karl Brandt gewehrt. Brandt war seit 1934 Hilters „Begleitarzt” und ihm daher ständig nahe, seine Familie war auch öfters auf dem „Berghof” untergebracht, wenn Hitler dort weilte. Conti beklagte die Distanz zum „Führer” anlässlich einer Vorsprache bei Reichsmarschall Göring: „[...] Göring verwunderte sich auch, daß das Zivile Gesundheitswesen nicht in der Führung eine Oberste Reichsbehörde sei. Er sagte: Selbstverständlich müssen Sie Oberste Reichsbehörde sein. [...] Ich erklärte dem Reichsmarschall eindeutig, ein Reichsgesundheitsführer, der 4 Jahre im Kriege sich ganz allein durchhelfen müsse, 4 Jahre nicht habe beim Führer sein dürfen, sei eine Unmöglichkeit. Allein aus dieser Tatsache müsste ich letzten Endes Konsequenzen ziehen. [...]” Vgl. BAB, R 1501/ 3811, „Aktennotiz über die Besprechung mit dem Reichsmarschall am 22.4.43 - œ 12 - 14 h“ Bezeichnend für die Einschätzung des durch Conti vertretenen staatlichen Instanzenzuges der öffentlichen Gesundheitsverwaltung ist ein Fernschreiben Martin Bormanns an Conti: vgl. BAB R 1501/3810:

fuehrerhauptquartier, 3.8.1943, 17.55 uhr

reichsleiter m. bormann

an herrn reichsgesundheitsfuehrer d. conti, persoenlich

b e r l i n w. 35

tiergartenstr. 15

betrifft: feststellung der roentgen-geraete eilt sehr

lieber parteigenosse dr. conti.

als ich heute aus anderem anlass beim fuehrer war, sagte er mir, die von dr brandt zur feststellung der roentgengeraete eingeschlagene methode sei zweifellos besser als ihrige. dr. brandt muese [!] wenn eile not tue, bei jeder dienststelle der wehrmacht oder des staates eingreifen koennen. dabei sei oft blitzschnelles handeln notwendig. und deshalb die einhaltung eines dienstweges vollkommen unmoeglich.”

Was den Dienstweg im Instanzenzug des RMdI betrifft hatte Bormann zumindest für Bayern recht: Reichsgesundheitsführer Conti hatte mit RdErl. ZG 1044/43 E 300/6v. 28.7.1943 die Meldung ungenutzter Röntgengeräte an den zuständigen Reichsverteidigungskommissar (RVK) mit Terminsetzung 1.9.1943 angeordnet. Dem staatl. GA Schrobenhausen ging ein entsprechendes Schreiben des RVK für den Gau München - Oberbayern vom 14.8.1943 mit RS der Regierung von Oberbayern vom 25.8.1943 am 31.8.1943 zu - genau einen Tag, bevor der Conti Meldung erstattet haben wollte! Vgl. StAM, Quelle GA SOB. So wurde Conti und damit die ganze zivile Gesundheitsbürokratie ausgebootet. Einzig der mittlerweile zum Ministerialdirektor und Leiter der Unterabteilung Erb- und Rassenhygiene aufgestiegene Dr. med. Herbert Linden vertrat die Gesundheitsverwaltung des RMdI im Bereich der nun von Brandt zu organisierenden „Sonderaufgaben“: Er war seit Oktober 1941 „Reichsbeauftragter für die Heil- und Pflegeanstalten“ s. RGBl. 1941 Teil I Heft 121 vom 27.10.1941, S. 653: „Verordnung über die Bestellung eines Reichsbeauftragten für die Heil- und Pflegeanstalten. Vom 23. Oktober 1941. Die sich steigernde Nachfrage nach Krankenhausbetten macht eine Inanspruchnahme geeigneter Heil- und Pflegeanstalten oder von Teilen solcher Anstalten als Krankenhäuser oder Lazarette erforderlich. Auch zur Gewinnung von Massenunterkünften ist vielfach Anstaltsraum beansprucht worden. Eine Entscheidung der hier auftauchenden Fragen von rein örtlichen Gesichtspunkten oder vom Gesichtspunkt der einzelnen Träger der Anstalten muß zu Mißständen führen, die nicht leicht behebbar sein werden. Um sie zu vermeiden, ist eine planmäßige Bewirtschaftung des gesamten vorhandenen Anstaltsraumes für das ganze Reichsgebiet erforderlich. Deshalb wird aufgrund gesetzlicher Ermächtigung mit Zustimmung des Beauftragten für den Vierjahresplan und des Oberkommandos der Wehrmacht folgendes verordnet:

§ 1 Der Reichsminister des Innern bestellt einen Reichsbeauftragten für die Heil- und Pflegeanstalten.

§ 2 Der Reichsbeauftragte für die Heil- und Pflegeanstalten hat planwirtschaftliche Aufgaben auf dem Gebiet der Heil- und Pflegeanstalten durchzuführen. Er untersteht dem Reichsminister des Innern und ist ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Leiter der Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten die notwendigen Maßnahmen zu treffen. [...]”. Lindens neu geschaffene Dienststelle war laut Süß aber erst im Sommer 1942 handlungsfähig und zudem nur mit wenig Machtmitteln versehen (s. Süß S. 316 ff.). So versandte Linden erst am 5.8.1942 einen „Schnellbrief” an die Landesregierungen, Reichsstatthalter, Oberpräsidenten und den Stadtpräsidenten in Berlin sowie nachrichtlich den Reichsverteidigungskomissaren zur infrage stehenden Nutzung der Heil- und Pflegeanstalten als Ausweichkrankenhäuser. Die Adressaten sollten innerhalb von 10 Tagen folgende Fragen beantworten: „[...] In der letzten Zeit hat es sich immer wieder gezeigt, daß zur Beschaffung von Krankenhausbetten in Katastrophenfällen in steigendem Maße auf Heil- und Pflegeanstalten zurückgegriffen werden muß. Da aber über die Betten, die durch die bisher betriebenen planwirtschaftlichen Vorkehrungen in den Anstalten gewonnen worden sind, anderweitig verfügt ist, bedarf es zusätzlicher Maßnahmen, um weiteren Ansprüchen gerecht werden zu können. Ich ersuche daher, mir bis zum 15. August d . J. (Frist genau einhalten) zu berichten

wieviele Geisteskranke in den Anstalten (einschl. charitative und private) des dortigen Bezirks bei bestmöglichster Ausnutzung der vorhandenen Bettenzahl noch untergebracht werden können, wieviele Geisteskranke darüber hinaus in Katastrophenfällen durch Herrichtung von Notlagern in heizbaren Gängen, Gemeinschaftsräumen usw. in Kapellen von Anstalten noch zusätzlich aufgenommen werden können. Da die zu 2) angegebenen Unterbringungsmöglichkeit bei etwaigen Maßnahmen als vorhanden in Rechnung gestellt wird, muß sie auch in der angegebenen Höhe stets zur Verfügung erhalten bleiben. Stroh usw. zur Beschaffung der Strohschütten ist entweder bereitzuhalten oder sofortige Beschaffungsmöglichkeiten sicherzustellen, (nur für luftgefährdete Gebiete): welche Heil- und Pflegeanstalten im eingetretenen besonderen Katastrophenfall zu räumen sind, um als Hilfskrankenhaus Verwendung zu finden. Hierbei bitte ich, mir tunlichst solche Anstalten zu benennen, die als nicht besonders luftgefährdet anzusehen sind. Beim Eintritt eines Katastrophenfalles würde ich für sofortige Räumung dieser Anstalten sorgen, so daß innerhalb kürzester Frist die Überstellung der obdachlos gewordenen Kranken aus den zu räumenden Krankenhäusern in die zu schaffende Ausweichanstalt erfolgen kann. Es muß den örtlichen Stellen überlassen bleiben, schon jetzt Maßnahmen zu erwägen, um die Umstellung der zu räumenden Anstalten auf den Krankenhausbetrieb sicherzustellen. Da nach meinen vorstehenden Ausführungen die Heil- und Pflegeanstalten in Katastrophenfällen eine wesentliche Reserve für die zusätzliche Bettenbeschaffung von Krankenbetten bieten sollen, können sie zur Unterbringung von Obdachlosen in Zukunft nicht mehr in Frage kommen. Weiterhin bitte ich, davon abzusehen, schon jetzt die Räumung von Heil- und Pflegeanstalten, die in oder an der Peripherie gefährdeter Städte liegen, zu verlangen, da die Räumung dieser Anstalten meine Bewegungsfreiheit in wirklich eintretenden Katastrophenfällen stark einschränken muß.” Vgl. Schnellbrief Lindens Nr. 200/42 5107 vom 5.8.1942, BAB R 1501/5576, Mikrofichereproduktion 320 Nr. 576, f. 269 und 270; vgl. a. in Auszügen: Aly, Aktion T4, S. 168/169. Aly versucht hier noch einmal seine These einer zentralen Steuerung („Aktion Brandt”) zu untermauern. Zumindest was den örtlichen Bedarf betrifft, hat er Recht. Nur die zentrale Steuerung Lindens ist durch die Befunde von Winfried Süß mittlerweile widerlegt. Nach Aly fungierten in dieser Phase der kriegsbedingten Planungen die Anstaltsinsassen als Platzhalter für den Bedarfsfall. „Sie hielten die Betten warm, d. h. die ganze Anstalt blieb für Zwecke der Krankenversorgung in Betrieb, das Personal war unabkömmlich, die Anstalt konnte nicht zur Kaserne umfunktioniert werden. So verarbeiteten die „T4” und Herbert Linden vom Innenministerium die negativen Erfahrungen der ersten Tötungsphase, bei der von 70 000 „freigemachten” Anstaltsbetten 50 000 zweckentfremdet worden waren. Jetzt sollte nicht mehr nach einem vorher festgelegten Plan, der sich an den Tötungskapazitäten orientierte, getötet werden, sondern nach dem örtlichen Bedarf - dezentral organisiert. Differenzierte Tötungskriterien gab es nicht mehr. Es zählten allein die Arbeitsfähigkeit und das Ausmaß der medizinischen Folgen eines Bombenangriffes. Nur daraus ergab sich das Quantum der Menschen, die über die „Reichsarbeitsgemeinschaft” deportiert wurden. Die Täter nannten diese Verbindung von der Tötung psychisch Kranker mit einer möglichst guten medizinischen Versorgung körperlich Verletzter nicht „wilde Euthanasie”, sondern - ganz zu Recht - „Aktion Brandt”. Darüber, wer verlegt wurde, entschieden keine zentralen Gutachter, sondern die jeweilige Anstalt. Dabei kam - je nach Bedarf - prinzipiell jeder Psychiatriepatient zur Verlegung in Frage.” (Zitat bei Aly, Aktion T4, von S. 169) Zur Zweckentfremdung der „freigemachten” Anstaltsbetten s. auch Süß, S. 318.

421 Vgl. Süß, Zitat von S. 367 und 368.

422 Ebenda, Zitat von S. 412 - 413 und ausführlicher dazu für Westfalen: Vossen, GÄ, S. 236 - 254.

423 Quelle GA SOB, dieses RS ging auch am 2.1.1946 im GA Weilheim ein (s. StAM, GA Weilheim, Nr. 500); in Schwaben erfolgte die Übermittlung der Ministerialentschließung etwas später: Das RS der Reg. v. Schwaben vom 20.12.1945 erreichte das GA Wertingen am 16.1.1946, aber mit einer im Reg.-bez. Oberbayern nicht vollzogenen Neuerung: „[...] Die den Hebammen zustehende Vergütung von 2.- RM und die Freigebühren (Postgebühren) sind von den Gesundheitsämtern (Zahlstellen) künftighin endgültig zu bezahlen. [...]” Die sparsamen Schwaben wälzten die Vergütung der meldenden Hebammen auf die untere Veraltungsebene ab. Wenn es um Geld ging, war also eine Modifikation durchaus möglich (s. StAA, GA Wertingen, Nr. 45), s. dazu a. Anmerkung 375; zur Person des das RS unterzeichnenden Amtsarztes der Regierung von Oberbayern: Windsheimer, Georg, geb. 1.7.1892, Lt. RÄK: kein NSDAP-Mitglied; Anwärter des NSDÄB, 1924 - 1937 niedergelassener Allgemeinpraktiker, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie seit 1927, Leitender Arzt am Staatl. Gesundheitsamt: ab 22.4.1937 Gunzenhausen, ab 1.1.1939 Weilheim (Recherche Dr. Vossen).

424 S. Klee, Euthanasie, S. 452.

425 S. Anhang Nr. 23, Quelle GA SOB.

426 S. Das Öffentliche Gesundheitswesen, 1962, Band IV, Gesundheitsfürsorge, Kapitel I. Bevölkerungsprobleme, S. 9 - 44, besonders Punkt „B. Qualitative Bevölkerungspolitik”, hier insbesondere S. 23 und „Geburtenmindernde Maßnahmen” auf S. 26/27.

427 S. Black, War Against the Weak, insbesondere Kapitel 15: Hitler’s Eugenic Reich, S. 279 - 318.

428 S. Einleitung und das Zitat Pürckhauers in Anmerkung 6, Alice Platen-Hallermund schilderte bereits 1948 die Verabschiedung des Gesetzes über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens 1934 und die dadurch kodifizierte Entstehung staatlicher Gesundheitsämter unter Führung des Reichsministers des Innern Dr. Wilhelm Frick in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der „Erb- und Rassenpflege” (s. Platen-Hallermund, 1948, S. 37 f. bzw. Reprint, 3. Aufl. 1998, ebenfalls S. 37 f.).

429 S. Frei, 1945 und wir, S. 10.

430 Vgl. Mitscherlich, Mielke, Diktat der Menschenverachtung, 1947, S. 172.

431 Vgl. Ärztliche Gutachten. Feigenblatt für die Abschiebung, Ausgabe C S. 2725 - 2728. Hier wird der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer, Dr. Otmar Kloiber, mit den Worten zitiert: „Ärzte sollen keine Ausländerpolitik betreiben. Wir müssen aber gegenüber der Politik klar machen, wo unsere berufsrechtlichen und berufsethischen Grenzen liegen.” DÄB, Jg. 101, Heft 50, 10.12.2004, im Internet verfügbar im Archiv des DÄB unter: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel. asp?src = suche&id = 44 668, letzter Zugriff: 23.8.2006.

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