Viszeralchirurgie 2005; 40(6): 432-433
DOI: 10.1055/s-2005-918178
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Chirurgische Forschung: Bericht 2nd Tegernsee Conference on Immunotherapy of Solid Cancer

Surgical Research: Meeting Report of the 2nd Tegernsee Conference on Immunotherapy of Solid CancerD. Rüttinger1 , H. Winter1 , B. Fox1 , R. Hatz1 , K.-W. Jauch1
  • 1Chirurgische Klinik und Poliklinik, Klinikum Grosshadern, Ludwig-Maximilians-Universität München,
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Publication Date:
14 December 2005 (online)

Mit In-Kraft-Treten der 12. AMG-Novelle am 6. August 2004 und der damit verbundenen Umsetzung der EU-Richtlinien 2001/20/EG, 2000/38/EG und 2003/94/EG verzeichnete das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen einen deutlichen Rückgang bei Genehmigungsneuanträgen, die eine „somatische Zell-Therapie” beinhalten. Dies berichtete Dr. Thomas Hinz aus dem PEI anlässlich der 2nd Tegernsee Conference on Immunotherapy of Solid Cancer, die vom 29. Juni bis 1. Juli 2005 im bayerischen Rottach-Egern stattfand. 100 Teilnehmer aus sechs Ländern diskutierten drei Tage lang die neuesten Entwicklung auf dem Gebiet der Immuntherapie solider Tumoren mit besonderem Augenmerk auf Impfstrategien, also der aktiv-spezifischen Immuntherapie. Organisiert wurde das Treffen von der Chirurgischen Klinik - Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und dem Earle A. Chiles Research Institute in Portland, Oregon, USA mit Unterstützung der Chiles Foundation, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Vertretern der pharmazeutischen Industrie.

Abb. 1 Ein aktivierter T-Lymphozyt (kleinere Zelle links) attackiert eine Tumorzelle. (Foto: mit freundlicher Genehmigung: © J. D-E. Young, C-C. Lin, G. Kaplan, ASM MicrobeLibrary)

Als „Keynote Speaker” präsentierte Dr. Walter Urba vom Earle A. Chiles Research Institute die neuesten Ergebnisse zu Antikörper-basierten Behandlungskonzepten gegen das T-Lymphozyten-Oberflächenmolekül CTLA-4 (cytotoxic T lymphocyte-associated antigen 4). Physiologischerweise fungiert CTLA-4 dabei als immunregulatorisches Molekül, indem es eine übermäßige T-Zellaktivierung verhindert. Eine CTLA-4-Blockade durch den spezifischen Antikörper MDX-010 konnte bereits im Verbund mit einer therapeutischen Vakzinierung bei Patienten mit metastasiertem Melanom erfolgreich eingesetzt werden. Dabei wurden in einer kürzlich veröffentlichten Studie 19 Patienten mit reseziertem malignem Melanom (Stadien III/IV) zusätzlich zur MDX-010-Gabe mit 3 Tumorantigenen (gp100, MART-1 und Tyrosinase) vakziniert. Im Rahmen des Immun-Monitorings fand sich eine spezifische Immunantwort gegen gp100 und MART-1. Besonders interessant war jedoch die Tatsache, dass 8 der 19 eingeschlossenen Patienten Zeichen einer Autoimmunreaktion zeigten. Nur 3 dieser 8 Patienten erlitten ein Tumorrezidiv. Im Gegensatz dazu kam es bei 9 der übrigen 11 Patienten (ohne Zeichen einer Autoimmunreaktion) zu einem vorzeitigen Wiederauftreten des Tumors.

Noch immer bleiben jedoch die Ergebnisse der klinischen Studien zu aktiv-spezifischer Immuntherapie unabhängig vom verwendeten Impfstoff (Peptide, Tumorzellen, Dendritische Zellen, Heat-Shock-Proteine) hinter den Erwartungen zurück. Dr. Steve Rosenberg vom National Cancer Institute (NCI) der USA errechnete in einer unlängst veröffentlichten Analyse aus 35 klinischen Studien eine objektivierbare Ansprechrate von 3,8 % (Nature Medicine 2004; 10: 909). Eine mögliche Lösung könnte es sein, den Tumor-Patienten vor Erhalt der Impfung mittels Chemotherapie zu „konditionieren”. In einigen Studienprotokollen ist zudem eine „Rekonstitution” mit autologen Leukozyten vor therapeutischer Impfung vorgesehen. Dr. Pedro Romero und Dr. Verena Voelter vom Ludwig-Institut in Lausanne präsentierten ebenso wie Dr. Leisha Emens von der Johns Hopkins University aus Baltimore anlässlich der 2nd Tegernsee Conference on Immunotherapy of Solid Cancer erstmals ihre frühen Ergebnisse mit diesem Konzept bei Melanom- und Brustkrebs-Patienten. An der Johns Hopkins University werden dabei derzeit im Rahmen einer Phase-I-Studie Patientinnen mit Stadium IV Brustkrebs behandelt, die bereits 0 bis 2 Chemotherapien hinter sich haben und vor Studienbeginn mindestens 28 Tage lang eine „no change” Situation im onkologischen Sinne aufweisen können. Die ersten 6 Patientinnen vertrugen die Vakzinierung mit allogenen Brustkrebszellen, die genetisch derart modifiziert wurden, dass sie GM-CSF (granulocyte/macrophage-colony stimulating factor) sezernierten, ohne höhergradige Nebenwirkung. Derzeit werden nun Patientinnen mit der Kombination aus Chemotherapie (Cyclophosphamid/Doxorubicin) und Vakzine behandelt. Das vollständige klinische Studienprotokoll wurde in der Zeitschrift Human Gene Therapy veröffentlicht (2004; 15: 313-337).

Obwohl abzuwarten bleibt, inwieweit die Strategie einer „Konditionierung” des Patienten vor therapeutischer Vakzinierung die klinischen Ansprechraten in grösseren Studien verbessert, erscheinen die Ergebnisse der Pilot- und Phase-I-Studien vielversprechend. Weitere Studien werden derzeit an der Chirurgischen Klinik der LMU München und am Earle A. Chiles Research Institute auf den Weg gebracht.

Zu verstehen, wann und warum eine therapeutische Vakzinierung bei Patienten mit soliden Tumoren Wirksamkeit zeigt, ist Gegenstand der Forschung bei der Weiterentwicklung des so genannten Immun-Monitorings. Hier wird nicht nur die Tumor-spezifische Immunantwort nach der Impfung charakterisiert, sondern versucht, schon vor Therapie Patienten zu selektionieren, bei denen eine hohe Ansprechrate zu erwarten ist. Dr. John Lam von der University of California at Los Angeles berichtete in diesem Zusammenhang von einem Gen-„Profiling” bei Patienten, die an einem Nierenzellkarzinom erkrankt waren und sich einer Immuntherapie unterzogen hatten. Tatsächlich fanden sich signifikant unterschiedliche Genexpressionsmuster bei „Complete Respondern” und „Non-Respondern”, so dass diese Gene und ihre Produkte in Zukunft sowohl als Auswahlkriterium als auch als mögliches Ziel-Antigen einer Immuntherapie dienen könnten.

Während das Hauptaugenmerk klinischer Vakzinierungsstudien bislang aufgrund der verfügbaren Information über Antigenexpressionsmuster in erster Linie auf der Therapie des malignen Melanoms sowie des Nierenzell- und Prostatakarzinoms lag, wurden in Rottach-Egern auch neue immuntherapeutische Behandlungsansätze für das Lungenkarzinom diskutiert. Dr. Karl-Josef Kallen (Fa. Merck, Darmstadt) demonstrierte viel versprechende Ergebnisse einer Phase-IIB-Studie mit der liposomalen MUC1-Vakzine L-BLP25. Innerhalb dieser Studie wurden Patienten mit Nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom der Stadien IIIB und IV entweder vakziniert oder nach dem derzeitigen Standard des „best supportive care” (BSC) behandelt. 171 Patienten konnten eingeschlossen werden. 45 % der Studienteilnehmer wurden als „stable disease” klassifiziert, 51 % zeigten eine „partial response”, 4 % eine „complete response”. Insgesamt wurden in der Gruppe der vakzinierten Patienten nur sehr wenige Nebenwirkungen beobachtet, die empfundene Lebensqualität war deutlich besser im Vergleich zur BSC-Gruppe. Derzeit erfolgt die Auswahl der Zentren für die anschliessende Phase-III-Studie.

Während die aktiv-spezifische Immuntherapie abgesehen vom therapeutischen Charakter ähnlich den bekannten Impfstrategien gegen Infektionserkrankungen funktionieren soll, verfolgt der adoptive Transfer von Effektorzellen des Immunsystems ein anderes Ziel: Durch intravenöse Gabe von z. B. Tumor-spezifischen T-Lymphozyten soll eine direkt spezifische Attacke gegen die Tumorzelle induziert werden. Frau Professsor Dolores Schendel aus dem Institut für molekulare Immunologie der GSF in München stellte hierzu ihr Konzept einer allogenen Nierenzellkarzinom-Vakzine vor. In einem nächsten Schritt will sie gemeinsam mit ihrer Forschergruppe den Patienten Zellen des Immunsystem verabreichen, die vor Gabe derart modifiziert wurden, dass sie bestimmte T-Zell-Rezeptoren exprimieren, die bekanntermassen Tumorzellen erkennen können.

Dr. Samir Khleif aus der Surgical Branch des US-amerikanischen NCI und Direktor des Royal Jordanian Cancer Centers stellte seine präklinischen Ergebnisse zur Entwicklung einer vorbeugenden und therapeutischen Impfung zur Behandlung von HPV-assozierten Tumoren vor, die ebenfalls einen baldigen Transfer in die klinische Erprobung erhoffen lassen.

Ob diese und ähnliche immuntherapeutische Behandlungsansätze allerdings in absehbarer Zeit in Deutschland im Rahmen einer klinischen Studien untersucht werden können, erscheint derzeit alles andere als gesichert. Während Dr. Raj Puri von der Food and Drug Administration (FDA) der USA im Rahmen dieser Konferenz die Umsetzung der neuen EU-Richtlinien für die Anwendung somatischer Zell-Therapien als „nicht ganz nachvollziehbar” bezeichnete, scheint der deutsche Gesetzgeber strengere Bestimmungen eingeführt zu haben als dies erforderlich gewesen wäre. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Handhabung durch die zuständigen Behörden (PEI) sowie noch zu erlassende Verwaltungsvorschriften zu einer weiteren Verschlechterung der Rahmenbedingungen führen. Es steht jedoch zu befürchten, dass insbesondere frühe klinische Studien zu aktiv-spezifischer Immuntherapie im internationalen und auch europäischen Vergleich nur erschwert eine Durchführungsgenehmigung erlangen können.

Dr. med. Dominik Rüttinger

Chirurgische Klinik und Poliklinik - Klinikum Grosshadern · Ludwig-Maximilians-Universität München

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