Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2003; 35(3): 136-138
DOI: 10.1055/s-2003-43179
Wissenschaft & Forschung

Karl F. Haug Verlag, in: MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Psychoonkologie - vernachlässigte Bereiche in der Krebsbehandlung

Volker Tschuschke
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Publication Date:
31 October 2003 (online)

Psychoonkologie, Psychoneuroimmunologie oder kurz Psychoimmunologie sind relativ neue interdisziplinäre wissenschaftliche Disziplinen, die Onkologen, Hämatologen, Immunologen, Endokrinologen, Biologen, Biochemiker, Psychologen und Soziologen im gemeinsamen Bemühen, Krebsentstehung und -progression umfassender und integrierter zu verstehen und zu behandeln, vereinen. Das Ziel ist seit ca. 20 Jahren, Einflüsse psychosozialer Faktoren auf die Krebsprogression und die komplexen Wechselwirkungen zwischen emotionalen, erlebnisbedingten Eindrücken und Reaktionen und endokrinen, immunologischen Funktionen zu verstehen und das Verständnis dieser Zusammenhänge klinisch zu nutzen.

Die Hypothese der Verursachung einer Krebserkrankung durch psychosoziale Faktoren ist bislang wissenschaftlich nicht nachgewiesen (Spiegel und Kato 2000; Tschuschke 2002a). Fast alle existierenden Studien basieren auf retrospektiven Betrachtungen, die einem subjektiven Bias zugeschrieben werden könnten, da sämtliche Eindrücke rückblickend durch die Brille der bereits eingetretenen Erkrankung beurteilt werden. Um die Frage des Beitrags psychosozialer Faktoren am Ausbruch einer onkologischen Ekrankung beantworten zu können, bedürfte es immens umfangreicher und aufwändiger prospektiver Untersuchungen an größeren Bevölkerungsschichten kontinuierlich über mindestens 20 bis 30 Jahre hinweg, um alle möglichen beteiligten Variablen (genetische Belastungen, Lebensweise, Umgang mit Stress, Arbeitsumgebung, Risikoverhaltensweisen, Persönlichkeitsmerkmale, Ernährung, Schlaf- und Entspannungsverhalten, körperliche Aktivität und Bewegungsverhalten, Sexualverhalten, soziale und familiäre Faktoren usw.) kontrollieren zu können, um ihre jeweiligen Beiträge zum Ausbruch der Erkrankung einzuschätzen.

Psychosoziale Einflüsse bei gegebener Erkrankung führen hier momentan weiter, weil sie quasi-prospektiven Charakter haben. Hierzu haben auch die meisten Untersuchungen stattgefunden, und es liegt ein mittlerweile eindrucksvoller Fundus an Studienergebnissen vor (Holland 1998; Tschuschke 2002a, 2003).

Literatur

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Korrespondenzadresse:

Univ.-Prof. Dr. Dipl.-Psych. Volker Tschuschke

Arbeitsschwerpunkt Medizinische Psychologie,
Institut für Psychosomatik und Psychotherapie,
Universität Köln

Joseph-Stelzmann-Str. 9

50924 Köln

Phone: 02 21/4 78 34 26

Email: volker.tschuschke@medizin.uni-koeln.de

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