PiD - Psychotherapie im Dialog 2003; 4(2): 178-183
DOI: 10.1055/s-2003-39523
Forschung aus und für die Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ich- und Über-Ich-Spaltung bei Suchtkranken[1]

Léon  Wurmser
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Publication Date:
27 May 2003 (online)

Abstract

Das zentrale Konzept für das Verstehen der schweren Neurose im Allgemeinen, der Suchterkrankungen im Besonderen ist das Zusammenwirken von Traumatisierung, mit deren globalen und damit unversöhnbaren Affekten, und innerem Konflikt, den daraus resultierenden globalen Abwehrvorgängen und absoluten Über-Ich-Ansprüchen. Dabei kommt es charakteristischerweise zu Phänomenen der Identitätsspaltung: zur Prominenz gegensätzlicher Selbstanteile, die gegensätzlichen Teilen des Über-Ichs unterstehen und oft aus sehr archaischen Selbstbildern und Identifizierungen bestehen. Diese Spaltungsphänomene beruhen auf komplexen Abwehrvorgängen, namentlich denen der Verleugnung, der Unterdrückung unliebsamer Affekte, der Externalisierung und Wendung vom Passiven ins Aktive.
Mit der besonderen Strenge und Polarisierung des Über-Ichs gehen übersteigerte Affekte einher. Ein anderes Resultat derart intensiver Über-Ich-Konflikte, neben der Spaltung der Identität, ist der markante Masochismus in all seinen Formen: am Wesentlichsten und zentral als innerer oder moralischer, aber auch als äußerer und als pervers-sexueller sowie als Masochismus verhüllt durch eine narzisstisch-sadistische Fassade. Ein illustrativer Fall einer erfolgreichen analytischen Behandlung wird unter dem Motto „Quäle mich, aber verlass mich nicht” dargestellt.

1 Diese Arbeit wurde in der Holthauser Mühle, Fredeburg, am 26. Okt. 1999 vorgetragen. Wesentliche Teile davon erschienen hernach in meinen Büchern „Flucht vor dem Gewissen” und „Magische Verwandlung und tragische Verwandlung” im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.

Literatur

  • 1 Fingarette H. Heavy Drinking. The Myth of Alcoholism as a Disease. Berkeley, CA; Univ. California Press 1988
  • 2 Krystal H. Integration & Self-Healing. Affect, Trauma, Alexithymia. Hillsdale, NJ; Analytic Press 1988
  • 3 Wurmser L. Flucht vor dem Gewissen. Analyse von Über-Ich und Abwehr bei schweren Neurosen, 1987 Göttingen; Vandenhoeck & Ruprecht 2000
  • 4 Wurmser L. Das Rätsel des Masochismus. Psychoanalytische Untersuchungen von Gewissenszwang und Leidenssucht. Heidelberg; Springer-Verlag 1993
  • 5 Wurmser L. Magische Verwandlung und tragische Verwandlung. Die Behandlung der schweren Neurose. Göttingen; Vandenhoeck & Ruprecht 1999

1 Diese Arbeit wurde in der Holthauser Mühle, Fredeburg, am 26. Okt. 1999 vorgetragen. Wesentliche Teile davon erschienen hernach in meinen Büchern „Flucht vor dem Gewissen” und „Magische Verwandlung und tragische Verwandlung” im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.

Korrespondenzadresse

Léon Wurmser,M.D 

904 Crestwick Road

Towson, MD 21286

USA