Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(12): 630
DOI: 10.1055/s-2003-38046
Arztrecht in der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Weitergabe angebrochener Medikamentenpackungen durch den Arzt an Patienten

Urteil des Amtsgerichts Detmold vom 16.02.2001 - 24 OWi 22 Js 778/00 -H.-J  Rieger
Further Information

Publication History

Publication Date:
21 March 2003 (online)

Problem: Angesichts des wachsenden Kostendrucks im Gesundheitswesen wird zunehmend die Frage diskutiert, ob behandelnde Ärzte angebrochene Medikamentenpackungen von Patienten zurücknehmen dürfen, um sie kostenlos an andere Patienten weiter zu geben, sofern das Verfallsdatum noch nicht überschritten ist. Gründe für die Rückgabe der Medikamente können zum Beispiel übergroße Darreichungsform, Unverträglichkeit oder Tod des Patienten sein. Ein solcher Fall war Gegenstand eines in einer Bußgeldsache dem Verfasser erst jetzt bekannt gewordenen Urteils des Amtsgerichts Detmold vom 16.02.2001 - 24 OWi 22 Js 778/00 - .

Zum Sachverhalt: Der betroffene Arzt betreibt eine Allgemeinarztpraxis in L. Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit nimmt er von ihm bekannten Patienten zum Teil auch angebrochene Medikamentenpackungen zurück, die diese aus den verschiedensten Gründen nicht mehr benötigen. Diese Medikamente gibt er sodann, sofern ihr Haltbarkeitsdatum noch nicht abgelaufen ist, an andere Patienten, die ein entsprechendes Medikament benötigen, kostenlos weiter. In dem gegen ihn wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz (Apothekenmonopol) eingeleiteten Bußgeldverfahren hat der Arzt diesen Sachverhalt eingeräumt. Zu seiner Verteidigung hat er sich dahin eingelassen, dass er die derzeitige Gesetzeslage für unbefriedigend halte. Angesichts des (damals für Ärzte noch geltenden Arzneimittelbudgets) halte er die Vernichtung von angebrochenen teueren Medikamentenpackungen für unsinnig. Das Apothekenmonopol solle lediglich verhindern, dass andere Anbieter wie zum Beispiel Drogerien, Kaufhäuser oder Supermärkte mit Medikamenten Handel treiben, ohne über geschultes Personal zu verfügen. Diese Situation sei mit seiner Vorgehensweise nicht vergleichbar.

Entscheidung des Gerichts: Das Gericht hat einen Verstoß des Arztes gegen § 43 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) angenommen und gegen ihn eine Geldbuße von 5000,- DM verhängt. Nach dieser Vorschrift dürfen Arzneimittel (mit einigen hier nicht gegebenen Ausnahmen) berufs- oder gewerbsmäßig für den Endverbrauch nur in Apotheken und nicht im Wege des Versandes in den Verkehr gebracht werden. Das Urteil geht davon aus, dass der Arzt im vorliegenden Fall berufsmäßig Arzneimittel in den Verkehr gebracht hat. Ein „In-den-Verkehr bringen” im Sinne dieser Vorschrift liegt auch bei einer unentgeltlichen Weitergabe vor.

Die vom Verteidiger des Arztes vorgetragenen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 43 Abs. 1 AMG unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts der Berufsfreiheit (Art. 12 Grundgesetz) bestehen nach Ansicht des Gerichts nicht.

Auf die Beschwerde des Arztes hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm durch Beschluss vom 13.06.2001 - 5 Ss OWi 372/01 - das Verfahren eingestellt. Begründet wurde diese Entscheidung mit einem Verfahrensfehler. Nach Ansicht des OLG fehlte es in dem Urteil des Amtsgerichts an der ausreichenden Konkretisierung des Tatgeschehens. Es war nicht erkennbar, welcher Patient welches Medikament erhalten hatte und welcher Sachverhalt damit eigentlich Gegenstand des Bußgeldbescheids war. Das Gericht räumte ein, dass es für die zuständige Bußgeldbehörde mit Schwierigkeiten verbunden ist, einzelne Verstöße hinsichtlich der Patienten und der diesen übergebenen Medikamenten zu individualisieren. Erforderlich ist jedoch nach Auffassung des OLG Hamm bei einer Serie von Einzeltaten, die sich in derselben Weise am selben Ort abgespielt haben, in jedem Falle, dass zumindest eine konkrete zeitliche Eingrenzung vorgenommen und darüber hinaus nach dem Grundsatz in dubio pro reo von Mindestzahlen ausgegangen wird.

Praktische Konsequenzen aus dem Urteil: Da das OLG Hamm sich nicht zur Sache selbst, d. h. zur Rechtmäßigkeit des Verhaltens des Arztes geäußert, sondern das Verfahren lediglich aus einem formalen Grund eingestellt hat, ist davon auszugehen, dass die kostenlose Weitergabe unbenutzter, noch ordnungsgemäß verpackter und haltbarer Medikamentenrückläufe aus dem Patientenkreis eines Arztes an andere Patienten eine nach § 97 Abs. 3 AMG mit einer Geldbuße bis zu 25000,- Euro zu ahndende Ordnungswidrigkeit darstellt. Allerdings hat das OLG Hamm die sich für die Praxis der Bußgeldbehörden bei der Ahndung solcher Sachverhalte ergebenden praktischen Schwierigkeiten zutreffend aufgezeigt. Die für den Arzt hieraus folgende Verringerung des Risikos, mit einem Bußgeld belegt zu werden, liegt auf der Hand. Bei der Weitergabe zurückgenommener Medikamente an Patienten nicht zu befürchten hat der Arzt nach einem Urteil des OLG Hamm vom 26.10.2000 - 4 U 11/00 - eine Klage wegen unlauteren Wettbewerbs, da er dabei - so das Gericht - weder in Konkurrenz zu den Apotheken noch zu anderen Ärzten tritt.

Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber im Zuge der Zulassung des Versandhandels mit Arzneimitteln sich auch über eine wirtschaftliche Verschreibungspraxis der Ärzte, wie sie zum Teil andere Länder bereits kennen, Gedanken macht.

Rechtsanwalt

Dr. H.-J. Rieger

Zeppelinstraße 2

76185 Karlsruhe