Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003; 38(3): 192-195
DOI: 10.1055/s-2003-37780
Mini-Symposium
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Esketamin im Rettungsdienst - neuer Standard oder exklusive Alternative?

Ketamine in Emergency Care: New Standard or Exclusive Alternative?H.  A.  Adams1
  • 1Zentrum Anästhesiologie der Medizinischen Hochschule Hannover, Abteilung Anästhesiologie II im Klinikum Hannover Oststadt
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Publication Date:
12 March 2003 (online)

Allgemeine Pharmakologie

Ketamin ist ein Razemat aus gleichen Anteilen zweier Enantiomere, S(+)- und R(-)-Ketamin, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten und deren physikalisch-chemische Eigenschaften bis auf die unterschiedliche Drehung polarisierten Lichts identisch sind. Das stärker wirksame Enantiomer wird als Eutomer, der schwächere bis unwirksame Antipode als Distomer bezeichnet. Das rechtsdrehende S(+)-Ketamin, nachfolgend als Esketamin bezeichnet, ist das Eutomer des Ketamins und verfügt über die dreifache analgetische und anästhetische Potenz des R(-)-Ketamins bzw. die doppelte Potenz des Razemats. Gegenüber dem bislang benutzten Razemat sind mit der halben Dosis von Esketamin grundsätzlich die gleichen analgetischen und anästhetischen Effekte zu erzielen, ohne dass dem Patienten 50 % der applizierten Dosis als unwirksame Verunreinigung oder isomerer Ballast zugeführt werden. Klinisch bedeutsamer sind jedoch insbesondere die erhöhte Eliminationsrate mit besserer Steuerbarkeit und wesentlich verkürzten Aufwachzeiten, während die allgemeinen Wirkungen auf das sympatho-adrenerge und Kreislaufsystem mit denen des Razemats vergleichbar sind.

Die Wirkmechanismen von Ketamin sind vielfältig und machen die getrennte Vermittlung analgetischer, anästhetischer und psychomimetischer Effekte an verschiedenen Angriffspunkten wahrscheinlich. Am N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptor des Zentralnervensystems wirkt Ketamin als Antagonist der exzitatorischen Aminosäure Glutamat; neben dieser analgetischen Hauptwirkung sind agonistische Effekte an Opiat-Rezeptoren, Einflüsse auf die zentrale und periphere monoaminerge sowie cholinerge Übertragung und letztlich auch lokalanästhetische Eigenschaften nachgewiesen.

Domino, Chodoff und Corssen, die im Jahr 1965 erstmals über den Einsatz von Ketamin am Menschen berichteten, haben bereits auf die sympathomimetischen Effekte der Substanz hingewiesen und insbesondere den Begriff „dissoziative Anästhesie” geprägt. Dieses unter Mononarkose auftretende Bild ist ein vom gewohnten Eindruck der Narkose abweichender Zustand mit unvollständigem Bewusstseinsverlust und fehlender Assoziations- und Kooperationsfähigkeit, der häufig mit ausgeprägten, oft angstbesetzten Traumreaktionen einhergeht. Die dissoziative Anästhesie und die sympathomimetische Wirkung sind die eigentlichen Charakteristika der Substanz und stellen, zusammen mit der schon in subdissoziativen Dosen einsetzenden Analgesie, die Hauptwirkungen des Razemats wie auch des Esketamin dar.

Das pharmakologische Wirkprofil von Esketamin ist zusammenfassend in Tab. [1] dargestellt. Die Plasma-Halbwertzeit liegt bei 15 - 20 min. Nach initialer Umverteilung wird Esketamin rasch durch hepatische Enzyme metabolisiert; die Metabolite besitzen eine geringe Restaktivität. In der Eliminationsphase beträgt die Halbwertzeit wenige Stunden; die Ausscheidung erfolgt letztlich zu etwa 90 % im Urin.

Allgemeine Indikationen für Esketamin sind neben der Einleitung und Unterhaltung einer Allgemeinanästhesie und der Analgosedierung insbesondere die Analgesie und Anästhesie in der Notfallmedizin. Unter den absoluten Kontraindikationen sind vorrangig die manifeste arterielle Hypertonie sowie die Präeklampsie und Eklampsie zu nennen; wichtige relative Kontraindikationen sind instabile Angina pectoris, Myokardinfarkt in den letzten sechs Monaten sowie gesteigerter Hirndruck ohne adäquate Beatmung. Diese absoluten und relativen Kontraindikationen sind im Rettungsdienst unter Beachtung des Einzelfalls differenziert zu bewerten.

Traumreaktionen und überschießende Kreislaufeffekte der Ketamin-Mononarkose werden durch Kombination mit Benzodiazepinen stark vermindert oder gänzlich vermieden; derzeit wird zu diesem Zweck bevorzugt Midazolam verwendet. Insgesamt spielen die Traumreaktionen im Rettungsdienst kaum eine Rolle; hier ist das Umfeld der Rettung entscheidend, das den wesentlichen Unterschied zur klinischen Situation mit bewusstem Erwarten der Narkose und des Eingriffs ausmacht. Eine Ausnahme stellt die Analgesie bei agitierten Patienten mit Alkohol- oder Drogenabusus dar; diese Patientengruppe gilt allerdings generell als problematisch. In klinischen Dosierungen führt Ketamin nicht zur Erniedrigung der Krampfschwelle, hier wirkt die Substanz eher antikonvulsiv. Die häufig zu beobachtende Hypersalivation ist durch Vorgabe von Atropin vermeidbar.

Literatur

  • 1 Adams H A, Werner C. Vom Razemat zum Eutomer: (S)-Ketamin - Renaissance einer Substanz?.  Anaesthesist. 1997;  46 1026-1042
  • 2 Domino E F, Chodoff P, Corssen G. Pharmacologic effects of CI-581, a new dissociative anesthetic, in man.  Clin Pharm Ther. 1965;  6 279-291
  • 3 Klose R, Hartung H J, Kotsch R, Walz T. Experimentelle Untersuchungen zur intracraniellen Drucksteigerung durch Ketamine beim hämorrhagischen Schock.  Anaesthesist. 1982;  31 33-38
  • 4 Kress H G. Wirkmechanismen von Ketamin.  Anaesthesist. 1997;  46 (Suppl 1) S 8-S 19
  • 5 Peter K, Klose R, Lutz H. Ketanest zur Narkoseeinleitung beim Schock.  Prakt Anästhesie u Wiederbelebung. 1970;  5 396-401
  • 6 Pfenninger E, Marx A, Schmitz E, Ahnefeld F W. Wie verhält sich der intrakranielle Druck nach Ketamingabe bei Patienten mit akutem Schädel-Hirn-Trauma?.  Notfallmedizin. 1987;  13 472-481
  • 7 White P F, Way W L, Trevor A J. Ketamine - its pharmacology and therapeutic uses.  Anesthesiology. 1982;  56 119-136

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. H. A. Adams

Abteilung Anästhesiologie II der MHH im Klinikum Hannover Oststadt

Podbielskistraße 380

30659 Hannover

Email: adams.ha@mh-hannover.de