NOTARZT 2002; 18(3): 104-105
DOI: 10.1055/s-2002-32379
Fortbildung
Der toxikologische Notfall
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das Wuchsmittel

F.  Martens1
  • 1Charité, Campus Virchow-Klinikum, Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. Ulrich Frei), Berlin
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Publication Date:
20 June 2002 (online)

Der Fall

Der Notarzt wird zu einem 33-jährigen Mann gerufen, der nach eigenen Angaben etwa drei Stunden zuvor ein „Pflanzenschutzmittel” eingenommen hatte. Jetzt erbreche er ständig, habe wässrig-blutigen Durchfall und schwerste Leibschmerzen. Bei der körperlichen Untersuchung findet sich eine auffällige Blässe der Haut; klebriger, kalter Schweiß und kühle Extremitäten zusammen mit dem Blutdruck von 70/40 mm Hg und einer Herzfrequenz von 140/min ergeben die Verdachtsdiagnose eines akuten Schockzustandes. Nach Anlage zweier großlumiger Venenverweilkanülen, Gabe von 1,5 l Ringerlaktatlösung sowie Gabe von Morphin bessert sich das Schockbild und die heftigen Bauchschmerzen werden erträglich.

Danach wird er unter notärztlicher Begleitung in das nächstgelegene Kreiskrankenhaus transportiert.

Mittels Sonographie und Röntgen kann eine Darmperforation ausgeschlossen werden. Die Einnahme von Aktivkohle als universelles Adsorbens lehnt der wache Patient ab. Erst weitere zwei Stunden später bringt die Schwester des Patienten das Glasgefäß, aus dem ihr Bruder etwa fünf Stunden zuvor einen Esslöffel des darin enthaltenen Pulvers eingenommen hatte. Es handelt sich um ein colchicinhaltiges Pulver zur Saatgutvermehrung. Nun wird mit einer Giftinformationszentrale telefoniert und ermittelt, welche Maßnahmen bei einer solchen Vergiftung vorzunehmen seien. Die daraufhin verabreichte Aktivkohle wird von dem Patienten sofort wieder erbrochen. Unter kontinuierlicher Volumensubstitution bleiben die Kreislaufverhältnisse relativ stabil. Das subjektive Befinden des Patienten, dessen Bauchkrämpfe deutlich zunehmen, verschlechtert sich jedoch. Daher wird er mittels RTH in die etwa 40 km entfernte Universitätsklinik geflogen, wo alle intensivmedizinischen Spezialverfahren zur Verfügung stehen.

Bei der Aufnahme dort war laborchemisch eine GOT von 2600 U/l und ein dreifach erhöhtes Laktat (49 mg/dl) bei noch respiratorisch kompensierter metabolischer Azidose auffällig. Trotz parenteralen Volumenersatzes konnte der hypovolämische Schockzustand nur unzureichend gebessert werden. Die Entwicklung pulmonaler Verschattungen mit Funktionsverschlechterung und die zunehmende Atemerschöpfung zwangen zu Intubation und Beatmung. In den nachfolgenden Stunden stellten auch die Nieren ihren Dienst ein. Trotz kontinuierlicher, venovenöser Hämofiltration sowie steigender Dosen von Katecholaminen kam der Patient schließlich 72 Stunden nach Einnahme des Colchicins unter dem Bild des Multiorganversagens ad exitum. Die später durchgeführte Analyse der Körperflüssigkeiten ergab eine maximale Colchicinkonzentration von 53 ng/ml ca. 10 Stunden nach Einnahme von etwa 300 mg der Substanz. Die Eliminationshalbwertszeit betrug etwa 29 Stunden.

Literatur

  • 1 Brncic N, Viskovic I, Peric R, Dirlic A, Vitezic D, Cuculic D. Accidental Plant Poisoning with Colchicum autumnale: Report of Two Cases.  CMJ. 2001;  42 673-675
  • 2 Rochdi M, Sabouraud A, Baud F J, Bismuth C, Scherrmann J M. Toxicokinetics of colchicine in humans: Analysis of tissue, plasma and urine data in ten cases.  Hum & Exp Toxicol. 1990;  11 510-516
  • 3 Terrien N, Urtizberea M, Scherrmann J M. Reversal of advanced colchicine toxicity in mice with goat colchicine-specific antibodies.  Toxicol appl Pharmacol. 1990;  104 504-510

Priv.-Doz. Dr. Frank Martens

Charité, Campus Virchow Klinikum · Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin · Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

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Email: frank.martens@charite.de