Rofo 2002; 174(5): 539-540
DOI: 10.1055/s-2002-28268
Editoral
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Rolle der Interventionellen Radiologie in der Notfallradiologie

The role of interventional radiology in emergency radiologyK.  A.  Hausegger
  • 1Universitätsklinik für Radiologie, Klinische Abteilung für spezielle radiologische und sonstige
    bildgebende Verfahren
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Publication Date:
07 May 2002 (online)

Die bildgebende Diagnostik ist ein integrativer Bestandteil der Abklärung von akut erkrankten Patienten, die aufgrund der klinischen Symptomatik einer dringlichen Behandlung bedürfen. Der Bogen der klinischen Probleme, mit denen der Radiologe dabei konfrontiert wird, spannt sich von polytraumatisierten Patienten über Patienten mit septischen Zustandsbildern, unstillbaren Blutungen unterschiedlichster Ätiologie und Lokalisation bis zur kritischen Extremitätenischämie. In allen Fällen ist eine rasche Diagnosestellung unter rationalem Einsatz der zur Verfügung stehenden bildgebenden Modalitäten für das weitere Schicksal des Patienten von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus kann der Radiologe durch Anwendung minimal invasiver, interventionell radiologischer Verfahren einen wichtigen Beitrag für die Behandlung akuter Krankheiten leisten [1].

Ein etabliertes Verfahren der interventionellen Notfallradiologie ist die Transkatheterembolisation bei akuten arteriellen Blutungen. Insbesondere bei Traumapatienten kann die Embolisation durch Stillung arterieller Blutungen einen wesentlichen Beitrag zur hämodynamischen Stabilisierung des Patienten leisten [2]. Bei schweren Traumen des Schultergürtels sowie bei Beckenfrakturen kann es intraoperativ schwierig sein, blutende Gefäße zu erkennen und die Blutung chirurgisch zu stillen. In dieser Situation sollte zur Identifizierung des blutenden Gefäßes die Angiographie mit anschließender Embolisation als Therapie der Wahl durchgeführt werden. Auch bei Extremitätentraumen kann die Embolisation einer blutenden Arterie entscheidend zur Stabilisierung des Patienten beitragen [2].

Schwere Blutungen können komplizierend bei Tumoren, selten im Rahmen von Gefäßmissbildungen oder idiopathisch auftreten. Das breit gestreute Spektrum reicht von blutenden zerebralen Aneurysmen, unstillbarer Epistaxis bis zu gynäkologischen Blutungen [3] [4]. In all diesen Fällen kann die transarterielle Embolisation eine effiziente Maßnahme sein, die in der Regel für den Patienten wenig belastend ist und die die klinische Situation entscheidend verbessert.

Okkulte Blutungen des Magen-Darm Traktes sind häufig nur mittels Katheterangiographie lokalisierbar. Durch Embolisation der blutenden Läsion können auch gastrointestinale Blutungen gestillt werden [5]. Ist die Blutungsquelle in Form eines Kontrastmittelextravasates oder einer Gefäßmissbildung angiographisch nicht darstellbar, besteht die Möglichkeit der transarteriellen Infusion vasokonstriktorisch wirkender Substanzen [6].

Während der letzten Jahre hat auch die Anwendung von Gefäßendoprothesen, sogenannten Stent-Grafts, bei Notfällen zunehmend an Bedeutung gewonnen. An mehreren Zentren zählt bei traumatischer gedeckter Aortenruptur die endoluminale Abdichtung der Rupturmanschette mittels Stent-Graft zum therapeutischen Spektrum. Um die perioperative Mortalität zu senken, werden auch gedeckt rupturierte thorakale und abdominelle, nicht traumatische Aortenaneurysmen immer häufiger endoluminal saniert [7]. Bei akuten Aortendissektionen kommen mitunter radiologisch interventionelle Verfahren zur Abdichtung des primären Intimaeinrisses oder zur Revaskularisierung verschlossener Seitenäste zum Einsatz [8] [9].

Ein weiterer, technisch mitunter schwieriger Notfalleingriff ist der transjuguläre intrahepatische portosystemische Shunt (TIPS). Die Indikation zu diesem Eingriff ist gegeben, wenn eine Ösophagusvarizenblutung oder eine Blutung aus Magenfundusvarizen mit konservativen Maßnahmen nicht beherrschbar ist [10].

Die akute Extremitätenischämie ist ein weiterer häufiger Notfall, mit dem der interventionelle Radiologe konfrontiert wird. Je nach Klinik und angioanatomischen Gegebenheiten muss entschieden werden, ob ein perkutaner Eingriff indiziert ist und welche Art der Rekanalisation - intraarterielle Lysetherapie, Aspirationsthrombektomie oder alternative Rekanalisationsverfahren wie zum Beispiel die Rotationsthrombektomie - für die vorliegende Situation am geeignetsten ist.

Das Indikationsspektrum der interventionellen Notfallradiologie beschränkt sich nicht nur auf Eingriffe am Gefäßsystem. Bei Patienten mit septischen Komplikationen kann eine durch bildgebende Verfahren geleitete Drainage eines Abszesses die wichtigste therapeutische Maßnahme sein. Die Mortalitätsrate von Abszessen bei Pankreatitis liegt zwischen 40 und 80 %, eine frühe Drainage dieser Abszesse kann die Mortalitätsrate deutlich senken [1]. Eine Gallengangsdrainage bei septischer Cholangitis ist ebenso als Notfalleingriff zu betrachten wie das Anlegen einer perkutanen Nephrostomie bei Urosepsis infolge einer Harnwegsobstruktion. Auch bei medikamentös unbehandelbarer Nierenkolik kann eine perkutane Nephrostomie als Notfalleingriff indiziert sein [11] [12].

Fast alle Eingriffe radiologischer Interventionen können für die Behandlung akuter Erkrankungen dringlich indiziert sein. Das angeführte Spektrum von Notfallinterventionen enthält daher nur die wichtigsten Indikationen. Die Durchführung von Interventionen unter Notfallbedingungen stellt an das gesamte involvierte Team größere Anforderungen als die Durchführung eines geplanten Eingriffes. Häufig ist das Umfeld anders, da sich die Patienten in einem kritischen Zustand befinden. Unruhige Patienten oder intensiv-medizinische Maßnahmen während des Eingriffes erschweren die Arbeitsbedingungen. Notfallinterventionen müssen häufig unter Zeitdruck durchgeführt werden, das Schicksal des Patienten kann wesentlich vom Gelingen der Intervention abhängen. Es ist daher notwendig, dass unter Notfallbedingungen durchgeführte radiologische Interventionen vorzugsweise von erfahrenen interventionellen Radiologen, unter Mitarbeit von entsprechend geschulten radiologisch technischen Assistenten/innen, durchgeführt werden.

Eine kompetente Betreuung des Patienten während des Eingriffes durch einen Anästhesisten oder Intensivmediziner ist häufig notwendig. Ist der Patient optimal versorgt, so verkürzt dies die Eingriffsdauer und erhöht die Erfolgsrate.

Ein Notfallservice sollte über 24 Stunden verfügbar sein, da nur dann der Kliniker den interventionellen Radiologen als einen verlässlichen und kompetenten Partner in der Behandlung von kritisch kranken Patienten akzeptieren kann. Während die 24-stündige Verfügbarkeit von interventionellen Notfalleingriffen eine unbedingte Notwendigkeit darstellt, erhebt sich die Frage, welches Spektrum an Notfallinterventionen unbedingt angeboten werden soll. Das Profil des Eingriffsspektrums orientiert sich an der Struktur des Krankenhauses. Basisinterventionen, wie das Anlegen von Drainagen oder Notfallembolisationen bei Blutungen, sollten von jeder radiologischen Abteilung durchgeführt werden. Ist eine gefäßchirurgische Abteilung im Haus, sollte das gesamte Spektrum der peripheren vaskulären Interventionen angeboten werden. Thorakale und abdominelle Stentgraft Implantationen unter Notfallbedingungen werden gewöhnlich nur von erfahrenen Teams an entsprechenden Zentren durchgeführt. Dieselbe Situation besteht bei der Durchführung eines TIPS als Notfalleingriff oder bei der Embolisation von zerebralen Aneurysmen.

Die Notfallradiologie hat neben der Diagnostik auch eine wichtige Aufgabe in der Behandlung von akut erkrankten Patienten durch minimal invasive, durch Bildgebung geleitete Interventionen. Es ist die Aufgabe der interventionell tätigen Radiologen, auf die Leistungsfähigkeit der interventionellen Notfallradiologie bei entsprechenden Indikationen hinzuweisen und die einzelnen Verfahren auch anzubieten. Dafür müssen in radiologischen Abteilungen entsprechende organisatorische Rahmenbedingungen geschaffen werden. Ein Mindeststandard an apparativer Ausstattung sollte vorhanden sein. Dazu zählt neben den Einrichtungen zur Bildgebung wie C-Bogen mit digitaler Durchleuchtung und digitaler Subtraktionsangiographie, Computertomographie und Ultraschall auch eine entsprechende Infrastruktur für die Anästhesie und Intensivmedizin. Werden nur Basisinterventionen angeboten, so sollten Kontakte zu Zentren unterhalten werden, an die Patienten transferiert werden können.

Literatur

  • 1 Lang E K. The role of interventional radiology in emergency medicine.  Emergency Radiol. 1997;  4 82-90
  • 2 Selby J B. Interventional radiology of trauma.  Radiol Clin North Am. 1992;  30 427-439
  • 3 Vedantham S, Goodwin S C, McLucas B, Mohr G. Uterine artery embolization: an underused method of controlling pelvic hemorrhage.  Am J Obstet Gynecol. 1997;  176 938-948
  • 4 Lang E K. Transcatheter embolization of pelvic vessels for control of intractable hemorrhage.  Radiology. 1981;  140 331-339
  • 5 Zuckerman D A, Bocchini T P, Birnbaum E H. Massive hemorrhage in the lower gastrointestinal tract in adults: diagnostic imaging and intervention.  Am J Roentgenol. 1993;  161 703-711
  • 6 Gomes A S, Lois J F, McCoy R D. Angiographic treatment of gastrointestinal hemorrhage: Comparison of Vasopressin infusion and Embolization.  Am J Roentgenol. 1986;  146 1031-1037
  • 7 Greenberg R K, Srivastava S D, Ouriel K, Waldman D, Ivancev K, Illi K A, Shortell C, Green R M. An endoluminal method of hemorrhage control and repair of ruptured aortic aneurysms.  J Endovasc Ther. 2000;  7 1-7
  • 8 Dake M D, Kato N, Mitchell R S, Semba C P, Razavi M K, Shimono T, Hirano T, Takeda K, Yada I, Miller D C. Endovascular stent-graft placement for the treatment of acute aortic dissection.  N Eng J Med. 1999;  340 1546-1552
  • 9 Chavan A, Hausmann D, Dresler C, Rosenthal H, Jaeger K, Haverich A, Borst H G, Galanski M. Intravascular ultrasound - guided percutaneous fenestration of the intimal flap in the dissected aorta.  Circulation. 1997;  96 2124-2127
  • 10 Rössle M. Der transjuguläre intrahepatische portosystemische Shunt (TIPS) - Indikationen und Ergebnisse.  Z Gastroenterol. 1997;  35 505-515
  • 11 Lang E K. Renal, perirenal, and pararenal abscesses: percutaneous drainage.  Radiology. 1990;  174 109-113
  • 12 Günther R W, Vorwerk D. Perkutane Gallenwegsdrainage. In: Interventionelle Radiologie. Günther RW, Thelen M (eds) Georg Thieme Verlag Stuttgart 1999: 472-481

Univ.-Prof. Dr. Klaus A. Hausegger

Universitätsklinik für Radiologie, Klinische Abteilung für spezielle
radiologische und sonstige bildgebende Verfahren

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8036 Graz

Österreich

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