Rofo 2002; 174(3): 271-272
DOI: 10.1055/s-2002-20600
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Interventionelle Radiologie - Quo vadis?

Interventional radiology - quo vadis?J.  Lammer
  • 1Klinische Abteilung für Angiographie und Interventionelle Radiologie,
    Universitätsklinik für Radiodiagnostik, AKH - Universitätskliniken, Wien, Österreich
Further Information

Publication History

Publication Date:
07 March 2002 (online)

Die Interventionelle Radiologie entwickelte sich aus der diagnostischen Angiographie in den späten 50er und frühen 60er Jahren. Die Anfänge sind mit Namen wie Goodwin (Nephrostomie 1955), Dotter (Angioplastie 1964), Luessenhop (Embolisation 1965) und Porstmann (Ductus arteriosus Verschluss 1967) verbunden. Neue Instrumentarien wie ablösbare Spiralen, Laser- und Radiofrequenz-Sonden, Stents und Stentgrafts und neue bildgebende Methoden wie US, CT, und MR haben die Therapiemöglichkeiten rasant anwachsen lassen. Heute sind die Methoden der Interventionellen Radiologie ein integraler Bestandteil der allgemeinen Behandlungsstrategien. Arteriosklerotische Gefäßverengungen werden in der Mehrzahl durch interventionelle Methoden mit Ballon und Stent behandelt. Das Aortenaneurysma, die Dissektion, diverse traumatische Blutungen werden heute bei entsprechenden Indikationen endovaskulär vom Interventionellen Radiologen therapiert. Die Behandlung der zerebralen Aneurysmen und arteriovenösen Missbildungen wandert zunehmend in die Hände der Interventionellen Radiologen bzw. Neuroradiologen. Ein Therapiekonzept der primären und sekundären Lebertumore kommt heute nicht mehr ohne den Einsatz der Chemoembolisation (TACE) und der lokal ablativen Methoden (Alkohol-, Radiofrequenz-, Laser- und Kryo-Ablation) aus. Kein Schwerpunkt-Krankenhaus kann heute ohne eine Interventionelle Radiologie auskommen. Größere Krankenhäuser, die diese Therapien nicht entsprechend anbieten können, sehen sich gezwungen, möglichst rasch einen Interventionell-Radiologischen Service aufzubauen. In Österreich gab es in letzter Zeit keine Ausschreibung zu einer radiologischen Chefarztstelle ohne spezielle Anforderungen an Kenntnisse und Fertigkeiten in der Interventionellen Radiologie und der Ruf ging mehrfach an Personen mit nachweislicher Erfahrung oder sogar Spezialisierung auf diesem Gebiet.

Hat nun die fachliche Entwicklung der Interventionellen Radiologie mit ihrer zentralen Rolle im therapeutischen Szenario Schritt gehalten? Wird die Ausbildung den Anforderungen gerecht? Ist es ausreichend, einen Facharzt zu haben, der zwischen zwei Angiographien und ein paar CT-Befunden auch einmal einen Katheter in das Gallengangssystem legen oder einen Ballon in der Beckenarterie aufblasen kann?

Die Interventionelle Radiologie ist eine therapeutische Fachspezialität, die auf Basis bildgebender Methoden operative Eingriffe kleinerer Art (z. B. Biopsie) oder großer Art (z. B. Aorten-Stentgraft, TIPS, Aneurysma-Embolisation) durchführt. Dazu ist die umfassende Kenntnis über die zu behandelnden Erkrankungen, über die Operationstechnik und die therapeutischen Alternativen notwendig. Der Interventionelle Radiologe als Therapeut muss vorher die Konsultationen durchführen und entsprechende Zusatzuntersuchungen anordnen, um die Indikation zum Eingriff, für den er verantwortlich ist, zu sichern. Er muss sich nachher persönlich darum kümmern, dass die Weiterbehandlung entsprechend erfolgt.

All diese neuen Anforderungen an die Ausbildung lassen sich nicht mehr in einer 5-jährigen Ausbildung zum Facharzt für Radiologie in entsprechender Tiefe vermitteln. Die Entwicklung der Interventionellen Radiologie in den letzten 10 Jahren war zu rasant, zu viele neue Therapiemethoden wurden entwickelt, haben sich bewährt und sind in die Palette der minimal invasiven Operationsmethoden aufgenommen worden. Zur Erhaltung eines zeitgemäßen und hohen Ausbildungsstandards muss das Mutterfach Radiologie möglichst umgehend auf diese Tatsachen reagieren. Anderenfalls tritt das ein, was sich mancherorts schon ankündigt: Der Interventionelle Radiologe verlässt die Radiologie und schließt sich dem Mutterfach Chirurgie als minimal invasiver Chirurg an oder die Eingriffe werden von anderen Fächern „weggenommen”. Wenn der Interventionelle Radiologe seinen oben erwähnten Anforderungen nicht gerecht wird, so wird er von den klinischen Partnern nicht ernst genommen und als gleichwertig akzeptiert. Vielleicht macht der Chirurg den Eingriff weniger kompetent, aber wenn der Radiologe auch inkompetent ist, dann kann es der Chirurg ja wohl gleich selber durchführen.

Die European Association of Radiology (EAR) hat in einem ersten Schritt eine Subspezialisierung in Interventioneller Radiologie angedacht. In Österreich wird eine von der österreichischen Röntgengesellschaft eingereichte Subspezialisierung in Interventioneller Radiologie von der Österreichischen Ärztekammer bearbeitet. Diese Subspezialisierung soll eine zweijährige Ausbildung in Interventioneller Radiologie mit weitgehender klinischer Ausrichtung beinhalten. Die Ausbildung zur Subspezialisierung erfolgt im Anschluss an die Ausbildung zum Facharzt für Radiologie. Den größten Schritt hat das American College of Radiology gemacht: Die Interventionelle Radiologie wurde im „,Haus Radiologie” als vierte Spezialität neben Diagnostischer Radiologie, Radioonkologie und Nuklearmedizin anerkannt.

Die universitäre Radiologie hat entsprechend dem innovativen Charakter der Interventionellen Radiologie auch konsequente Schritte zu setzen. Innerhalb der radiologischen Kliniken sind Lehrstühle für Interventionelle Radiologie zu schaffen, die diese Spezialität in Lehre, Forschung und Patientenversorgung kompetent betreiben und weiterentwickeln können. In Österreich wurde dieser Schritt an allen Medizinischen Fakultäten bereits vollzogen und es wurde an zwei Universitäten (Wien, Graz) ein dezidierter Lehrstuhl geschaffen und an der dritten Universität (Innsbruck) ein Lehrstuhl mit dem Auftragsschwerpunkt Interventionelle Radiologie. Obwohl Deutschland eine große Zahl hervorragender und international anerkannter Interventioneller Radiologen hat, so hinkt dieser Prozess hinten nach. Es besteht Handlungsbedarf. Noch wird die Interventionelle Radiologie in Deutschland primär von Radiologen durchgeführt, aber ohne eine schwerpunktmäßige Unterstützung könnte es bald neben dem Problem der fachfremden diagnostischen Radiologie das Problem der fachfremden Interventionellen Radiologie geben.

RöFo hat traditionell eine große Zahl von Arbeiten aus dem Gebiet der Interventionellen Radiologie publiziert. So sind auch im Herausgeberstab deren Pioniere und Förderer vertreten. Die Berufung eines Fachvertreters der Interventionellen Radiologie in das Herausgeberteam ist eine vorausschauende Anerkennung dieser Spezialität im „Haus Radiologie”.

Univ. Prof. Dr. Johannes Lammer

Leiter der Klinischen Abteilung für Angiographie
und Interventionelle Radiologie
Universitätsklinik für Radiodiagnostik

AKH - Universitätskliniken
Wien, Österreich

    >