Gesundheitswesen 2001; 63(8/9): 509-513
DOI: 10.1055/s-2001-16688
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Krankheitsbedingte vorzeitige Dienstunfähigkeit von Beamtinnen und Beamten im Freistaat Bayern - eine sozialmedizinische Evaluation

Illness-Related Premature Unfitness for Work Among Civil Servants in Bavaria - An Evaluation in the Social Medical FieldP. Lederer1 , D. Weltle2 , A. Weber3
  • Landratsamt Erlangen-Höchstadt, Gesundheitsamt (Leiter: Ltd. MD P. Lederer)
  • , Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen (Direktor: Prof. Dr. H. Drexler)
  • , Erlangen
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Publication Date:
27 August 2001 (online)

Zusammenfassung

Methode: In einer prospektiven Totalerhebung wurden über vier Jahre 11 528 Begutachtungen zur Frage der vorzeitigen Dienstunfähigkeit von Beamtinnen und Beamten über einen anonymisierten Fragebogen, der von den Untersuchern selbst ausgeführt wurde, erfasst. Wesentliche Items waren: Alter, Geschlecht, Laufbahn und Tätigkeit, Haupt- und Nebendiagnose, Anamnesedauer, Rehabilitationsmaßnahmen, Leistungsfähigkeit einschließlich ärztlicher Stellungnahme zur Dienstunfähigkeit.

In diese Studie eingeschlossen wurden 9348 Untersuchungen (ausgeschlossen wurden die Reaktivierungen), davon 40,9 % Frauen und 58,9 % Männer. Der Altersmedian lag bei 54 Jahren (Frauen 52, Männer 55 Jahre).

Ergebnisse: Das Morbiditätsspektrum aller Untersuchten ergab mit 43,3 % (n = 4052) einen hohen Anteil psychischer Erkrankungen (Diagnosegruppe F der ICD-10). An zweiter Stelle lagen Muskelskeletterkrankungen (ICD-10 Gruppe M) mit 17,4 % (n = 1630) und an dritter Stelle Herz-Kreislauf- Erkrankungen (ICD-10 Gruppe I) mit 10,4 % (n = 972). Der Median der Anamnesedauer der Haupterkrankung betrug 24 Monate. Als nicht mehr dienstfähig eingestuft wurden n = 7033, das entspricht einer Quote von 75,2 %. Bei den Dienstunfähigen war mit 46,2 % (Männer 42,6 %, Frauen 53,4 %) eine psychische Erkrankung die Ursache. Das Eintrittsalter in die Dienstunfähigkeit war bei Beamtinnen auf 54 Jahre und bei Beamten auf 56 Jahre im Median vorverlegt.

Schlussfolgerung: In dieser erstmaligen prospektiven Totalerhebung über krankheitsbedingt vorzeitige Dienstunfähigkeit bei Beamtinnen und Beamten zeigt sich die hohe Prävalenz psychischer und psychosomatischer Erkrankungen als „Frühpensionierungsleiden Nr. 1”. Angesichts der hohen Prävalenz psychischer Erkrankungen und im Vergleich zu Voruntersuchungen an kleinen Kollektiven steigender Tendenz verbunden mit einer erheblichen Vorverlegung des Eintrittsalters in den Ruhestand muss eine auf Evidenzen basierende Präventionsstrategie unter Einbeziehung von sozial- und arbeitsmedizinischem Sachverstand entwickelt werden.

Illness-Related Premature Unfitness for Work Among Civil Servants in Bavaria - An Evaluation in the Social Medical Field

In a prospective study, over a period of four years 11,528 anonymous questionnaires concerning premature unfitness for work among civil servants were evaluated. The questionnaire was devised by the investigators. The main items of interest were: age, sex, career and occupation, main diagnosis and accompanying symptoms, duration of illness, rehabilitation measures, and working capacity including medical assessment of unfitness for work.

Included in this study were 9,348 investigations (excluded were reactivations); 40.9 % were from women and 58.9 % from men. The median age was 54 years (women 52, men 55).

The range of illnesses among all those investigated included a large number of psychological disorders (43.3 %, n = 4,052) (diagnosis group F of ICD-10). Second place was taken by muscular/skeletal diseases (ICD-10 group M) in 17.4 % of cases (n = 1,630), and third place by cardiovascular diseases (ICD-10 group I) in 10.4 % of cases (n = 972). The median duration of the main disease was 24 months. Classified as no longer fit for work were n = 7,033 persons, corresponding to 75.2 % of those investigated. Among those unfit for work, psychoclogical disorders were the reason in 46.2 % of cases (men 42.6 %, women 53.4 %).

In this first prospective study of illness-related premature unfitness for work in civil servants, psychological and psychosomatic illnesses were found to be the ‘number one’ illness among persons taking early retirement. The median age at which these persons became unfit for work was 52 in women and 55 in men. In view of the high prevalence of psychological disorders, and the increasing tendency towards early retirement and the considerable jump forward in the age this happens compared to in previous studies with small collectives, a preventive strategy must be developed which takes into account the evidence gained in social-medical and occupational-medical practice.

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Dr. P. Lederer

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