Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2001; 36(5): 296-297
DOI: 10.1055/s-2001-14460-2
MINI-SYMPOSIUM
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Editorial

EditorialP. Bärtsch
  • Abt. Innere Medizin VII: Sportmedizin, Medizinische Klinik
    und Poliklinik, Heidelberg
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Publication Date:
12 May 2004 (online)

Während früher Höhen über 4000 m vorwiegend den Bergsteigern vorbehalten blieben, die über entsprechende Erfahrung und körperliche Voraussetzungen verfügten, machen heute Wohlstand, vermehrte Freizeit, erhöhte Mobilität und kommerzielle Anbieter Höhenaufenthalte über 4000 m für jedermann möglich. Deshalb sieht sich der Arzt in der Praxis vermehrt mit der Frage konfrontiert, ob gegen eine Reise oder ein Trekking in den Himalaja oder in die Anden medizinisch begründete Bedenken bestehen. Diese Fragen werden oft von Bergunerfahrenen gestellt, die möglicherweise wegen einer chronischen Krankheit behandelt werden. Kenntnisse über die Physiologie der Höhenanpassung, über Höhenkrankheiten sowie die Höhentoleranz von Patienten mit kardiopulmonalen Krankheiten, die in diesem Mini-Symposium behandelt werden, sind deshalb wichtig für Ärzte, die um Rat gefragt werden sowie für jene Kollegen, die Gruppen auf Expeditionen oder Trekkings begleiten.

Dieses Mini-Symposium zeigt, dass wir von der Physiologie der Akklimatisation ein gutes Verständnis haben, das durch viele Untersuchungen belegt werden kann, während unsere Vorstellungen von der Pathophysiologie der Höhenkrankheiten noch sehr spekulativ sind, auch wenn gerade in Bezug auf die Genese des Höhenlungenödems in den letzten Jahren Fortschritte gemacht wurden. Wenn es um die Beurteilung der Höhentoleranz von Gesunden oder gar von Patienten geht, finden sich leider meistens keine durch fundierte Studien abgesicherte Empfehlungen.

Gibt es Berührungspunkte zwischen Höhenmedizin und Anästhesie oder Intensivmedizin? Auf den ersten Blick scheint es nur Gegensätze zu geben : Anästhesisten und Intensivmediziner versuchen mit allen Mitteln der Kunst Blutgase zu vermeiden, denen sich der Bergsteiger oder Trekker freiwillig aussetzt. So beträgt der arterielle PO2 eines Bergsteigers am ersten Tag nach schnellem Aufstieg auf die Margheritahütte (4559 m Höhe), etwa 40 mmHg und die arterielle Sauerstoffsättigung liegt zwischen 70 und 80 %. Wenn man von der Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit absieht, hat dieser Grad der Hypoxämie bei jener Hälfte der Bergsteiger, die solche akuten Expositionen ohne Bergkrankheit bewältigen können, keine negativen Auswirkungen bezüglich aktueller Befindlichkeit und Gesundheit [1].

Ebenso eindrücklich ist das Anpassungspotential des gesunden Menschen an Hypoxie. Ein Pilotenanwärter der Flugwaffe, der in einer so genannten „Sauerstoffmangeldemonstration” einer akuten, simulierten Höhen von bis zu 8800 m ausgesetzt wird, verliert in 10 bis 15 min das Bewusstsein, wenn der Versuchsleiter nicht rechtzeitig die O2-Maske aufsetzt [2]. Ein Bergsteiger, der sich über 6-8 Wochen an die gleiche Höhe „anschleicht”, kann dort oben noch cirka 100 Watt leisten und weist dabei folgende arterielle Blutgase auf : PO2 = 28 mmHg, PCO2 = 10 mmHg und SaO2 = 50 %, pH = 7,52 (in Ruhe 7,56) [3]. Auch diese extreme Belastung unter Hypoxie führt nicht zu Arrhythmien oder Ischämiezeichen im EKG [4], während subtilere zerebrale Funktionen mindestens bei einigen Bergsteigern (wahrscheinlich nur vorübergehend) beeinträchtigt sind [5].

Aus dem vermeintlichen Gegensatz zwischen Höhenmedizin und Anästhesie könnten sich aber auch Berührungspunkte ergeben, weil die Bergsteiger bzw. die sie begleitenden Physiologen aufzeigen, welchen Grad der Hypoxämie ein gesunder Mensch bei akuter Exposition bzw. nach Adaptation aushalten kann, ohne offensichtlichen Schaden zu nehmen. Vielleicht sollten sich die Anästhesisten und Intensivmediziner die Blutgaswerte gesunder, beschwerdefreier Individuen in Höhen von 4500 m vor Augen halten, wenn sie sich auf der schwierigen Gratwanderung zwischen Sauerstofftoxizität und Hypoxämie befinden.

Literatur

  • 1 Bärtsch P, Maggiorini M, Ritter M, Noti C, Vock P, Oelz O. Prevention of high-altitude pulmonary edema by nifedipine.  N Engl J Med. 1991;  325 1284-1289
  • 2 Bärtsch P, Haeberli A, Hauser K, Gubser A, Straub P W. Fibrinogenolysis in the absence of fibrin formation in severe hypobaric hypoxia.  Aviat Space Environ Med. 1988;  59 428-432
  • 3 Sutton J R, Reeves J T, Wagner P D, Groves B M, Cymerman A, Malconian M K, Rock P B, Young P M, Walter S D, Houston C S. Operation Everest II : oxygen transport during exercise at extreme simulated altitude.  J Appl Physiol. 1988;  64 1309-1321
  • 4 Suarez J, Alexander J K, Houston C S. Enhanced left ventricular systolic performance at high altitude during operation Everest II.  Am J Cardiol. 1987;  60 137-142
  • 5 Hornbein T F, Townes B D, Schoene R B, Sutton J R, Houston C S. The cost to the central nervous system of climbing to extremely high altitude.  N Engl J Med. 1989;  321 1714-1719

Prof. Dr. med. P. Bärtsch

Abt. Innere Medizin VII : Sportmedizin
Medizinische Klinik und Poliklinik

Hospitalstraße 3

Gebäude 4100

69115 Heidelberg

Email: peter_bartsch@med.uni-heidelberg.de

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