Gesundheitswesen 2001; 63(3): 121
DOI: 10.1055/s-2001-11963
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Chancen für die Sozialmedizin

R. Brennecke
  • Institut für Sozialmedizin, Berlin
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Sozialmedizin wird als so genanntes „kleines” medizinisches Fach angesehen und in nur wenigen medizinischen Fakultäten ist die Disziplin durch einen eigenständigen Lehrstuhl vertreten. Reziprok dazu zeigt sich die theoretische und praktische Bedeutung des Faches, wie Gostomzyk und Kickbusch in ihren Beiträgen hervorheben.

In den Hochschulen werden laut Gegenstandskatalog die Teilgebiete Epidemiologie, Prävention, Rehabilitation, Begutachtung, medizinische Versorgung, soziale Sicherung und Gesundheitsökonomie gelehrt, die in den 70er Jahren erarbeitet und seitdem fortentwickelt wurden.

Inzwischen haben sich jedoch gesellschaftliche Veränderungen ergeben, die es auch angeraten erscheinen lassen, über das Fach und seine Inhalte neu nachzudenken. Zu den Veränderungen zählen eine Ausdifferenzierung der Teilgebiete, die sich auch in der Entstehung eigenständiger Gesellschaften (für Rehabilitation, für Gesundheitsökonomie) äußert, eine „Alterung” der Bevölkerung der Bundesrepublik, eine zunehmende Integration von Deutschland in die Europäische Union sowie die Entwicklung völlig neuer Wissenschaftsgebiete wie die Biotechnologie oder die Genforschung. Es erschien daher sinnvoll, mit der Jahrestagung 2000 der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention Raum und Zeit für den Beginn einer Diskussion zu geben, welche bisherige und neue Inhalte der Sozialmedizin reflektiert.

Die in diesem Schwerpunktheft wiedergegebenen Übersichtsarbeiten zeigen, dass die Sozialmedizin große Chancen hat, für zukünftige Entwicklungen substanzielle Beiträge zu liefern. Kickbusch spannt dazu einen theoretischen Rahmen auf, der Gesundheit und Gesundheitspolitik als Teil der Gesellschaftspolitik versteht. Es wird zu prüfen sein, ob die von ihr genannten Dimensionen gesellschaftlichen Reichtums, das Human-, Finanz-, Sozial- und Umweltkapital, eine Basis für die weitere Ausdifferenzierung der Sozialmedizin sein können. Wichtig scheint dabei vor allem, folgt man den Ausführungen von Fischer, Gesundheitsziele im Querschnitt, d. h. sowohl über verschiedene Teilgebiete des Faches als auch unter Einbezug aller relevanten Bevölkerungsgruppen, zu formulieren bzw. weiterzuentwickeln und abzustimmen. Dabei muss die europäische Sichtweise von Anfang an integriert werden. Wie schwierig eine solche Abstimmung von Zielen und den damit verbundenen Begriffen sein kann, wird durch den Beitrag von Schwartz deutlich. Bedarf, Bedürfnis, Nachfrage, Angebot sowie Inanspruchnahme - und damit zentrale Begriffe der Sozialmedizin - operational zu (er)fassen erfordert große Anstrengungen.

Robra verortet die zukünftigen Schwerpunkte der Sozialmedizin in einem Dreieck der Naturwissenschaften, der Klinik und der sozialen Gegebenheiten. Er schafft damit Raum für die notwendige Integration neuer Entwicklungen in die Sozialmedizin, wie sozialmedizinische Aspekte der Biotechnologie oder der Genforschung. Auch die technische Weiterentwicklung und deren Folgen, die bereits im Rahmen der Sozialmedizin ihren festen Standort haben, lassen sich hier problemlos integrieren.

Als Folgerungen aus den Anregungen des Kongresses scheint eine Weiterentwicklung des Curriculums und damit der Lehrinhalte der Sozialmedizin notwendig, die sich auch in neuen Lehrbüchern äußern sollte. Auch eine Systematisierung und Bündelung der vielfältigen Forschungsaktivitäten könnte neue Aspekte erbringen. Die Chancen dafür sind da, greifen wir sie auf!

Prof. Dr. R. Brennecke

FUB, Institut für Soziale Medizin

Thielallee 47

14195 Berlin

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