Geburtshilfe Frauenheilkd 2000; 60(6): 279
DOI: 10.1055/s-2000-9541
Editorial

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hormonsubstitution in der Postmenopause und die Wahl des Gestagens

M. Breckwoldt
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Die Publikation von wissenschaftlichen Daten, gleichgültig, ob sie in der Grundlagenforschung oder in klinischen Studien erhoben werden, dient dem Erkenntnisgewinn und trägt somit zum Fortschritt in der Medizin und letztlich zur Verbesserung der Patientenversorgung bei. Allerdings ist die medizinische Publizistik nicht frei von Irrtümern und Fehlinterpretationen. Selbst anerkannte, seriöse, wissenschaftliche Journale mit Begutachtungssystem können diese Fehlerquellen nicht immer ausschließen. Die Ursachen für mangelnde Objektivität sind vielfältig. Bei einem vorgefassten Meinungsbild lassen sich durch Selektion passender Daten aus epidemiologischen Erhebungen, ergänzt durch In-vitro-Untersuchungen an Zellkulturen und konsequentem Weglassen unpassender Daten Hypothesen konstruieren, die dem Wunschdenken entsprechen. Dieses Vorgehen ist zweifellos der Wahrheitsfindung nicht dienlich, denn man kommt zu falschen Schlussfolgerungen und gelangt dabei auf Irrwege. Die Versuchung, bewusst solche Irrwege zu beschreiten, wird dann besonders groß, wenn finanzielle oder wirtschaftliche Interessen hinter der Argumentation erkennbar werden. Ein direkter oder indirekter Einfluss eines Sponsors kann den Wahrheitsgehalt der Publikation mindestens ebenso stark beeinflussen wie ein Irrtum im Design oder in der Auswertung einer Studie [1]. Besonders epidemiologische Studien sind für Fehlinterpretationen anfällig, da häufig Assoziationen und Kausalität miteinander verwechselt werden. Diese Verwechslung mag man der Laienpresse noch nachsehen, solche Fehlinterpretationen sollten jedoch in ernsthaften wissenschaftlichen Auseinandersetzungen keinen Platz haben.

Konkret geht es um ein vermeintlich erhöhtes Mammakarzinomrisiko bei Anwendung von Gestagenen, die sich vom 19-Nortestosteron ableiten, während sich bei Anwendung von Progesteron-Derivaten wie Dydrogesteron und Medrogeston kein erhöhtes Karzinomrisiko nachweisen lässt. Diese Schlussfolgerung ist ein klassisches Beispiel für Interessenkonflikte. Unter Zuhilfenahme von In-vivo- und In-vitro-Daten, vermengt mit epidemiologischen und zytologischen Befunden, wird eine Indizienkette konstruiert, die zu dem gewünschten Resultat führt, aus dem sich weitgehende Empfehlungen für die Östrogen-Gestagen-Substitution während des Klimakteriums und in der Postmenopause ableiten lassen. Diese Empfehlungen haben eine erkennbare Tendenz. Zu dieser Thematik sind mehrere Texte veröffentlicht, teils in seriösen Journalen, größtenteils aber in weniger anspruchsvollen Zeitschriften. Betrachtet man jedoch die Namen der Autoren, muss man feststellen, dass sich darunter zwei Mitarbeiter des pharmazeutischen Unternehmens finden, das an dieser Diktion interessiert ist. Die weiteren Mitglieder gehören dem sogenannten „European Progestin Club” an, der ausschließlich von eben diesem pharmazeutischen Unternehmen unterstützt wird. Da sich aus der Autorenschaft und aus der Aussage dieser Arbeiten eindeutige Interessen ergeben, sollte man solche Papiere mit besonderer Vorsicht und Behutsamkeit zur Kenntnis nehmen.

Seit langem ist bekannt, dass jedes Gestagen - auch das natürliche Progesteron - die mitotische Aktivität im Brustdrüsengewebe anregt. Auch die Progesteron-Derivate machen hier keine Ausnahme [2] [3].

  • 1 Blum A L, Ingold F, Martinek J. Die Motivation der Autoren: Wahrheit oder Karriere?. Creutzfeld W, Gerok W Medizinische Publizistik. Stuttgart; Thieme 1997: 43-61
  • 2 Hofseth L J. et al . Medroxyprogesteron acetate is associated with increased epithelial proliferation in the normal postmenopausal bereast.  J Clin Endocr Metab. 1999;  84 4559-4565
  • 3 Schairer C. et al . Menopausal estrogen and estrogen-progestin replacement therapy and breast cancer risk.  JAMA. 2000;  283 485-491

M Breckwoldt



Freiburg

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