Aktuelle Urol 2000; 31(1): 61-74
DOI: 10.1055/s-2000-11689
ORIGINALARBEIT
Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

Radikale Zystektomie und orthotoper Blasenersatz bei Frauen

M. El-Mekresh , H. Abol-Enein, J. Leißner1 , M. A. Ghoneim
  • Urology and Nephrology Center Mansoura Egypt
  • 1Urologische Klinik und Poliklinik Johannes Gutenberg-Universität
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Kommentar

Beim männlichen Blasenkarzinompatienten hat der orthotope Blasenersatz während der letzten Jahre unbestreitbar weiter an Popularität gewonnen. Die Gründe sind sicherlich vielschichtig. Einige wenige seien beispielhaft herausgehoben:

Auch wenn die Qualität der natürlichen Blase nicht erreicht werden kann (Gefahr der nächtlichen Inkontinenz, Risiko der Restharnbildung), ist die Perspektive einer „echten” Ersatzblase zumindest auf den ersten Blick für den Patienten akzeptabler als jede andere denkbare Form der Harnableitung. Entgegen zahlreicher - auch eigener - Erwartungen hat das Risiko des urethralen Tumorrezidivs in zeitgenössischen Serien orthotoper Ersatzblasen keine herausgehobene klinische Relevanz erreicht. Über die Ursachen für die unerwartet niedrige Rate urethraler Rezidive lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise verhindert eine frühzeitigere Indikation zur Zystektomie in zeitgenössischen Serien eine panurotheliale Ausbreitung von Tumorzellen. Einige Autoren haben auch über einen „idealen Schutzfaktor” spekuliert, der über die Ersatzblase in den Urin gelangen und dann in der Urethra das Tumorrezidiv verhindern soll. Auch das Risiko eines lokalen Tumorrezidivs im kleinen Becken scheint für differentialtherapeutische Erwägungen eher von untergeordneter Bedeutung zu sein: Zum einen manifestiert sich der Tumorprogress wesentlich häufiger in Form von Fernmetastasen als in Form eines lokoregionären Rezidivs. Zum anderen ist die Lebenserwartung der betroffenen Patienten beim Auftreten eines symptomatischen Lokalrezidivs im Regelfall offenkundig so limitiert, dass sich die verbleibende Lebensspanne bei den meisten betroffenen Patienten mit relativ einfachen Palliativmaßnahmen überbrücken zu lassen scheint. Vom Standpunkt der Operateure hat die breite Erfahrung mit der urethralen Anastomose im Rahmen der radikalen Prostatektomie sicherlich vielerorts vorbestehende Berührungsängste gegenüber der orthotopen Ersatzblase reduziert, während die Scheu gegenüber der als komplexer empfundenen kontinenten Harnableitung sich vielerorts erhalten hat.

Weibliche Blasenkarzinompatienten wurden bislang gerade in solchen Kliniken, die beim Mann den orthotopen Blasenersatz strikt favorisieren, im Regelfall mit einem Ileumkonduit und damit mit dem nassen Stoma versorgt, obwohl man andererseits dazu neigt, gerade bei Frauen eine verminderte Lebensqualität durch die kosmetische Beeinträchtigung des nassen Stomas zu erwarten.

Umso mehr verblüfft es retrospektiv eigentlich, dass das Konzept des orthotopen Blasenersatzes bei der Frau über Jahre hinweg nur mit größter Vorsicht und Zurückhaltung vorangetrieben worden ist. Für diese Zurückhaltung gibt es sicherlich eine ganze Reihe von Gründen:

Aufgrund der kurzen weiblichen Urethra erwartete man offenkundig eher als bei Männern Kontinenzprobleme. Um das vermeintliche Inkontinenzrisiko zu reduzieren, hat man versucht, das Trigonum der Blase partiell zu erhalten. Dies erscheint zum einen aus onkologischer Sicht bedenklich und war zum anderen - wie wir heute wissen - offensichtlich eine der Hauptursachen für die verstärkte Neigung zur „Hyperkontinenz” mit der Notwendigkeit des intermittierenden Selbstkatheterismus bei teilweise mehr als 50 % der Betroffenen. Die direkte Nachbarschaft zwischen der rekontruierten Vaginalwand und der Ersatzblase birgt darüber hinaus das Risiko neozysto-vaginaler Fisteln. Um dieses Risiko zu reduzieren und um die Gefahr einer Sphinkterläsion zu vermindern, kann die Vaginalvorderwand nicht mit der gleichen Radikalität reseziert werden, die man von der Zystektomie der Frau in Verbindung mit anderen Harnableitungsformen gewohnt ist.

Die Autoren des nachfolgenden Kapitels präsentieren nun eine ganze Reihe operativer Tricks, mit denen man die beschriebenen Probleme und Komplikationen des Blasenersatzes der Frau wirkungsvoll vermeiden kann:

So stellt die komplette Resektion des Blasenhalses mit anschließender Anlage einer urethralen Anastomose in Analogie zum Blasenersatz beim Mann vom onkologischen Standpunkt einen wesentlichen Fortschritt dar und scheint zum anderen das Risiko der „Hyperkontinenz” mit der Notwendigkeit des intermittierenden Selbstkatheterismus auf ein Minimum zu reduzieren. Die Schonung der endopelvinen Faszie und der unterhalb der Urethra gelegenen Anteile der Vaginalvorderwand scheinen für die Aufrechterhaltung des Kontinenzmechanismus ausreichend zu sein. Ob die Schonung höher gelegener Abschnitte der vaginalen Seitenwand - wie von den Autoren postuliert - ebenfalls zur Aufrechterhaltung der Kontinenz beiträgt, bedarf sicherlich einer weitergehenden Nachprüfung. Darüber hinaus bleibt natürlich abzuwarten, ob die konservativere Operationsstrategie im Bereich der Vaginalvorderwand nicht doch mit einem erhöhten Risiko lokaler Tumorrezidive einhergeht.

Zum anderen verankern die Autoren einen gestielten Netzlappen vor der Vaginalvorderwand. Gemeinsam mit anderen operativen Tricks wie versenkten Nähten und einer Peritonealabdeckung des Vaginalstumpfes sollte ein solches Interponat das Auftreten von Fisteln zwischen Neoblase und Vagina zuverlässig verhindern. Darüber hinaus verhindert dieses Netzinterponat gemeinsam mit einer Fixation der Neoblase an der vorderen Bauchdecke eine Abknickung der Urethra oder der Anastomose nach dorsal. Diese ventralseitige Verankerung der Neoblase dürfte somit auch eine weitere wesentliche Voraussetzung für die Verhinderung einer Hyperkontinenz darstellen.

Zusammenfassend werden mit den hier beschriebenen Techniken also wesentliche Voraussetzungen für die routinemäßige Anwendung des orthotopen Blasenersatzes auch bei der Frau geschaffen. Eigene Erfahrungen mit dieser Technik beschränken sich bislang auf benigne Indikationen, sind aber durchaus ermutigend. Im Rahmen der Behandlung des Blasenkarzinoms werden es schlussendlich wohl die lokalen Rezidivraten sein, die über den Stellenwert dieser Technik entscheiden werden.

M. Stöckle, Kiel

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