Der Klinikarzt 2017; 46(10): 459-460
DOI: 10.1055/s-0043-119926
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Heilpraktiker, unser Kollege?

Matthias Leschke
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Publication Date:
24 October 2017 (online)

Kollegen sind wir zwar nicht, doch wir können schon etwas von ihnen lernen. Sie sind bei vielen unserer Patienten sehr beliebt. Sie haben unendlich viel Zeit fürs Gespräch, und das dürfen sie auch üppig liquidieren.

Jetzt einmal von vorn. Heilpraktiker sind keine Ärzte. Im Mittelalter wären sie als Bader, Sterndeuter, Feldscher und Zahnreißer durchs Land gezogen. Die Ärzteschaft brachte dem fahrenden Volk nur Verachtung entgegen. Ihre Praxis war der Jahrmarkt. Beliebt waren sie beim Volk. Es ließ sich von ihren derben Späßen hinreißen. Besonders deftig kam's, wenn die reisenden Heiler unterm Gejohle der Menge faulende Zähne extrahierten. Und was sich damals anständige Doktores nicht getrauten, das wagten die Wanderchirurgen allemal. Blasensteine gingen sie mit dem Messer an. Hemmungen vor dem operativen Fach kannten sie keine. Da wurde auch mal ein Schädel trepaniert, um den bösen Geist entfleuchten zu lassen. Und heute? Es gibt sie immer noch, die volkstümlichen Heiler. Nur nicht auf dem Jahrmarkt, sondern in perfekt gestylten Praxen. Sie nennen sich Heilpraktiker. Und sie sind gut im Geschäft. Die Patienten drängeln sich in ihre Praxen. Bezahlen müssen die Patienten aus der eigenen Börse. Wobei die PKV ihren schwindenden Versicherten entgegenkommt und so manche Colonsanierung, Irisdiagnose oder Krebstherapie erstattet. Doch weshalb sind diese "Kollegen" so erfolgreich? Sie haben Zeit. Sie leisten sich das Gespräch. Wer da ein Händchen für Psychologie hat, kann sich vor Patienten nicht retten. Der Reizdarm ist dann kein medizinisches Problem, sondern ein rein menschliches. Das Gespräch ist es, das heilt! Der Heilpraktiker macht damit seinen Umsatz und so manchen Patienten wieder gesund. Die Schulmediziner können da nur neidisch zugucken: Ihnen wird das Gespräch nicht vergütet; deshalb lassen sie's frustriert.

Besonders Menschen mit unheilbaren chronischen Krankheiten – beispielsweise Krebs – sind häufig Klienten der heilenden Praktiker. Wer keine Hoffnung mehr hat, geht zum Heilpraktiker. Der kann Leben weder verlängern noch die tückische Erkrankung wegkurieren. Doch das ist auch gar nicht nötig. Die Pillen und Wässerchen bringen keine Heilung, doch sie tun dem Patienten gut. Er fasst wieder Hoffnung und diese zaubert neuen Lebensmut herbei. Ein Punkt für den Heilpraktiker. Und es gibt da auch ganz erfahrene "Kollegen", die ihre Grenzen kennen und sich der Scharlatanerie enthalten.

Dennoch halte ich diese Gesundheitsbranche für sehr gefährlich. Gefährlich für die Patienten. Gefährlich für die Gesellschaft. Und weil da ein Heiler Zeit fürs Gespräch hat, wird die Schulmedizin degradiert. Wir Ärzte wissen um den Segen des Gesprächs. Zuerst das Gespräch, dann Labor und Bildgebung, dann der Rezeptblock. Doch wir können uns das Gespräch nicht erlauben. Vom Patenten dürfen und wollen wir's nicht fordern. Dass Heilpraktiker ihre Gesprächszeit honoriert haben wollen, ist okay. Kein Patient findet etwas Anrüchiges dabei. Übrigens, wenn die Wunderheilung ausbleibt, der Krebspatient endgültig zum Palliativfall wird, dann dürfen wir Schulmediziner wieder ran. Den Kollegen der Heilpraktiker-Riege trifft höchstens mal der staatsanwaltliche Bannstrahl.

Von jedem Arzt wird gefordert, dass er ein wissenschaftliches Studium absolviert hat und klinische Erfahrungen mitbringt. Heilpraktiker kann jeder werden, der unbescholten ist und vor dem Amtsarzt aufsagen kann, von welchen Krankheiten er die Finger lassen muss. Das war's dann schon an Voraussetzungen, Heiler zu werden. Freilich füttern die Heilpraktikerschulen ihre Absolventen mit einer Menge an anatomischem und klinischem Wissen. Verpflichtend ist ein solcher Kurs nicht.

Würden Sie Ihr Auto von einem netten Menschen reparieren lassen, der guten Willen und Interesse zeigt und mal ein bisschen was vom Auto gehört hat? Wollen Sie's darauf ankommen lassen, ob der stotternde Motor korrekt instand gesetzt wurde?

Toleranz ist wichtig. Krankheiten gehören zum Arzt, in die Praxis, ins Krankenhaus. Nebenbei: In Skandinavien sind Heilpraktiker verboten. In Österreich bleibt die Heilkunde dem ärztlichen Beruf vorbehalten. Selbst die Traditionelle Chinesische Medizin dürfen nur Ärzte mit einer Zusatzausbildung praktizieren. Verboten sind Heilpraktiker auch in einzelnen Kantonen der Schweiz. Erlaubt sind Naturärzte. Deutschland ist eine Oase für Zeitgenossen, die mit laienhaftem Medizinwissen den "echten" Ärzten Patienten abwerben und diese in Gefahr bringen. Wir sollten uns dessen bewusst werden und unsere Patienten aufklären. Gerade zur erfolgreichen Abgrenzung gegenüber Heilpraktikern sollten wir Ärzte auch die sprechende Medizin beherzigen.