Der Klinikarzt 2017; 46(06): 259
DOI: 10.1055/s-0043-111069
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Arzt-Patientengespräch: Einheit von Ort und Zeit?

Achim Weizel
Mannheim
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Publication Date:
17 July 2017 (online)

Die engste Beziehung zwischen Arzt und Patient spielt sich traditionsgemäß im Patientengespräch ab. Im Idealfall besteht ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, das eine offene Kommunikation zwischen beiden Beteiligten ermöglicht. Neben der verbalen Kommunikation kommen hier auch zusätzliche Faktoren wie zum Beispiel Körpersprache ins Spiel, die die Atmosphäre des Gesprächs bestimmen. Ob diese tradierten Vorgehensweisen auch weiterhin bestehen werden, ist – zumindest in Teilgebieten – ungewiss.

Die Digitalisierung hat ihren Einzug auch in der Medizin gehalten, in Beiträgen über Medizin 4.0 werden Zukunftsperspektiven aufgezeigt, die die Beziehung zwischen Arzt und Patient stark verändern werden. So verbringt der Arzt heute schon mehr Zeit mit seinem Computer als mit seinen Patienten. Die handschriftlichen Aufzeichnungen in der Patientenakte weichen immer mehr den elektronischen Aufzeichnungen (was nicht unbedingt ein Nachteil sein muss). Technische Daten des Patienten wie Labor, Ergebnisse bildgebender Verfahren (Röntgen, CT, NMR, Echo sowie invasive Untersuchungen wie zum Beispiel Herzkatheter) können ohne Aufwand verschickt und von Kollegen beurteilt werden, die den Patienten nie gesehen haben. Der persönliche Kontakt ist hier nicht mehr gegeben.

Bisher war es aber so, dass der Kontakt zwischen Arzt und Patient an einem Ort und von Angesicht zu Angesicht erfolgte.

Der zunehmende Ärztemangel im niedergelassenen Bereich führt hier schon zu neuen Formen der Kommunikation. Die Stichworte sind hier: Digitale Medizin bzw. Video-Sprechstunde, was bedeutet, dass die Einheit von Ort und Zeit des Gesprächs nicht mehr gegeben ist. Um eine Diskussion dieser Entwicklung werden wir nicht mehr herumkommen. Schon heute sind die Rahmenbedingungen klar definiert. Technisch ist eine Videokonsultation kein Problem, da die meisten Praxen über Computer und Netzanschluss verfügen. Mit dieser Technik können auch immobile Patienten ohne großen Aufwand direkt mit ihrem Arzt Kontakt aufnehmen, in unterversorgten Gebieten können hiermit lange Anfahrtszeiten vermieden werden, ängstliche Patienten oder Patienten mit Immunschwäche setzen sich nicht der potentiellen Ansteckungsgefahr im Wartezimmer aus.

Vorbedingung einer Videokonsultation ist jedoch ein vorausgehender persönlicher Kontakt zwischen Arzt und Patient (Erstkontakt), es eignet sich auch nicht jedes Problem für dieses Vorgehen. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen bieten sich Videoberatungen bei psychischen, dermatologischen und geriatrischen Fragestellungen an, chirurgische Fragestellung scheiden aus, da hier ja in der Regel eine körperliche Untersuchung durchgeführt werden muss. Konsultationen mit dem Hausarzt können der Befundbesprechung und Verlaufsbeobachtung dienen.

Einzelne Krankenkassen, wie die Techniker Krankenkasse, machen heute schon ihren Mitgliedern Angebote für Videosprechstunden auf dermatologischem und HNO-Sektor. Das Fernbehandlungsverbot scheint in dieser Beziehung unproblematisch zu sein.

Bei Befragungen erklärten 45 % der Patienten, dass sie sich zu einer Videosprechstunde entschließen könnten, wobei Alter, Geschlecht, Schulbildung und sozioökonomischer Status bei der Akzeptanz dieser Art von Kontakt natürlich eine große Rolle spielen.

Auch vonseiten der Ärzte steigt die Bereitschaft, Videosprechstunden durchzuführen. Bei einer Umfrage Ende 2016 gaben 48 % der befragten Ärzte ein positives Votum ab. Bei den Überlegungen spielen allerdings die Anfangskosten eine Rolle sowie die bisher noch ungeklärten Fragen der Vergütung. Natürlich haften Ärzte bei der Videosprechstunde genau wie bei der direkten Behandlung. Zurückhaltung gibt es bei Ärzten auch wegen der theoretischen Gefahr der Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit. Trotz aller noch bestehender Vorbehalte vonseiten der Ärzte und der Patienten wird die Videosprechstunde in den kommenden Jahren, zumindest auf manchen Gebieten, nicht zu verhindern sein. Bei allen theoretischen Vorteilen, die die Videosprechstunde unter günstigen Umständen bieten kann, besteht aber kein Zweifel daran, dass sie das direkte Gespräch zwischen Arzt und Patient nie ersetzen sondern nur ergänzen kann.