Rehabilitation (Stuttg) 2016; 55(02): 133-134
DOI: 10.1055/s-0042-103410
Bericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Symposium „Vom Wollen zum Tun – Motivation in der Rehabilitation“ am 26. November 2015 in Hannover

Symposium „From Will to Action – Motivation in Rehabilitation“, Nov. 26, 2015 in Hannover
S. Stein
1   Koordinierungsstelle Angewandte Rehabilitationsforschung, Klinik für Rehabilitationsmedizin, Medizinische Hochschule Hannover
,
E. Andreeva
1   Koordinierungsstelle Angewandte Rehabilitationsforschung, Klinik für Rehabilitationsmedizin, Medizinische Hochschule Hannover
,
I. Ehlebracht-König
1   Koordinierungsstelle Angewandte Rehabilitationsforschung, Klinik für Rehabilitationsmedizin, Medizinische Hochschule Hannover
2   Rehazentrum Bad Eilsen der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover
,
C. Gutenbrunner
1   Koordinierungsstelle Angewandte Rehabilitationsforschung, Klinik für Rehabilitationsmedizin, Medizinische Hochschule Hannover
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Publication History

Publication Date:
12 April 2016 (online)

Motivation von Patientinnen und Patienten gilt als Voraussetzung dafür, dass die Rehabilitation gelingt. Das individuelle Verhalten ist abhängig von Wünschen, Einstellungen, Werten und Normen. Aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse zum Thema Motivation in der Rehabilitation müssen in Fachkreisen umfassend erörtert werden. Deshalb wurde am 26. November 2015 das Herbstsymposium „Vom Wollen zum Tun – Motivation in der Rehabilitation“ ins Leben gerufen. Diese praxisnahe wissenschaftliche Tagung bot ein Forum für einen interdisziplinären Austausch zwischen Praktikerinnen und Praktikern aus Rehabilitationseinrichtungen, Leistungsträgern und Akteurinnen und Akteuren aus der Wissenschaft. Im Fokus stand der Begriff der Motivation, speziell im Rehabilitationsprozess. Welche Faktoren beeinflussen die Motivation? Welche Konzepte sind in der Praxis umsetzbar? Zu diesen Fragestellungen berichteten Referentinnen und Referenten aus verschiedenen Fachbereichen. Das Symposium stieß auf großes Interesse und war mit 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgebucht. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Koordinierungsstelle Angewandte Rehabilitationsforschung der Klinik für Rehabilitationsmedizin, einer gemeinsamen Einrichtung der Medizinischen Hochschule Hannover und der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover (DRV BS-H).

Zunächst wies Jan Miede (Geschäftsstelle der DRV BS-H) auf die Wichtigkeit von motivationalen Konzepten in der Praxis hin und erörterte die Vorhaben der DRV. Prof. Dr. Christoph Gutenbrunner (Medizinische Hochschule Hannover) behandelte Motivation als Voraussetzung oder Ziel der Rehabilitation. Er verwies auf den Entwurf der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention, in dem Motivation als ein multimodaler Faktor – bestehend aus Einstellungen, Leistungs- und Handlungsbereitschaft – angesehen wird (Grotkamp et al. 2010). Dr. Inge Ehlebracht-König (Rehazentrum Bad Eilsen) betonte, dass das Thema „Motivation“ ihre Klinik und die Koordinierungsstelle Angewandte Rehabilitationsforschung seit Jahren begleite. Nach dieser Einführung wurde der erste thematische Block der Veranstaltung, „Theoriebildung und Motivationsforschung“, eröffnet. Dr. Axel Kobelt (DRV BS-H) informierte über Motivationskonzepte und -modelle. Motivation sei ein Thema der Rehaforschungsverbünde mit der Konzentration auf Veränderungsmotivation. Das Thema erhalte neue Relevanz vor dem Hintergrund der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation. Prof. Dr. Gabriele Oettingen (Universität Hamburg und New York University) und Bettina Schwörer (Universität Hamburg) stellten ihre Forschungsergebnisse darüber vor, wie man Motivation messen und beeinflussen kann. Im Vordergrund stand dabei die Technik des mentalen Kontrastierens. Diese Technik beeinflusst die Zielsetzung und das Zielstreben durch kognitive Veränderungen, motivationale Veränderungen und durch den Umgang mit negativer Rückmeldung. Die wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen mentalen Kontrastierens wurde für verschiedene Interventionen – wie Reduktion des Alkoholkonsums, Stressbewältigung oder Gewichtsreduktion – vorgestellt. In dem Vortrag von Prof. Dr. Gorden Sudeck (Eberhard Karls Universität Tübingen) ging es um Motivations- und Kompetenzförderung in der Rehabilitation am Beispiel Bewegung. Er referierte über Verhaltensorientierung in der Bewegungstherapie und über individuelle Motive und Ziele. Prof. Sudeck präsentierte ein Modell zur bewegungsbezogenen Gesundheitskompetenz mit besonderem Fokus auf Bewegungsmotivation.

Der zweite Block des Herbstsymposiums beschäftigte sich mit Motivationskonzepten und Praxisbeispielen. Prof. Dr. Klaus Pfeifer (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) gab Einblicke in die verhaltensbezogene Bewegungstherapie und deren Wirkungen bei diversen Indikationen. Für Erwachsene im Erwerbsalter empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation eine mindestens 150-minütige moderat-intensive aerobe körperliche Aktivität pro Woche. Alternativ sollte eine mindestens 75-minütige aerobe Aktivität höherer Intensität stattfinden. Eine Kombination aus moderaten und intensiveren Trainings wird in Einheiten von mindestens 10-minütiger Dauer angeraten. Für zusätzlichen gesundheitlichen Nutzen wäre die Erhöhung auf 300 min pro Woche bzw. auf 150 min pro Woche angebracht. Prof. Pfeifer stellte Bewegungspläne für Patientinnen und Patienten zur Dokumentation und Analyse des Bewegungsverhaltens vor. Prof. Dr. Wiebke Göhner-Barkemeyer (Katholische Hochschule Freiburg) präsentierte in ihrem Vortrag „Von der Motivation zur Volition“ zwei Motivationskonzepte – MoVo-LISA und MoVo-LIFE. Sie dienen dem Aufbau eines körperlich-aktiven und ernährungsgesunden Lebensstils. Das MoVo-Lisa-Konzept wurde für Personen in der stationären orthopädischen Rehabilitation entwickelt. Das MoVo-LIFE-Konzept umfasst die multizentrisch organisierte bewegungsorientierte Initiative zur Lebensstiländerung in Selbstverantwortung (M.O.B.I.L.I.S.). MoVo-LIFE wird bei Personen mit Adipositas ambulant durchgeführt. Geschulte Fachkräfte betreuen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über ein Jahr. Abschließend referierte Andrea Reusch (Universität Würzburg) zum Thema „Unterstützung des Alltagstransfers – Generische Selbstmanagement-Module für die stationäre Rehabilitation“. Diskutiert wurde die Frage, ob Patientinnen und Patienten in stationären Rehabilitationseinrichtungen durch Therapieangebote überfordert seien. Es zeigte sich, dass befragte Patientinnen und Patienten weitaus mehr als vier Ziele für die Zeit nach der Rehabilitation angaben, vor allem in den Bereichen Bewegung und Sport, gesunde Ernährung oder Entspannung und Stressabbau.

Eine anregende Diskussion über die Motivation als Forschungsziel, die Anwendung von Motivationskonzepten in der Praxis und die Rückkehr von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden an den Arbeitsplatz rundete die Veranstaltung ab. Teilnehmerinnen und Teilnehmer betonten allerdings, dass der Zeit- und Personalmangel in Kliniken eine Etablierung von Motivationskonzepten und -programmen erschweren könnte. Prof. Gutenbrunner fasste das Symposium resümierend anhand von sieben Punkten zusammen:

  1. Der wissenschaftliche Diskurs muss sich auf klare Definitionen beziehen und insbesondere zwischen „Motivation“ und „Motivierbarkeit“ unterscheiden. Motivation ist stets auf ein Ziel gerichtet und kann ohne Kenntnis oder Vorgabe des Ziels nicht erfasst werden. Motivierbarkeit beschreibt die Fähigkeit einer Person, die u. a. durch Einstellungen sowie durch die Leistungs- und Handlungsbereitschaft beeinflusst wird.

  2. Es stellt sich die Frage, inwieweit in der Rehabilitation die Motivation der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden das größte Problem darstellt, oder ob nicht vielmehr die Zielstellung ein Problem repräsentiert. Die Zielstellungen von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden, dem Rehabilitationsteam und die Vorgaben des Rehabilitationsträgers können dabei weit auseinanderliegen.

  3. Rehabilitation zielt u. a. auch auf Verhaltensänderungen ab, wofür es wirksame Methoden gibt. Aber auch hier spielt die Frage nach einer gemeinsamen Zielstellung eine zentrale Rolle. Z. B. stellt sich die Frage, ob die Wiederaufnahme der Arbeit und ein aktiver Lebensstil in jedem Einzelfall Ziele sind und inwieweit die Verhaltensänderungen auf das Alltagsleben übertragbar sind.

  4. Es erscheint wichtig zu berücksichtigen, dass gesellschaftliche Überzeugungen und Normen sowie wirtschaftliche und gesetzliche Vorgaben des Staates die individuellen Rehabilitationsziele stark mitbestimmen. Es entsteht folglich ein Spannungsbogen zwischen rechtlich festgelegten Voraussetzungen und gesellschaftlichen Einstellungen, wie z. B. dem Wunsch, möglichst früh Rente zu beziehen und nicht arbeiten zu müssen. Diese beiden Faktoren sind in der ICF als Umweltfaktoren identifiziert (e460 und e580).

  5. Es gibt eine Reihe von nachweislich erfolgreichen Modellen, Verhaltensänderungen zu erreichen, insbesondere in Bezug auf das Bewegungsverhalten. Diese Modelle haben einen Großteil ihrer Elemente gemeinsam. Ist es sinnvoll, jeden dieser Ansätze einzeln zu betrachten, oder ergibt es nicht viel mehr Sinn, deren Grundprinzipien allgemein und unter gleicher Bezeichnung anzuwenden?

  6. Ein wesentlicher Schlüssel für eine Verhaltensänderung in der Rehabilitation scheint in persongebundenen Faktoren zu liegen. Für deren einheitliche Erfassung liegen (zumindest für den deutschen Sprachraum) Vorschläge vor. Eine einheitliche und trägerübergreifende Strategie existiert bislang allerdings nicht.

  7. Zukünftige Studien sollten sich der Frage nach der Zielstellung der Rehabilitation und deren Entstehung bzw. Beeinflussung widmen, insbesondere der Frage, ob die Wiederaufnahme der Arbeit ein gemeinsames Ziel von Rehabilitandinnen bzw. Rehabilitanden und Kostenträgern sowie den Rehabilitationsärztinnen und -ärzten darstellt.

Die Vorträge stehen auf der Homepage http://www.mh-hannover.de/reha_veranstaltungen.html zur Verfügung.

 
  • Literatur

  • 1 Grotkamp S, Cibis W, Behrens J et al. Personbezogene Faktoren der ICF – Entwurf der AG „ICF“ des Fachbereichs II der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP). Gesundheitswesen 2010; 72: 908-916