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DOI: 10.1055/s-0033-1345193
Web-basierte Interventionen: Herausforderungen und Chancen
Web-Based Interventions: Challenges and ChancesPublication History
Publication Date:
12 June 2013 (online)
Die Nutzung von Medien für medizinische Information und psychologische Interventionen ist keineswegs neu. Bereits im ausgehenden Mittelalter finden sich Nachschlagewerke („Hausbücher“) mit detaillierten Ratschlägen zur Behandlung unterschiedlichster Krankheiten und Verletzungen (z. B. [1]). In der Kaiserzeit vermittelten Zeitschriften wie die „Gartenlaube“ populärwissenschaftliche medizinische Inhalte für das (deutsche) Bürgertum. Die Nutzung des Telefons bei Gesundheitsproblemen ist beinahe so alt wie seine Erfindung im ausgehenden 19. Jahrhundert: Angeblich führte Alexander Graham Bell seinen ersten aufgezeichneten Telefonanruf, um ärztliche Hilfe zu suchen, nachdem er sich mit Schwefelsäure verätzt hatte (vgl. [2]). Die Geschichte der Telefonseelsorge zur Suizidverhütung reicht bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zurück. In den USA. sind telefonische Call-a-Nurse oder Ask-a-Doc-Services seit vielen Jahren populär. Auch zur Reha-Nachsorge sind telefonische Interventionen zumindest im Forschungskontext schon eingesetzt worden (z. B. [3]). Joseph Weizenbaum programmierte bereits Ende der 1960er Jahren das Computerprogramm ELIZA, das in verblüffender Weise einen psychotherapeutischen Dialog simuliert. Heute ist für die meisten Menschen das erst seit den 1990er Jahren allgemein nutzbare Internet eine, wenn nicht die wesentliche Quelle für Gesundheitsinformation (vgl. Lin et al. in diesem Heft). Und es gibt mittlerweile eine unüberschaubare Zahl von Angeboten für (psychologische) Interventionen im Internet, die von Beratungsangeboten über Chats, Internetbrücken zur Nachversorgung, Selbsthilfeprogrammen bis hin zu Internetpsychotherapie reichen und die auf Seiten der Nutzer großen Zuspruch erfahren ([4]). Was liegt also näher, als (neue) Medien auch im Rahmen der medizinischen Rehabilitation einzusetzen?
Das vorliegende Schwerpunktheft fasst eine Reihe von Arbeiten zusammen, die sich mit den Herausforderungen und Chancen Web-basierter Interventionen in der Rehabilitation sowie zur Gesundheitsförderung allgemein beschäftigen. Die Themen sind dabei weit gespannt und umfassen einen systematischen Überblick zu kognitiv-behavioralen Behandlungsansätzen und ihren Einsatzmöglichkeiten in der Rehabilitation (Lin et al.), eine Studie zur Transferförderung und Rückfallprävention nach stationärer psychosomatischer Rehabilitation (Ebert et al.), 2 Interventionen zur Gesundheitsförderung bei Bewegungsmangel (Peters et al.), ein systematisches Review zu Web-basierten Interventionen zur Gewichtsreduktion (Grunenberg et al.) sowie die Ergebnisse eines Onlinecoachings bei adipösen Diabetikern im Anschluss an eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme (Theissing et al.). Ein besonderes Projekt stellen Lucius-Hoene et al. vor: Die Krankheitserfahrungen von Diabetes- und Schmerzpatienten waren in ausführlichen Videointerviews erfragt, thematisch aufbereitet und ins Internet gestellt worden; jetzt berichteten die Patienten, wie sie die Veröffentlichung ihrer Krankengeschichte erlebt haben.
Was macht Web-basierte Behandlungsansätze für die Rehabilitation interessant? Was ist die differentia specifica dieses Mediums gegenüber anderen Zugangswegen (z. B. telefonische Nachsorge)? Welche Fragen stellen sich in diesem Zusammenhang? Weitgehende Einigkeit besteht dahingehend, dass zu den spezifischen Möglichkeiten des Internets die örtliche und (im Falle von asynchronen Interventionen) zeitliche Unabhängigkeit, die mögliche Anonymität sowie die kostengünstige Form der Behandlung zählen. Lin et al. (in diesem Heft) weisen darüber hinaus darauf hin, dass Web-basierte Interventionen (insbesondere wenn sie algorithmusgesteuert erfolgen) ein sehr strukturiertes, standardisiertes und damit methodenfokussiertes Vorgehen ermöglichen. Das macht diesen Zugangsweg insbesondere auch für Wirksamkeitsuntersuchungen interessant.
Es bleiben Fragen. Sind Web-basierte Interventionen ähnlich wirksam wie face-to-face-Ansätze? Auch wenn es den Psychotherapeuten kränkt: Erste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Web-basierte Interventionen bei depressiven und Angststörungen ähnlich effektiv sind wie Psychotherapie im face-to-face-Setting (z. B. [5]). Sind Programme wirksamer, wenn sie mit Therapeutenbegleitung („guided self-help“) erfolgen, oder führen algorithmusgesteuerte („unguided“) Interventionen zu vergleichbaren Ergebnissen? Hier hat sich gezeigt, dass kognitiv-behaviorale Interventionen deutlich wirksamer waren, wenn sie mit Therapeutenbegleitung erfolgten (z. B. [6]). Soll die Intervention synchron wie z. B. bei der Liveonline-Nachbetreuung in der Gruppe (Theissing et al. in diesem Heft) erfolgen oder zeitversetzt (z. B. über E-Mails)? Ersteres entspricht eher der herkömmlichen Vorstellung von Behandlung; letzteres bedeutet mehr (zeitliche) Flexibilität und Autonomie für Teilnehmer wie auch Therapeuten. Werden durch Web-basierte Angebote vor allem internetaffine Nutzer erreicht, und sind die Ergebnisse entsprechender Studien generalisierbar? Diese Frage stellt sich insbesondere, wenn die Rekrutierung von Studienpatienten über das Internet erfolgte (was bei den hier vorliegenden Studien nicht der Fall war). Und schließlich gab es zumindest in der Anfangszeit eine ganze Reihe ethischer (z. B. Datenschutz, Umgang mit Krisensituationen, fehlender zwischenmenschlicher Kontakt) und rechtlicher (z. B. „Fernbehandlungsverbot“) Bedenken (vgl. auch [7]).
Besteht also Bedarf für Web-basierte Interventionen in der Rehabilitation? Die Ergebnisse der Studien in diesem Schwerpunktheft zeigen, dass ein großer Teil der Rehabilitanden über die technischen Voraussetzungen (Internetzugang) für die Teilnahme an solchen Programmen verfügt, dass das Interesse an entsprechenden Angeboten sowie Akzeptanz und Adhärenz hoch sind und dass die Interventionen zumindest teilweise wirksam sind. Sie können (als therapieflankierende Maßnahme) in die medizinische Rehabilitation eingebunden werden, in manchen Fällen diese vielleicht sogar ersetzen und als Nachsorgemaßnahme den Therapietransfer in den Alltag fördern. Besonderer Stellenwert könnte Web-basierten Interventionen bei somatischen Rehabilitanden mit komorbiden psychischen Störungen (Depression) zukommen und helfen, bestehende Versorgungsengpässe bei der ambulanten Psychotherapie zu überwinden. Rehabilitationsträger und -erbringer wären gut beraten, wenn sie Forschung zu Web-basierten Interventionen und deren anschließende Implementierung in die Rehabilitationspraxis weiter unterstützen und fördern. Wir wünschen uns, dass das vorliegende Schwerpunktheft dazu beiträgt.
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Literatur
- 1 Mittelalterliches Hausbuch. http://de.wikisource.org/wiki/Mittelalterliches_Hausbuch
- 2 Car J, Sheik A. Telephone consultations. BMJ 2003; 326: 966-969
- 3 Mittag O, China C, Hoberg E et al. Outcomes of a telephone counseling intervention following cardiac rehabilitation (Luebeck Follow-Up Trial): Overall and gender specific results. International Journal of Rehabilitation Research 2006; 29: 295-302
- 4 Wagner B, Maerker A. Psychotherapie im Internet – Wirksamkeit und Anwendungsbereiche. Psychotherapeutenjournal 2011; 1: 33-42
- 5 Cuijpers P, Donker T, van Straten A et al. Is guided self-help as effective as face-to-face psychotherapy for depression and anxiety disorders? A systematic review and meta-analysis of comparative outcome studies. Psychological Medicine 2010; 40: 1943-1957
- 6 Andersson G, Cuijpers P. Internet-based and other computerized psychological treatments for adult depression: A meta-analysis. Cognitive Behaviour Therapy 2009; 38: 196-205
- 7 Barak A, Hen L, Boniel-Nissim M et al. A comprehensive review and a meta-analysis of the effectiveness of internet-based psychotherapeutic interventions. Journal of Technology in Human Services 2008; 26: 109-160