Gesundheitswesen 2013; 75(04): 225-233
DOI: 10.1055/s-0032-1311639
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Honorarverteilung – sollte die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung auch morbiditätsadjustiert verteilt werden?

Remuneration Distribution – Should Morbidity-Dependent Overall Remuneration also be Distributed after Adjustments for Morbidity?
A. Walendzik
1   Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftungslehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen
,
M. Trottmann
2   Verisk Health GmbH, München
,
R. Leonhardt
2   Verisk Health GmbH, München
,
J. Wasem
1   Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftungslehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen
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Publication Date:
26 July 2012 (online)

Zusammenfassung

Einleitung:

Der Übergang des Morbiditätsrisikos in der ambulanten ärztlichen Vergütung als langjährige ärztliche Forderung wurde durch die Vergütungsreform 2009 auf der Ebene der Gesamtvergütung grundsätzlich vollzogen. Jedoch kann es auch bei fehlender Morbiditätsadjustierung in der Honorarverteilung zu einer nicht bedarfsgerechten Verteilung des Budgets sowie zu Anreizen zur Risikoselektion auf der Ebene der Arztpraxis kommen.

Methoden:

Der Artikel analysiert zunächst die Systematik der Honorarverteilung im aktuellen kollektiven ambulanten Vergütungssystem für Vertragsärzte der Gesetzlichen Krankenversicherung unter dem Aspekt der Morbiditätsadjustierung. Unter Nutzung von diagnostischen und Arzneimittelinformationen etwa einer halben Million Versicherten wird sodann ein Schätzmodell entwickelt, das in der Lage ist, patientenspezifische Ausgaben für die ambulante Versorgung durch verschiedene Leistungsträger zu prognostizieren. Mit diesem Modell lässt sich die individuelle Versorgungslast additiv auf Arztgruppen, wie z. B. Haus- und Fachärzte, aufteilen. Aufbauend darauf wird untersucht, inwieweit dieses Modell hilfreich sein könnte zur Verteilung der Gesamtvergütung auf einzelne Arztgruppen im deutschen ambulanten ärztlichen Vergütungssystem. Mittels der Ergebnisse einer Simulation werden außerdem Bedingungen für die Anwendung einer diagnosenbasierten Morbiditätsadjustierung bei der Bildung von Regelleistungsvolumen für einzelne Arztpraxen entwickelt,

Ergebnisse:

Das im Artikel vorgestellte Schätzmodell ist anwendbar bei der Aufteilung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung auf verschiedene Arztgruppen. Bei der Simulation von Regelleistungsvolumen für Hausärzte im deutschen ambulanten ärztlichen Vergütungssystem erweist sich die diagnosenbasierte Risikoadjustierung als weniger geeignet als die aktuell durchgeführte Risikoadjustierung nach 3 Altersgruppen.

Diskussion:

Durch den Einbau von Elementen von Risikoadjustierung lässt sich das gegenwärtige deutsche ambulante ärztliche Vergütungssystem in Richtung größerer Versorgungsgerechtigkeit und verbesserter Anreizgestaltung zu effizienter Versorgung verändern. Grenzen der sinnvollen Anwendbarkeit diagnosenbasierter Morbiditätsadjustierung in der ambulanten Vergütung der deutschen Vertragsärzte ergeben sich insbesondere aus der unterschiedlich ausgeprägten Pauschalierung der Vergütung in den Arztgruppen.

Abstract

Introduction:

In the 2009 reform of the German collective remuneration system for outpatient medical care, on the level of overall remuneration, the morbidity risk was transferred to the health funds fulfilling a long-term demand of physicians. Nevertheless not transferring morbidity adjustment to the levels of physician groups and singular practices can lead to budgets not related to patient needs and to incentives for risk selection for individual doctors.

Methods:

The systematics of the distribution of overall remuneration in the German remuneration system for outpatient care are analysed focusing on the aspect of morbidity adjustment. Using diagnostic and pharmaceutical information of about half a million insured subjects, a risk adjustment model able to predict individual expenditures for outpatient care for different provider groups is presented. This model enables to additively split the individual care burden into several parts attributed to different physician groups. Conditions for the use of the model in the distribution of overall remuneration between physician groups are developed. A simulation of the use of diagnoses-based risk adjustment in standard service volumes then highlights the conditions for a successfull installation of standard service volumes representing a higher degree of risk adjustment.

Results:

The presented estimation model is generally applicable for the distribution of overall remuneration to different physician groups. The simulation of standard service volumes using diagnosis-based risk adjustment does not provide a more accurate prediction of the expenditures on the level of physician practices than the age-related calculation currently used in the German remuneration system for outpatient medical care.

Discussion:

Using elements of morbidity-based risk adjustment the current German collective system for outpatient medical care could be transformed towards a higher degree of distributional justice concerning medical care for patients and more appropriate incentives avoiding risk selection. Limitations of the applicability of risk-adjustment can be especially pointed out when a high share of lump-sum-payments is used for the remuneration of some physician groups.

8

8  Darin enthalten sind entsprechend der Definiton des Leistungsbedarfs in der Modellierung auch Leistungen, welche heute außerhalb der Regelleistungsvolumina vergütet werden.


 
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