Gesundheitswesen 2012; 74(12): 786-792
DOI: 10.1055/s-0032-1311619
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hausarzt oder Spezialist im In- oder Ausland?

Ergebnisse einer multizentrischen Befragung von Studierenden im Praktischen Jahr zu ihren mittel- und langfristigen BerufszielenGeneral Practitioner or Specialist at Home or Abroad?Results of a Multicenter Postal Survey on the Mid- and Long-term Professional Objectives of Medical School Graduates
H van den Bussche
1   Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
K Kromark
1   Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
N Köhl-Hackert
2   Medizinische Klinik, Universität Heidelberg
,
B Robra
3   Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Universität Magdeburg
,
K Rothe
4   Zentrum für Geschlechterforschung, Universität Leipzig
,
A Schmidt
5   Medizinische Klinik, Universität Erlangen
,
C Stosch
6   Studiendekanat der Medizinischen Fakultät, Universität Köln
,
R Wagner
7   Studiendekanat der Medizinischen Fakultät, Universität Gießen
,
C Wonneberger
1   Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
M Scherer
1   Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
D Alfermann
4   Zentrum für Geschlechterforschung, Universität Leipzig
,
B Gedrose
1   Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
23 May 2012 (online)

Zusammenfassung

Ziel:

Im Rahmen einer multizentrischen Kohortenstudie von Absolventen und Absolventinnen des Medizinstudiums wurde die Frage untersucht, welche Präferenzen Medizinstudierenden im Praktischen Jahr in Bezug auf Disziplin, Ort und Status ihrer endgültigen beruflichen Position nach der fachärztlichen Weiterbildung unmittelbar vor Beginn der fachärztlichen Weiterbildung aufweisen. Untersucht wurde auch, inwiefern diesbezüglich Unterschiede zwischen den Geschlechtern bzw. zwischen alten und neuen Bundesländern identifiziert werden können.

Methodik:

Es handelt sich um eine standardisierte postalische Befragung aller Absolventinnen und Absolventen des Medizinstudiums des Jahrgangs 2009 in den medizinischen Fakultäten Erlangen, Gießen, Hamburg, Heidelberg, Köln, Leipzig und Magdeburg. Insgesamt wurden Fragebögen an 2 107 Personen versandt, von denen 1 012 einen ausgefüllten Fragebogen zurücksandten, was einer Rücklaufquote von 48% entspricht. Alle Fragebogen konnten in die Datenauswertung einbezogen werden.

Ergebnisse:

96% der befragten Studierenden im Praktischen Jahr gaben an, eine fachärztliche Anerkennung anzustreben; nur 0,4% strebten dies ausdrücklich nicht an. Insgesamt gaben 6,9% der Studierenden im Praktischen Jahr das Fach Allgemeinmedizin als erstes Wunschfach an. Fast genauso viele (6,5%) vergaben ihre erste Priorität für Innere Medizin ohne Schwerpunkt. 84% strebten eine Facharztweiterbildung in einem spezialisierten Fach an. Eine Niederlassung im hausärztlichen Bereich wurde von insgesamt 9,7% der Studierenden favorisiert, während 27,9% sich gebietsärztlich niederlassen wollten. Von den Befragten, die sich hausärztlich niederlassen wollten, planten nur 22,3% eine Niederlassung in einem ländlichen Gebiet in Deutschland, was einem Anteil von 2,2% derjenigen Befragten entspricht, die ein Karriereziel angegeben haben. 7% möchten ihre erste Weiterbildunsgstelle im Ausland antreten und 8% möchten nach der fachärztlichen Weiterbildung ausschließlich im Ausland tätig werden. In beiden Fällen spielt nur die Schweiz eine quantitativ bedeutsame Rolle.

Schlussfolgerungen:

In Anbetracht des fast 100%igen Satzes von Absolventinnen und Absolventen, die eine fachärztliche Weiterbildung anstreben, kann von einer Abkehr der jüngeren Generation von der klinischen Tätigkeit nicht gesprochen werden. Eine Präferenz für einer Tätigkeit im Ausland wird von weniger als 10% der Befragten angegeben. Als dramatisch ist die Diskrepanz zwischen Nachfrage nach Hausärzten und die anvisierte Berufswahl am Studienende anzusehen: 10% wollen sich vorrangig im hausärztlichen Bereich niederlassen, davon nur ein Fünftel in einer ländlichen Region. Maßnahmen zur Gewinnung von Hausärzten und Hausärztinnen bleiben vorranig auf der Tagesordnung, insbesondere im ländlichen Bereich.

Abstract

Aim:

This study investigated the career preferences of medical graduates in Germany with regard to discipline, place and position after the completion of postgraduate training. We also investigated differences in career options according to gender and region of study (former German Federal Republic vs. former German Democratic Republic).

Method:

The study is based on a standardised postal survey among all last year medical students in the medical faculties of Erlangen, Giessen, Hamburg, Heidelberg, Cologne, Leipzig and Magdeburg in 2009. 2 107 persons were contacted and 1 012 (48%) participated in the survey.

Results:

96% of participants stated their intention to pursue a postgraduate training in a medical discipline, and only 0.4% denied such an objective. 7% of the graduates preferred a career towards general practice, and a similar percentage preferred general internal medicine which usually also leads to a primary care activity. 84% aimed at becoming a medical specialist. In total, 28% intended to work in a specialist practice, and 10% in a general practice. Only one-fifth of the latter aimed at working in a countryside setting. 7% aimed at starting postgraduate training outside of Germany, and 8% preferred to work outside Germany after completion of the postgraduate training. In both cases, Switzerland was by far the most preferred country.

Conclusions:

The results contradict the thesis that young graduates are reluctant to enter clinical medicine. Working abroad is within the scope of less than 10% of the graduates. A dramatic difference between the demand for general practitioners and the career intentions of medical graduates is observed. Measures to increase the attractiveness of primary care, especially in the countryside, are urgently needed.

 
  • Literatur

  • 1 Kopetsch T. Gehen dem deutschen Gesundheitswesen die Ärzte aus? Kassenärztliche Bundesvereinigung. Köln 2002; www.kbv.de/publikationen/2650.html
  • 2 Kopetsch T. Dem deutschen Gesundheitssystem gehen die Ärzte aus!. Studie zur Altersstruktur- und Arztzahlentwicklung. Kassenärztliche Bundesvereinigung. 5. Aufl. Berlin: 2010 . www.kbv.de/publikationen/36943.html
  • 3 von Stackelberg JM. Pro & Contra: Ärztemangel in Deutschland? – Die Sicht des GKV-Spitzenverbandes. Die Krankenversicherung 2010; (04) 113
  • 4 Klose J, Uhlemann T, Gutschmidt S. Ärztemangel – Ärzteschwemme? Auswirkungen der Altersstruktur von Ärzten auf die vertragsärztliche Versorgung. Bonn 2003;
  • 5 Dettmer S, Kuhlmey A. Studienzufriedenheit und berufliche Zukunftsplanung von Medsizinstudierenden – ein Vergleich zweier Ausbildungskonzepte. In: Schwartz FW, Angerer P. Hrsg Arbeitsbedingungen und Befinden von Ärztinnen und Ärzten – Befunde und Interventionen. Report Versorgungsforschung Band 2. Deutscher Ärzte-Verlag Köln; 2010: 103-115
  • 6 Gensch K. Berufsentscheidungen junger Ärztinnen und Ärzte: Auswirkungen auf das ärztliche Versorgungsangebot. In: Schwartz FW, Angerer P. Hrsg Arbeitsbedingungen und Befinden von Ärztinnen und Ärzten – Befunde und Interventionen. Report Versorgungsforschung Band 2. Deutscher Ärzte-Verlag Köln; 2010: 127-136
  • 7 Janson K Die Sicht der Nachwuchsmediziner auf das Medizinstudium – Ergebnisse einer Absolventenbefragung der Abschlussjahrgänge 2007 und 2008. INCHER, Universität Kassel 2010 www.uni-kassel.de/wz1/absolventen/Studie_Janson.pdf
  • 8 Stiller J, Busse C. Berufliche Karriereentwicklung von Aerztinnen und Aerzten – Die ersten vier Berufsjahre. In: Braehler E, Alfermann D, Stiller J. Hrsg Karriereentwicklung und berufliche Belastung im Arztberuf. Goettingen: Vandenhoeck & Ruprecht; 2008: 40-161
  • 9 Abele A. Erwerbsverläufe von Frauen und Männern in der Medizin. In: Schwartz FW, Angerer P. Hrsg Arbeitsbedingungen und Befinden von Ärztinnen und Ärzten – Befunde und Interventionen. Report Versorgungsforschung Band 2. Deutscher Ärzte-Verlag Köln; 2010: 149-158
  • 10 Rabbata S. Kaum Nachwuchs in Sicht. Deutsches Ärzteblatt 2005; 102: A-2669
  • 11 Flintrop J. Wenn der Nachwuchs fremdgeht Deutsches Ärzteblatt 2009; 106: C-1434-C-1435
  • 12 van den Bussche H, Quantz S. Berufs(nicht)einstieg bei Ärzten und Ärztinnen: Wo liegt das Problem?. In: Brähler E, Alfermann D, Stiller J. Hrsg Karriereentwicklung und berufliche Belastung im Arztberuf. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; 2008: 117-127
  • 13 Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung Hrsg Gutachten zum „Ausstieg aus der kurativen ärztlichen Berufstätigeit in Deutschland“. Hamburg: November 2004. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/redaktion/pdf_publikationen/forschungsberichte/Gutachten_Ausstieg_kurative_Berufstaetigkeit_Aerzte.pdf)
  • 14 Hamburger Abendblatt 30.5.2011
  • 15 Pohlmann M, Bar S. Grenzenlose Karrieren? Hochqualifiziertes Personal und Top-Führungskräfte in Ökonomie und Medizin. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 2009; 34: 13-40
  • 16 Liebau E Ein Brain Drain ist nicht zu befürchten. Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 37/2010 www.diw.de/sixcms/detail.php?id=diw_01.c.361213.de
  • 17 Dettmer S, Kuhlmey A, Schulz S. Karriere- und Lebensplanung: Gehen oder bleiben?. Dtsch Arztebl 2010; 107: A30-A31
  • 18 Jacob R, Heinz A, Déieux JP. Berufsmonitoring Medizinstudenten. Bundesweite Befragung von Medizinstudenten, Frühjahr. 2010 www.kbv.de/37141.html
  • 19 http://www.dkgev.de/media/file/9068.Foliensatz_Krankenhausstatistik_20110216.pdf
  • 20 http://www.dki.de/index.php?TM=0&BM=2&LM=145
  • 21 van den Bussche H, von Leitner EC, Du Moulin M. The professional situation of young medical graduates at the onset of the 21st century: summary and conclusions. In: van den Bussche H. (guest editor) Career entry and career perspectives of young medical graduates in selected OECD countries. Cahiers de Sociologie et de Démografie Médicales; 2010. (numéro special): 220-231
  • 22 Klement A, Ledig T, Becker M et al. Landflucht, Überalterung, Hausarztmangel: Diskussionsbeitrag zur zukünftigen medizinischen Versorgung in ländlichen Räumen. Ärzteblatt Sachsen-Anhalt 2009; 20 (07) 35-38
  • 23 Moore G, Showstack J. Primary Care Medicine in Crisis: Toward Reconstruction and Renewal. Ann Intern Med 2003; 138: 244-247
  • 24 Bodenheimer T, Grumbach K, Berenson RA. A Lifeline for Primary Care. N Engl J Med 2009; 360: 2693-2697
  • 25 Marshall M. Practice, politics, and possibilities. Brit J Gen Pract 2009; 59: 605-612
  • 26 Niehus H, Berger B, Stamer M et al. Die Sicherung der hausärztlichen Versorgung in der Perspektive des ärztlichen Nachwuchses und niedergelassene Hausärztinnen und Hausärzte. Abschlussbericht eines Forschungsvorhabens. Vervielfältigtes Manuskript. Bremen 2008;
  • 27 GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 22. Dezember 2011. BGbe Teil 1,Nr. 70, 2983–3022