Neonatologie Scan 2012; 01(01): 12-13
DOI: 10.1055/s-0032-1310127
Diskussion
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Invasive Mykosen: Gezielte Fluconazol-Prophylaxe bei Frühgeborenen

Invasive Pilzinfektionen sind eine Gefahr für sehr kleine Frühgeborene, nahezu drei Viertel der erkrankten Kinder sterben daran oder leiden unter anhaltenden neurologischen Entwicklungsstörungen. Verschiedene Untersuchungen haben herausgefunden, dass die prophylaktische Gabe von Fluconazol die Häufigkeit invasiver Mykosen senken kann. Eine US-amerikanische Untersuchung hat versucht, die besten Kriterien für die Gabe von Fluconazol herauszufinden.
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Publication History

Publication Date:
23 August 2012 (online)

J Perinatol 2012; 32: 21 – 26

Die Häufigkeit invasiver Pilzinfektionen lässt sich mithilfe einer gezielt und nur intermittierend eingesetzten Prophylaxe mit Fluconazol bei ausgewählten Frühgeborenen wirksam senken, so das Resultat der Vergleichsstudie von Martin et al. Dazu bestimmten sie die Häufigkeit von invasiven Pilzinfektionen in einem Zeitraum mit gezielter Fluconazol-Prophylaxe (Juni 2006 bis Dezember 2007, 294 Kinder) und die Häufigkeit im Zeitraum vor Einführung des Prophylaxe-Protokolls (Januar 2005 bis Mai 2006, 230 Kinder).

Das Protokoll beinhaltete die prophylaktische Fluconazol-Gabe bei Frühgeborenen vor der 6. Lebenswoche mit einem Geburtsgewicht < 1500 g, die über mehr als 2 aufeinander folgende Tage Breitspektrumantibiotika erhielten und mindestens eine weitere der folgenden Risikofaktoren aufwiesen:

  • zentralvenöser Zugang

  • endotracheale Intubation

  • parenterale Ernährung

  • gesicherte nekrotisierende Enterokolitis (mindestens Stadium 2 nach Bell)

Die Dosierung von Fluconazol lag bei 3 mg/kg in Intervallen von 24 – 72 h; die Prophylaxe wurde mit Ende der Antibiotikatherapie gestoppt.

Die Kriterien erfüllten 119 Kinder im Fluconazol-Zeitraum (von denen 89 tatsächlich eine Prophylaxe erhielten) und 65 Kinder im Kontrollzeitraum. Die Häufigkeit von invasiven Candida-Infektionen lag im Protokollzeitraum bei 6,2 % gegenüber 15,3 % im Kontrollzeitraum (p = 0,001). Dabei waren im Zeitraum mit Fluconazol-Prophylaxe mehr Risikofaktoren zu verzeichnen als im Vergleichszeitraum: Eine länger dauernde parentale Ernährung, längere Verweildauer zentralvenöser Zugänge und häufigere nekrotisierende Enterokolitiden. Allerdings wurden in beiden Zeiträumen etwa 30 % der Kinder mit invasiver Candidose von den Risikofaktoren nicht erfasst. Wesentliche Komplikationen durch die Prophylaxe wurden nicht beobachtet.

Fazit Die sorgfältige Auswahl der von einer Fluconazol-Prophylaxe profitierenden Patienten kann bei sehr kleinen Frühgeborenen die Häufigkeit invasiver Candida-Infektionen deutlich senken, so die Autoren. Die Langzeitauswirkungen der Prophylaxe auf die neurologische Entwicklung sollten untersucht werden; außerdem ist die Suche nach noch individuelleren Risikofaktoren erforderlich, um die Kinder zu erfassen, die mit den genannten Faktoren nicht gefunden wurden, aber eine invasive Pilzinfektion entwickelten.

Dr. med. Elke Ruchalla, Trossingen

1. Kommentar

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PD Dr. Michael Zemlin

Klinik für Kinder- und Jugendmedizin

Universitätsklinikum Marburg

Baldingerstr. 1

35033 Marburg

Martin et al. greifen die langwährende Diskussion um die Prophylaxe von Pilzinfektionen bei Frühgeborenen auf, indem sie die Erfahrungen mit einer „minimalistischen“, „gezielten“ Fluconazol-Prophylaxe bei Hochrisiko-Frühgeborenen in ihrem Perinatalzentrum in Detroit, USA, berichten.

Am meisten überrascht der Satz: „Throughout the 3-year period of the study, there were no changes in infection-control practices in our NICU“ („Während der 3-jährigen Studie wurde in unserer Neugeborenen-Intensivstation die Praxis der Infektionskontrolle nicht verändert“). Wenn 15,3  % der Very Low Birth Weight (VLBW) eine invasive Candida-Infektion erleiden, dann scheint es mir angebracht, zuerst nach hygienischen Mängeln oder anderen vermeidbaren Ursachen zu suchen. Mit dieser Maßnahme hätte möglicherweise auch die Häufigkeit bakterieller und viraler Infektionen reduziert werden können – ein Nutzen, den die Fluconazol-Prophylaxe sicherlich nicht bietet.

Nach Einführung der Fluconazol-Prophylaxe erkrankten in der Studie noch 6,2 % der VLBW an einer invasiven Candida-Infektion, also doppelt so viele wie von der National Mycoses Study Group in den USA beobachtet wurden und 6-mal so viele wie in Großbritannien. Daher hinterfragen die Autoren, ob ihre Ergebnisse auch auf Zentren mit niedrigerer Rate an Pilzinfektionen übertragen werden können. Ich denke, diese Frage kann nur mit „Nein“ beantwortet werden – insbesondere, wenn man bedenkt, dass in der Studie 10 Kinder trotz Fluconazol-Prophylaxe eine invasive Candida-Infektion erlitten, und dass 5 Kinder erkrankten, obwohl sie nicht zur definierten Hochrisikogruppe gehörten. Dies könnte so interpretiert werden, dass das hier vorgeschlagene Dosierungsschema und die Definition der Risikogruppe noch nicht optimal sind.

Die vermeintlich relativ gute Kurzzeit-Verträglichkeit ist bereits in zahlreichen vorherigen Studien berichtet worden.

Selbstverständlich ist das hier gewählte Studiendesign (Vergleich mit einer historischen Kohorte) nicht geeignet, diese Frage abschließend zu beantworten. Die Autoren berichten, dass sie in ihrer Studienpopulation anhand der wöchentlichen Blutentnahmen keine unerwünschten Wirkungen der Fluconazol-Gabe beobachtet haben. Die vermeintlich relativ gute Kurzzeit-Verträglichkeit ist bereits in zahlreichen vorherigen Studien berichtet worden, jedoch verweisen Clerihew et al. (2009) in ihrer Cochrane-Analyse zu Recht auf die ungenügende Datenlage nicht nur zum Nutzen der Fluconazol-Prophylaxe, sondern auch zum (neurologischen) Langzeit-Outcome. Darüber hinaus ist kaum bekannt, ob durch die Fluconazol-Prophylaxe langfristig resistente Candida-Spezies wie C. glabrata oder C. krusei gehäuft auftreten könnten und ob das gastrointestinale Mikrobiom des Frühgeborenen durch Fluconazol-Gaben verändert wird.

Sicherlich werden die Autoren als Konsequenz aus ihrer Studie nach potentiell vermeidbaren Ursachen für die hohe Rate an Candida-Infektionen vor und nach Einführung der Fluconazol-Prophylaxe in ihrem Zentrum suchen. Meiner Meinung nach können aus dieser Publikation keine Rückschlüsse auf den potentiellen Nutzen oder Schaden einer Fluconazol-Prophylaxe für VLBW in Deutschland abgeleitet werden.

E-Mail: zemlin@med.uni-marburg.de


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2. Kommentar

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Prof. Christoph Bührer

Charité – Universitätsmedizin Berlin

Klinik für Neonatologie

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

Invasive Pilzinfektionen sind seltene, aber gravierende Komplikationen der Intensivtherapie sehr kleiner Frühgeborener. Die Wirksamkeit einer Prophylaxe mit Fluconazol ist durch mehrere prospektive randomisierte Studien belegt (Kaufman D et al., New Engl J Med 2001; Kicklighter SD et al., Pediatrics 2001; Manzoni P et al., New Engl J Med 2007). Die Rate an systemischen Pilzinfektionen im Plazebo-Arm dieser Studien war allerdings vergleichsweise hoch: 3–5-mal höher als in deutschen Kliniken, die an NEO-KISS (Surveillance System nosokomialer Infektionen für Frühgeborene auf Intensivstationen) teilnehmen.

Aus europäischer Perspektive ist vor allem die extrem hohe Rate invasiver Pilzinfektionen in der Detroit-Kohorte bemerkenswert.

Eine generelle Fluconazol-Prophylaxe etwa für alle Frühgeborenen unter 1500 g Geburtsgewicht würde vielerorts einer Überbehandlung gleichkommen. Da man die Risikofaktoren für eine invasive Pilzinfektion bei Frühgeborenen gut kennt (extreme Unreife, parenterale Ernährung, Einsatz von Breitspektrumantibiotika, krankheitsbedingte oder iatrogene Darmperforation), ist es sinnvoll, nur Subgruppen von Frühgeborenen zu behandeln, die von einer Fluconazol-Prophylaxe wirklich profitieren. Dieser Ansatz wurde in der Studie von Martin A et al. (J Perinatol 2012) aus Detroit und einer fast zeitgleich veröffentlichten Studie aus Israel (Rolnitsky A et al. Eur J Pediatr 2012) verfolgt. Im Vergleich zu den historischen Kontrollen kam es jeweils zu einer Abnahme invasiver Candida-Infektionen von 15 % auf 6 % (Detroit) bzw. von 6 % auf 1 % (Israel). Die Aussagekraft dieser Beobachtung ist beschränkt (Vorher-Nachher-Vergleich), inhaltlich deckt sie sich mit zwei früheren ähnlich aufgebauten Studien aus den USA (Uko S et al. Pediatrics 2006; Weitkamp JH et al. J Perinatol 2008). Aus europäischer Perspektive ist vor allem die extrem hohe Rate invasiver Pilzinfektionen in der Detroit-Kohorte bemerkenswert, während die Daten aus Israel eher mit Zahlen aus Mitteleuropa vergleichbar sind. Die hohen Raten in den USA dürften mit dem dort üblichen zögerlichen Nahrungsaufbau, der in der Folge langen parenteralen Ernährung, der geringen Rate an Muttermilchernährung und dem nicht-restriktiven Einsatz von Breitspektrumantibiotika zusammenhängen, ohne dass sich dies durch die veröffentlichten Zahlen im Einzelnen belegen ließe.

Ein weiterer Grund, warum invasive Pilzinfektionen bei uns viel seltener sind, ist der weitverbreitete Einsatz von oral appliziertem Nystatin. Die Wirksamkeit dieser seit Jahrzehnten üblichen Maßnahme ist mittlerweile ebenfalls durch eine Reihe randomisierter Studien gut belegt (Sims ME et al. Am J Perinatol 1988; Öztürk MA et al. Mycoses 2006; Ganesan K et al. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2009; Howell A et al. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2009; Aydemir C et al. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2011), die Effektivität entspricht in etwa der einer Fluconazol-Prophylaxe. Auch Probiotika (lyophilisierte Lactobazillen) reduzieren die Pilzbesiedlung des Darmes von Frühgeborenen (Manzoni P et al. Clin Infect Dis 2006) – weder in der Detroiter noch in der israelischen Kohorte kamen Probiotika zum Einsatz, die Raten an nekrotisierender Enterokolitis waren in beiden Kohorten sehr hoch (14 – 25 %) und nicht von der Fluconazol-Prophylaxe beeinflusst.

Der Grundgedanke der Studie – Eingrenzung der Prophylaxe auf diejenigen Patienten, die wirklich Gefahr laufen, an einer Pilzsepsis zu erkranken – ist zur Nachahmung im eigenen Hause empfohlen.

E-Mail: christoph.buehrer@charite.de


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