Neonatologie Scan 2012; 01(02): 88-89
DOI: 10.1055/s-0032-1309531
Diskussion
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Perinataler arterieller ischämischer Schlaganfall (PAIS): Ipsilateraler Karotis-Blutfluss nach unilateralem PAIS in Akutphase erhöht

Das Wissen um die Blutflussveränderungen der Karotis-Arterien nach PAIS ist bisher noch lückenhaft. Die niederländische Arbeitsgruppe von Niek E. van der Aa aus Utrecht analysierte aus dem Zeitraum von 2006 – 2010 den Blutfluss der ipsi- und kontralateralen internen Karotis-Arterien bei Neugeborenen mit nachgewiesenem PAIS unter Berücksichtigung der variierenden Circulus Willisii-Konfiguration, die beim Erwachsenen-Typus einen Einfluss auf den Karotis-Blutfluss haben kann.
Further Information

Publication History

Publication Date:
01 December 2012 (online)

Pediatric Research 2012; 72: 50 – 56

Die Diagnostik des PAIS hat sich seit der Einführung der Magnetresonanztomografie (MRT) vereinfacht. Mit Einführung der zweidimensionalen Phasenkontrast-Magnetresonanzangiografie (2D PC-MRA), ist es seit kurzem möglich, den „Karotis-Blutfluss auch bei Neugeborenen nichtinvasiv zu bestimmen.

Eingeschlossen wurden 17 termingerechte Neugeborene mit MR-tomografisch nachgewiesenem PAIS, bei denen in der Akutphase bis zu 10 Tage und 3 Monate nach Geburt eine 2D PC-MRA durchgeführt wurde. Die sich aus beiden Messungen ergebenden Asymmetrien der beidseitigen Karotis-Blutflüsse konnten somit gegenübergestellt werden.

Die Circulus Willisii-Konfiguration wurde mit der dreidimensionalen time-of-flight MR-Angiografie überprüft.

Auf den frühen MRT-Aufnahmen konnte unabhängig von der Circulus Willisii-Konfiguration eine signifikante Erhöhung des ipsilateralen Karotis-Blutflusses beobachtet werden (7,7 %, 95 % Konfidenzintervall 3,0 – 14,9 %). Nach 3 Monaten war diese Asymmetrie nicht mehr nachweisbar. Ein Zusammenhang zwischen der Blutflussasymmetrie und Größe des Schlaganfalls oder dem postnatalen Alter zum Scan-Zeitpunkt konnte nicht gefunden werden.

Fazit Nach Ergebnissen der Studie kommt es in der Akutphase des PAIS innerhalb der ersten 10 Tage postnatal zu einem erhöhten Blutfluss in der ipsilateralen Arteria carotis interna, der nach 3 Monaten nicht mehr nachweisbar ist. Weitere Studien zur Hyperperfusion nach PAIS könnten zur Entwicklung neuroprotektiver Strategien beitragen.

Maria Weiß, Berlin

1. Kommentar

Zoom Image

Prof. Dr. Karl-Heinz Deeg

Sozialstiftung Bamberg

Klinik für Kinder und Jugendliche

Buger Str. 80

96049 Bamberg

25 % aller Schlaganfälle im Kindesalter treten in der Neonatalperiode auf. Klinisch fallen die Kinder meist mit zerebralen Krampfanfällen auf. Bis zu 50 % der Krampfanfälle bei reifgeborenen Neugeborenen sind durch ischämische oder hämorrhagische Schlaganfälle bedingt (N Engl J Med 2001; 417 – 423). Insofern sollte bei jedem neonatalen Krampfanfall ein Schlaganfall ausgeschlossen werden. Perinatale ischämische Schlaganfälle (PAIS) betreffen v. a. die A. cerebri media, selten auch die A. cerebri posterior.

Die Untersuchungen von Van der Aa zeigten unabhängig vom Typ des Circulus „arteriosus Willisii bei der initialen MRT-Untersuchung, die innerhalb der ersten 10 Lebenstage durchgeführt wurde, einen Anstieg der Blutströmung in der ipsilateralen A. carotis interna im Vergleich zur nicht betroffenen Seite. Kritisch angemerkt werden muss, dass die initiale Untersuchung zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen dem 1. und 10. Lebenstag durchgeführt wurde, was den Vergleich der Daten erschwert. Weiterhin wurden unterschiedlich ausgeprägte „Media- und Posteriorinfarkte miteinander verglichen. Unklar bleibt, ob initial auch eine Hyperperfusion oder, was wahrscheinlicher ist, eine Hypoperfusion vorlag. Leider liegen keine Verlaufsuntersuchungen vor, sodass nicht klar ist, ab wann und wie lange die Luxusperfusion bestand. Wegen fehlender Normwerte von gesunden Kindern wurden keine absoluten Flusswerte miteinander verglichen. Die Autoren verglichen nur den Fluss in der linken und rechten A. carotis interna.

Kritisch angemerkt werden muss, dass die initiale Untersuchung zu unterschied„lichen Zeitpunkten zwischen dem 1. und 10. Lebenstag durchgeführt wurde.

Es ist unklar, ob die postischämische Luxusperfusion im Sinne einer reaktiven Hyperämie einen protektiven Effekt (durch Reduzierung des Ausmaßes des Infarktes und des neuronalen Schadens) oder einen schädigenden Effekt (durch Verstärkung des Ödems, durch sekundäre Blutungen oder Influx von Cytokinen, freien Radikalen und Entzündungszellen) hat. Unklar bleibt außerdem, ab wann und wie lange die gesteigerte Durchblutung nachweisbar ist. Zur Beantwortung dieser Frage ist eine bettseitige Methode wie die Dopplersonografie besser geeignet als die MRT. Sie ermöglicht engmaschigere Kontrollen (z. B. in 8-stündigen Intervallen in der initialen Phase) über mehrere Wochen bis zur Normalisierung der Blutströmung. Durch die Bestimmung der maximalen und mittleren Flussgeschwindigkeiten in der A. carotis interna und posterior im Seitenvergleich kann die Blutströmung wie mit der MR-Angiografie quantifiziert werden. Insbesondere erlaubt die Dopplersonografie einen Vergleich der Blutströmung in den Arterien der linken und rechten Seite. Folgende Fragen bleiben offen: 1. Ab wann und wie lange hält die postiktale Hyperämie an? 2. Ab wann normalisiert sich die postik„tale Hyperämie? 3. Wann tritt eine potenzielle Rekanalisierung ein?

Da das Ausmaß der Schädigung mit dem MRT besser als mit der Sonografie erfasst werden kann, sollten MRT-Untersuchungen zu einem fixen Zeitpunkt, z. B. nach 1 Woche, erfolgen. Zusätzlich sollten engmaschige dopplersonografische Untersuchungen in allen intrakraniellen Arterien erfolgen (initial 2 – 3-mal pro Tag). Ziel muss es sein, zu klären ab wann und wie lange der erhöhte Blutfluss nachweisbar ist und ob der erhöhte Blutfluss protektiv oder schädigend ist, bevor therapeutische Interventionen empfohlen werden.

E-Mail: serban-dan.costa@med.ovgu.de


#

2. Kommentar

Zoom Image

Univ.-Prof. Dr. Ursula Felderhoff-Müser

Klinik für Kinderheilkunde I

Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin

Universitätsklinikum Essen

Hufelandstr. 55

45147 Essen

Der neonatale arterielle ischämische Schlaganfall ist definiert als ein zerebrovaskuläres Ereignis, was zwischen der Geburt und dem 28. Lebenstag durch Darstellung einer fokalen Infarzierung diagnostiziert wird. Die Inzidenz ist im Kindesalter in der Neonatalperiode am höchsten und wird mit 1/4000 Lebendgeburten angegeben, der zunehmend frühere Einsatz der Kernspintomografie lässt jedoch noch höhere Raten vermuten. Zunehmend besteht Konsens darüber, dass Neonaten, die sich mit zerebralen Krampfanfällen manifestieren, eine frühe kernspintomografische Untersuchung erhalten sollten. Die Ätiologie bleibt in vielen Fällen ungeklärt. Risikofaktoren sind prothrombotische Erkrankungen, Herzfehler und Risikofaktoren wie asphyktische Ereignisse, vorzeitiger Blasensprung und Chorioamnionitis. Studien zur Langzeitentwicklung haben gezeigt, dass die Mortalität niedrig und die Langzeitentwicklung besser ist als bei Erwachsenen nach Schlaganfall. Dieser Effekt wird der Plastizität des unreifen Gehirns zugeordnet. Beeinträchtigungen umfassen eine Hemiparese, Sprachentwicklungsverzögerungen, Verhaltensstörungen, kognitive Beeinträchtigungen und Epilepsien. Für Neonaten gibt es bisher keine Therapiemöglichkeiten, die Hypothermie wird für das sicher diagnostizierte akute Ereignis diskutiert. Daher ist ein besseres Verständnis der Pathophysiologie inklusive der damit einhergehenden Perfusionsveränderungen dringend notwendig.

In der Juliausgabe von Pediatric Research beschreiben van der Aa und Kollegen eine sehr interessante non-invasive Studie zur Erweiterung der Diagnostik des neonatalen Schlaganfalls mittels zwei„dimensionaler Phasenkontrast-Magnet„resonanzangiografie (2D PC-MRA) der A. carotis interna. 36 Reifgeborene mit durch konventionelle MRT gesichertem neonatalen Insult wurden in die Studie eingeschlossen. Herzfehler wurden im Vorfeld ausgeschlossen. In den ersten 10 Tagen zeigte sich bei allen Kindern mit neonatalem Schlaganfall eine signifikant erhöhte Perfusion auf der ipsilateralen Seite. Drei Monate nach dem Insult war diese bei „allen Patienten nicht mehr nachweisbar. Gefäßanomalien wurden durch diese Technik ausgeschlossen, darüber „hinaus zeigte sich eine Unabhängigkeit vom Typ des Circulus Arteriosus Willisii.

Darüber hinaus ist die Korrelation der Ergebnisse mit Daten zur Langzeitentwicklung der Kinder notwendig.

Untersuchungen haben gezeigt, dass eine frühe Hyperperfusion Reparaturmechanismen triggern kann und damit der Schadensbegrenzung dient. Jedoch werden ebenso durch die Hyperämie Schadenskaskaden wie Influx pro-inflammatorischer Faktoren, Ödembildung und Induktion von sekundären Blutungen in Gang gesetzt. Bis sich diese Informationen auch therapeutisch oder prädiktiv nutzen lassen, sind sicher ausführliche grundlagenwissenschaftliche Untersuchungen notwendig. Weitere engmaschige und longitudinale Messungen in der akuten Phase des neonatalen Schlaganfalls mittels 2D PC-MRA in Verbindung mit konventionellen MRT-Techniken an einer größeren Gruppe von Kindern würden sicher weitere Erkenntnisse zum zeitlichen Ablauf der Erkrankung liefern und therapeutische Überlegungen wie beispielsweise den Einsatz von Hypothermie begleiten können. Darüber hinaus ist die Korrelation der Ergebnisse mit Daten zur Langzeitentwicklung der Kinder notwendig.

Literatur bei der Verfasserin

E-Mail: ursula.felderhoff@uk-essen.de


#