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DOI: 10.1055/s-0031-1273434
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Sonografie bei venöser Thromboembolie
Ultrasonography for Venous ThromboembolismPublication History
Publication Date:
10 June 2011 (online)
Nur wenige Bereiche der Medizin haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine mit der Diagnostik und Therapie der Venenthrombose (TVT) vergleichbare Entwicklung durchgemacht. Die Sonografie hat die belastende Phlebografie abgelöst und damit die einfache und zuverlässige Diagnostik ermöglicht. Entsprechend wird die Antikoagulation früher und gezielter eingesetzt, was die Komplikationsrate der venösen Thromboembolie (VTE) vermindert. Diese technischen Entwicklungen waren begleitet von der Einführung der subkutan verabreichbaren niedermolekularen Heparine, welche die Infusionstherapie ablösten. Statt drei Wochen mit einer TVT im Spital zu liegen, werden nun die Patienten ambulant behandelt.
Trotz dieser Fortschritte hat sich die Inzidenz der venösen Thromboembolie nicht vermindert. In Europa müssen wir mit jährlich 750 000 symptomatischen TVT und nahezu einer halben Million Lungenembolien rechnen, hinzu kommen blande verlaufende und nicht diagnostizierte Fälle in unbekannter Größe [1]. Wird die TVT nicht diagnostiziert und somit auch nicht behandelt, kommt es in 10 – 30 % zu fatalen Lungenembolien und in einem großen Prozentsatz zum schweren postthrombotischen Syndrom mit Folgekosten und verminderter Lebensqualität [1] [2].
Weniger Sonografien dank klinischer Vorselektion
Sensitivität und Spezifität von Anamnese und klinischer Untersuchung sind zur TVT Diagnose ungenügend, sind aber hilfreich zur Bestimmung der Vortestwahrscheinlichkeit (PTP), welche durch Scores erfasst wird [3]. Am weitesten verbreitet ist der von verschiedenen Arbeitsgruppen prospektiv validierte Wells-Score. Für die ambulante Medizin wurde die ebenfalls validierte Primary Care Rule erarbeitet. Bei tiefer PTP ist eine D-Dimer-Untersuchung angezeigt. Negative D-Dimere und tiefe PTP (50 – 65 % der Patienten) schließen zuverlässig eine TVT aus und nur in 0,5 – 0,7 % kommt es in den folgenden 3 Monaten zu einer TVT. In 30 – 50 % der Patienten mit Verdacht auf TVT kann somit auf die Sonografie verzichtet werden [3]. Dies entspricht einer beachtlichen Einsparung, da nur bei 20 % (Bereich 15 – 35 %) der unselektionierten Patienten mit Verdacht auf TVT diese bestätigt wird. Sind demgegenüber die D-Dimere positiv oder besteht ein hoher klinischer Verdacht, ist die Sonografie unerlässlich. Bei hoher klinischer PTP ist eine D-Dimer-Untersuchung nicht angezeigt.
Schnelle Kompressionssonografie v. s. vollständige Kompressionssonografie
Zwei Ultraschalltechniken haben sich nebeneinander entwickelt: Die einfache 2-Punkt-Kompressionssonografie (CUS) sowie die vollständige Kompressionssonografie (CCUS) der gesamten Venenachse, einschließlich Unterschenkel.
Die CUS beschränkt sich auf die Venenkompression in der Leiste und in der Kniekehle. Bei positivem Befund – nicht mit dem Schallkopf komprimierbare Vene – wird die Antikoagulation eingeleitet, bei negativem Befund eine Thrombose ausgeschlossen oder bei hohem klinischen Verdacht eine erneute Untersuchung in 3 – 7 Tagen durchgeführt. Wiederholte Untersuchungen sind in bis zu 80 % der Patienten notwendig [4]. Die Unterschenkelvenen werden dabei nicht berücksichtig und nur bei rascher Progredienz in die V. poplitea bei den Wiederholuntersuchungen erfasst. Schnell und einfach durchführbar kann CUS auch nach kurzer Einlernphase im Notfallsetting eingesetzt werden. Nach Ausschluss einer TVT kommt es in den folgenden 3 Monaten nur in 1 – 2 % zu einer symptomatischen TVT [4]. Da in der 3-monatigen Nachbeobachtungszeit nur die symptomatischen und nicht sämtliche Patienten nachuntersucht wurden, bleibt die Zahl der nicht diagnostizierten TVT’s offen. Interessant ist der historische Vergleich mit der Phlebografie, für welche 3 Monate nach Ausschluss einer TVT in 1,9 % eine symptomatische VTE nachgewiesen wurde.
Bei der CCUS wird die gesamte Venenachse femoropopliteal sowie am Unterschenkel in kleinen Schritten abgesucht. Neben dem Hauptkriterium der Kompressibilität werden auch zusätzliche Informationen berücksichtigt. Die moderne Technik ermöglicht meistens den direkten Thrombennachweis im B-Bild [5]. Weitere Zeichen sind die Aufweitung der Vene und die Kollateralen. An unserer Institution wird routinemäßig das Dopplersignal inguinal beidseits abgeleitet (evtl. zusätzlich auch popliteal), um die diagnostische Treffsicherheit in der Beckenachse zu verbessern. Bei 5 – 10 % der Patienten besteht eine bilaterale TVT. Die Notwendigkeit einer Wiederholuntersuchung ist eine große Seltenheit.
Auch für die CCUS musste bei Ausschluss einer TVT die Sicherheit und Zuverlässigkeit dieser Diagnose im Langzeitverlauf bestätigt werden. Das Risiko einer TVT nach negativer CCUS wurde von Schellong et. al. mit 0,29 %, von Elias et. al. mit 0,50 % angegeben [5] [6]. Weitere Arbeiten folgten, wobei zum Teil größere Streubreiten auffallen. Neben technischen Eigenheiten ist die Differenz zwischen ambulanten und stationären Kollektiven auffallend. Bei hospitalisierten Patienten ist nicht nur die Prävalenz höher, sondern auch die Komplexität des gesamten Krankheitsbildes und damit das Vertrauensintervall der Aussage größer. Eine Metaanalyse von 7 Studien mit 4731 Patienten gibt nach negativer CCUS eine Inzidenzrate von 0,57 % (C. I.: 0,25 – 0,89 %) an [7].
Ansatzweise wurde in Studien der direkte Vergleich zwischen CUS und CCUS geprüft, methodische Mängel im Studienplan erschweren jedoch die Interpretation. In der Studie von Gibson et. al. wurden zwar nicht alle 1002 Patienten mit beiden Methoden doppelblind untersucht, der Unterschied nachgewiesener Thrombosen mit CUS bei 23 und mit CCUS bei 38 Patienten ist auffallend [4]. Nach negativer Untersuchung traten im Verlauf von 3 Monaten nach CUS bei 4 und nach CCUS bei 2 Patienten thromboembolische Ereignisse auf. Die hohe Zahl der verpassten Diagnosen mit CUS (65 %) und die demgegenüber nur geringe Inzidenz von Komplikationen im Verlauf wirft neue Fragen auf. Die Natur scheint uns diagnostische Mängel großzügig zu verzeihen, wir wissen aber nicht, bei welchen Patienten das Schicksal zuschlagen wird, und wie sich der Langzeitverlauf (postthrombotisches Syndrom) entwickelt. In der CALTHRO Studie fand man eine signifikant höhere Rate thrombotischer Ereignisse bei Patienten mit, im Vergleich zu ohne isolierte Unterschenkelvenenthrombose [8].
Verlauf nach TVT
Die TVT ist begleitet von einer Entzündungsreaktion der Venenwand mit erhöhten Interleukinen (IL-6) und Adhäsionsmolekülen (ICAM-1). Zusammen mit einer adäquaten Kompressionstherapie führt dies zur (partiellen) Rekanalisation aber auch zur Klappendestruktion [2]. Die Klappeninsuffizienz (Reflux) trägt wahrscheinlich, ebenso wie die persistierende Okklusion, zum Bild des postthrombotischen Syndroms bei. Sonografische Verlaufsuntersuchungen zeigen in rund einem Drittel der Patienten eine vollständige Rekanalisation. Dies ist bedeutsam, da wahrscheinlich als Konsequenz auf die Weiterführung der Antikoagulation und bei kompetenten Klappen auch auf die Kompressionstherapie verzichtet werden kann [2]. Siragusa hat bei 78 vollständig rekanalisierten Venen und darauf sistierter Antikoagulation einzig bei einem Patienten (1,3 %) ein Rezidiv beschrieben [9]. Bei inkompletter Rekanalisation besteht offensichtlich ein prothrombotischer Zustand und in seinem randomisierten Kollektiv erfuhren 19,3 % unter Antikoagulation und 27,2 % ohne Antikoagulation eine Rezidivthrombose. Befunde der 3-Monatskontrolle können im späteren Verlauf auch bei erneuter Symptomatik die Rezidivdiagnostik erleichtern.
Im Verlauf nach Thrombose zeigen das B-Bild und auch das Flussspektrum vom Normalbefund bis zur schwersten Pathologie alle Übergänge. Typisch sind im B-Bild der kleinere Durchmesser, die verdickte und weniger komprimierbare Venenwand, verdickte und starre Venenklappen sowie echodichte Septierungen intraluminal [10].
Zusatzinformationen
Bei Verdacht auf TVT bietet die Sonografie wichtige Alternativdiagnosen wie Bakerzyste, Hämatom oder Kompression durch Tumor. Bei der oberflächlichen Thrombophlebitis sollte regelmäßig eine Sonografie durchgeführt werden: Bei einem Viertel der Patienten besteht eine Propagation ins tiefe System, bei 4 % eine symptomatische und bei 33 % eine asymptomatische Lungenembolie mit der Notwendigkeit zur Antikoagulation [11]. Die sonografisch belegbare Ausdehnung der Phlebothrombose reicht weiter nach proximal als klinisch vermutet. Ohne Propagation ins tiefe System wird eine prophylaktische Behandlung für 45 Tage empfohlen [12].
Klagt der Patient während der TVT-Diagnostik über thorakale Schmerzen, bietet sich die Lungensonografie an [13] [14].
Konklusion
Die Bestimmung der klinischen Vortestwahrscheinlichkeit ist bedeutsam und erlaubt im Kontext mit dem korrekt eingesetzten negativen D-Dimer-Test den zuverlässigen Ausschluss einer Thrombose. Es können bis zu 50 % der Ultraschalluntersuchungen eingespart werden. Bei tiefer PTP und positiven D-Dimeren sowie bei allen Patienten mit hoher PTP ist demgegenüber die sonografische Untersuchung unerlässlich. Die diagnostische Treffsicherheit und die Ereignisrate bei falsch negativer Sonografie zeigen einen Vorteil der CCUS gegenüber der CUS. Der vermehrte Aufwand ist damit gerechtfertigt.
Referenzen
- 1 Cohen A T, Agnelli G, Anderson F A et al. Venous thromboembolism (VTE) in Europe. The number of VTE events and associated morbidity and mortality. Thromb Haemost. 2007; 98 756-764
- 2 Ten Cate-Hoek A J, Ten Cate H, Tordoir J et al. Individually tailored duration of elastic compression therapy in relation to incidence of the postthrombotic syndrome. J Vasc Surg. 2010; 52 132-138
- 3 Velde E F, Toll D B, Ten Cate-Hoek A J et al. Comparing the diagnostic performance of 2 clinical decision rules to rule out deep vein thrombosis in primary care patients. Ann Fam Med. 2011; 9 31-36
- 4 Gibson N S, Schellong S M, Kheir D Y et al. Safety and sensitivity of two ultrasound strategies in patients with clinically suspected deep venous thrombosis: a prospective management study. J Thromb Haemost. 2009; 7 2035-2041
- 5 Elias van der A, Mallard L, Elias M et al. A single complete ultrasound investigation of the venous network for the diagnostic management of patients with a clinically suspected first episode of deep venous thrombosis of the lower limbs. Thromb Haemost. 2003; 89 221-227
- 6 Schellong S M, Schwarz T, Halbritter K et al. Complete compression ultrasonography of the leg veins as a single test for the diagnosis of deep vein thrombosis. Thromb Haemost. 2003; 89 228-234
- 7 Johnson S A, Stevens S M, Woller S C et al. Risk of deep vein thrombosis following a single negative whole-leg compression ultrasound: a systematic review and meta-analysis. JAMA. 2010; 303 438-445
- 8 Palareti G, Cosmi B, Lessiani G et al. Evolution of untreated calf deep-vein thrombosis in high risk symptomatic outpatients: the blind, prospective CALTHRO study. Thromb Haemost. 2010; 104 1063-1070
- 9 Siragusa S, Malato A, Anastasio R et al. Residual vein thrombosis to establish duration of anticoagulation after a first episode of deep vein thrombosis: the Duration of Anticoagulation based on Compression UltraSonography (DACUS) study. Blood. 2008; 112 511-515
- 10 Crişan S, Vesa S, Pestrea C et al. Chronic thrombotic scarring in patients with acute deep venous thrombosis of the lower limbs. Ultraschall in Med. 2009; 30 S38
- 11 Uthoff H, Schwob A, Staub D et al. Thrombophlebitis – what else?. Ultraschall in Med. 2010; 31 335-338
- 12 Decousus H, Prandoni P, Mismetti P et al. Fondaparinux for the treatment of superficial-vein thrombosis in the legs. N Engl J Med. 2010; 363 1222-1232
- 13 Mathis G. Two silver standards in the imaging of pulmonary embolism. Ultraschall in Med. 2009; 30 497-498
- 14 Niemann T, Egelhof T, Bongartz G. Transthoracic sonography for the detection of pulmonary embolism – a meta-analysis. Ultraschall in Med. 2009; 30 150-156
K. A. Jaeger
University Hospital, Basel, Switzerland
Email: jaegerk@uhbs.ch