Zeitschrift für Komplementärmedizin 2011; 3(2): 1
DOI: 10.1055/s-0030-1270986
zkm | Editorial

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864 858 Herzkatheteruntersuchungen …

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Publication Date:
04 May 2011 (online)

… und 310 166 perkutane Koronarinterventionen (Ballon, Stent) wurden 2009 in Deutschland durchgeführt. So weist dies der jährliche „Bruckenberg-Bericht“ aus und schreibt damit eine seit vielen Jahren zu beobachtende Steigerungskurve fort. Entsprechend belegt Deutschland auch bei der Anzahl der Linksherzkatheterlabors einen internationalen Spitzenplatz. In München etwa gibt es 35 Linksherzkatheterplätze. Dies entspricht der Zahl von Linksherzkatheterplätzen in Schweden (10 Millionen Einwohner). Aber nicht nur in München, auch im Ruhrgebiet oder in Hamburg wird unter Ärzten manchmal salopp gescherzt, dass man das Wort Brustschmerz lieber nicht zu schnell in den Mund nehmen sollte, weil man sonst unmittelbar auf einem kardiologischen Kathetertisch landet. Fakt ist: Trotz der offensichtlichen Überversorgung gibt es in Deutschland nicht weniger kardiale Todesfälle als in Ländern wie Schweden, der Schweiz oder Österreich, in denen deutlich weniger Herzkatheteruntersuchungen und Interventionen durchgeführt werden. Denn vielfach werden Koronarstenosen dilatiert, ohne dass eine zwingende klinische Befundkonstellation vorliegt. Bereits vor 15 Jahren sprach der renommierte US-Kardiologe Eric J. Topol in diesem Zusammenhang vom „okulo-stenotischen Reflex“ und „ritualisierter“ PTCA. Denn die meisten Infarkte entstehen nicht an den hochgradigen Koronarstenosen, sondern an frischen Koronarläsionen, die das Lumen nur geringfügig einengen (also im Katheterbefund kaum auffallen), aber durch Endothelverletzung, Inflammation und Thrombosierung zum Infarkt führen.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Bei richtiger Indikation wie z. B. beim akuten Koronarsyndrom oder schwerer Angina pectoris ist der Kathetereingriff ein Segen. So wertvoll die Herzkatheteruntersuchung hier für viele Patienten ist – für den, der sie nicht braucht, verkehrt sie sich aber in einen teuren Risikofaktor. Letztlich ist die interventionelle Therapie einer Koronarstenose beim nicht akuten Beschwerdebild ein palliativer Eingriff ohne jede prognostische Bedeutung. Nur wenige Kardiologen scheinen dies aber den Patienten mit chronischen Koronarsyndromen auch so ehrlich zu vermitteln. Die meisten Patienten sind überrascht, wenn man ihnen diesen Zusammenhang erläutert. Allerdings sind es auch die Patienten selbst, vor allem die männlichen, die von einer technischen Lösung ihrer Angst auslösenden Herzerkrankung fasziniert und attrahiert sind. Warum die Lebensgewohnheiten, die Ernährung ändern, Rauchen aufhören und Stress reduzieren, wenn alles vermeintlich durch eine Ballondilatation lösbar ist? Dementsprechend verwundert nicht, dass in den Umfragen zur Nachfrage nach Naturheilverfahren und Komplementärmedizin die Herz-Kreislauf-Erkrankungen eher selten genannt werden. Hier sind es v. a. die chronischen Schmerzerkrankungen, Arthrosen und rheumatischen Erkrankungen, Allergien und Infekte sowie die adjuvante Therapiesituation onkologischer Erkrankungen, die dominieren. Dabei wäre es medizinisch mehr als angebracht, dass Naturheilkunde bei Herzerkrankungen zum Einsatz kommt. Bereits 1990 konnte Dean Ornish in einer randomisierten Studie belegen, dass eine Therapie und Lebensstilmodifikation mit Yoga, Meditation, vegetarischer Ernährung und Walking zur Rückbildung von Koronarstenosen führt. Blutdrucksenkung durch Qigong, Fasten oder Aderlass; Kneipptherapie und Akupunktur bei Herzinsuffizienz; Heliotherapie oder Granatapfel bei KHK – für eine zunehmende Anzahl von Naturheilverfahren kann die Wirksamkeit inzwischen durch Daten aus wissenschaftlichen Studien gut belegt werden. Im vorliegenden Heft stellen wir Ihnen weitere vielversprechende Therapieoptionen der Komplementärmedizin bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor.

Für die Kardiologie wird es damit höchste Zeit, das Konzept der Integrativen Medizin aufzunehmen: Technik und Natur bitte!

Andreas Michalsen

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