Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2011; 43(1): 30-32
DOI: 10.1055/s-0030-1257602
Interview
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

„Die Auswahl der richtigen Klinik ist entscheidend”

Ovarialkarzinom
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Publication Date:
06 April 2011 (online)

Unsere Gesprächspartnerin: Frau Prof. Dr. med. Barbara Schmalfeldt

Studium der Humanmedizin in Regensburg und München sowie Facharztausbildung in Gynäkologie und Geburtshilfe an der Frauenklinik der TU München; Habilitation im Jahr 2000 über „Invasions- und Proliferationsfaktoren bei der malignen Progression von Ovarialtumoren”; leitende Oberärztin gynäkologische Onkologie an der Frauenklinik der TU München; Schwerpunktgebiete: Klinik und Therapie des Ovarialkarzinoms.

DZO: Studienergebnisse vor 5 Jahren zeigten, dass Patientinnen mit Ovarialkarzinom nicht immer die optimale Therapie erhielten. Hat sich seitdem bezüglich den Qualitätsunterschieden an deutschen Kliniken Positives bewegt? Worauf sollten einweisende Ärzte achten, welche Qualitätskriterien sollten erfüllt sein? Wo gibt es noch Verbesserungsbedarf?

Prof. Schmalfeldt:

Die Daten der Qualitätssicherungserhebung der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) zeigen, dass sich die operative Qualität in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Die Rate an erzielter Tumorfreiheit bei fortgeschrittenen Ovarialkarzinomen hat deutlich zugenommen. Ebenso erhalten nahezu alle Patientinnen eine Kombinationschemotherapie mit Carboplatin und Taxol beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom.

Bei der Auswahl der richtigen Klinik ist entscheidend, dass die Klinik die Voraussetzungen erfüllt, um diese ausgedehnten Operationen beim Ovarialkarzinom durchführen zu können. Das bedeutet, es muss die Möglichkeit der Darmresektion und der Oberbauchchirurgie bestehen, es muss ein Blutdepot vorhanden sein und auch die Möglichkeit der postoperativen Intensivüberwachung. Zudem muss die Voraussetzung gegeben sein, dass jederzeit auch bei unerwartet ausgedehntem Befund die notwendigen operativen Maßnahmen durchgeführt werden können. Diese Voraussetzungen bieten Kliniken, die als Gynäkologisches Krebszentrum von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert wurden. Die entsprechenden Zentren sind über die Homepage der Deutschen Krebsgesellschaft zu erfahren. Weiterhin haben Daten gezeigt, dass das Überleben in Kliniken, die Studien durchführen, für die Patientinnen günstiger ist. Diese Studien sind auf der Homepage der AGO-Studiengruppe (ago-ovar.de) zu erfahren. Selbstverständlich spielt auch die Erfahrung des Operateurs eine entscheidende Rolle, ebenso die Zahl der Operationen. In Kliniken, in denen weniger als eine Ovarialkarzinompatientin pro Monat operiert wird, ist die Erfahrung sicherlich geringer.

DZO: Häufig wird ein Ovarialkarzinom erst in fortgeschrittenen Stadien erkannt. Gibt es neuere Untersuchungsmethoden oder klinische Hinweise, die auf ein Ovarialkarzinom hinweisen? Gibt es erste Ansätze für Screeningverfahren?

Prof. Schmalfeldt:

Wir wissen heute, dass 10–15 % der Ovarialkarzinome durch angeborene genetische Veränderungen bedingt sind. Hinweis hierfür ist eine positive Familienanamnese, d. h. enge Verwandte mit Brust- und Eierstockkrebs, vor allem wenn diese Erkrankungen bei den Verwandten vor dem Wechsel aufgetreten sind. In diesen Fällen ist eine genetische Beratung mit ggf. Blutuntersuchung auf eine Genmutation bei entsprechenden Risikopatientinnen sinnvoll.

Bisher gibt es für die nicht hereditären Ovarialkarzinome kein Screeningverfahren, das in der Routine eingesetzt werden kann. Es gibt aber erste Daten aus einer großen Screeningstudie, die derzeit in Großbritannien durchgeführt wird, dass möglicherweise die jährliche Bestimmung des Tumormarkers CA 125 und die Auswertung der relativen Veränderungen dieses Tumormarkers einen Beitrag zur Früherkennung leisten kann. Ob dies wirklich zu einer Senkung der Sterblichkeit an Eierstockkrebs führt, wird sich erst zeigen, wenn die Daten der Kontrollgruppe ausgewertet sind, was voraussichtlich noch bis 2014 dauern wird.

DZO: Welche Risikofaktoren tragen zum Auftreten eines Ovarialkarzinoms bei?

Prof. Schmalfeldt:

Der am besten bekannte und stärkste Risikofaktor ist sicher die Mutation im BRCA1-, BRCA2- oder BRCA3-Gen. Ein weiterer Risikofaktor ist die Hormonsubstitution, hier hat sich ein erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Ovarialkarzinoms gezeigt. Außerdem sind Frauen, die viele Ovulationen in ihrem Leben hatten, stärker gefährdet, an einem Ovarialkarzinom zu erkranken. Umgekehrt wissen wir, dass die „Pille” das Erkrankungsrisiko reduziert.

DZO: Gibt es Prognoseparameter, die einen Einfluss auf die Überlebenswahrscheinlichkeit haben?

Prof. Schmalfeldt:

Der stärkste Prognoseparameter für das Überleben der Patientinnen ist der postoperativ verbliebene Tumorrest. Dabei haben Patientinnen, bei denen sämtlicher Tumor entfernt werden konnte, die beste Prognose. Patientinnen, bei denen Tumorrest zurückbleibt, haben demgegenüber eine deutlich ungünstigere Prognose. Das Alter ist ebenso ein unabhängiger Risikofaktor. Hier kommt hinzu, dass bei älteren Patientinnen häufig Komorbiditäten vorliegen, sodass ihnen eine sehr ausgedehnte Operation in einigen Fällen nicht zugemutet werden kann.

Der häufigste histologische Subtyp beim Ovarialkarzinom ist das seröse Karzinom, die selteneren muzinösen fortgeschrittenen Ovarialkarzinome haben eine deutlich ungünstigere Prognose und sprechen nur wenig auf die Chemotherapie mit Carboplatin und Taxol an.

DZO: Was raten Sie Patientinnen, die eine fertilitätserhaltende Operation wünschen? In welchem Stadium ist dies grundsätzlich möglich?

Prof. Schmalfeldt:

Eine fertilitätserhaltende Operation ist im Stadium I möglich, d. h. wenn die Erkrankung nur auf die Eierstöcke begrenzt ist. Das Risiko für ein Rezidiv ist jedoch abhängig vom Differenzierungsgrad der Zellen, Patientinnen mit schlecht differenzierten Tumoren haben ein höheres Rezidivrisiko. Darüber muss die Patientin gut aufgeklärt werden.

DZO: Eine Studie um Pancini zeigte 2005, dass eine systematische Lymphadenektomie das Gesamtüberleben bei fortgeschrittenem Ovarialkarzinom nicht verbessert, sondern mit mehr Komplikationen einhergeht. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Prof. Schmalfeldt:

Die Entfernung der Lymphknoten entlang der Aorta und im Becken verlängert die Dauer des Eingriffs und erhöht auch die Radikalität. Die Rate an postoperativen Darmatonien kann erhöht sein, ebenso kann es langfristig zu Lymphabflussstörungen kommen mit Beinödemen und erforderlicher Lymphdrainage. Zudem ist bisher nicht bekannt, inwieweit Patientinnen durch mögliche Irritationen der sympathischen und parasympathischen Nerven bei der Lymphknotenentfernung beeinträchtigt werden. Im Bereich der Lymphknotenentfernung laufen die sympathischen und parasympathischen Nerven für das äußere Genitale und die Darm- und Blasenfunktion.

Bezüglich des therapeutischen Effekts der Lymphadenektomie gibt es Daten der AGO-Studiengruppe, in denen retrospektiv gezeigt werden konnte, dass die Lymphknotenentfernung bei kompletter Tumorresektion auch einen therapeutischen Effekt hat. Dies wird derzeit prospektiv im Rahmen einer Studie untersucht.

DZO: Wie beurteilen Sie den Stellenwert von örtlichen Therapieverfahren wie der intraperitonealen Chemotherapie oder der intraperitonealen Hyperthermie?

Prof. Schmalfeldt:

Zur alleinigen intraperitonealen Chemotherapie gab es in den letzten Jahren mehrere Schemata, die zum Teil eine Verbesserung des Überlebens bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom und Tumorrest < 1 cm zeigen konnten. Die angewandten Schemata waren jedoch sehr toxisch, sodass nur 58 % der Patientinnen die Therapie in dieser Form durchführen konnten. Nebenwirkungen waren vor allem durch Katheter-assoziierte Probleme bedingt sowie durch zahlreiche hämatologische und neurologische Toxizitäten sowie durch Resorption der intraperitoneal gegebenen Chemotherapie, sodass die bisher verwendeten intraperitonealen Schemata nicht für die Routine empfohlen werden können. Weitere Studien mit anderen Substanzen bzw. anderen Schemata sind jedoch sinnvoll.

Zur intraperitonealen hyperthermen Chemotherapie gibt es inzwischen mehrere Daten aus Studien. Hierbei wurden unterschiedliche Patientinnen mit Rezidiv und auch Ersterkrankung eingeschlossen. Voraus ging in diesen Studien immer die sehr radikale Entfernung des gesamten Tumors mit kompletter Deperitonisierung, sodass in einem hohen Prozentsatz der Fälle eine komplette Tumorresektion vorlag. Der eigentliche Einfluss der intraperitonealen hyperthermen Chemotherapie gegenüber einer intravenösen Standardchemotherapie wurde nie überprüft, deshalb ist bisher nicht abzuschätzen, welchen Nutzen die intraperitoneale hypertherme Chemotherapie additiv zur kompletten Tumorresektion im Vergleich zur Standardchemotherapie für die Patientin beiträgt.

DZO: Welche Verfahren der Komplementärmedizin sind aus Ihrer Sicht empfehlenswert? Was raten Sie Patientinnen an zusätzlichen unterstützenden Maßnahmen?

Prof. Schmalfeldt:

Wichtig sind eine gute und umfassende Information der Patientinnen, ein Angebot an psychoonkologischer Unterstützung sowie eine sozialmedizinische Beratung. Die Patientinnen werden durch diese Erkrankung komplett aus ihrem bisherigen Berufs- und Familienleben gerissen und das soziale Umfeld ändert sich. Hier muss Unterstützung angeboten werden. Genauso gehört eine Beratung hinsichtlich Verringerung der Nebenwirkungen und Folgen der Operation und Chemotherapie in die Nachsorge sowie eine sexualmedizinische Beratung.

Generelle komplementärmedizinische Empfehlungen sind nicht sinnvoll. Es gibt aber zahlreiche Verfahren, von denen Patientinnen profitieren können. Generell kann sicherlich die regelmäßige Bewegung bzw. Sport, soweit möglich, empfohlen werden, zur allgemeinen Stärkung des Wohlbefindens und der Abwehr. Des Weiteren sollte den Patientinnen eine Beratung in einer speziellen komplementärmedizinischen Sprechstunde angeboten werden, um geeignete zusätzliche komplementäre Therapien herauszufinden.

DZO: Welche innovativen neuen Verfahren werden an der Technischen Universitätsklinik in München bereits erprobt?

Prof. Schmalfeldt:

Sämtlichen Patientinnen mit Eierstockkrebs wird eine eigene komplementärmedizinische Sprechstunde in der Frauenklinik angeboten mit Beratung über komplementäre Maßnahmen. Zudem besteht an der Technischen Universität die Möglichkeit der Teilnahme an Gesundheitsprogrammen der naturheilkundlichen Ambulanz. Als Innovation hat die Technische Universität München ein eigentliches Sport- und Rehabilitationszentrum mit gezielten Angeboten für Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren und Mammakarzinom.

Bezüglich der operativen Therapie wird der therapeutische Stellenwert der Lymphonodektomie im Rahmen einer deutschlandweiten Studie evaluiert. Ebenso wird im Rahmen eines beantragten EORTC-Projektes ein Verfahren zur Standardisierung und Qualitätssicherung der Operation evaluiert. Im Rahmen der Therapie werden neue tumorbiologische Substanzen, die die Gefäßneubildung hemmen, immunologische Ansätze, innovative Substanzen wie die PARP-Inhibitoren und Substanzen, die die tumorassoziierte Proteolyse hemmen, erprobt. Die Grundlagenforschung untersucht neben dem BRCA1, 2 und 3 weitere genetische Faktoren, die für die Erkrankung prädisponieren bzw. deren Verlauf beeinflussen.

DZO: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?

Prof. Schmalfeldt:

Ich habe eine optimistische Lebenseinstellung, habe sehr große Freude an Familie und Beruf und das hält mich fit und gesund.

DZO: Frau Prof. Schmalfeldt, vielen Dank für das Gespräch.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Barbara Schmalfeldt

Frauenklinik der Technischen Universität München

Ismaningerstr. 22

81675 München

Email: barbara.schmalfeldt@lrz.tu-muenchen.de

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