Zeitschrift für Komplementärmedizin 2010; 2(2): 1
DOI: 10.1055/s-0030-1249789
zkm | Editorial

© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Wenn der Kopf schmerzt

Dominik Irnich
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Publication Date:
28 April 2010 (online)

Die vorliegende Ausgabe beschäftigt sich mit dem Kopfschmerz, dessen Ursachen vielfältig sind. Wesentlich ist daher vor jeder Therapie die rationale Kopfschmerzdiagnostik. Deshalb war es uns bei der Gestaltung dieses Heftes ein Anliegen, ein aktuelles Update dazu zu liefern. Mit A. Straube ist es uns wieder gelungen, einen der führenden Experten auf seinem Gebiet in die zkm zu bringen.

Ergänzend möchten wir die Bedeutung der Muskulatur als Triggerfaktor bei verschiedenen Kopfschmerzformen betonen. Immerhin ist der Muskel ein schnell reagibles und dicht mit Nozizeptoren besetztes Organ, das vielfältigen funktionellen und psychischen Einflüssen ausgesetzt ist. Hier können insbesondere komplementäre Verfahren angewendet werden. Konkrete Hinweise dazu finden sich im Refresher von J. Fleckenstein und im Beitrag von C. Besimo zu dysfunktional bedingten Kopfschmerzen.

Die medikamentöse Therapie kann in vielen Fällen Kopfschmerzen symptomatisch lindern, ist aber meist keine langfristige Lösung. Erschreckend ist dabei, dass der Kopfschmerz nach Medikamentenübergebrauch mittlerweile die dritthäufigste Ursache nach Migräne und Spannungskopfschmerzen darstellt. Welchen Anteil die Verschreibungspraxis im Vergleich zur Selbstmedikation frei verkäuflicher Analgetika durch den Patienten einnimmt, ist unklar. Wahrscheinlich könnte eine restriktivere Verschreibungspflicht für Analgetika schon viel Unheil vermeiden.

Eine Alternative können Phytotherapeutika sein. B. Uehleke informiert Sie ausführlich und praxisbezogen über die breite Palette. Einen Überbau liefert das Interview mit V. Fintelmann, dem Pionier der Phytotherapie und praktisch tätigen Anthroposophen.

Neuraltherapie, Manuelle Therapie und Akupunktur in Kombination sind echte Alternativen für die Kopfschmerztherapie. R. Wander beschreibt diese Verfahren aus seinem Erfahrungsschatz. Auch die Homöopathie kann bei Spannungskopfschmerz unterstützend eingesetzt werden, wie M. Elies berichtet.

Raum für neue Wege möchten wir mit 2 weiteren Beiträgen eröffnen. Die Kunsttherapie, dargestellt von E. Faupl als Baustein eines multimodalen Therapiekonzepts kann dem Patienten neue Ausdrucksformen ermöglichen und zum inneren Spannungsabbau beitragen. Das in diesen Aufsatz integrierte Fallbeispiel zeigt dies eindrucksvoll. Mit der Darstellung einer schamanistischen Behandlung bei einem therapieresistenten posttraumatischen Kopfschmerz führt uns H. Lucius mutig in eine neue Welt. Möglicherweise ergeben sich auf diesem Wege ungeahnte Möglichkeiten, die Selbstheilungskräfte unserer Patienten zu aktivieren.

Für einige der dargestellten Methoden brauchen wir noch wissenschaftlich geführte Wirknachweise. Unzweifelhaft vorhanden ist dieser für die von K. Ulrich und B. Gunreben-Stempfle beschriebene multimodale Kopfschmerztherapie. Sie entspricht den erst kürzlich definierten Kriterien für multimodale Schmerztherapie, ist aber aufgrund der hohen Behandlungsintensität und dem aufwendigen interdisziplinären Konzept bisher nur spezialisierten schmerztherapeutischen Einrichtungen vorbehalten. Bei Patienten mit hohem Chronifizierungsgrad, starkem Leidensdruck und deutlichen Einschränkungen im täglichen Leben sollte aber bei Therapieresistenz diese Option erwogen werden.

Zwei durch wissenschaftliche Studien belegte Beobachtungen im Zusammenhang mit Kopfschmerzen geben Anlass zur Sorge: Chronische Kopfschmerzen nehmen zu; mittlerweile sind wohl mindestens 4–5 % der Bevölkerung betroffen.

Und der Kopfschmerz als Indikator für psychische Stresssymptome unserer Schulkinder erreicht bedenkliche Größenordnungen. Überbewertung der Rationalität, schulischer und beruflicher Leistungsdruck, Disstress und Mangel an Freude und Leichtigkeit könnten die Erklärung auf gesellschaftlicher Ebene sein.

Hier ist ein Handeln erforderlich. Als verantwortliche Ärzte sollten wir Alarm schlagen.

Die TCM bezeichnet Kopfschmerzen häufig als „Obere Fülle und untere Leere“. Diese Kopflastigkeit erfordert Ausgleich und Erdung. Deshalb ein dringender Rat. Gehen Sie nach dem Studium dieser zkm unbedingt eine halbe Stunde spazieren!

PD Dr. Dominik Irnich, München