Balint Journal 2010; 11(2): 64
DOI: 10.1055/s-0030-1247402
Nachruf

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Zum Abschied von Frau Dr. med. Margarethe Stubbe

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Publication Date:
17 June 2010 (online)

Die meisten von uns, vielleicht wir alle, zumindest wir von der Balint Gesellschaft haben sie einfach Ethe genannt. Und deswegen möchte ich sie jetzt auch so nennen.

Ethe hat der Balint Gesellschaft, uns allen und mir persönlich sehr viel bedeutet.

In einem eigenen Beitrag bei einer Int. Konferenz der Balint Federation in Oxford (1998) fragte sie: What is the secret of the German Balint Society? Ihr listig bündige Antwort war: There is no secret.

Wenn ich heute Abschied nehmend dem Geheimnis ihrer Persönlichkeit nachspüre, bin ich nicht sicher, ob ich mit meinem Resümee zu demselben Schluss kommen kann. Zu komplex und vielschichtig, zu bescheiden und humorvoll scheint sie mir. Sie war viel zu klug, Geheimnisse auf den Markt zu tragen. There are some secrets.

Trotzdem ist es reizvoll, dem ein wenig nach zugehen. Nicht den Geheimnissen der Balintarbeit, die durch die ärztliche Schweigepflicht geschützt sind und ohne deren gewissenhafte Einhaltung Balintarbeit nicht möglich wäre, sondern den persönlichen, in denen der ganze Reichtum unserer Beziehungen zu ihr verborgen sind.

Aber auch hier gilt: Ohne den Schutz auch der persönlichen Geheimnissen werden Beziehungen oberflächlich und flach. In der Gruppenarbeit war sie die absolute Meisterin der treffsicheren Pointierung des Kerns beispielsweise eine Problems und in der Enthaltsamkeit vorschneller Lösungsvorschläge. Sie wusste sehr wohl: Die wirklichen Lösungen kommen aus dem eigenen Inneren der Betroffenen. Sie müssen nur den Mut haben, diesem eigen Inneren zu vertrauen – und gelegentlich auch abzuwarten, bis sich die Lösung zeigt.

Ethe verstand es sehr wohl, Geheimnisse zu schützen und sich zu verbergen. Sprach man sie auf sich selbst an, sagte sie: Ach, das ist doch nicht so wichtig. Über allzu neugierige Fragen huschte sie einfach hinweg.

Ob das Wissen ihrer Bedeutung für uns ihr ein Geheimnis war?

Wenn ich das gelegentlich ansprach, hörte sie wohl zu, ließ sich auch darauf ein, insbesondere, wenn es ihr für andere von Nutzen schien – beispielsweise bei der Entscheidung, ein eigenes Journal für die Deutsche Balint Gesellschaft zu gründen oder bei der höchst aktiven, konstruk­tiven und kritischen Mitgestaltung dieses Journals über viele Jahre.

Aber im Grunde ihres Wesens war sie viel zu bescheiden, um sich Bedeutung anzumaßen. Trotzdem war sie sich Ihres Wertes immer bewusst. Das war – wenigstens für mich – nie ein Geheimnis.

Was aber war denn nun ihr Geheimnis?

Ich glaube, es war dies: Sie liebte die Menschen – mit ihren Stärken, aber auch mit ihren Schwächen. Der Umgang mit Menschen, die versuchten, ehrlich mit sich und anderen umzugehen, der gab ihr Kraft. Das liebevolle Eingehen auf den anderen, das Anerkennen der Leistungen anderer, die Freude, die sie damit verschenkte, war ihr Geheimnis. Ich denke z. B. an ihren Herzchirurgen, den sie ein Jahr nach einer größeren Herzopera­tion eher zufällig in der Klinik wieder traf: „ Hier sehen Sie jemanden, dem Sie ein neues Leben ­geschenkt haben!“ Sie war so dankbar, so spontan. Er völlig verblüfft, hatte sicher einen guten Tag. Mir jedenfalls ging es immer so, wenn ich sie traf oder wir miteinander telefonierten.

Ethe gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Balint Gesellschaft (1974). Wenig später hat sie selbst mich in diese Gesellschaft auf­genommen. Sie war die erste Geschäftsführerin – fast zwanzig Jahre lang hat sie die Geschäfte ­dieser ärztlichen Fachgesellschaft mit großer Gewissenhaftigkeit und noch größerer Souveränität geleitet. Nicht zuletzt diese Souveränität bewies sie in den neunziger Jahren als Vizepräsidentin der Int. Balint Gesellschaft. Damals übersetzte sie auch das Herausgeberbuch zur Bedeutung und Veränderung der Arzt-Patient-Beziehung von ­Elder A. und O. Samuel: „Was ich noch sagen wollte…“ zusammen mit H.-P. Hartmann und V. Wolfrum aus dem Englischen, (Springer, 1991).

Nie werde ich ihre generöse Souveränität vergessen, als sie gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen zu uns nach Aachen kam. Anfangs der neunziger Jahre hatte man mich auf den neu gegründeten psychosomatischen Lehrstuhl berufen. Als sichtbares Zeichen richteten wir einen Int. Balint Kongress in dem großen, aber eher anonym wirkenden, die Bedeutung der Arzt-Patient-Beziehung eher weniger lehrenden Universitätsklinikum aus, ein markantes Zeichen mit allen nur denkbaren Dimensionen, die in der ­Balintarbeit liegen, von der Gruppenarbeit, über künstlerische Gestaltungsformen für kranke Kinder, in der Kunst und Kreativität neben die ­Gruppenarbeit gestellt wurde – und vor allem der ­Zugang zu den jungen Studenten universitär ­geöffnet werden sollte. Das war etwas, was sie ganz entschieden unterstützte. Ethes diesbezüg­liche Begeisterung zeigte sich auch in dem Buch über die studentischen Balintarbeiten, die in ­Ascona prämiert wurden, die wir 1996 gemeinsam herausgaben.

Wenn ich mir hier zum Abschied von Ethe etwas wünschen dürfte, dann wäre es dies: Die Bewahrung der Erinnerung an die wunderbaren Geheimnisse einer unglaublich liebenswerten, humorvollen und großartigen Frau.

Kusterdingen / Liebenburg, den 23.4.2010

Prof. Dr. med. E. R. Petzold

Goethestraße 5

72127 Kusterdingen

Email: erpetzold@gmx.de