Endo-Praxis 2009; 25(1): 6-25
DOI: 10.1055/s-0029-1202682
Originalia

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

S3–Leitlinie „Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie” 2008 – (AWMF–Register–Nr. 021/014) Teil I

A. Riphaus, T. Wehrmann, B. Weber, J. Arnold, U. Beilenhoff, H. Bitter, S. von Delius, D. Domagk, A. F. Ehlers, F. Faiss, D. Hartmann, W. Heinrichs, M.–L. Hermans, C. Hofmann, S. in der Smitten, M. Jung, G. Kähler, M. Kraus, J. Martin, A. Meining, J. Radke, T. Rösch, H. Seifert, A. Sieg, B. Wigginghaus, I. Kopp
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Publication Date:
09 February 2009 (online)

Indikationen, Ziele,bekannte Risiken,Patienten, Qualitätsziele

Sedierungsangebot Empfehlung Jedem Patienten soll eine Sedierung vor der Endoskopie angeboten werden. Dabei soll über Vor– und Nachteile einer Sedierung diskutiert werden. Anmerkungen Jeder Patient hat das Recht auf eine möglichst schmerz– und stressfreie Endoskopie. Daher erscheint es ethisch nicht vertretbar, grundsätzlich Patienten eine Sedierung vorzuenthalten. Endoskopische Untersuchungen können unangenehm sein, sodass eine Sedierung gewünscht oder zu empfehlen ist. Insbesondere länger dauernde, endoskopisch–interventionelle Eingriffe diffiziler Art (z.B. ERCP, schwierige Resektions– oder Drainage–Verfahren) setzen zudem die Vermeidung unwillkürlicher Bewegungen des Patienten voraus. Darum soll eine Sedierung prinzipiell jedem Patienten angeboten werden. Nach entsprechender Aufklärung über die Sedierung soll den diesbezüglichen Patientenwünschen möglichst Rechnung getragen werden. Empfehlung Grundsätzlich können einfache endoskopische Untersuchungen (Gastroskopie, Sigmoidoskopie, Koloskopie etc.) bei geeigneten Patienten auch ohne Sedierung durchgeführt werden. Anmerkungen Eine randomisierte kontrollierte Studie und zwei prospektive Kohorten–Studien belegen diese Aussage, wobei die Zustimmung zu einer unsedierten Koloskopie nur 88 % betrug. In einer weiteren Studie stimmten nur 20 % der Befragten einer Koloskopie ohne Sedierung zu. Männliches Geschlecht, höhere Bildung und geringere Ängstlichkeit waren positive prädikative Faktoren für den Patientenwunsch nach einer Koloskopie ohne Sedierung.

Indikationsstellung für eine Sedierung Empfehlung Bei der Entscheidung für oder gegen ein Verfahren zur Sedierung und/oder Analgesie sollen folgende Aspekte berücksichtigt werden: Patientencharakteristika (Risikoprofil ,Komorbidität, Präferenzen) Art des endoskopischen Eingriffs (Anlass, Dauer, Invasivität) Strukturelle Voraussetzungen

Untersuchungsqualität Empfehlung Eine Aussage zur Beeinflussung der Komplikationsrate (durch den endoskopischen Eingriff) bei Verzicht auf eine Sedierung ist nicht möglich. Anmerkungen Die Notwendigkeit einer Prämedikation bei gastroenterologischen Eingriffen ist zweifelsfrei nicht bei allen endoskopischen Eingriffen obligat und letztlich abhängig von der Art der Untersuchung, der Untersuchungsdauer, Komplexität und Invasivität der Untersuchung. Die Prämedikation trägt sowohl für den Patienten als auch für den Untersucher erheblich zum Untersuchungskomfort bei und schafft insbesondere bei komplexen therapeutischen Eingriffen oftmals erst die Voraussetzung für die Durchführung einer erfolgreichen und risikoarmen Untersuchung. Auch spielt die Patientenpräferenz eine nicht zu unterschätzende Rolle. Vorerfahrung mit bereits „durchgemachten” Untersuchungen, bestehende Ängstlichkeit und die Einsichtsfähigkeit des Patienten sollten hierbei berücksichtigt werden. Darüber hinaus gibt es oftmals kulturell bedingte weltweit große Unterschiede im Umgang mit der Sedierung bei der gastrointestinalen Endoskopie. Beispielsweise erfolgt in den USA und Großbritannien in bis zu 88 % der endoskopischen Untersuchungen eine Sedierung der Patienten. Hingegen lag die Sedierungsfrequenz in Deutschland und der Schweiz in den 90er–Jahren mit ca. 9 % deutlich niedriger, nimmt aber mit der Komplexität der Untersuchung zu. Aktuellste Umfrageergebnisse zeigen jedoch auch in Deutschland eine deutliche Zunahme der Sedierungsfrequenz bei endoskopischen Eingriffen von bis zu 87 %. Dies ist vermutlich zum einen bedingt durch eine vermehrte Häufung interventioneller Untersuchungen und zum anderen als Folge des Patientenwunsches z.B. im Rahmen der Kolonkarzinomvorsorge. Allerdings existieren kaum Studien, die die Sicherheit der diagnostischen wie auch therapeutischen Endoskopie mit oder ohne Sedierung gegeneinander werten. Eine amerikanische Untersuchung verfehlte wegen mangelnder Patientenakzeptanz (hoher Sedierungswunsch) das angestrebte Vergleichsziel. Das Ergebnis einer deutschen Studie zeigte, dass die Koloskopie in über 90 % der Fälle ohne Sedierungsmaßnahme mit einer geringen Komplikationsrate vorgenommen werden kann, wobei allgemein bei den Patienten jedoch der Wunsch nach einer Prämedikation überwiegt. Diese scheint das Risiko für Komplikationen durch die Endoskopie nicht nachhaltig zu beeinflussen. So konnte in einer prospektiven Studie von Dillon et al. bei 136 Kindern zur Koloskopie unter Allgemeinanästhesie gezeigt werden, dass die Perforationsrate nicht höher als bei Erwachsenen unter Sedierung war. Die Behauptung, es käme bei gut erhaltenen Schmerzreizen zu weniger Koloskopie–Perforationen, ist somit nicht belegt.

Risikoabschätzung und Strukturqualität Allgemeines Mit sedierend und analgetisch wirkenden Medikamenten können ineinander übergehende, nicht immer sicher abgrenzbare Zustände induziert werden, die von einer minimalen Sedierung (Anxiolyse) bis hin zur Allgemeinanästhesie reichen. Sedierungs– und/oder Analgesieverfahren durch Nicht–Anästhesisten dürfen planbar keinen Sedierungsgrad erreichen, bei dem lebenserhaltende Reflexe beeinträchtigt oder ausgeschaltet werden. Durchführung von geplanten Allgemeinanästhesien (mit Verlust des Bewusstseins/der Schutzreflexe) sind ausschließlich dem Anästhesisten vorbehalten. Sollte im Einzellfall ein Sedierungsgrad erreicht werden, bei dem lebenserhaltende Reflexe beeinträchtigt oder ausgeschaltet werden (Allgemeinanästhesie) und der Eingriff fortgesetzt werden soll, ist ein Anästhesist hinzuzuziehen. Trotz der fließenden, nicht immer sicher steuerbaren Übergänge lassen sich verschiedene Ausprägungsgrade der (Analgo–) Sedierung unterscheiden. Der Grad (die Tiefe) der Sedierung kann durch eine validierte Skala bestimmt und eingeteilt werden. Während in der Anästhesie die modifizierte Richmond Agitation–Sedation–Score–Skala (RASS–Skala) gebräuchlich ist, wird in der Gastroenterologie meist die Einteilung der verschiedenen Sedierungsstadien nach der American Society of Anesthesiologists verwandt. Empfehlung Die Art und Intensität der Sedierung sowie die Wahl des Medikaments sollen sich nach der Art des Eingriffs und nach der ASA–Klassifikation sowie dem Risikoprofil des Patienten richten und setzen eine bestimmte räumliche, apparative und personelle Ausstattung voraus. Liegen die unter „Strukturqualität” definierten Voraussetzungen nicht vor, soll unter Abwägung von Nutzen, Risiko und Patientenwunsch von einer Sedierung abgesehen werden bzw. bei bestehender Indikation und/oder Patientenwunsch zu einer Sedierung eine Überweisung an eine Einrichtung erfolgen, die diese Voraussetzungen erfüllt. Anmerkungen Die American Society of Anesthesiologists und die American Society of Gastroenterologists empfehlen, vor Beginn der Untersuchungen eine Risikoabschätzung eventueller kardiovaskulärer und respiratorischer Probleme während der Endoskopie vorzunehmen. Hierzu gehört eine ausführliche Anamnese mit der Frage nach Erkrankungen des kardiovaskulären und respiratorischen Systems, Stridor, Schnarchen, Schlaf–Apnoe–Syndrom, vorausgegangenen Komplikationen bei der Anwendung von Sedativa/Analgetika, regionaler und Allgemein–Anästhesie, Medikamentenallergien, aktueller Medikation und möglichen Medikamenteninteraktionen, Zeitpunkt und Art der letzten Nahrungsaufnahme, Tabak, Alkohol, Drogenkonsum und der körperlichen Untersuchung, welche neben den Vitalparametern die Auskultation von Herz und Lunge beinhaltet. Die ASA–Klassifikation Tab.1 sowie die Strukturqualität sind hier Grundlage der bestehenden Leitlinien. Patienten ab der ASA–Klasse III Tab.2 haben ein deutlich erhöhtes Risikopotenzial für eine Sedierung bzw. Intervention. Tab. 1 Tab. 2

Anästhesie, Intubation Empfehlung Bei Patienten mit höherem Risikoprofil soll die Hinzuziehung eines Anästhesisten erwogen werden, dazu gehören: hohe ASA–Klassifikation (III–IV) und schwierige endoskopische Eingriffe oder wenn durch pathologisch–anatomische Besonderheiten des Patienten ein erhöhtes Risiko für eine Atemwegsbehinderung während des Eingriffs gegeben ist (z. B. bei kraniofazialen Missbildungen, Tumoren des Zungengrunds, Larynx oder Hypopharynx, massiv eingeschränkter Beweglichkeit der HWS, massiv eingeschränkter Mundöffnung<3cm, Mallampatti–Stadien 3 oder 4 bzw. eingeschränkter Kehlkopf–Kinnspitzen Abstand von weniger als 6 cm). Anmerkungen Zum Risikoprofil gehören auch pathologisch–anatomische Besonderheiten, die zu respiratorischen Problemen führen können und die eine eventuell notwendige mechanische Atemhilfe bzw. Beatmung erschweren würden. Darüber hinaus geben bestehende Leitlinien weitere Hinweise zur Einschätzung des erhöhten Risikos einer Atemwegsbehinderung, bei Patienten mit bereits vorausgehenden Problemen bei einer Anästhesie oder Sedierung. Dies sind: Patienten mit Stridor, Schnarchen, Schlaf–Apnoe, Patienten mit Fehlbildungen des Gesichtsschädels, wie z. B. Pierre–Robin–Syndrom oder Trisomie–21, Patienten mit Missbildungen des Mundraums, wie kleine Öffnung (<3cm bei Erwachsenen), Zahnlosigkeit, vorstehende Frontzähne, aus– oder abgebrochene Zähne, hoher gewölbter Gaumen mit Makroglossie, Tonsillenhypertrophie oder nicht sichtbare Uvula, Patienten mit Abnormalitäten des Halses, wie die den Hals und das Gesicht einbeziehende Adipositas, kurzer Hals, eingeschränkte Beweglichkeit des Halses, verminderte Hyoid–Kopf–Distanz (<6cm bei Erwachsenen), Tumoren des Halses, Erkrankungen oder Traumen der Halswirbelsäule, Trachealveränderungen oder fortgeschrittene rheumatoide Arthritis, Patienten mit Missbildungen des Kiefers, wie Mikrognathie, Retrognathie, Trisomie–Patienten oder ausgeprägte Malokklusion. Auch Menschen mit Alkohol–, Medikamenten– oder sonstigem Drogenabusus sowie höherer ASA–Klassifikation und/oder mangelnder Kooperationsfähigkeit lassen aufgrund ihres Risikoprofils höhere Anforderungen an die Sedierung erwarten.

Schutzintubation Empfehlung Eine tiefe Sedierung führt zu Beeinträchtigungen der Schutzreflexe (Schluck–, Hustenreflex). Dies kann Aspirationen Vorschub leisten. Bei besonderen Situationen in der Notfallendoskopie, mit erhöhtem Aspirationsrisiko (z.B. schwere obere gastrointestinale Blutung) unter Sedierung, sollte daher eine tracheale Intubation erwogen werden. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass die prophylaktische Intubation mit einem erhöhten Risiko für pneumonische Infiltrate einhergehen kann. Anmerkungen Grundsätzlich führt eine tiefe Sedierung zur Beeinträchtigung der Schutzreflexe. Bei zusätzlichen Risiken für eine Aspiration, z.B. im Rahmen von Notfallendoskopien bei oberer gastrointestinaler Blutung, erscheint daher eine tracheale Intubation zur Prophylaxe von Aspirationen sinnvoll. Allerdings existieren keine hochwertigen Studien, die ein Überwiegen der Vorteile dieser Maßnahme belegen. Eine grundsätzliche Empfehlung kann daher nicht ausgesprochen werden. In einer retrospektiv erhobenen Fallkontrollstudie von Koch et al. bei insgesamt 62 Patienten, von denen 42 Patienten im Rahmen einer Varizenblutung vor Beginn der Endoskopie eine prophylaktische endotracheale Intubation erhielten, konnte gezeigt werden, dass nachfolgend bei 17 % der Patienten pneumonische Infiltrate nachweisbar waren, während dies bei den nicht intubierten Patienten nicht der Fall war. Auch lag die Gesamtmortalität bei Patienten mit prophylaktischer Intubation gegenüber nicht intubierten Patienten deutlich höher (21 vs. 5 %). In einer weiteren retrospektiv erhobenen Fallkontrollstudie von Rudolph et al. an insgesamt 220 Patienten konnte zunächst kein signifikanter Unterschied hinsichtlich des Auftretens von pneumonischen Infiltraten bei prophylaktisch intubierten und nicht intubierten Patienten und der Gesamtmortalität gezeigt werden. Allerdings lag das Auftreten fataler Episoden durch Aspiration mit 2 vs. 0 % höher, wenn keine prophylaktische Intubation erfolgt war. Aufgrund der unklaren Patientenzuweisung zu beiden Gruppen in solchen retrospektiven Analysen und somit eines möglichen Bias (Intubation bei schwerer kranken Patienten) sind solche Erhebungen jedoch nur von begrenztem Wert.

Lagerung Empfehlung Analog zum Vorgehen bei der Allgemeinanästhesie bei Operationen soll auch bei sedierten Patienten auf eine korrekte Lagerung zur Vermeidung lagerungsbedingter Schäden geachtet werden. Anmerkungen Lagerungsschäden spielen bei gastrointestinalen Endoskopien insgesamt nur eine untergeordnete Rolle, sind aber grundsätzlich zu vermeiden. Vor allem bei flacher Sedierung können sich die Patienten unwillkürlich bewegen und sollten daher angemessen gesichert werden. Lagerungsschäden treten am ehesten bei Patienten unter der ERCP (Bauch– und Seitenlage) auf bzw. bei Umlagerung vom Untersuchungstisch ins Bett. Direkte Evidenz zur Frage von Lagerungsschäden in der Endoskopie liegt nicht vor, die Empfehlung stützt sich auf die gemeinsame Empfehlung des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten und des Berufsverbands der Deutschen Chirurgen.

Korrespondenz:

Dr. A. Riphaus

Medizinische Klinik I, Klinikum Region Hannover GmbH Krankenhaus Siloah

Roesebeckstr. 15

30449 Hannover

Email: ariphaus@web.de

Prof. Dr. T. Wehrmann

Fachbereich Gastroenterologie, Deutsche Klinik für Diagnostik

Aukammallee 33

65193 Wiesbaden

Email: till.wehrmann@dkd-wiesbaden.de